Die Welt - 09.11.2019

W

ird Kanye West der

nächste Präsident

der USA?

Gewisse Ähnlich-

keiten zum amtie-

renden US-Präsidenten Donald Trump

hat der Rapper ja zweifelsohne: Wie

Trump hat West Erfahrung im Reality-

TV („Keeping up with the Kardashi-

ans“), neigt zur Selbstüberhöhung („I

am a God“) und zu politisch höchst um-

strittenen Statements (Sklaverei sei ei-

ne „Entscheidung“ der Afroamerikaner

gewesen). Auch hat der Musiker mehr-

fach zu Protokoll gegeben, dass er ein-

mal US-Präsident werden wolle, und im

vergangenen Jahr sogar den Republika-

ner Trump („I love this guy!“) im Wei-

ßen Haus besucht.

VON MAXIMILIAN KALKHOF

Aber reicht das, um als Präsident-

schaftsanwärter zu gelten?

Wenn es nach bet-at-home.com geht,

einem Anbieter von Online-Wetten, lau-

tet die Antwort: ja. Dort kann man da-

rauf wetten, dass Kanye West der 46.

Präsident der Vereinigten Staaten wird.

Zugegeben: Wahrscheinlich ist das nicht.

Aber für manch einen mag das erst den

Reiz der Sache ausmachen. Denn die

Quote des Anbieters liegt aktuell bei

500.00. Grundsätzlich gilt: Je kleiner die

Quote, desto wahrscheinlicher das Ein-

treten eines Ereignisses – und desto klei-

ner der mögliche Gewinn. Im Fall der

Kanye-West-Wette heißt das: Mit einem

Einsatz von einem Euro winkt – nach

Abzug von Steuern – ein Gewinn von 475

Euro. Wer hingegen einen Euro auf

Trump (Quote: 2.25) setzt, den erwartet

nur ein Gewinn von 2,14 Euro.

Man stelle sich vor, der Fall der Berli-

ner Mauer am 9. November 1989 wäre

eine Wette gewesen. Wer auf den Mau-

erfall gesetzt hätte, wäre reich gewor-

den -– denn so gut wie niemand sah das

epochale Ereignis kommen, weder Poli-

tiker noch Geheimdienste. Was sich

weit hergeholt anhören mag, ist es bei

genauerer Betrachtung gar nicht. Denn

heute gibt es zahlreiche Anbieter von

Online-Glücksspielen, die politische

Wetten im Portfolio haben. Ob US-Prä-

sidentschaftswahl, Brexit oder Bundes-

tagswahl – man kann tatsächlich auf das

Weltgeschehen wetten. Mit teils sehr

lukrativen Quoten.

Im Unterschied zu Sport-Wetten, et-

wa auf Fußball- oder Tennis-Ergebnisse,

sind Politik-Wetten langfristig angelegt.

Man gibt sie lange vor dem Polit-Ereig-

nis auf und kann nicht im letzten Mo-

ment noch umschwenken. Das Geld ist

lange gebunden, das bedeutet: Der

schnelle Kick fehlt. Politik-Wetten sind

das Habitat von Strategen.

Einer, der das reizvoll findet, ist Da-

niel Frei. Der 19-jährige Student aus

Düsseldorf ist der Meinung, dass man

sich auskennen und in ein Thema vertie-

fen müsse, um bei Politik-Wetten Erfolg

zu haben. Frei hat 2016 bei der US-Prä-

sidentschaftswahl auf Donald Trump ge-

setzt. Nach der Lektüre von US-Medien

hatte er den Eindruck, dass der Republi-

kaner mit der rüpelhaften Rhetorik bei

der weißen Landbevölkerung gut an-

kommen könnte. „Die Wahl Trumps war

wie eine Bewegung“, sagt er: „Keiner

hat’s gewollt, keiner hat’s geglaubt –

aber es ist passiert.“ Gut für Frei: Mit ei-

nem Wett-Einsatz von 500 Euro erspiel-

te er mehr als 2000 Euro Gewinn.

Fragt man bei Anbietern von Online-

Wetten nach, erfährt man, dass Strate-

gen wie Frei in der Minderheit sind.

Denn politische Wetten fristen im Port-

folio nur ein Nischendasein. Bet-at-ho-

me.com etwa hat nach eigenen Angaben

2018 einen Umsatz von rund 144 Millio-

nen Euro gemacht. Der Anteil von Poli-

tik-Wetten am Umsatz sei vernachläs-

sigbar. Mit ihnen wolle man allerdings

neue Zielgruppen erreichen.

So kommt es, dass man bei bet-at-

home.com auf den nächsten Papst

wetten kann. (Als Favorit gilt Kardinal

Peter Turkson aus Ghana mit einer

Quote von 6.00.) Und auf die Frage,

welche Partei bei der nächsten Bun-

destagswahl die meisten Stimmen er-

halten wird. (Die Union, Quote von

1 .07, wird von den Grünen, Quote von

7 .00, verfolgt. Die gute Nachricht für

die SPD: Sie liegt mit einer Quote von

1 5.00 vor der AfD, Quote: 25.00.) Auch

generelle Fragen sind im Angebot, et-

wa: „Wird Österreich am 01.01.2030 ei-

ne Frau als Bundeskanzlerin haben?“

(Die schlechte Nachricht für Feminis-

tinnen: „Nein“ liegt mit einer Quote

von 1.30 vor „Ja“ mit 3.00.)

Die Quoten werden, so erklärt bet-at-

home.com, von erfahrenen Buchma-

chern festgesetzt und laufend ange-

passt. Aber erkennen die Anbieter auch

Wettbetrug? Jüngst berichtete die ös-

terreichische „Kronen Zeitung“, dass

zwei Männer kurz vor der Ibiza-Affäre

bei einem österreichischen Wettanbie-

ter 1150 Euro auf ein baldiges Platzen

der Koalition aus ÖVP und FPÖ gesetzt

hätten. Dem Bericht zufolge fand der

Wettanbieter dies auffällig und zeigte

die Männer an – es kam sogar zu Haus-

durchsuchungen. „Verdächtige Wettein-

gänge werden an eigene Institutionen

gemeldet, die im Falle von gehäuften

Vorkommnissen entsprechende Warn-

hinweise übermitteln“, lässt bet-at-ho-

me.com auf Nachfrage wissen. Zudem

gebe es gut funktionierende interne

Überwachungssysteme.

In Großbritannien, wohl das Mutter-

land der geschäftsmäßigen Wette, gel-

ten Quoten von Buchmachern vor poli-

tischen Ereignissen als zuverlässiger als

Voraussagen von Kommentatoren und

Meinungsforschern. Laut einer Studie

der Universität Cambridge waren es

beim Brexit-Referendum 2016 die Wet-

tanbieter, die zuerst den Sieg der Leave-

Seite voraussahen – noch vor den Fi-

nanzmärkten und der BBC. Bei Ladbro-

kes, dem größten Buchmacher der Welt,

wird die Frage „Wird das Vereinigte Kö-

nigreich die EU vor dem 1. Februar 2020

verlassen?“ derzeit eher positiv beant-

wortet. Das „Ja“ (Quote: 1.5) liegt knapp

vor dem „Nein“ (Quote: 2.5).

Auch Daniel Frei, der 19-jährige Stra-

tege, hat überlegt, auf den Brexit zu

wetten. Aber die Quoten sind ihm nicht

attraktiv genug. Auch auf die Wieder-

wahl von Donald Trump zu setzen, er-

scheint ihm bei einer Quote von knapp

über 2.00 als nicht interessant genug.

Wer mit Frei am Telefon spricht, hat das

Gefühl, mit einem Poker-Profi zu spre-

chen, der ein Blatt analysiert – so fach-

männisch bis abgezockt klingt er. Stut-

zig wird man, wenn man hört, dass Frei

wettet, seit er 15 Jahre alt ist – mit ge-

fälschten Identitäten. Deswegen ist sein

Name in diesem Artikel geändert. Auf

seiner Homepage erklärt der Anbieter

bet-at-home.com, dass er sich für Spiel-

suchtprävention, Jugendschutz und

Kriminalitätsprävention einsetze. Eine

Anfrage dazu lässt das Unternehmen

unbeantwortet.

Fragt man Frei, auf welche hypotheti-

sche Wette er gerne setzen würde, er-

hält man eine Antwort, die jedem libe-

ralen Demokraten zu denken gibt: „Ich

würde gerne darauf wetten, dass die

AfD bei der nächsten Bundestagswahl

Regierungspartei wird“, sagt er: „Privat

kann ich die Ziele und Werte dieser Par-

tei zwar nicht vertreten, kann mir aber

sehr gut vorstellen, dass es so weit kom-

men wird.“

dass ..?

Man stelle sich vor, der Mauerfall wäre eine Wette

gewesen: Wer auf das epochale Ereignis gesetzt hätte,

wäre reich geworden. Tatsächlich kann man auf das

Weltgeschehen wetten – mit teils lukrativen Quoten

Wetten,

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09.11.19 Samstag, 9. November 2019DWBE-HP

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4 POLITIK DIE WELT SAMSTAG,9.NOVEMBER

1 1:

Mitarbeiter des West-Berliner Senats erfahren von Ge-

rüchten aus dem Ostteil der Stadt, laut denen die DDR

kurzfristig eine neue Reiseregelung planen soll. Woher

die Information stammt, wird nie geklärt.

1 1:

Die vier DDR-Beamten schicken ihren Entwurf per Ku-

rier ins SED-Zentralkomitee; das Politbüro nickt in der

Raucherpause der ZK-Sitzung von 12 bis 12:30 Uhr den

Vorschlag ab.

1 2:

West-Berlins Regierender Bürgermeister Walter Mom-

per (SPD) erfährt von den Gerüchten über eine neue

Reiseregelung. Auch die Worte „Heute Abend geht die

Mauer auf“ fallen. Momper ist vorsichtig – ähnliche Mut-

maßungen gab es seit Honeckers Sturz schon mehrfach,

ohne dass etwas geschehen ist. Er warnt jedoch kurz den

Verkehrs- und den Innensenator.

CHRONIK DES MAUERFALLS – 11:00 - 12:

WEST-BERLINS REGIERENDER BÜRGERMEISTER WALTER MOMPER UND DER OST-BERLINER

OBERBÜRGERMEISTER ERHARD KRACK, HIER WENIGE WOCHEN NACH DEM FALL DER MAUER

PICTURE-ALLIANCE/ BERLINER KURIER

/ HAHN MANFRED

Wer auf Kanye West (l.)

als US-Präsidenten setzt, kann mit

glänzenden Quoten rechnen.

Donald Trump verspricht nicht viel Gewinn

AP FOTO/ ALEX BRANDON; GETTY IMAGES/ ROY ROCHLIN; AFP/RALPH GATTI; PHIL SILLS; MONTAGE: WELT

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