Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

Zeitenwende


8 Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 ·························································································································································································································································································


S


olltenChristophRadkeund
Nicolaus Schmidt je ein
Buchschreiben,dann,sa-
gensie,hättensiedenTitel
schon:„Vonzweien,dieauszogen,
das Vermieten zu lernen“. Man
könnte auch sagen:vonzweiHam-
burgerKünstlern,diesicheineWoh-
nunginKreuzbergansehenwollten.
UndplötzlicheinHausin Prenzlauer
Berg ersteigerthatten.
29Jahreistdasjetzther.29J ahre,
in denenRadke und Schmidt nicht
nur verstanden, was es bedeutet,
Wohnungsvermieter zu sein, son-
dernind enen sich die graueStraße
mitdenheruntergekommenenHäu-
sern,indersieeinHausbesaßen,zu
einer der begehrtesten in Berlin
wandelte.
Nicolaus Schmidt tritt auf den
langgezogenen Balkon des Dachge-
schosses,indem er mit Christoph
Radke wohnt. Hier oben sieht man
nur die Wipfel der Platanen, die die
Kollwitzstraße säumen, denHimmel
und die anderenDachgeschosse.Sie
lassen sich besonders teuervermie-
ten oderverk aufen, auf jedemHaus
sitztmittlerweileeins .Dasschrägge-
genüberstehtnochleer,esi stgerade
fertig geworden.DasHaus dazu ge-
hörtNicolas Berg gruen, der sich in
Berlin als Immobilieninvestor einen
Namengemachthat.DenAufbauda-
neben,mitdengroßenFenstern,hat
ein Paar gekauft,Universitätsprofes-
soren. Prenzlauer-Berg-Klientel.


Die breiteKollwitzstraßemit ihren
ansehnlichenAltbautenistsoetwas
wie die Hauptstraße einesViertels,
das wie kein zweites für dieVerän-
derungen in der Stadt seit dem
Mauerfall steht, und für diePro-
bleme,diesiemitsichgebrachtha-
ben. Vonden Menschen, die 1989
hier wohnten, leben höchstens
noch 15Proz ent hier ,das ist die
Zahl,dieimmerkursiert.
Inzwischen sind dieWohnungen
auch für die jungen, finanziell nicht
schlechtgestelltenFamilien,dieden
PrenzlauerBerg bundesweit als an-
geblich kinderreichsteGegend der
Republik bekannt machten, kaum
noch zu bezahlen.Vorallem in den
verg angenenzehn Jahren wurden
vieleWohnungennachdenHaussa-
nierungen einzelnverk auft, in den
Fensterndes Immobilienmaklerbü-
rosind erKollwitzstraßehängenAn-
gebote: EinSingle-Apartment, 35
Quadratmeter,für 275000Euro.
Quadratmeter,dreiZimmer,für
749000 Euro.74Quadratmeter,zwei
Zimmer,für525000Euro.
1990habenChristophRadkeund
Nicolaus Schmidt für das ganze
Haus 500000Euro gezahlt bezie-
hungsweise: eineMillion Mark.Was
seitdem passiertist, zeigt, wie kom-
pliziertesmitunter wird, wenn
Träume sich mit derWirklichkeit
messen müssen.Aber auch, dass
sich in Häusernmanchmal andere
Geschichtenverbergen,alsmanver-
mutenwürde.
AndemlangenHolztischinihrer
lichtdurchflutetenWohnkücheerin-
nernsichdiebeidenanjenen11.De-
zember 1990, der ihr Lebenverän-
dernsollte.Nicolaus Schmidt, groß,
kinnlangeHaare, ergreiftmitgröße-
rerSelbstverständlichkeit dasWort,
ChristophRadke,schmaler,ruhiger,
ergänztdasGesagtemitseinerSicht
der Dinge.Sie warenMitte 30 da-
mals,zweijunge Maler aus Ham-
burg, die hofften, inBerlin die be-
zahlbarenAtelierszufinden,dieesin
Hamburgnichtmehrgab.
AnjenemDeze mbertaghattensie
nachmittags einen Besichtigungs-
termin in Kreuzberg.Siekannten
auch denOsten der Stadt, erst am
3.Oktober,dem TagderWiederver-
einigung, hatten sie inPrenzlauer
Berg am Kollwitzplatz gestanden.
Aufdie Idee,hier eine Wohnung zu
suchen,warensienichtgekommen.
SiefuhrennachBerlin,blätterten
in der Berliner Morgenpost und sa-
hen die Anzeige:„MietshausPrenz-
lauer Berg ,Kollwitzstr.52, modern-
isierungsgeeigneter Altbau. Ver-
kehrswertlaut Gutachten 875000
Mark,Mindestgebot 495000Mark,
Jahresmiete zurzeit 14600Mark.“
Eine Versteigerung, sie sollte schon
am Abend sein.Mittags standen sie
vordemHaus,and emTransparente
hingen: „Wir sind nicht zuverk au-


fen“ und: „HeuteKollwitz, morgen
ihr“. Siewaren ausNeugier hinge-
fahren,aberjetztkambeidengleich-
zeitig ein Gedanke: Was, wenn sie
das Haus ersteigerten?Undine iner
derWohnungenlebten,dieanderen
zufairenPreisenvermieteten?Wenn
sieHausbesitzerwürden–abergute?
SieklingeltenandenWohnungs-
türen, hinter der einzigen, die auf-
ging,standeinjungerMann.Errede
nicht mitKaufinteressenten, sagte
er,und ließ sie dann dochrein. Er
holteeineandereMieterindazu,und
beide erzähltenvonden Autos mit
Frankfurter oder MünchenerKenn-
zeichen, die seit zweiWochen, seit
der Auktionstermin bekannt wurde,
immer wiedervordem Haus park-
ten.VonMännern, die imTreppen-
hausprüfendandieWändeklopften
und verlangten, dieWohnungen zu
sehen. DieWiedervereinigung war
erstgutzweiMonateher ,undschon
war aus demOsten Deutschlands
auch ein potenziellerImmobilien-
marktgeworden.
DieVersteigerungwürdedieerste
inOst-Berlinsein.EinWest-Berliner
Auktionshaus wollte testen, was
manfürsoeinHausindernunmau-
erlosen Stadt bekam: marode,seit
Jahrzehnten nichtrenoviert, aber in
einem zentral gelegenen Stadtteil
miteinemattraktivenRufalsKünst-
lerviertel.
DiezweiMieterfasstenVertrauen
zuden BesuchernausHamburg,die

soanderswarenalsdieKaufinteres-
senten,dieindenTagenzuvoraufge-
taucht waren. Siesagten, dass sie
versucht hätten, zurBesitzerin des
Hauses Kontakt aufzunehmen, ei-
nem Charlottenburger Ehepaar,das
dasHausgeerbthatteundesnunan-
scheinendschnellloswerdenwollte.
Es hatte nichtreagiert. DieBewoh-
ner würden dasHaus ger nzusam-
menkaufen,hattenaberkeinenKre-
dit bekommen, erstrecht nicht bis
zuderkurzfristiganberaumtenAuk-
tion.Siehattennunwenigstenseine

könnten,künftignichtmehr80Mark
Mietezuzahlen,sondern250Mark.
Damit müssten dieAusgaben erst
mal gedeckt sein.In Ordnung, sag-
tendiebeiden.Dannversuchenwir
esheuteAbend,sagteSchmidt.
Siefuhren zurück in denWesten
derStadt,siemusstenjetztdringend
telefonieren, und imOsten waren
Telefonzellenrar. Einpaar Stunden
später hatten mehrereFreunde zu-
gesagt, dass sie ihnenGeld leihen
würden. Zusamm en wa renes
150000 Mark,knappdieSumme,die
sie bei der Versteigerung würden
hinterlegenmüssen.
AlssieamAbendbeimehemali-
gen Kulturbundclub nahe dem
Gendarmenmarktankamen,wodie
Auktionseinsollte,warendaschon
mehr Gegner derVersteigerung als
Interessenten.EshatteeinenAufruf
zumProtestgegeben,Stinkbomben
flogen, diePolizei räumte denSaal.
Schließlich ging es doch noch los.
DieGebote stiegen schnell auf
550000 Mark,600000, 700000.
Schließlich waren noch Nicolaus
Schmidt und eineFrau im weißen
Pelz übrig.Bei1050000Mark hob
nurnochSchmidtdieHand.
Spätabends fuhren sie noch ein-
mal in dieKollwitzstraße,feierten
mit den Hausbewohnern.In drei
Monaten würden dieFormalitäten
erledigt und sie Eigentümer des
Hauses sein, hatte derAuktionator
gesagt.Dannwolltensiegemeinsam

Presseerklärungverfasst, die mehr
eine Warnung an alle Landsleute
war.DarinfordertensiedieOstdeut-
schenauf,sichüberdieEigentums-
verhältnissebeiihrenHäusernmög-
lichstschnellzuinformieren.Nurso
könnten „diewenigen Rechte der
mit derwestdeutschenWohnungs-
wirtschaft noch nicht vertrauten
OstdeutschenindenneuenBundes-
länderngesichertwerden“.
Nicolaus Schmidt begann zu
rechnen und fragte dann, ob die
Hausbewohner sich vorstellen

mitdenMieterndasHaussa nieren,
unterstütztvoneinem Förderpro-
grammderSenatsverwaltung.
Es kam anders.Das Haus hatte,
wiesichherausstellte,bis1937einer
Jüdingehört,eswardavonauszuge-
hen,dasssienichtfreiwilligverkauft
hatte.Das Amt für offeneVermö-
gensfragen forschte nach, amEnde
ging dasHaus an die Jewish Claims
Conference–undvondortzurückan
RadkeundSchmidt.
AchteinhalbJahrewaren verg an-
gen.DasFörderprogramm,mitdem
sie das Haus sa nieren wollten, gab
es nicht mehr.Auchdie Hausge-
meinschafthattesichverändert.Ei-
nige Bewohner waren ausgezogen,
anderenfehlteinzwischendieKraft,
neben denHerausforderungen, die
das Leben in dem neuen Land ge-
brachthatte,auchnocheinHauszu
sanieren.
Sieseienfroh,dasHauszuhaben,
sagtChristophRadkeheute.Abersie
würdendasallesnichtnochmalma-
chen.DienächstenJahrebliebenan-
strengend. Während um sie herum
die Fassad en past ellfarben und auf
den Bürgersteigen dieKinderwagen
mehr wurden,versuchten sie,ihren
Traumzu retten.Saniertenselbst,wo
esging. BegannenmitdemBaudes
Dachgeschosses,indem si eirgend-
wann leben wollten.Underhöhten
dieMietenüberdieJahreimmernur
in kleinen Schritten.Zeitweise be-
gleitetesiedieAngst,pleitezugehen.
AlsderÄrgermitdenBankenzugroß
wurde ,verkauftensiedreiWohnun-
genanihreBewohner.
Heuteerzählt das Haus nichts
mehr vonden Mühen.Nurdie Fas-
sadeistetwasschlichteralsdievieler
anderer in derStraße,für Stuckwar
nie Geld da. Vonden altenMietern
lebt nur noch einer imHaus,derje-
nige,der vor30J ahren die Tür öff-
nete.SeineMieteistamgünstigsten,
vier Euro proQuadratmeter,mehr
wärefürihnn ichtdrin.Eineandere
Wohnung hat vorkurzemdieToch-
terder anderenMieterin übernom-
men, die damals dazukam.Sieist
hierau fgewachsen.

Die anderen Bewohnersindnachund
nach eingezogen. Siezahlen sieben
EuroMietepr oQuadrat mete r,dasist
die Hälfte dessen, wasWohnungen
um denKollwitzplatz beiNeuver-
mietun gen imvergangenen Jahr
durchschnittlich gekostet haben.
SiebenEuro,dasreicht,umdasHaus
zubewirtschaftenundnochGeldfür
dieAltersversorgungübrigzuhaben.
Christoph Radke und Nicolaus
SchmidtwolltenfaireVermieterwer-
den, es scheint ihnen gelungen zu
sein. Neue Mieter,ess ind vorallem
Künstler,haben sie immer nach
Sympathie ausgewählt. Aufihr
Bauchgefühlzuvertrauenistdieeine
Sache,diesiegelernthaben.
Dieandere? Dassma nalsBesitzer
einesMehrfamilienhausesmitallem
rechnen und starkeNerven haben
muss.Und dass es nicht immerrat-
sam ist, in demHaus,ind em man
Wohnungen vermietet, auch selbst
zuwohnen.
Über denVersuch derStadt, den
immer weiter steigendenWohnkos-
ten mit einemMietendeckel zu be-
gegnen, sind sie geteilterMeinung.
ChristophRadkesagt, er fände es
gut, dass denExzessen ,die es gebe,
etwas entgegengesetzt wird.Nicol-
aus Schmidt macht es wütend, dass
das,was die Stadt jahrelang falsch
gemacht hat, zumBeispiel mit dem
Verkauf landeseigenerWohnungen,
nunaufdieseArtwiedergutgemacht
werden soll. Miteiner Maßnahme,
die,sagt er ,jeneVermieter bestrafe,
dieinderVergangenheitnichtsoviel
Geld genommen haben wie andere.
Manhättevorausse henkönnen,wie
die Stadt sich entwickelt, findet er,
unddanachhandelnmüssen.
Im Dezember 1990 wussten das
schondieAutorendesAuktionspro-
spekts.Darinstand,die„Vereinigung
der beiden deutschenStaaten“ ma-
che denBerliner Immobilienmarkt
zu einem „der interessantestenEu-
ropas“.

PetraAhneentdeckt be-
sondersgern Geschichten
hinter Hausfassaden.

VonPetraAhne


Nicolaus Schmidt (links) und Christoph Radke, seit Dezember 1990 Hausbesitzer BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK (2)

Das HausKollwitzstraße 52

EinHaus


inOst-Berlin


Vorfast30JahrenersteigertenzweiHamburgerKünstlereineImmobiliein


PrenzlauerBergundnahmensichvor,guteVermieterzuwerden.


Sieversuchenesbisheute

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