Der Tagesspiegel - 09.11.2019

(Darren Dugan) #1

B


evor Uli Hoeneß Manager beim
FC Bayern München werden
durfte, musste er erst noch eine
anspruchsvolle Prüfung beste-
hen. Hoeneß war 27 Jahre alt,
er hatte seine Karriere als Fußballer we-
gen einer Knieverletzung überstürzt be-
enden müssen, und trotz seiner immer
schon vorhandenen Affinität zum Geld
konnte natürlich niemand wissen, ob er
der Aufgabe tatsächlich gewachsen sein
würde. Sollte es Hoeneß also gelingen,
dem damaligen Vizemeister der Fuß-
ball-Bundesliga dessen angehenden Na-
tionalstürmer abzuwerben, dann würde
er den Job als Manager bekommen.
Auf den zweiten Blick war die Prüfung
fürUli Hoeneß doch nicht so schwer. Der
umworbene Stürmer vom Vizemeister
Stuttgart wollte ohnehin zu den Bayern,
und das obwohl ihm Borussia Mönchen-
gladbach ein deutlich höheres Gehalt
bot.Vor allemaber war es fürUliHoeneß
ganz hilfreich, dass
dieser Stürmer eben-
falls Hoeneß hieß,
Dieter mit Vorna-
men, und dass die-
serDieterzufälliger-
weise sein jüngerer
Bruder war.
Die Geschichte,
dass Uli Hoeneß in
gewisser Weise sei-
nem kleinen Bruder
den Job bei den Bay-
ernzuverdankenhat,erzähltnichtnurei-
niges über die Macht des Zufalls im Fuß-
ball, sie illustriert auch den Zustand des
FC Bayern amEndeder siebziger Jahre.
Die Bayern mussten das Geld, das sie
damals einnahmen, vor allem in die Til-
gung ihrer Schulden stecken. Sieben Mil-
lionen Mark waren es, bei gerade mal
zwölf Millionen Umsatz im Jahr. Der
Klub, bei dem Uli Hoeneß am 1. Mai
1979 als Manager anfing, stand kurz vor
dem Bankrott.
Wenn Hoeneß bei der Jahreshauptver-
sammlung am kommenden Freitag sein
Amt als Präsident des Vereins und Auf-
sichtsratsvorsitzender der Bayern AG
aufgibt, sehen die Zahlen anders aus:
750 Millionen Euro Umsatz. 52,5 Mil-
lionen Gewinn. Fast eine halbe Milli-
arde Eigenkapital. Dazu kommen die
Erfolge in Gold und Silber: In 40 Jahren
mit Hoeneß als Manager und Präsident
haben die Bayern drei Europapokale ge-
wonnen, 14 Mal den DFB-Pokal und
24 deutsche Meisterschaften.
Die Veranstaltung am Freitag wird be-
stimmt rührselig werden, Uli Hoeneß
wird den Kampf gegen seine Emotionen
vermutlichheldenhaftverlieren,amEnde
werdenTränenbeiihmfließen.„Esistnor-
mal, dass man einer solchen Ikone des
KlubsdieEhreerweist.Ichwerdeauchda
sein“, hat Niko Kovac vor ein paar Tagen
gesagt, als Niko Kovac noch nicht wissen
konnte, dass er schon wenige Tage später
keinTrainerderBayernmehrseinwürde.
„Dieser Klub ist unter anderem durch
seineArbeit so groß geworden.“
Im Moment ist der Klub allerdings
nicht ganz so groß, wie er nach eigenem
Verständnis zu sein hat. Kovac hat nach
der 1:5-Niederlage bei Eintracht Frank-
furt vor einer Woche seinen Job verloren.
So steht der Verein im Moment des Füh-
rungswechsels – und vor dem richtungs-
weisenden Spiel gegen Dortmund am
Samstag – ohne richtigen Trainer da.
Und mit vielen Zweifeln. Wer kommt?
Was kommt? Wofür will der FC Bayern
künftig stehen? Und ist er ohne Uli Hoe-
neß überhaupt existenzfähig?
„Das ist ein Verlust, dessen Folgen man
noch gar nicht abschätzen kann“, sagt
Max Eberl. Eberl, 46, ist Sportdirektor
von Borussia Mönchengladbach – dem
Klubalso,dergeradeetwasüberraschend
die Tabelle der Bundesliga anführt, drei
Plätze und vier Punkte vor den Bayern,
dem Verein seiner Jugend. Eberl ist nicht
nur in München aufgewachsen, er besitzt


auch eine Bayern-Vergangenheit. Und
wennesnachUliHoeneßgegangenwäre,
hätte Eberl wohl auch längst eine Bay-
ern-Gegenwart.EberlwarseinFavoritfür
das Amt des Sportvorstands. Dass er es
nichtwurde,stattdessenderbisherigeVer-
einsbotschafter Hasan Salihamidzic zum
Sportdirektor befördert wurde, sagt eini-
ges über die Verhältnisse bei den Bayern.
AlsManagerundStrategewarderehema-
lige Bayern-Profi Salihamidzic zuvor
nichtin Erscheinung getreten.
Vor zwei Wochen in der Münchner
Arena. Bayern hat sich zu einem 2:1 ge-
gen den Aufsteiger 1. FC Union gequält.
Eine halbe Stunde nach dem Schlusspfiff
läuft Hoeneß, rot-weißer Schal um den
Hals, Sakko überm Arm, durch die
Mixed-Zone und macht sich auf den Weg
in die Kabine. Fünf Meter hinter ihm
folgt Karl-Heinz Rummenigge, der Vor-
standschef,in Begleitung derübrigenVor-
standsmitglieder Jan-Christian Dreesen,
Andreas Jung und Jörg Wacker.
Dass Hoeneß, 67 Jahrealt, undRumme-
nigge, 64, die beiden Alphatiere, sich
nicht mehr viel zu sagen haben, ist längst
kein Geheimnis mehr. Es geht um Macht
und Einfluss. Um die Deutungshoheit ih-
res Wirkens. Und um Eitelkeiten, vor al-
lem um verletzte. Rummenigge, so er-
zählt man sich, hat es nicht geschmeckt,
dass Hoeneß seit Verbüßen seiner Haft-
strafe wegen Steuerhinterziehung wieder
kräftig im operativen Geschäft mit-
mischt. Hat er in Hoeneß’ Abwesenheit
denn nicht gezeigt, dass er den Verein
auch alleine führen kann?

Als Karl-Heinz Rummenigge 1974 mit
18 Jahren und rotenBäckchenvonBorus-
sia Lippstadt zum FC Bayern kam, teilte
er sich bei Auswärtsfahrten das Zimmer
mit Uli Hoeneß. Dicke Freunde sind sie
nie gewesen. Aber zum Wohl des FC Bay-
ern haben sie sich immer zusammenge-
rauft. Inzwischen hat man eher das Ge-
fühl, dass beide gegeneinander arbeiten.
„Die Reibung war hilfreich für den Klub“,
sagt jemand, dersich mit den Begebenhei-
ten beim FC Bayern bestens auskennt.
„Inzwischen ist sie kontraproduktiv.“
Eine gemeinsame Linie existiert nicht
mehr. Jede Personalentscheidung der
Bayern ist zuletzt einer eingehenden Exe-
gese unterzogen worden: Thomas Tu-
chel?HatHoeneß verhindert.CarloAnce-
lotti, der bei den Bayern im Herbst 2017
nach etwas mehr als einem Jahr entlassen
wurde? War RummeniggesIdee. NikoKo-
vac? Ein Hoeneß-Mann. Oft bleibt nur
der kleinste gemeinsame Nenner, und
der heißt dann eben Hasan Salihamidzic.
Karl-Heinz Rummenigge hat im Früh-
jahrkeineMöglichkeitausgelassen,diePo-
sitiondes Trainers Kovac– malmehr, mal
wenigersubtil–zuunterminieren.AlsKo-
vacweiteTeilederMannschaftbereitsver-
loren hatte, war es Hoeneß, der einige
SpielerwiederaufKursbrachte.DassBay-
ern doch noch Meister und Pokalsieger
wurde, war so etwas wie der letzte Kraft-
aktdes scheidenden Präsidenten.
Auch deshalb fällt vielen die Vorstel-
lung schwer, dass Hoeneß sich als einfa-
ches Mitglied des Aufsichtsrats künftig
aus allem raushalten wird. Möglicher-

weise auch ihm selbst. „Sie brauchen sich
keine Sorgen zu machen“, hat er bei der
Ankündigung seines Abschieds gesagt.
„Sie werden weiter von mir hören.“
Wichtig war Hoeneß, dass seine Nach-
folge vernünftig geregelt ist. Vernünftig
heißt: in seinem Sinne. Der designierte
Präsident Herbert Hainer,65,hat als Vor-
standsvorsitzender von Adidas bewie-
sen, dass er ein Unternehmen führen
kann. Vor allem aber ist er eng mit Hoe-
neß befreundet. Im Januar dann beginnt
Oliver Kahn, 50, sein Trainee-Pro-
gramm. Er soll sich
an der Seite von
Karl-Heinz Rumme-
nigge einarbeiten,
den er Ende 2021
als Vorstandvorsit-
zenden ablösen
wird. Auch Oliver
Kahn gilt eher als
Hoeneß-Mann.
Dass er über Hainer
und Kahn weiterhin
Einfluss auf das Ta-
gesgeschäft nehmen wird, „das behaup-
ten nur Menschen, die hinter jedem
Busch einen Feind sehen“, sagt Hoeneß.
„So ticke ich nicht.“
Uli Hoeneß hat immer auf seine eigene
Art getickt. Er war der Mann fürs Gemüt.
Herz und Bauch des Vereins. Der Patron
eines Familienbetriebs. Ohne ihn, so
fürchten einige, werde sich das Klima im
Klub verändern, der FC Bayern womög-
lich seine Seele verlieren. Mit dem mo-
dernen Fußball fremdelt er zunehmend.

Mit den Ultras und ihren Ritualen ge-
nauso wie mit einer neuen Generation an
Spielern, mit deren Lebenswelt in den so-
zialen Medien er wenig zu tun hat.
Uli Hoeneß hat zuletzt erst wieder er-
zählt, dass er noch nie im Internet war.
Die Welt hat sich verändert, und die
Fußballwelt mit ihr. Die Bayern konkur-
rieren inzwischen weniger mit Gladbach,
Bremen unddemHSV,ihrengroßen Kon-
kurrenten vergangener Jahrzehnte. Ihre
Benchmarks, wie das heute heißt, sind
Klubs wie RealMadrid, ParisSt. Germain
oder Manchester City. Der FC Bayern un-
terhält Büros in New York und Schang-
hai, auf zwei Wachstumsmärkten also,
die umso wichtiger werden, je mehr der
nationale Markt gesättigt erscheint.
Uli Hoeneß ist nicht naiv. Schon zu Be-
ginn seiner Amtszeit war Real Madrid,
der vielleicht größte Fußballklub über-
haupt, sein Maßstab. Aber Hoeneß hat es
eben auch verstanden, dem Fanclub in
Sulzbach-Rosenberg das Gefühl zu ver-
mitteln, dass er genauso wichtig ist wie
ein paar hundert Millionen potenzielle
Konsumenten in China.
Karl-Heinz Rummenigge sieht sich
eher als Herr der Zahlen, als kühler Stra-
tege, der über die internationalen Bezie-
hungen verfügt und weit über die bayri-
sche Landesgrenze hinausdenkt. In sei-
nemSchatten istlängst eineRiege jungdy-
namischer Manager am Werk, die vor al-
lem global denken. Von denen wiederum
werden einige tief durchatmen, wenn
Hoeneß künftig nicht mehr ins operative
Geschäft eingreift.

Denn das tut er immer noch. Weil der
FC Bayern sein Werk ist, das er glaubt
beschützen zu müssen. Wie zuletzt, als
er wegen einer Lappalie auf Nationaltor-
hüter Marc-André ter Stegen losgegan-
genist, durch dener die Stellung von Bay-
erns Torhüter Manuel Neuer bedroht
sah. Selbst Leute, die ihm wohlgesinnt
sind, zucken mit den Schultern oder
schütteln den Kopf, wenn man sie fragt,
wasihndabei gerittenhat. „Er hatein biss-
chen das Gespür verloren, was er wann
sagt, und sich zu oft locken lassen“, sagt
jemand aus seinem Umfeld. Seine große
Stärke, die Emotionalität, wird mehr und
mehr zu seiner großen Schwäche.
MaxEberl hatals Jugendspielerbei den
Bayern erlebt, wie Hoeneß den Klub
nach1979an die Spitze geführt hat –weil
erVisionenhatte und der Konkurrenz da-
mit weit voraus war. Die Bayern waren
es, die Ende der Achtziger als erster Bun-
desligist ein Jugendinternat eröffneten
undmit Hermann Gerland und Wolf Wer-
ner zwei frühere Bundesligatrainer für
den Nachwuchs engagierten. Sie waren
es auch, die dank Hoeneß als Erste den
wirtschaftlichen Wert ihrer Marke ent-
deckten undihrMerchandising professio-
nalisierten.„Was heute gangund gäbe ist,
haben die Bayern schon vor 30 Jahren an-
gefangen“, sagt Eberl.
Inzwischen gibt es viele, die Hoeneß
die visionäre Kraft absprechen, ihn dafür
verantwortlichmachen,dassstrategische
Entscheidungen blockiert werden. Dass
dieBayernandersalsvieleBundesligisten
zumBeispielkeineE-Sports-Abteilungha-
ben und damit womöglich einen wichti-
gen Trend verschlafen.
„Es gibt weltweit kaum einen Verein,
dersowiewiraufderGeldanlage-Seitege-
führt wird“, sagt Hoeneß. Es ist der Fe-
tischFestgeldkonto, dem beim FC Bayern
immernochgehuldigtwird,dieWeltspar-
tag-Mentalität der alten Bundesrepublik.
Mit seiner „unmittelbar realisierbaren Li-
quiditätsreserve“vonmehrals200Millio-
nen Euro sieht Hoeneß den Klub bestens
gerüstet für den globalen Wettbewerb.
AberdiePreisesindrasantgestiegen.Und
dieKonkurrenz,alimentiertvonStaatsfir-
men oder Ölstaaten am Golf, interessiert
dasnicht. Solltendie Bayern imkommen-
den Jahr tatsächlich die deutschen Natio-
nalspielerLeroySanéundKaiHavertzver-
pflichten – wie viel bleibt dann noch auf
demsprichwörtlichen Festgeldkonto?
Um all diese Fragen, um die Zukunfts-
fähigkeit des FC Bayern, geht es auch bei
der Jahreshauptversammlung im Novem-
ber 2018. Ein junger Mann tritt zur Aus-
sprache ansRednerpult. Erist Anfang30,
einfaches Mitglied, trägt ein weißes
T-Shirt, schwarze Lederjacke und eröff-
net seine Rede mit den Worten: „Früher
wollte ich werden wie Uli Hoeneß, jetzt
bin ich mir da nicht mehr sicher.“ Seine
Hände zittern. Die Leute johlen.
Zehn Minuten dauert die Zerstörung
des FC Bayern. Hoeneß blickt böse, die
Lippenzusammengepresst.Malrümpfter
die Nase, mal zuckt der Mundwinkel, er
knabbert an seinem kleinen Finger, bohrt
sich die rechte Faust in die Wange. Als es
vorbei ist, beugt Hoeneß sich vor, richtet
das Mikrofon. „Bleib ruhig! Bleib ruhig!“,
flüstertRummenigge,dernebenihmsitzt.
Hoeneß sagt nur knapp, dass er eine Dis-
kussion auf diesem Niveau ablehne. Aus
demPublikum schwellendieBuhrufe an.
Die Geschehnisse vor einem Jahr wer-
den als Grund angeführt, warum Hoeneß
nicht mehr antritt zur Wahl des Präsiden-
ten und künftig nur noch einfaches Mit-
glied im Aufsichtsrat sein wird. „Das hat
ihn getroffen“, sagt jemand, der ihm sehr
verbunden ist. Aber dass sein Rückzug
eine Affekthandlung gewesen sei, das
stimme einfach nicht. Die Entscheidung
sei gut vorbereitet und nicht zuletzt aus
Rücksicht auf seine Familie gefallen, auf
seineFrau,diebeidenKinderunddievier
Enkel.HerbertHainer,derHoeneßalsPrä-
sidentbeerbensoll,hatsichähnlichgeäu-
ßert.SeinEindrucksei,dassHoeneßsehr
rationalandie Entscheidung herangegan-
gen sei:„Erweiß schon,waser tut.“

Die Auswechslung


Er war der Mann fürs Gemüt und für die Millionen, Herz und Bauch des Vereins, 40 Jahre lang.


Als Präsident des FC Bayern hat Uli Hoeneß zuletzt aber auch Trends verschlafen.


Nun dankt er ab – und für den Rekordmeister aus München beginnt eine Zeit des Zweifelns


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Kalte Tage.Hoeneß, sein designierter Nachfolger Herbert Hainer und Rummenigge (von rechts) hatten zuletzt wenig Freude am FC Bayern. Foto: Uwe Anspach/dpa

Er und


Rummenigge


haben sich


nicht mehr


viel zu sagen.


Eitelkeiten


Die Fans
in Bayern?

Genauso
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neue Märkte
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