Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 29 *·························································································································································································································································································

Zurückzu„AufbruchOst“.
RUBACH: Bei„Aufbruch Ost“
gehtesdarum,fürSelbstermächti-
gungzustreitenundkämpferische
Forderungenzustellen.Wirwollen,
dassmehrOstdeutscheinFührungs-
positionen kommen.Dass es eine
AngleichungvonLöhnen undRen-
tengibt. Denn30 Jahrenachderpoli-
tischen Einheit gibt es immer noch
keinewirtschaftlicheEinheit.
KLEIN:Ichfindeauch,dassesbei
Löhnen undRenten keinenUnter-
schied zwischen Ost- undWest-
deutschland geben sollte.Das Ziel
ist, dass wir auch hier wiederverei-
nigtsind.


Esgibtabernichtnurhinsichtlichder
Löhne und Renten Ungleichheit,
oder?
RUBACH:Mankannheuteüber-
allhinreisen,wennmandasGeldda-
fürhat,wasimOstenabernichtalle
haben...
KLEIN: ...auch imWesten nicht
...
RUBACH:...genau, aber es gibt
im Osten einen Mobilitätszwang,
weil man im Westen immer noch
besser verdient. Da muss man sich
doch nur mal den Pendelverkehr
zwischenOstundWestansehen.Wer
heute im Osten Maschinenbaustu-
diert, der wirdnicht hier bleiben.
UnddasmachtetwasmitdenRegio-
nenimOsten,wenneseineAbwan-
derung vonkreativen Köpfen gibt
und die Alten zurückbleiben.Da ist
einriesigerSchaden,derdurcheine
neoliberale Privatisierungspolitik
angerichtetwordenist.
KLEIN: StrukturschwacheRegio-
nen gibt es auch imWesten. Richtig
ist, dass aufgrund der Misereinder
DDR-Planwirtschaftdiewirtschaftli-
che Situation heute im Osten in
manchenBereichen noch eine an-
dereist.DieTreuhandistabernicht
Grund für alles,was im Osten nicht
gut läuft. Und: Du sprichst vonei-
nem neoliberalen Wirtschaftssys-
tem. Da muss ich widersprechen.
Wirhaben eine soziale Marktwirt-
schaft.Neoliberalismusisteinlinkes
Schlagwort,dasgernebenutztwird,
um die soziale Marktwirtschaft zu
diskreditieren. Deutschland hat
nochniesovielfürSozialesausgege-
ben, fast eine Billion Euro.Vor die-
sem Hintergrund finde ich es über-
trieben,unserWirtschaftssystemals
den knallharten Neoliberalismus zu
brandmarken.
RUBACH:Ichkenne diesen kon-
servativen Schachzug,dass immer
alles auf die Planwirtschaft gescho-
ben und anstattvonKapitalismus
vonsozialerMarktwirtschaftgespro-
chen wird.Aber was ist das für eine
soziale Marktwirtschaft, in der die
Ungleichheit zwischen Armund
Reichimmergrößerwird?


Welches System wärebesser als das
jetzige,HerrRubach?
RUBACH:Ichglaube,wirmüssen
ernsthaft über Alternativen nach-
denken.Esgehtdarum,einsozialge-
rechteres Systemzufinden,dasbei-
spielsweise auch hinsichtlich des
Klimas einePerspektivehat. Unter
dem jetzigen System leidet das
Klima. Dashat es in der DDR auch
getan.
KLEIN:Aberhallo!
RUBACH:Aber es ist eben auch
nichtvielbessergeworden.
KLEIN: Na ja, es ist schon besser
geworden. DieFlüsse sind nicht
mehr bunt.DieUmweltmisereder
DDRkannmanmitderheutigenSi-
tuationwirklichnichtverg leichen.
RUBACH:Wirkönnenmitdemjetzi-
gen System nicht zufrieden sein. Es
gilt, mehr überGemeinnützigkeit
und Eigentumsformen wieGenos-
senschaftennachzudenken.
KLEIN: Warummöchtest du ein
anderes System?Wobistduunzufrie-
den,wohastdualsjungerMenschin
unseremSystemzu wenigeChancen?
RUBACH:Esgehtnichtummich
allein.
KLEIN: Aber es geht um die jun-
genLeute.
RUBACH: Es geht darum, dass
dasbestehendeSystemwedersozial
gerechtist,noch...
KLEIN:Wiekommstdudarauf?
RUBACH:VieleMenschenfühlen
sichnichtnurabgehängt,siesindes
auch. Auch in Deutschland gibt es
Kinder-und Altersarmut.DieBun-


desregierung hat überhaupt keinen
PlanundkeineZukunftsvision.Dar-
unter leiden nicht nur dieVolkspar-
teien,sondernauchdie Demokratie.
Unddannwir dimmervomEndeder
GeschichteundderangeblichenAl-
ternativlosigkeit gesprochen, und
dass man sich keineGedanken ma-
chensoll,weilesjaallengutgeht.
KLEIN: Mirist nicht bekannt,
dass dieBundesregierung behaup-
tet, die Geschichte seivorbei. Das
verbinde ich eher mitFrancis Fu-
kuyama.Deine Annahme ist ja:Ir-
gendwas läuft schief, irgendwas ist
nichtgut.Wenndusagst,wirmüssen
uns über ein neuesSystem Gedan-
ken machen, müssenVisionen ha-
ben, was ist denn deinerMeinung
nachnichtgut?
RUBACH:Wasnichtgutist?Dass
dieKlimazielenichterreichtwerden,
dasswirHartzIVhaben,dassesso-
ziale Ungerechtigkeitgibt, dass wir
einProblemmitRechtsextremismus
haben,insbesondereimOsten.
KLEIN:UndwiesähedeineAlter-
nativeaus,umdiese ganzen Pro-
blemezubewältigen?
RUBACH:Ichhabe keine kon-
kreteAlternative, aberdieMethodik
wäre,dassmanwiedermehraufBa-
sisdemokratie setzt und Leute in
Entscheidungs-und Gedankenpro-
zesse einbezieht. 1989 hatten wir
denrundenTisch,dereigeneGesell-
schaftsentwürfeentwickelthat.
KLEIN:Auseinemvölliganderen
Systemineinemvölliganderenhis-
torischen Kontext heraus.Das kann
man nicht mit heute vergleichen.
Wirleben ja, gottseidank,in einer
Demokratie.
RUBACH:In einer repräsentati-
ven...
KLEIN: Ja,klar.Das System hat sich
bewährt. Ichsehe kein Demokratie-
defizit. Undwas das Klima angeht:
Daranwirdjagearbeitet.Esistauch
nicht so,dass da in den letzten Jah-
rennichtspassiertwäre.
RUBACH:DasKlimapaketistmutlos
undsozialungerecht.

DieAfD knüpft an dieses Ungerecht-
igkeitsempfindenimOstenan.
RUBACH:Ja,undmeinZielistes,
diese Ungerechtigkeitserfahrung
nicht den Rechten zu überlassen,
sondernnachlinkszukanalisieren.
KLEIN:DeineAnnahmeistjaim-
mer,dassesnichtsozialgerechtzu-
geht.Unddemwidersprecheich.Wir
leben in einem der gerechtesten
Länder derWelt. DenmeistenMen-
schengehtessogutwienie.

Wieerklären SiesichdanndiesesUn-
gerechtigkeitsempfinden in Ost-
deutschland?
KLEIN: Ichweiß nicht, ob man
pauschal sagen kann, dass sich die
Menschen in Ostdeutschland be-
nachteiligt fühlen.Wenn es so ist,
dann sollte die Antwortaber sein,
mit den Leuten insGespräch zu
kommen.Dasist es ja auch, was du
machst,Philipp.Das ist eine super
Sache.Vielleicht fühlen sich die
Menschennichtverstandenundsa-
gendannausProtestoderTrotz:So,
jetztwähleichaberdieAfD.Ichsehe
jedenfallsnicht,dasseseineFrustra-
tion mit der sozialen Marktwirt-
schaftgibtunddieMenschenimOs-
tendeswegendieAfDwählen.
RUBACH: Es hat imOsten sehr
schwer esoziale Verwerfungen ge-
geben.HartzIVw arnachderTreu-
hand der nächste große Schlag für
die Menschen.Unddas spielt in
dasAfD-Wahlverhaltenmithinein.
Außerdem gibt es einStadt-Land-
Problem,derländlicheRaumfühlt
sichabgehängtunddorthabenwir
hohe AfD-Wahlergebnisse.Zudem
gibt es dasProblem, dassRassis-
mus undrechte Straftaten sowohl
in der DDR als auch danach nicht
ausreichend thematisiertworden
sind. Mindestens 169Todesopfer
rechter Gewalt wurden seit der
Wende in Deutschland gezählt.
Vielerorts ist es leider immer noch
so,dass Leute mit buntenHaaren
oder einer anderenHautfarbe da-
mit rechnen müssen, angegriffen
zuwerden.
KLEIN:Istdasein Ost-Problem?
RUBACH: Es ist ein deutsches
Problem.
KLEIN:Ja.Rechtsextremismusist
ein Problem, Linksextremismus
auch. Islamismus ist einProblem.

Wirhaben vieleProbleme.Lass uns
bei HartzIVb leiben. Wirhaben in
Thüringen einerelativ niedrige Ar-
beitslosenzahl,unddennochhatdie
AfD dor tein solch hohesErgebnis
bekommen.DieAgenda 2010 ist ei-
nerder Gründe,warumwirheuteso
viele Menschen in sozialversiche-
rungspflichtigerBeschäftigung ha-
ben wie noch nie.Das muss man
auch mal anerkennen. Natürlich
brauchtesZeit,bissichderWechsel
vonPlanwirtschaft zur sozialen
Marktwirtschaftauchinwirtschaftli-
cheProsperitätübersetzt.
RUBACH:Wielange sollen wir
noch warten, bis hier endlich etwas
passiert?Undwarum sollen junge
Ostdeutschewieich,LeutevonAuf-
bruch Ostoderandereinm einerGe-
neration nicht endlich auch laut-
starke Forderungen stellen. Es ist
dringend notwendig, dass es gesell-
schaftlichenDruck gibt, denn die
PolitikistnichtinderLage,Verände-
rungeneinzuleiten.

Herr Rubach, Sieführen dieseGe-
sprächemitMenschenaufderStraße,
inmobilenCafés.WasbekommenSie
denndazuhören?

HatmandieLeute,diesehrunterden
Vorgängen damals gelitten haben,
womöglichschonverloren?
RUBACH:Menschenhatmannie
verloren.
KLEIN:WirsolltendieLebensleis-
tungderMenschenanerkennen.Die
Bürger der ehemaligen DDR haben
den großen Umbruch erlebt und
trotzdem nicht aufgegeben, waren
mutig und haben dieHerausforde-
rung angenommen.Ichfinde übri-
gens dieUnterscheidungOstdeut-
sche und Westdeutsche sehr be-
fremdlich. Mein Bruder wohnt
schonlangeinLeipzigundistmitei-
ner Leipzigerin zusammen. Ich
würde sie nicht alsOstdeutsche be-
zeichnen. Vielleicht bin ich aber
auch schon so „wiedervereinigt“,
dassichgarnichtsodenke.DasZiel
muss das Verbindendesein, nicht
das Trennende.Wenn wir immer
wiederdieseZuschreibungenbenut-
zen,hatdaseinenspaltendenEffekt.
RUBACH: Lebensleistung aner-
kennen definitiv.Aber dann muss
manesauchmachen.Eswirdgerade
überdie Grundrentediskutiert,diese
istsehrwichtigfürdieMenschenim
Osten.Aberdamussebenauchmal

bei dem Transformationsprozess.
DieWestdeutschenverfügten über
mehrKapital.
KLEIN:Nichtalle.
RUBACH:Ja,aberdasführtehalt
dazu,dassknapp80Proz entder Be-
triebe vonWestdeutschen aufge-
kauftwurden,fünfzehnProz entvom
Ausland, und nur fünfProz ent gin-
genan Ostdeutsche.Esi stinderRe-
gel nicht so,dass man einfachvom
TellerwäscherzumMillionärwird.
KLEIN: So ist es auch inWest-
deutschland nicht.Manwirdnicht
gleich zumMillionär,weil man ein
Unternehmen gründet. Aber man
hatebendieFreiheit,einUnterneh-
men zu gründen.DieDDR war ein
SystemderUnfreiheit.
RUBACH:DieDDR ist ambiva-
lent zu betrachten, genauso wie die
Bundesrepublik.
KLEIN:Inwiefern?
RUBACH:Ichwünsche mir die
DDR nicht zurück, aber es gab dort
auchpositiveAspekte,wiezum Bei-
spiel das flächendeckende Kita-
Netz, die Polikliniken und dieBe-
rufsausbildungmitAbitur.Dochdas
einzige,was übernommen wurde,
wardergrüneAmpelpfeil.Eswurde
alles verteufelt, was es in der DDR
gab.Das wir ddem autoritären
Staatssozialismus aber auch nicht
gerecht.DieDDR war in sozialer
Hinsicht viel, viel gleicher als es die
Bundesrepublikheuteist.
KLEIN:DasisteinesteileThese.
RUBACH: Mittlerweile werden
Ärztehäuser aufgebaut. Undauch
das finnische Schulsystem, das in
meinem Lehramtsstudium alsVor-
bildgilt, ist demder DDRsehrähn-
lich. Konservativesind aufgrund ih-
resAntikommunismus nicht in der
Lage anzuerkennen, dass es auch
positiveElemente gab.Esf unktio-
niertabernicht,einfach,allesalsUn-
rechtsstaatabzutun,weilesauchder
Lebenswirklichkeit vielerMenschen
nicht gerecht wird.Wenn man den
Film „Gundermann“ anguckt, sieht
man, wie viele unterschiedlicheFa-
cettendieDDRwirklichhatte.
KLEIN:Natürlichmussmanzwi-
schen demSystem und denMen-
schenunterscheiden.Undnatürlich
hattendieMenschenschöneprivate
ErlebnisseinderDDR.Eswärenicht
richtig zu sagen, dass sie im Alltag
dauerunterunterdrückt waren.
Gleichzeitigdarfmanden Unrechts-
staat –die DDR war eineDiktatur –
nicht verharmlosen.Darunter ha-
ben viele Menschen gelitten.Wir
dürfennichtvergessen,dassesinder
DDR eine viertelMillion politische
Häftlinge gab.Das Bildungssystem
war geprägtvonder Staatsideologie
der SED und hatte einen klarenEr-
ziehungsauftrag,derinRichtungIn-
doktrinationging.Systemkonformes
Verhalten war für studierwillige
junge Menschen in der DDR quasi
Pflicht.InunsererfreiheitlichenDe-
mokratie herrscht Meinungs- und
Berufsfreiheit.Jeder ist frei, sich für
eineAusbildungodereinStudiumzu
qualifizieren.
RUBACH:Ichhabe nie bezwei-
felt, dass die DDR autoritär war.Ich
habe gesagt, dass die DDR differen-
ziertzub etrachten ist. Es war nicht
alles nurStasi, Stacheldraht,Mauer,
und heute haben wirDeutschland
einigVaterland und alles ist toll.So
einfach ist dieGeschichtserzählung
nicht. Dasist verkürzt und falsch
undrächtsichauch,denndieMen-
schenwissen,dassdasnichtstimmt.
KLEIN:Fürvielewaresaberauch
bittereLebensrealität,dasssieeinge-
sperrtwaren, drangsaliertwurden,
dasLandnichtverlassendurften.Es
sind Menschen gestorben,weil sie
dasLandverlassenwollten.

IhreLebensrealität, Frau Klein, ist
ganz anders als dievonPhilipp Ru-
bach. Siesind in Villingen-Schwen-
ningen geboren.Dasliegt in Baden-
Württemberg und ist eine wohlha-
bendeRegion.
KLEIN:MeineElternmusstenbei
null anfangen, ihreakademischen
Abschlüssewurdennichtanerkannt.
Für sie war es damals schwer,sich
eineneueExistenzaufzubauen.Mir
standen dafür alleWege offen.Und
dir,Philipp,stehenjaauchalleWege
offen.
RUBACH:Mirpersönlich schon.
Aber es war bei mir immer so,auch
familiärbedingt,dassessichfürdie

einzusetzen gilt, die sozial schwä-
chersind.Deshalbstudiereichauch
Sonderpädagogik.Ichsehenichtein,
dassichmirimmersagenlassensoll,
mir stünden alleWege offen. Klar
kann ich studieren und Lehrerwer-
den.Undichkönnteeigentlichruhig
sein und müsste mich gar nicht en-
gagieren.AberbeidenUngerechtig-
keiten, die ich sehe,kann ich das
nicht.
KLEIN: Es geht darum, die glei-
chen Startchancen zu ermöglichen.
DasistAufgabeunseresBildungssys-
tems.Ichfinde ,dassindiesemLand
jeder die Möglichkeit hat, nach sei-
nen Fähigkeiten undTalenten sei-
nenWegeinzuschlagen.
RUBACH:Dasklingtjafastschon
wiebei Marx.JedernachseinenBe-
dürfnissen...Esi st aber nicht so,
dass der,der in einem Hartz-IV-
Haushalt aufwächst, die gleichen
Startchancenhat,wiejemandausei-
nemAkademikerhaushalt.
KLEIN: Natürlich kann der Staat
dabeiunterstützen,strukturelleUn-
gleichheit auszugleichen. Talente,
Fähigkeiten und Interessen sind
aberebenauchunterschiedlich.To-
tale Gleichheitzwischenden Men-
schen zu schaffen,ist eine Utopie.
Da sind wir wieder beim Sozialis-
mus.

Kann man etwas Positives aus dem
Transformationsprozess vor30Jah-
renaufheuteübertragen?
RUBACH:Mankann daraus ler-
nen, dass ein politisches System
endlichseinkann.Dassessichlohnt,
auchalsjungerMenschüberandere
Gesellschaftssysteme nachzuden-
ken.Wirhaben’89gesehen,dassso-
ziale Bewegungen einen so starken
Druck erzeugen können,dass sich
Großes verändernkann. Es gab die
Friedensbewegung,denUnabhängi-
genFrauenverband,dieUmweltbib-
liothek,basisdemokratische Initiati-
venwie den runden Tisch. Daran
lässtsichanknüpfen.AufderStraße
höreichimmerwieder,dassmandas
Positiveaus der DDR und der BRD
zusammennehmenund daraus ein
besseres Gesellschaftssystem ma-
chen soll. 1989 war das derWunsch
nach dem dritten Weg. Doch leider
ist innerhalb weniger Monate alles
ins Völkisch-Nationalistische und
Kapitalistischeumgeschlagen.
KLEIN: Wenn wir auf 1989 bli-
cken, dann hat eines gesiegt:der
unbedingte Freiheitswille der
Menschen,die auf die Straße ge-
gangensind.Dassolltemananer-
kennen.Unddass die Menschen
sich nach derWiedervereinigung
nach einem freiheitlich-demokra-
tischenDeutschland gesehnt ha-
ben.Siehabenebennichtnachei-
nem weiteren sozialistischenGe-
sellschaftssystemverlangt.
RUBACH:Siehaben danachver-
langt. Es gab extrem hoheZustim-
mungswerte für den demokrati-
schen Sozialismus.Die Menschen
wollteneinenbesserenSozialismus.
Dasist dannrelativ schnell umge-
schlagen.Abermit Freiheitwarnicht
dieFreiheitderMärktegemeint.Und
für die neoliberaleEntwicklung, die
sich vollzogen hat, sind die Leute
nicht auf dieStraße gegangen.Son-
dernfürReisefreiheit,Meinungsfrei-
heit und andereFreiheiten, die alle
positivsind.

Wiestellen Siesich Deutschland im
Jahr2029 vor?
KLEIN:Ichwünschemir,dassdas
Verbindende und nicht dasTren-
nende imVordergrund steht. Ich
möchte nicht, dass wir noch zwi-
schen Ost- und Westdeutschen un-
terscheiden, sonderndass wir alle
ein gemeinsamesVolk sind, zusam-
menhalten und füreinander einste-
hen.
RUBACH: DieTrennungslinie
verläuft nicht zwischen Ostund
West, sondernzwischen oben und
unten.Ichwünschemireinsozialge-
rechtes,anti-rassistisches Land, das
die Klimaproblematik ernst nimmt
undnochvielmehrfürfeministische
Inhalte steht.Außerdem hoffe ich,
dass es eine ehrlicheAufarbeitung
gibt und wir an diePotenziale und
Ideen desJahres 1989 anknüpfen
können.

DasGesprächführtenSusanneLenz
undMaxOhlert.

RUBACH: Es war weder in
Zwickau noch inBautzen oder an-
derswoderFall,dassLeuteanunse-
renStand gekommen sind und ge-
sagt haben: Istjaa lles super,in
Deutschlandistallesgerechtunddie
letzten30Jahresindblendendgelau-
fen.Wirmerken, dass es eine große
Unzufriedenheit gibt.Wirkommen
mit denMenschen sehr gut insGe-
spräch,nurhabenwiramEndekein
konkretes Angebot.Daranmüssen
wir arbeiten.Wirsind eineBewe-
gungimAufbau.

WelcheVeränderungenstelltsichAuf-
bauOstvor,vielleichtauchinZusam-
menarbeitmitetabliertenParteien?
RUBACH:Wirsind eineklarau-
ßerparlamentarischeInitiative,an
keine Partei gekoppelt, aber wir
wollen in Zukunft zum Beispiel
mehr denZusammenschluss mit
Gewerk schaftensuchen.Wirglau-
ben, dass Gewerk schaften viel
kämpferischer auftreten müssen,
beispielsweise hinsichtlich der
Angleichung der Löhne,damit
man spürt, dass Organisierung
sichlohnt.

waspassieren.MankanndenLeuten
nicht einfach erzählen, es gibt halt
Schwarz-Rot-Gold, es gibt einVolk,
undjetztseidmalallenichtsounzu-
frieden. Ichsehe nicht ein, dass ich
gesamtdeutschdenkensoll,wennes
diesen Mobilitätszwang im Osten
gibt, und gut ausgebildete Men-
schenindenWestengehen,weilsie
daeinebesserePerspektivehaben.
KLEIN: DerBegriff Mobilitäts-
zwangstörtmich.Wirlebenineinem
freien Land, nicht in einem, das
seine Bürger einsperrt.Jeder kann
sich bewegen, wie er möchte.Jeder
kann beruflich machen, was er
möchte,jederkannzumBeispielein
Unternehmengründen.
RUBACH: Manmuss nicht
zwangsläufig in denWesten gehen,
aberdannhatmanhaltmitunterei-
nenniedrigerenLohnoderkeineAr-
beit. Undman kann nicht einfach,
weilmanlustigist,einUnternehmen
gründen und sich einerosige Zu-
kunft aufbauen,weil man dafür ein
gewissesGrundkapital braucht.Das
war auch eines derGrundprobleme
der 90er-Jahre, dass die Ostdeut-
schen nicht so zuschlagen konnten

„Ein politischesSystem kann endlich


sein. Es lohnt sich, über andere


Gesellschaftssysteme nachzudenken.“


Philipp Rubach

„Wir leben in einem der gerechtesten


Länder derWelt. Denmeisten


Menschen geht es so gut wie nie.“


Ottilie Klein
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