Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


34 * Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 ·························································································································································································································································································


D


asKlimaistnichtalles.
AberohneKlimaistalles
nichts.Sokönnteman
einenbekanntenSpruch
abwandeln, der sich ursprünglich
auf den Frieden bezogen hat.Denn
das Überleben derMenschheit mit
all ihren zivilisatorischenErrungen-
schaftenhängtdavonab,obd ieErd-
erwärmung gestopptwerden kann.
Es bleibt nicht mehr vielZeit ange-
sichts sich häufender globaler Kli-
marekorde und Extremereignisse.
Davo rwarnt derWissenschaftler
Hans Joachim Schellnhuber,einer
der unermüdlichsten Streiter für
konsequentenKlimaschutzundeine
Welt der Nachhaltigkeit.Mitten in
Zeiten desUmbruchs vordreiJahr-
zehntenhatteerdasPotsdam-Insti-
tut für Klimafolgenforschung (PIK)
gegründet–heutedasweltweitfüh-
rendeInstitutaufseinemGebiet.


Herr Professor Schellnhuber,können
Siesichnochdaranerinnern,wieSie
den9. November1989erlebthaben?
Ja,ichwaram9.Novemberaufei-
nerTagungimenglischenCornwall,
völlig abgeschnittenvonjeglicher
Kommunikation, das war noch be-
vorjedereinSmartphoneinderTa-
schehatte.Aberalsichamnächsten
TagvonLondonnachBerlinzurück-
flog und die britischenZeitungen
aufschlug,sahichüberallBildervon
Menschen, die auf derMauer tanz-
ten. Ichdachte: Daskann doch nur
einScherzsein!AberalsdieStewar-
dessbegeistertsagte„Isn ’t thatwon-
derful?“,begriffichlangsam,dasses
wirklichgeschehenwar.


EswareinegroßeZeitdes Umbruchs.
ZurOpposition–nichtnurinderDDR
–gehörteauchdieUmweltbewegung.
Aber gab es damals überhaupt schon
ein Bewusstsein dafür,welche Folgen
das menschlicheHandeln auf das
ErdklimaalsGanzeshat?
Ja und Nein. Im Jahr vordem
Mauerfall war ichGastprofessor in
den USA, inKalifornien.DieMen-
schenhattendorteinenextremwar-
menWintererlebt.Damalshatteder
KlimaforscherJamesHansenseinen
berühmtenAuftrittimUS-Senat,bei
dem er aussagte,dass es nicht nur
eine globaleErwärmung gebe,son-
derndiese auch mit 99-prozentiger
Wahrscheinlichkeit menschenge-
machtsei.DieBürgerrechtlerinder
DDRwehrtensichdamalsvorallem
gegen dieUmweltzerstörung in ih-
remLand,gegendieVerschmutzung
vonLuftund Gewässern.Durchden
Fallder MauersinddannbeideWel-
ten zusammengekommen: der lo-
kaleWiderstand gegen dieUmwelt-
zerstörungundderglobaleBlickauf
dasKlima.DasGroßebeginntjafast
immerimKleinen.


Washat Sie, einen ausBayern stam-
mendenPhysiker,eigentlich bewo-
gen, 1992 inPotsdam –also mitten
imOsten–einInstitutzugründen?
IchhattemichgeradeanderUni-
versität Oldenburgals Professor für
TheoretischePhysik mit eigener Ar-
beitsgruppeetabliert.Eigentlichgab
es also gar keinenGrund, wegzuge-
hen.DochnachdemFallder Mauer
unddemEndederDDRwurdeauch
die Forschungslandschaft in Ost-
deutschlandneuorganisiert.In die-
sem oft sehr schmerzlichenProz ess
entstand die sehr interessanteIdee,
doch mal ein ganz neuesThema zu
wagen,stattnurumzustrukturieren:
Unddas war die Klimafolgenfor-
schung.Wissenschaftspolitiker frag-
tenmich,obichGründungsdirektor
eines neuen, interdisziplinärenIn-
stitutswerdenwolle ,dasessoinder
Bundesrepublik noch nicht gab.Ich
hatte inOldenburgbereits begon-
nen,einProjektzurAuswirkungder
Erderwärmung auf die Küste zu be-
treuen. Rein intuitiv fühlte ich, dass
derKlimawandeleinbestimmendes
Themades21.Jahrhundertswerden
würde.


DreißigJahrespäter beherrscht das
Klimathematatsächlichzumgroßen
Teil die Debatte. DasPotsdam-Insti-
tut für Klimafolgenforschung (PIK)
istmitmehrals300Mitarbeiterndas
weltweitführendeInstitutaufseinem
Gebiet. Zugleich ist einePolarisie-
rungderGesellschaftzubeobachten.
DerKlimaschutz-Bewegung, perso-
nifiziertdurch Greta Thunberg und


derInitiative„FridaysforFuture“,ste-
hen die sogenannten Klimawandel-
Leugnergegenüber.
Ichsehe diese Polarisierung
nicht. Es ist meinesErachtens eine
falscheWahrnehmung, auch durch
die Medien in diesemFall. Es gibt
kaumeinThema,beidemsicheine
sogroßeMehrheitderBevölkerung
einig ist:Wirhaben ein Riesenpro-
blem, wir müssen etwas tun!Viele

in Rombetont:Wirerleben zurzeit
eine einzigartig neueKonstellation
–dassnämlichweltweitjungeMen-
schen, dieWissenschaft, aber auch
konservativeEinrichtungenwiedie
katholischeKirche zusammenwir-
ken und diePolitik aktiv anschub-
sen. DiePolitik braucht das.Vor al-
lemauchinDeutschland.Dennsie
agiertkaum noch.Siereagiertvor
allem.

Dennoch gibt es jene, die entweder
den Klimawandel generell leugnen
oder sagen: Klimawandel gab es im-
mer,aber derMensch habe damit
nichts zu tun.WasentgegnenSiede-
nen?Siekönnendochnichtjedemei-
nenlangenVortraghalten.
Ach, ich habe schon so vielen
Menschen im Land einenVortrag
überdenStandder Wissenschaftge-
halten.Daswarmirauchimmersehr
wichtig.AberesgibtzweiSortenvon
Skeptikern.Dieeinen wollen tat-
sächlich argumentieren, und die
kann man durchFakten gewinnen.
Dashabeichauchschoninunserem
InstitutaufdemPotsdamerTelegra-
fenberggemacht und gesagt:Okay,
wennSiedieZusammenhängewirk-
lichverstehenwollen,nehmeichmir
ein paarStunden Zeit für Sie. Man-
chesindtatsächlichgekommenund
ließensichüberzeugen.Aberesgibt
auch die Klimaleugner,die einfach
nur das glauben,was sie glauben
wollen,fürdieFaktenirrelevantsind,
die nur in ihren eigenenEchokam-
mernunterwegs sind. DasInternet
befördertdas,wiewirwissen.Eshat
garkeinenSinn,sichandenenabzu-
kämpfen,deren mitunterauch bös-
artigen und hasserfüllten Ausfällen
überhaupt Beachtungzu schenken.
Wichtigisteher,dassmanmitwich-
tigen Entscheidungsträgernins Ge-
sprächgehtundsievonderSachlage
überzeugt.IchhabezumBeispielin
der vergangenenWoche einen gan-
zenTagmitdemgesamtenVorstand
vonShell in DenHaag zugebracht.
DasisteinesdergrößtenUnterneh-
men derWelt. Ichglaube,sie haben
dieZusammenhängebegriffen.Und
dann gibt es zum Glück auch noch
viele Menschen in der Gesellschaft,
diesichauseigenemAntriebbilden,
weil sie besorgt sind –auch diese
Menschen sind es,die den Diskurs
voranbringen.

Siesind seit Jahren eine führende
Stimme in der Klimadebatte.AlsFor-
scher haben Sieunter anderem das
Ziel entwickelt,die globaleErwär-
mungbiszumJahr2100imglobalen
MittelaufhöchstenszweiGradCelsius
zu begrenzen, um die schlimmsten
Folgen des Klimawandelsabwenden
zu können –eswurde zur Grundlage
der internationalen Klimapolitik.
Nunhabenwirfünfmalhintereinan-
der globale Hitzerekordjahregehabt.
DieErdehat sich global bereits um
etwa ein Grad erwärmt. Istesnoch
fünfvorzwölfoderschonspäter?
DieFrage ist immer:Was ist ei-
gentlich„zwölf“,wannisteszuspät?
Sprechenwirvoneinerunangeneh-
men Umweltentwicklung, die uns
vorgroße Herausforderungenstellt?
OderschonvomUntergangunserer
Zivilisation?ZuLetzteremwürdeich
sagen,esisttatsächlicherstfünfvor
zwölf.Wirkönnenihnnochvermei-
den. Ichglaube jedoch nicht, dass
wir die Erderwärmung bei 1,5Grad
stoppen können, wie es imPariser
Klimaabkommen von2015 ange-
strebt wird.Gleichwohl denke ich,
dass wir dieErwärmung irgendwo
beizwei Gradnochstabilisierenkön-
nen.Undauchdannmüssenwiruns
wohl schon auf massiveHerausfor-
derungen einstellen: dieVerschie-
bungvonKlimazonen,großeMigra-
tionsbewegungen, dasSterben von
ÖkosystemenwiedenKorallenriffen
derErde.DieLagewäremitinterna-
tionalerKooperationnochzubewäl-
tigen.MankönntezumBeispieleine
ArtKlimapass einführen, derMen-
schen,derenHeimatdurchdenKli-
mawandel einfach im Meer ver-
schwindet,Zugang zu denHaupt-
Emissionsländernermöglicht.

Undwas passiert, wenn dasZwei-
Grad-Ziel verfehltwird?
Dann wir ddie Welt, wie wir sie
kennen, verschwinden. Nicht von
heuteaufmorgen,aberineinemun-
gebremsten Klimawandel könnte es
JahrhundertevonUnruhen, Konflik-
tenund verheerendenKatastrophen
aufdiesemPlanetengeben.Glauben
Siemir,dass ich das nicht leichthin
sosage ,esm achtmichauchmanch-
malschlaflos.Diezwei Gradmüssen
unbedingtweiter die Leitplanke für
dieWeltgemeinschaft sein,wenn es
darumgeht,dieschlimmstenFolgen
des menschengemachten Klima-
wandels zuvermeiden. Unddann
müssen wir auch noch sehr viel

Leute sind bereit, dabei auch per-
sönlicheUmstellungen inKauf zu
nehmen.DerungeheureEnthusias-
mus und derMutvieler Jugendli-
cher sind eigentlich dasBeste,was
einer Gesellschaft passieren kann.
Dass14-jährigeMädchenundJungs
sichaufderStraßeengagieren,zeigt
doch:EsisteinMenschheitsthema!
Greta Thunberghat michvoreini-
gerZeitinmeinemBüroinP otsdam

besucht.Ichbin sehr beeindruckt
vonihr.Sie hat einen messerschar-
fenVerstand,hörtsehraufmerksam
zu und erkennt dieGefahren klarer
als viele andere, vielleicht hat das
auchmitdemAsperger-Syndromzu
tun. Doch eigentlich spricht sie am
Endenurdasaus,wasdiese Genera-
tionlängsthätteaussprechenmüs-
sen.VorwenigenTagenhabeichauf
derAmazonas-SynodedesVatikans

BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK (2)

„Dasmachtmich


manchmalschlaflos“


DieMenschheitmusssichaufmassiveHerausforderungeneinstellen,sagtder


KlimafolgenforscherHansJoachimSchellnhuber.WenndasZwei-Grad-Ziel


allerdingsverfehltwird,werdedieWelt,wiewirsiekennen,verschwinden


HANS JOACHIM SCHELLNHUBER

... wird 1950 in Ortenburg,Nieder-
bayern,geboren,studiertPhysik
undMathematikinRegensburg,
erhälteineProfessurfürTheoreti-
schePhysikinOldenburg.

...wird 1992 Gründungsdirektor
desPotsdam-Instituts für Klima-
folgenforschung (PIK), das er bis
2018 leitet. Er entwickeltwe-
sentliche Grundlagen der moder-
nen Klimaforschung und Klimapo-
litik mit: die Erdsystemanalyse,
das Zwei-Grad-Ziel, dasKonzept
der Kippelemente.

... ist heute Direktor Emeritus
des PIK und Mitglied verschiede-
nerAkademienweltweit,unter
anderemderPäpstlichenAkade-
miederWissenschaftenin Rom.
Seit 1992 gehörterzum Wissen-
schaftlichenBeiratderBundes-
regierungGlobaleUmweltverän-
derungen(WBGU).
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