Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


26 Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 ·························································································································································································································································································


offizier,mein Vater hatte eineVer-
gangenheit als Offizier der Résis-
tance.Jetzt,alsoimJahr1965,waren
beide in derselbenPartei. Ichhabe
versucht, mit dem was ich erlebt
habe,eine Geschichte über diePro-
bleme der DDR zu erzählen, die
auchmeineProblemewaren.

Siemeinen den sozialistischenUm-
gang mit der nationalsozialistischen
Vergangenheit.
Ja.DieDDRwurdealsantifaschis-
tischer Staat gegründet und hatte
sehrvielMühe,diesenStatuszuhal-
ten, weil er gewissermaßen eine
pauschaleEntschuldung derer war,
die sich ihr angeschlossen hatten.
Dieses: Es sei dir alles vergeben,
wenndubeiunsmitmachst.Daraus
habensichsehrvieleProblemeent-
wickelt, die bis heute nachwirken.
Eine nicht aufgearbeitete Ge-
schichtederDDR,vielenichtaufge-
arbeitete Familiengeschichten, ein
großes Schweigen.Aufder anderen
Seite gab es nach dem Krieg einen
ernsthaften Pazifismus der Leute,
die als besiegte junge Männer aus
der Wehrmacht entlassen wurden.
Auch das wollte ichzeigen. Welche
Kompromisseeingegangenwurden,
um dieses Land aufzubauen und
woran es amEnde gescheitertist.
Wiesich in denWahlergebnissen
jetzt zeigt, kommt sehr viel hoch,
wasunbewältigtwar.

Haben Sieini hrer Jugend Antisemi-
tismuserlebt?
Es gab natürlichVorfälle,wobei
ichsagenmuss,dassdasdenLeuten
meistgarnichtbewusstwar,wassie
dagesagthaben.Esklangallesunbe-
kümmertumgangssprachlich.Wenn

Momentzuwarten.Hörtsichheute
nicht besonders mutig an, aber
manche dieser Rückzugsräume wa-
renoftsehrkreativ,spielerisch,trot-
zig und stolz.Mitdiesen Räumen
meineichdas,wasmaninzwischen
meist Nische nennt.Ichmag dieses
Wortnicht,alleWörtermitlangemi
wirken nur verniedlichend. Auch
OssiistsoeinWort.Daswardererste
Versuch,dasOstproblemdurcheine
Verkleinerung lösbar scheinen zu
lassen.


Wieund wann kamenSieeigentlich
darauf ,Regisseurzuwerden?
Ichbinals Kindeinfachwahnsin-
nig ger nins Kino gegangen.Ich
liebtees ,ine inefremdeWelteinzu-
tauchen.MirGeschichten erzählen
zu lassen.Im Osten haben ich mir
sowjetischeReiterfilme angesehen,
„Tschapajew“und „Kotschubej“,in
Westberlin,im Kino meines Onkels,
sah ich dann die westlichenPen-
dants.Später,imK inderheim, kam
einmal in derWoche der Landfilm
mit einem durchmischten Pro-
gramm.Ichsah mir alles an.Und
wenn es Filme ab 16 waren, lag ich
heimlichdirekthinterderLeinwand
undsahdieFilmevonschrägunten
undseitenverkehrt.Irgendwannauf
dem Schulweg habe ich mit einem
Freund überBerufswünsche gere-
det. Undwie selbstverständlich
sagte ich ihm, dass ichFilme ma-
chen will.Habe mich selbst gewun-
dert, als ich das ausgesprochen
habe.Daw arichfünfzehn.Undbin
dabeigeblieben.


Washatte es mit diesemKinderheim
aufsich?
Da muss ich bisschen ausholen.
Mein Vater hatte bis 1933 inBerlin
Jura studiert, wollte aber immer
Journalist werden. Nach den Jahren
in der Emigration und der Résis-
tance ist er 1945 nachOstberlin zu-
rückgekehrtund hat bei ADN und
derBerlinerZeitunggearbeitet.


Er war stellvertretender Chefredak-
teurder BerlinerZeitung...
Als Journalist war er mit meiner
Mutter auch bei den Nürnberger
Kriegsverbrecherprozessen und
wurde dann Auslandskorrespon-
dent. Zunächst in Prag, deshalb
wurdeich1949inPraggeboren.Mit
der Zeit stellte sich heraus,dass er
sich in der DDR am wohlsten fühlt,
wennerimAuslandist.Daswarein
Lebensmodell, das ihm sehr lag.Er
war einerseits parteitreu, anderer-
seitsaberauchliberalundweltoffen,
wassichambestenimAuslandver-
einen ließ.EineWeile waren wir als
kompletteFamilie mit, 1958/59 in
Indien. Meine jüngereSchwester
blieb bei meinenEltern, und mein
Bruder und ich mussten dann zu-
rückindieDDR.Wirkamenfürfünf
Jahreine inHeimimKreisBadFrei-
enwalde,daw aren80,90Kinder,de-
renElternzumgrößtenTeilbeim Au-
ßenhandel arbeiteten.Eine kleine
Welt,indersichdasganzeLandspie-
gelte.AusdieserZeitkenneichDDR-
Leben in derProvinz ziemlich gut.
Dasführte später zuKonflikten mit
meinemVater,weil ich dachte,ich
weißvielmehrüberdenAlltaginder
DDR als er.Daw ar ich 18Jahrealt.
Später haben wir uns wiedergefun-
denundwarenunssehrnah.


IhreErinnerungen an dasKinder-
heim habenSiezue inem Drehbuch
verdichtet...
Fürdasichvorkurzemeinedefi-
nitiveAbsage bekommen habe.Die
ArbeitzogsichüberJahrehin.Alsich
dieGeschichteinden90ernzumers-
tenMalangebotenhabe,hießes: Os-
ten ist durch.Dann erinnereich
mich an dasGespräch mit einem
Produzenten, der bemängelt hat,
dassim FilmwederMauernochStasi
vork ommen.Dasfand ich sehr ko-
misch,weildas GanzeaufdemDorf
spielt, achtzigKilometer vonder
Mauer entfernt und dieStasi für
TeenagerkeinThemawar.


WovonhandeltdieseGeschichte?
Es sollte einFilm über dasEr-
wachsenwerden in der DDR sein.
Coming of Age.Mit den Konflikten
eines 15-jährigen.Eine besondere
Rolle sollte derHeimleiter spielen.
DasVorbild für dieFilmfigur hatte
eineVergangenheitalsWehrmachts-


das ein großes Thema.Diemeisten
hatten künstlerische Ambitionen,
wolltenzumTheateroderzurMale-
rei.Unterunsspieltedaseinewich-
tige Rolle,ich bin aber nieMitglied
der jüdischenGemeinde geworden.
Unser Zweig der Familie war nicht
religiös,wir haben auch keine jüdi-
schenTraditionen gelebt.Meine El-
ternhabendasnichtgepflegt.Meine
Beziehung zumJudentum ist des-
halbambestenmitdenWortenvon
Woody Allen beschrieben:Ichbin
Jude,aberich weißnicht,wieesgeht.

Haben Siemal daran gedacht, Ihre
Familiengeschichte aufzuschrei-
ben?Dasistnichtsoaufwendigwie
einFilm.
ImMomentschreibenjaalleihre
Familiengeschichten. Aber ich bin
kein Literat.Ichmüsste erst mal se-
hen, ob mir das gelingt.Ichhabe
zwar sehr viele Drehbücher ge-
schrieben, aber das ist was anderes.
Daschreibtman:Erkommt.Ergeht.
Ersagt,Doppelpunkt.Manversucht,
alle Reflexionen, die beiProsa eine
Rolle spielen, inHandlung umzu-
wandeln,inDialogundBilder.Sob in
ich jetzt konditioniert.Ichglaube,
das kann ich auch.Außerdem habe
ichmit Filmnochnichtabgeschlos-
sen. Dasmache ich vielleicht,wenn
ich weiß, jetzt kommt definitiv kein
Filmmehr .Dannsetz eichmichhin.

WoranarbeitenSieimM oment?
Ichhabe immer mehrerePro-
jekte,weil ich weiß, dass man oft
Pleiten erlebt. Amweitesten bin ich
mit einemStoff über eine deutsche
Operettensängerin.Siewurde 1943
voneinemdeutschenSondergericht
in Prag zum Tode verurt eilt, weil sie

Juden zurFlucht verholfen hat. Als
ihrklarwar,dasssienichtbegnadigt
wird, hat sie imTodestrakt eine Lie-
besgeschichte begonnen.Eine be-
rührende,zarte ,und natürlich ganz
platonische Liebesgeschichte.Das
ist eine authentische Geschichte,
viele Kassiber vonihr sind überlie-
fert. Siezeigen eineFrau, die nicht
ohne Liebe sterben wollte.Und die
kein Opfer sein wollte.Ich beschäf-
tigemichschonseitvielenJahremit
demProjekt.DasDrehbuchistfertig,
ichhabeeineProduzentinundeine
Hauptdarstellerinundnunhoffeich,
dasswirauchdasGeldfürdenFilm
bekommen.

Dasist auch eineGeschichte aus der
Vergangenheit.HabenSiemitder Ge-
genwartabgeschlossen?
Nein, das interessiertmich auch.
Aber ich glaube,dass der Blick zu-
rück hilft, die Gegenwartzuverste-
hen. Gemeinsammit einem Kolle-
gen entwickle ich eineGeschichte,
die sich mit den 90er-Jahren be-
schäftigt.DieZeit nach derWende.
Wirwollen einen wahrhaftigen und
kritischenBlick daraufwerfen. Was
ist damals mit den Leuten gesche-
hen,dieheuteAfDwählen.Odermit
den Kindern, die alsPunks vonden
Nazisverprügeltwurden–unterden
Augen der Polizei. Oder mit den
Frauen, die so stolz und selbststän-
digwarenunddannarbeitslos.Oder
mitdenAlten.1990beimBäckerim
PrenzlauerBerg sagteeinealteFrau:
„Uns alteWeiber schlachten se als
erste...“Siewurden natürlich nicht
geschlachtet–aber verschwunden
sind sie trotzdem.DieAlten verlie-
ßen Berlin in RichtungStadtrand
oder Provinz, die jungen Leutever-
ließen dieProvinz in RichtungWes-
ten. Unddie Westler besetzten die
wichtigenStellen imOsten. Damals
begann das alles,was uns heute
nochbeschäftigt.

IneinemGespräch1993habenSieum
Geduld mit denOstdeutschen gebe-
ten.Daranhatsichnichtsgeändert?
Mehrals GeduldwäreheuteVer-
ständnis gefragt.Dass man mal
seine festen Positionen verlässt
undzuhört.

Warenwirdanichtschonmalweiter?
Daskannsein,aberichhabedas
Gefühl, dass bei diesemJubiläum
jetzt zum erstenMalstärker auch
über dieProbleme mit der deut-
schen Einheit gesprochen wird.
Über strukturelle und wirtschaftli-
che Entscheidungen, die dafür ge-
sorgt haben, dass die politische
LandschaftdesOstensheutesoaus-
sieht,wiesieaussieht.Ambestenhat
die Wiedervereinigung amrechten
Rand funktioniert, dieTypen haben
sich sofortgefunden.Je weiter du
politisch nach links kommst, desto
komplizierterwurdees.Dasverrück-
testeBeispielwar,dasssichdieSPD
im Vereinigungsprozess vonden
Ostlernabgegrenzthat.Esistander
Zeit, dass jetzt mal klar gesagt wird,
wasnichtfunktionierthat.

Immerhin,nachdreißigJahren...
SolcheAufarbeitungsgeschichten
braucheninDeutschlandimmerbe-
sonderslange.

Es macht sich aber auch wieder ein
GefühlderLähmungbreit,fürdasdie
Demonstrationen der Klimaaktivis-
tennureinAusdrucksind.Geradebei
jungen Leuten, dievonder Teilung
kaum geprägt sind.Einneues: So
kannesnichtweitergehen.
Aber es gibt einigewesentliche
Unterschiede.Ind erDDRhabenwir
voneiner demokratischenRepublik
geträumt,voneinemoffenen,libera-
len System.VonRechtsstaatlichkeit.
Dashabenwirjetzt.DieseTransfor-
mation ist geglückt, trotz allerPro-
bleme.Ichweiß,was Siemeinen,es
gibtÜberschneidungeninderStim-
mung.DerÄnderungsbedarfderGe-
genwartist gigantisch, wir haben
aberauchetwaszuverteidigen.Was
wir in der DDR anStagnation und
Bedrücktheit erlebt haben, dieses
Gefühl,dassmannurverwaltetwird,
das erlebe ich heute so nicht.Den
Gestaltungsraum, den es gibt, den
solltenwirnutzten.

DasGesprächführtenClausLöser
undFrankJunghänel.

Der Architekt Daniel Brenner (KurtNaumann) bekommt mit Ende dreißig die Gelegenheit, sich beruflich zu beweisen, als ihm im Herbst 1989 die Leitung eines Jugendkollektives
für das Neubaugebiet Marzahn übertragen wird. Zur gleichen Zeit geht seine Ehe kaputt,Frau undTochter reisen über denTränenpalast in denWesten aus. DEFA-STIFTUNG (4)

Über den Dächernvon Marzahn: Andreas Köfer (l.), der Kameramann des Defa-Films
„Die Architekten“, mit seinem Assistenten Dietram Kleist.

Der RegisseurPeter Kahane (l.) gemeinsam mit seinem HauptdarstellerKurt Naumann
bei den Dreharbeiten zumFilm „Die Architekten“

Bei der Grundsteinlegung ist vom ursprünglichen Projekt nichts geblieben (Szenenfoto).

wirzumBeispiel„biszurVergasung“
auf demSportplatz gerannt sind. Es
gababerauchAnsagenwie:„Dudre-
ckigesJudenschwein“.Undwennes
im Heim zu laut war,kam regelmä-
ßig der Lieblingssatz unseresHeim-
leiters:„Wir sind doch hier nicht in
der Judenschule“.Vielen war gar
nicht klar,was sie da sagten oder
hörten. DasProblem war,dass kei-
ner widersprochen hat, ich kann
michjedenfallsnichterinnern.Anti-
semitismusinderDDRwurdejada-
malsnichtthematisiert.EswarSpra-
che.Aber irgendwann konnte es
mehrwerden.Wurdeesa uch.Plötz-
lich gab esNeonazis in der DDR.
Scheinbar plötzlich.Im Nachhinein
ist es für vieleOstler schwer zu ak-

zeptieren,dassesAntisemitismusin
ihrem Land gab.Auch derVerweis
auf gleiches in denwestlichenBun-
desländernhilftnicht.Esistwiemit
einemgefährlichenVirus,wennman
nichtgegenihnvorgeht,überwintert
er.Irgendwie.Unddann,beiTauwet-
ter,wirderg efährlich...

Gabesb eider Defa,wojaeinigejüdi-
sche Kollegen arbeiteten,Gespräche
über solche Erfahrungen? Wurde
überhaupt über das Jüdischsein ge-
sprochen?
Beider Defa nicht, da hatten wir
andereThemen.Aber als ich nach
Berlin kam, mit sechzehn, hatte ich
einen Freundeskreis mit vielenKin-
dernjüdischerEmigranten.Da war
Free download pdf