Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1
oder auch nur Copy & Paste ist
es ein Einfaches für nur eine
Person, Hass in großen Mengen
zu produzieren. Wenn man sich
der Einfachheit halber kurz auf
Facebook beschränkt: 23 Millio-
nen täglich aktiven Nutzern in
Deutschland stehen im ersten
Quartal 2019 laut offiziellen Fa-
cebook-Angaben 160.000 ent-
fernte Inhalte gegenüber, die ge-
gen Richtlinien für Hassrede
verstießen. Das macht 0,00008
entfernte Inhalte pro Tag für je-
den Nutzer: Es gibt homöopa-
thische Dosen, die höher sind.
Problem fünf ergibt sich aus
den bisherigen: Die staatlichen
Versuche, dem Hass Einhalt zu
gebieten, bringen nichts. Das
von Heiko Maas (SPD) konzi-
pierte Netzwerkdurchsetzungs-
gesetz sorgte nicht für weniger
Hass in sozialen Netzwerken,
wurde dafür aber zu Recht für
seine Willkür kritisiert. Trotz-
dem arbeitet Maas’ Nachfolge-
rin Christine Lambrecht (SPD)
an einem neuen Gesetzespaket,
das am Grundproblem nichts
ändern wird. Selbst wenn es –
was bezweifelt werden darf – ge-
schultes Personal in den Straf-
verfolgungsbehörden gäbe, um
gegen Hass-Postings vorzuge-
hen, bräuchte es eine riesige
Menge an neuen Beamten. Ant-
worten aus der analogen Welt
funktionieren im Digitalen
nicht. Die Absichten der Politik
sind nicht schlecht, aber der
Weg zur Hölle ist mit guten Ge-
setzen gepflastert.
Das führt zu Problem sechs:
Hass im Internet hat das Ge-
waltmonopol des Staates unter-
miniert. Max Webers Staatsdefi-
nition sieht diesen als „mensch-
liche Gesellschaft, welche inner-
halb eines bestimmten Gebietes
das Monopol legitimer physi-
scher Gewaltsamkeit für sich
mit Erfolg beansprucht“. Nur ist
das Internet kein leicht einzu-
grenzendes Gebiet und die dort
durchsetzbare Gewalt nicht
physischer Natur. Klar ist aber,
gegen die psychische Gewalt im
Internet hat der Staat an sehr
vielen Stellen keine Eingriffs-
möglichkeit.

A


lbert Einstein hatte
unrecht. Nur zwei
Dinge seien unend-
lich, so der Physiker,
das Universum und die mensch-
liche Dummheit – wobei er sich
beim Universum nicht sicher
sei. Zur Verteidigung Einsteins
muss man festhalten: Das Inter-
net wurde erst Jahrzehnte nach
seinem Tod erfunden. Sonst hät-
te er noch etwas Unendliches er-
lebt: den Hass, der dort verbrei-
tet wird. Nun könnte man im
Sinne Einsteins diesen einfach
mit dummen Menschen begrün-
den, doch damit wäre man be-
reits beim ersten und grundle-
genden Problem: Das Phänomen
wird oft monokausal erklärt.


VON THORE BARFUSS

Das zweite nicht minder gro-
ße Problem setzt früher an:
Was ist eigentlich Hass? Das
Hassempfinden unterscheidet
sich von Mensch zu Mensch,
auch eine allgemeingültige De-
finition gibt es nicht. Beginnt er
erst da, wo er zu Hader führt?
Ist Hass justiziabel? Und wenn
nicht: Wo verläuft die Grenze
zur Meinung? Kann und muss
das der Staat oder ein Gericht
festlegen?
Womit wir bei Problem drei
wären: dem falschen Zensurver-
ständnis. Bis in höchste politi-
sche Kreise wird oft vom „Zen-
sieren von Meinungen“ gespro-
chen, wenn Kommentare ge-
löscht werden. Die Nichtveröf-
fentlichung eines Nutzerkom-
mentars auf Facebook, auf
WELT.de oder jeder anderen
privat betriebenen Seite in
Deutschland stellt keine Zensur
dar. Erst, wenn sie vom Staat
ausgeht, „findet eine Zensur
statt“. Im Prinzip gilt das Haus-
recht: Sie können Ihrem Nach-
barn nicht verbieten, in öffentli-
chen Räumen über Ihre Unzu-
länglichkeiten zu sprechen. Aus
Ihrer Wohnung können Sie ihn
deswegen aber rauswerfen.
Ein viertes Problem macht
die vorherigen fast zur Neben-
sache: die reine Masse. Mithilfe
von Bots, Mehrfach-Accounts


Dass der Staat so schlecht be-
raten ist, liegt an Problem sie-
ben: den Apologeten des freien
Netzes. Die meisten Experten,
die sich tatsächlich mit dem In-
ternet auskennen, lehnen Ein-
griffe in dessen freie Infrastruk-
tur grundsätzlich ab. Wenn es
um Netzneutralität, die Wah-
rung der Anonymität oder Ver-
schlüsselung geht, spielen sie
sich als Kontrollinstanzen auf,
funktionierende Vorschläge zur
Lösung des Hassproblems ha-
ben sie nicht gemacht.
Dabei zeigt der Fall „8chan“
beispielhaft, dass die Utopie ei-
nes anonymen und unkontrol-
lierten Netzes widersinnig ist.
Die Infrastruktur des Internet-
ffforums ermöglicht anonymen,orums ermöglicht anonymen,
nicht nachverfolgbaren Aus-
tausch, ohne staatliche Ein-
griffsmöglichkeit. Die einzige
Kontrollinstanz: andere anony-
me Nutzer. Unter anderem der
Halle-Attentäter soll sich dort
herumgetrieben haben. Um den
reuigen Gründer aus einem
„Zeit Online“-Interview zu zi-
tieren: „Manche Dinge wie Kin-
derpornografie waren ja abzuse-
hen. Und das bekamen wir auch

einigermaßen in den Griff. Aber
dass Terroristen vor dem An-
schlag ihr Manifest posten? Das
hätte ich nie erwartet.“ Wer 2019
noch an Habermas’ deliberative
Demokratie glaubt, hat nie ei-
nen Blick in die Kommentar-
spalten des Internets geworfen.
Eine bessere theoretische
Grundlage bietet der viel ge-
scholtene Karl Popper. Dessen
kritischer Rationalismus plä-
diert nicht nur dafür, sich ver-
meintlichen Gewissheiten und
totalen Glaubenssystemen zu
verweigern. Der Kernsatz der
Theorie erinnert an eine im In-
ternet verloren gegangene Kul-
turtechnik, nämlich die „Ein-
stellung, die zugibt, dass ich
mich irren kann, dass du recht
haben kannst und dass wir zu-
sammen vielleicht der Wahrheit
auf die Spur kommen werden“.
Oder einfacher: nicht jeden
Blödsinn glauben, der im Inter-
net steht, und auch mal einen
Fehler zugeben. Und weil man
sich auch immer an den eigenen
WWWorten messen muss, ist jetztorten messen muss, ist jetzt
wohl der Zeitpunkt, einzuräu-
men, dass das eingangs zitierte
Einstein-Bonmot mit sehr hoher

WWWahrscheinlichkeit nicht vonahrscheinlichkeit nicht von
ihm stammt – der Autor dieses
Textes es aber bislang jahrelang
verwendete und verbreitete.
Und es gibt bei der Bekämp-
fung von Hass im Internet ein
letztes Problem, einen Zielkon-
flikt. Wer sich mit ihm ausei-
nandersetzt, kommt nicht um-
hin, ihm noch mehr Aufmerk-
samkeit zu verschaffen. Der
größte Erfolg des armseligen
Menschen, der die Grünen-Po-
litikerin Renate Künast übel be-
leidigte und dann recht bekam,
war nicht der juristische: Es
war die millionenfache Verbrei-
tung seiner widerlichen Beleidi-
gung in der Berichterstattung,
die hier deswegen nicht repro-
duziert wird. Jeder Retweet, je-
des direkte Zitat, jede herge-
schenkte Zitatüberschrift, die
mit Hass gefüllt wird, hebt die-
sen auf eine Bühne und lässt ein
Teil der Giftigkeit auf den neu-
en Absender übergehen. Die
Lösung kann nicht darin beste-
hen, Hass zu ignorieren, gerade,
wenn er zum Beispiel vom –
trotzdem zu oft zitierten – US-
Präsidenten kommt.
Es muss aber ein bewussterer
Umgang gelingen. Dabei sind al-
le beteiligten Akteure gleicher-
maßen gefragt: Der Staat muss
jenseits vom Rechtsprechungs-
kleinklein neue Sanktionen fin-
den – ohne in die Zensurfalle zu
tappen. Soziale Netzwerke und
Medien müssen konsequenter
gegen Hass vorgehen. Vor allem
aber ist die Präsenz der Zivilge-
sellschaft im Internet gefordert.
Im Kampf gegen den rasenden
Hass sollte der Igel aus Grimms
Märchen ein Vorbild sein. Der
Hase lacht den Igel für dessen
krumme Beine aus, woraufhin
dieser ihn zu einem Wettrennen
herausfordert. Der Igel hat im
Ziel seine Frau platziert, die
dem Hasen beim Einlauf zuruft:
„Ich bin schon hier.“ 73 Mal
rennt der Hase mit dem Igel um
die Wette, bevor er tot zusam-
menbricht.

TDer Autor leitet das Ressort
Community und Social
bei WELT

GETTY IMAGES

Hass zu


löschen ist


keine Zensur


Bisher ist es kaum gelungen,


verbale Gewalt im Netz


einzudämmen.


Viele Betreiber von Websites


löschen Leserkommentare –


und erhalten deshalb


„Zensur“-Vorwürfe


32 PANORAMA DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,12.NOVEMBER2019


EEEmdddennBBrrreeemmen Hamburrrgg
Hannooovvvveer

LLLeeipzig

Münssstttteer

RRoossssssttttttttoooocckk

Düsseldorrrff

Frrriieeeddrriicchhshafffeen

SSSaaaarrbbrückkkeen

KKKööln

Kiel

Münnchen

KKKaassel

Stutttttttggarrrtt

Beerrllin

DDrrrrrreeeeesssdddeenn
Frrraankkkffuurrrttt

Nüürrnnberrrgg

WELLLTTWETTER

DEUTSCHLANDHEUTE
Mittwoch


Norden

Mitte

Süden

Norden

Mitte

Süden

Norden

Mitte

Süden

Donnerstag

Freitag

DDDDDDDDDublinDDDuuuuuubbbbbbllililiiinininnn

BrüsselBBBBBBrrrrrrrüüüüüüüsssssssssssssssssseeeeeeelll

OOOOOOOOOOOOOOOOslossssssssssssslllllllloooooooooo

WWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWarschauaaaaaaaaaaaaaaaaarrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrssssssssssssccccccchhhhhhhaaaaauuuuuuu

BBordeauxBBBBBooooooorrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrdddddddddddddeeeeeeeeeeaaaaauuuuuuxxxxx

KKiewKKKKKiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeeewwwwwwwwww

MoskauMMMMMMooooooossssssskkkkkkkkkkkkkkkkkaaaaaaaaauuuu

SStockholmSSSSSSSSSStttttttttttttttttoooooooooooccccccckkkkkkkkkkkkkkhhhhhhhhhhhhhhhhhooooooolllmmmm SSSSSt.PetersburgSSSSSSSSSSttttttttttt.....PPPPPPPeeeeeeettttttttttttttttteeeeeeeeeeerrrrrrrrrrrrrrrrrrrssssssssssssbbbbbbbuuuuurrrrrrrrrrrrrrrrrrggggggggggggg
KopenhagenKKKKKKKKKKKKKKKKooooooooooopppppppeeeeeeennnnnnnnnhhhhhhhhhhhhaaaaaaaaagggggggggggeeeeeeennnnnnnnn

BerlinBBBBBBeeeeeeerrrrrrrlllliiiiiiinnnnn

HHHHHHelsinkiHeeeeeeellslslsssssiiinininiinnkkkkkkiiiii

WWWienWWWWiiiiiiieeeeeeennnnn
ZZZZZZZZürichZZZZZüüüüüüüüüüüüürrrrrrrrrrrrriiiiiiiiciiiicciiiiciccicccccccchhhhhhhhhh
NNNNNNNizzaNNiiiiiiiiiiiizzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzaaaaaaaaaa

LLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLondonooooooooooooooooooonnnnnnndddddddooooooonnnnn

PParisPPPPPaaaaarrrrrriiisisisissi

RRRRRRRRRRRRRomoooooooooooommmmmmmmmmmmm

AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAthenAAAAAtttttttttttttttttttttthhhhhhhhhhhhhhhhhhheeeeeeeeeeeeeeennnnnnnnnn

ZagrebZZZZZZaaaaaaagggggrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrreeeeeeeeeeeeeebbbbbbbbBudapest

BBBBBBBBBBBuuuuuuuuuuuudddddddaaaaappppppeeeeeeeesssssssssssssssssssstttttttttt

LLLLLLissabonLiiiiiiissssssssssssssaaaaabbbbbboooooooooooonnnnnnnnnnn

LLLLLLLLLLLasPalmasLLLLLLaaaaaaaaaaasssssPPPPPPPPPPPPPPPPPPaaaaaaaaaaaaaaalllmmmmmmmmmaaaaaaaasssss

BBBBBBBBarcelonaBBBaaaaaaaarrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrccccccccccccccceeeeeeelllllooooooonnnnnnnaaaaa

MMMMMMMMadridMMMMaaaaaaaddddddrrrrrriiiiiiiiiiiiidddddddddd

MMMMMMMMMMMMMalagaaaaaaaaaaalllllllaaaaaaaaaaaagggggggaaaaa
AAAAAAAlgierAAAAAAllllgllgglglgggggiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeerrrrrrrrrr


  • 9 bis- 5 - 4 bis 0 1 bis 56 bis 1011 bis 1516 bis 2021 bis 2526 bis 3031 bis 35 über 35


Hoch/Tief WWWaarmfront KKKaaltfront Okklusion WWWaarmluffftt KKKaaltluffftt

2 6

2 7

3 5

4 7

1 8

2 6

-2 5

0 3

1 3

IstanbulIIIIIIssssssssssssssssssssssssssssssssssssttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttttaaaaaaaaaaaaaaaaaannnnbbbbbbuuuuull

witter
kig
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kig
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(^77777777777777777777777) KKiieeeellll 44444444444444444444444
3
3
77 44
nn
l
8
3
(^882)
2
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(^832)
(^82)
7
2
8
3
(^81)
7
2
5
(^89)
7
7
11
9
8
7
4
8
12
16 8
7
11
24 22
16
15
15
16
13
13
16
16
25
23
23
23
21
11
11
11
11
19
(^2426)
19
(^82)
4
1
7
1
7
(^921)
9
2
8
3
(^62)
H T
PPPPPPalmaPPPPPaaaaaaaaaalmmmmmmaaaaa
TTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTunisuuuuuuuuuuunnnnnniiiiiisisisss
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