Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 12. NOVEMBER 2019 PANORAMA 31


schlechte Wissenschaftler waren.
Sie waren einfach Forscher, die in
ihrer Zeit, mit ihrem Blick auf die
Dinge und ihrem kulturellen
Hintergrund geforscht haben. So
wie Angus Bateman. Er hat Expe-
rimente an Fruchtfliegen durch-
geführt und damit „bewiesen“,
dass Männer natürlicherweise
promisk sind, während Frauen
von Promiskuität nicht profitie-
ren. Das hat sich als falsch raus-
gestellt. Natürlich profitieren
Frauen von Promiskuität. Schim-
pansinnen zum Beispiel versu-
chen in ihrer fruchtbaren Phase
mit möglichst vielen Männchen
Sex zu haben. So weiß nachher
im Rudel niemand, wer der Vater
des Kindes ist, und alle kümmern
sich darum. Es brauchte eine
Frau in der Forschung, um das
herauszufinden, die Primatolo-
gin Zanna Clay. Frauen haben
einfach einen anderen Blick auf
Sexualität und eben auch auf die
Forschung als Männer.


Gibt es so einen neuen Blick auf
weibliche Sexualität auch in
der Kultur?

Viele literarische Klassiker ent-
standen aus einer Beschäftigung
mit weiblicher Sexualität. Nicht
nur Anna Karenina und Emma
Bovary, sondern auch Literatur
aus dem 18. Jahrhundert. Roxana
und Moll Flanders von Daniel
Defoe, „Die Nonne“ von Diderot.
Diese Autoren waren irgendwie
besessen davon, das Verhalten
ehebrecherischer Frauen zu do-


kumentieren und sie dafür zu
bestrafen. Ich glaube, ähnlich wie
in der Wissenschaft, ist die Dar-
stellung in den letzten Jahrzehn-
ten vielschichtiger geworden, al-
lein dadurch, dass immer mehr
Frauen angefangen haben, selbst
Texte, Filme und Bilder zu pro-
duzieren. Man darf aber auch
nicht vergessen, dass Frauen teil-
weise ebenso hart mit Frauen ins
Gericht gehen wie Männer. Gera-
de in männerdominierten Kon-
texten ist es für Frauen oft die er-
folgversprechendste Option, sich
auf die Seite der Männer zu stel-
len. Selbst wenn das bedeutet,
dass man die eigene Sexualität
pathologisiert.

Haben Sie eine Lieblingsehe-
brecherin?
Ich glaube, meine Lieblingsehe-
brecherin ist Marlene Dietrich,
auch wenn sie streng genommen
keine ist, sondern einfach eine
Frau, die nicht monogam gelebt
hat. Sie hat sich über die gesell-
schaftlichen Regeln hinwegge-
setzt. Sie kleidete sich wie ein
Mann, suchte die Öffentlichkeit –
und sie lebte in einer offenen
Ehe. Ihr Mann hatte einen Lieb-
haber, aber sie hatte auch sehr
viele Liebhaber und sogar Lieb-
haberinnen. Ich finde es faszinie-
rend, dass sie ihr Leben so kom-
promisslos gelebt hat.

Glauben Sie, Europäerinnen
sind die besseren Ehebreche-
rinnen?

Michele Scheinkman, eine New
YYYorker Psychotherapeutin, hatorker Psychotherapeutin, hat
dazu geforscht. Ihr ist aufgefal-
len, dass ihre US-amerikani-
schen Kollegen in Therapiesit-
zungen vollständige Offenheit
verlangten. Wenn ein Patient
seinen Partner betrogen hatten,
gab es nach Rat der Therapeu-
ten nur eine Möglichkeit: die
WWWahrheit sagen und zusammenahrheit sagen und zusammen
daran arbeiten, darüber hinweg-
zukommen. Egal, ob die Affäre
längst vorbei war und niemand
etwas mitbekommen hatte.
Konsens war, dass absolute Of-
fffenheit die einzige Option ist. Inenheit die einzige Option ist. In
Europa liefen vergleichbare Sit-
zungen ganz anders: Hier ging
es nicht darum, dass man etwas
vor dem Partner verbarg, was
man offenlegen sollte. Hier ging
es eher darum, den Partner zu
schützen. Und das konnte auch
bedeuten, nichts von einer Affä-
re zu erzählen. Statt Geheimhal-
tung sprach man von Privat-
sphäre.

Klingt so, als sei das Konzept
von Ehe ein anderes.
In Amerika ist die Vorstellung
weit verbreitet, dass der Ehepart-
ner alles ist. Er ist emotionale
Stütze, Seelenverwandter, finan-
zieller und beruflicher Partner
und Elternteil. Er soll mich bei
meiner Ernährung und beim
Sport begleiten, meine Hobbies
teilen und mich dann auch noch
sexuell erfüllen. Verdammt hohe
Ansprüche. In Europa haben

Ehepartner eher die Einstellung:
Das ist mein Partner fürs Leben
und wir gehen da zusammen
durch. Es ist aber einfach nicht
realistisch, dass mich diese Per-
son mein Leben lang sexuell er-
regt. Und ich habe ein Recht auf
sexuelle Erfüllung, deswegen ho-
le ich mir die woanders.

Alles eine Frage der Erwartun-
gen also. Warum haben die US-
Amerikaner derart andere Er-
wartungen an die Ehe als die
Europäer? Ist es das puritani-
sche Erbe?
Das spielt sicherlich eine Rolle.
Viel wichtiger aber ist das politi-
sche Erbe. Die Gründerväter ha-
ben in der Verfassung das Ver-
hältnis von Bürger und Staat als
eines zwischen zwei gleichbe-
rechtigten Lebenspartnern fest-
gelegt, eine Ehe eben. Die Idee
war, sich vom dekadenten, aristo-
kratischen Europa abzugrenzen,
wo der König noch immer der Va-
ter und die Bürger die Kinder wa-
ren. Es wurde zum Paradigma,
dass das, was amerikanisch ist,
Gleichheit, Gerechtigkeit und
Partnerschaft sind – ob nun zwi-
schen zwei Menschen oder zwi-
schen Bürger und Staat. Um das
klar zu machen, benutzten die
Gründerväter Analogien wie die
„lebenslange Ehe“. Dabei war
„lebenslang“ damals nicht beson-
ders lang.

Monogamie ist also politisch.
Was bedeutet dann Donald

Trump für die Monogamie, be-
ziehungsweise für die weibli-
che Sexualität?
Trump ist eine Katastrophe.
Aber seine Macht ist in der Krise
wegen des Amtsenthebungsver-
fahren. Und das Verfahren wird
von einer Frau geleitet, die sich
seit Jahrzehnten in der männ-
lich dominierten Sphäre der Po-
litik behauptet. Sein Schicksal
wird also von einer älteren Frau
entschieden. Das hasst er sicher-
lich. Im Trumpschen Kosmos
sollen Frauen eigentlich nicht
mehr sein als eine Fortsetzung
männlicher Lust. Weibliches
Verlangen ist nicht interessant
oder überhaupt beachtenswert.
Frauen sollen einfach nur dem
männlichen Willen und seiner
Lust dienen. Eine sexuelle
Handlungsmacht der Frau will
Trump nicht zulassen. Das sieht
man daran, wie er mit seiner
Tochter und seiner Ehefrau um-
geht. Seine Frau ist ein Fembot.
Seine Tochter ist eine Etuikleid-
Version von ihm. Im Trump-
schen Kosmos sind Frauen deko-
rativ. Und wenn sie sich dem
verweigern, werden sie scho-
nungslos niedergemacht. So wie
Hillary Clinton.

Das heißt wir sind noch weit
entfernt von einer wirklichen
sexuellen Befreiung der Frau?
Ich fürchte schon. Frauen kön-
nen nur dann wirklich sexuell
frei sein, wenn sie auch ökono-
misch und politisch frei sind.

ULLSTEIN BILD - REX FEATURES / DAN CALLISTER SHUTTERSTOCK

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