Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 (^31) ·························································································································································································································································································
blatt–möglichstallesauszuradieren.
HabenSiedasGefühl,dasändertsich
langsam?
MALESCHKA:Wennichdasauf
andereStädteausdehne,Dresden,
Leipzig,Rostock,esistjagarnicht
mehrvielda,wasanSonderbauwer-
ken der DDR-Moderne überhaupt
schützenswertist. Wichtige Bauten
sindjaschonwegoderüberformt.
Wennmansichanguckt,wasimWes-
ten alles weggerissen wurde aus den
letzten 40, 50Jahren, die gesamte
Stadtbibliothekskultur,ganzeMu-
seen,ganzeStadtviertel,inStuttgart,
in Frankfurt, fragt man sich:Istder
Umgang mit der DDR-Architektur
wirklich etwasBesonderes, ist das
nicht–wennmaneinmaldiegroßen
Symbolfälle ausnimmt–der ganz
normaleWegderDinge?
MALESCHKA:Das betrifft auch
dieWestmoderne.
LÜSCHER:Ichglaubeschon,dass
der Rückbau desPalastes derRepu-
blikeinebesondereSymbolkrafthat.
DurchdieSchlossrekonstruktionhat
mandasGefühl,derPalastder Repu-
blikwurdeabgerissen,umeineZeit-
schicht verg essen zu machen, um
eine andereZeitschicht wieder zu-
rückzuholen.Esistetwasganzande-
res, wenn man einGebäude abreißt
füreinezukünftige,andereStadtvor-
stellung,weilmansagt:Dasistnicht
mehrzeitgemäß, wirbrauchenzum
BeispielandereBibliotheken.Dasist
der große Unterschied, und ich
glaube,dieser Effekt hat sich sehr
starkimG edächtnisderBerlinerund
Berlinerinnenfestgesetzt.
WoranmachenSiedasfest?
LÜSCHER:Soe in Flashback war
die Diskussion um dasInternatio-
nale Congress Centrum, das ICC,
was natürlich eine typischeWest-
Berliner Ikone ist. Da war ich noch
garnichtsolangeinderStadt,alsmir
hinter verschlossenen Türen erklärt
wurde:„Ja,wissenSie,Fr auLüscher,
das müssenSieverstehen, das ICC,
wenn das jetzt abgerissen wird, ist
das eineRache der Ost-Berliner für
denPalastder Republik.“
Wiehaben sich dieseDenkmuster in
den vergangenen 30Jahren verän-
dert?
LÜSCHER:InB erlinstelle ich
fest,dassmanvorsichtigermitdie-
sen Themen umgeht, dass man
mehr zuhört, und dass man sich
nicht mehr einfachvonder ande-
renSeite überfahren lässt. Das
Selbstbewusstsein der Ostbürger
ist gewachsen. Wenn man hier
Städtebau macht, muss man im-
schwerist,öffentlicheOrte,wennsie
privatisiertsind,wiederfürdieStadt
zurückzugewinnen.Dassehenwirin
derWohnungsfrage.WennWohnun-
gen privatisiertsind, sind sieweg,
und ein Rückkauf wirdsehr teuer.
Unddieses„Tafelsilber“desöffentli-
chen Eigentums,das ist so sensibel,
dass man dieseDiskussion wirklich
führenmuss.ManmussdasÖffentli-
cheverteidigen,woimmeresgeht.
Wenn man sich umschaut, hat man
oft den Eindruck, dass es überhaupt
keine Stadtplanung inBerlin gibt. Es
gibt Investorenarchitektur,etwa am
Bahnhof.Warum gibt es nicht mehr
Gestaltung durch die öffentliche
Hand?IstdiePolitikdazuzurückhal-
tend?Odersind Siezuz urückhaltend?
LÜSCHER:Die zentrale Frage ist
jadie,wiemannachderWendemit
demUmstandumgegangenist,dass
maneineSchneisedurchdieseStadt
geschnittenhat, mit dem Mauer-
streifen.Manhat sich sofortdazu
entschieden, diese Schneise mög-
lichst unkenntlich zu machen.In
dem Moment hätte man auch an-
dersentscheidenkönnen.Manhätte
sagen können:Stopp.Darüber den-
ken wir zuerst nach. Hätte man da-
mals eine politischeEntscheidung
getroffen, würde die Heidestraße
heuteandersaussehen.
Wasgenau hätte das fürFolgen ge-
habt?
LÜSCHER:Dann hätte man der
DeutschenBahn,die Grundeigentü-
merin war,erklärt: Wirwollen dort
zumBeispielnuröffentlicheBauten.
Dashatmannichtgemacht.DiePla-
nungenhabenetwa2005begonnen
unddahatBerlinstagniert.Zudieser
Zeit hat manInvestoren gesucht,
händeringend, und man hat den
„Teppich ausgerollt“. „Teppichaus-
rollen“ bedeutete,dass man mög-
lichst nichtsverlangte vonprivaten
Entwicklern.Daswarpolitischsoge-
wollt und politisch so gesteuert.Ich
hatte also gar keinenAuftrag, dort
gute Gestaltung einzufordernoder
bezahlbarenWohnraumzuschaffen.
EswareinfacheineandereZeit.
Spannendistaberdoch,dassIhrVor-
gänger,der SenatsbaudirektorHans
Stimmann, etwazehn Jahrezuvor –
also 1993, 1994–mit ziemlich mili-
tantemVerwaltungsdruck dieInves-
toren dazu gebracht hat, bestimmte
Fassadenzubauen.
LÜSCHER:Wir sprechen jetzt
aber vonsehr unterschiedlichen
Dingen.Ichhabegeradedarüberge-
sprochen,wiemanmitdemMauer-
Streifen umgegangen ist und ich
mer dieGeschichte der geteilten
Stadt mitreflektieren.Ichhabe ge-
lernt,dassesinBerlinnichtimmer
darum geht, die spektakulärsten
Bautenzuerstellenunddassdiese
Stadt das gar nicht hinbekommt,
weil sie sich zuerst mit sich selber
beschäftigenmuss.
Herr Maleschka, wie sehenSiedas?
Haben Sieauch dasGefühl, dass der
Wert vonDDR-A rchitektur wieder
mehranerkanntwird?
MALESCHKA:Ja, definitiv.Und
ich denke auch, dass die DDR
nicht weggedacht oder wegge-
plant werden kann.Ichglaube,es
hat in jedemFall erstmal diese 30
Jahregebraucht, diese eineGene-
ration, die das eben wiederwert-
schätzt, was dieGeneration vor
der letzten geplant, gebaut und
umgesetzt hat, und was dabei ge-
dacht wurde: Es ging ja um den
Aufbau einer ganz neuenGesell-
schaft, neuerStädte,neuer Stadt-
zentren und, ideologisch betrach-
tet, eines neuenMenschen.Das
sieht man in denWandbildern,
den Mosaiken, etwa der „Bauch-
binde“ vonWalter Womacka am
Haus des Lehrers.Auch in meiner
Heimatstadt, einer völlig neu ent-
standenen Stadt, hat Womacka
viel gewirkt, zumBeispiel imNa-
tursteinmosaik „Unser neues Le-
ben“. Dassagt ja eigentlich schon
alles.
Wirhaben vorhin schon einen
NachbauderFassadendesBerliner
Schlosses angesprochen. Da holt
man jetzt ein altesStadtbild her-
vor, um ein neues Stadtbild zu
schaffen.Istdas nun modern oder
reaktionär?
MALESCHKA:Fürmichistdasir-
gendwie fifty-fifty.Wir haben es ja
jetzt wieder,das Humboldt-Forum.
DashateineandereGenerationent-
schieden.Ginge es nach mir,hätte
ich den Palast für dasvereinteVolk,
für das vereinte Berlin, für kreative
Leute,Touristen,einfachfüralleste-
hengelassen.DasHumboldt-Forum
brauchtmannicht.
DieDebatte, wie geht man mit die-
semRiesenstückLandzwischenAlex-
anderplatzundSchlossplatzum,die
wirdjas ehr virulent geführt.Spielt
dabeiauchdieErinnerungandiefrü-
hereöffentliche, politischeFunktion
dieserFlächeeineRolle?
LÜSCHER:Ind erDiskussionum
diesenRaumrundumdenFernseh-
turmgehtesumdieFrage,obese in
Ortwerdensoll,derparzelliertwird,
undin Teilenmöglicherweisewieder
privatisiert,oderobesgrundsätzlich
einöffentlicherOrtbleibensoll.Wir
alle wissen, dass es unglaublich
„Die Frage,wie wir
Stadt entwickeln, hängt
primär davon ab,wem der
Boden gehört.Wenn der
Boden in der öffentlichen
Hand ist, kann das
Land die Akteureselbst
auswählen.“
„IchhättedenPalastfürdas
vereinteVolk,fürdasvereinte
Berlin,fürkreativeLeute,
Touristen,einfachfüralle
stehengelassen.
DasHumboldt-
Forumbraucht
mannicht.“
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