Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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von marie schmidt

M


anchmal legt sich ein Film über
die Welt und sie sieht aus, wie von
Nikolaus Heidelbach gezeichnet.
Nur die großen Illustratoren schaffen das,
die Dinge so zu zeigen, dass man sie auch in
der Wirklichkeit anders sieht. Bei Jean-
Jacques Sempé ist es zum Beispiel die Art
der Menschen, die Nase ein bisschen hoch
zu tragen, die sie im größten Trubel ausse-
hen lässt wie ganz mit sich alleine. Bei Hei-
delbach sind es die listigen, aufmerksamen
Seitenblicke seiner Figuren. Manchmal
auch komische Größenunterschiede zwi-
schen zwei Wesen. Die Verlorenheit einer
Gestalt in bombastischen Landschaften.
Details, von denen etwas Beunruhigendes
ausgeht in diesen Bildern, die oberflächlich
idyllisch wirken in ihren prächtigen Far-
ben, geometrisch stimmigen Proportio-
nen, mit den ligne-claire-haften, runden
Gesichtern und Gliedern seiner Figuren.
Genau kann man nie erkennen, woher
das Unheimliche in seinen Zeichnungen
kommt. Totenköpfe, Fratzen und Ungeheu-
er, das offensichtlich Gruselige, wirkt darin


  • wie auch das Frivole – eher karnevalesk.
    Jedenfalls haben diese Bilder etwas schwe-
    bend Hintergründiges, und daran kann es
    nur liegen, dass Heidelbach nicht noch be-
    rühmter ist für seine Kunst. Weil seine dop-
    pelten Böden die in Kinderbüchern domi-
    nierende Harmlosigkeit untergraben, und
    weil Erwachsene glauben, keine Bilderbü-
    cher lesen zu müssen, nimmt er eine merk-
    würdige Zwischenstellung zwischen den
    Genres ein. Und ist genau da wahnsinnig
    produktiv. Allein dieses Jahr sind vier Bü-
    cher mit seinen Illustrationen erschienen.
    An Werktagen zwischen neun Uhr mor-
    gens und sechs Uhr abends sitzt Heidel-
    bach am Schreibtisch in seinem kleinen
    Studio in einer ruhigen Wohnstraße. Vor
    sich eine schräge Zeichenfläche, rechts ein
    Aquarellkasten, linkerhand ein Fenster, da
    sieht er den Dachfirst gegenüber und den
    Turm der Sankt Bonifatius Kirche von
    Köln-Nippes. Wenn man dort klingelt,
    kocht er Tee und fängt an zu erzählen.


Etwa vom Märchenbuch des österreichi-
schen Schriftstellers Michael Köhlmeier,
das er gerade illustriert hat. 150 Kunstmär-
chen in fester Reihenfolge. Jede Geschich-
te habe er mindestens drei Mal gelesen
und dann haben sich an der Wand gegen-
über seines Schreibtisches die Zeichnun-
gen aneinander gereiht. Jedes Märchen ein
Motiv, manchmal nur eine Vignette,
manchmal eine ganze Seite. Der Rhyth-
mus, die Abwechslung seien entscheidend
für so ein Buch, sagt Heidelbach: „Außer-
dem kommen da über dreißig Teufel vor.
Und Köhlmeier schreibt ganz am Anfang,
dass der Teufel nie in der gleichen Gestalt
kommt. Also muss ich mir dreißig Teufel
ausdenken, die sich auch steigern.“
Rote Teufel, grüne Teufel, elegante und
lumpige Teufel, kleine Teufel, grobe Teu-
fel, bei näherem Hinsehen alle irgendwie
auch gequälte Kreaturen. Und es stimmt,
in Köhlmeiers Märchen ist der Teufel nie
„der ganz der Andere“, wie man in Bayern
sagt, sondern eher ein Spiegel der Men-
schen, ein Verhandlungspartner, der ihre
Gier herausbringt, sie ihre Möglichkeiten
überschätzen lässt.
Köhlmeier und Heidelbach sind beide
Künstler mit Sinn für das kleine Grauen in
der großen Normalität und damit ein idea-
les Gespann für so einen modernen Haus-
schatz. Der Schriftsteller hat in Radio und
Fernsehen klassische Märchen nacher-
zählt, und dann begonnen, die Form mit ei-
genen Geschichten zu füllen. So belebt er
das Märchen als Kunstform wieder. Wie in
den Volksmärchen sind fantastische Ele-
mente in seinen Märchen Hilfskonstrukte.
Ihre eigentlichen Motive sind existenzielle
Grundformen des Neids, der Grausamkeit
und Hinterlist oder der Fürsorge und Güte.
Ihr zentrales Stilmittel ist die Mündlich-
keit, eine väterliche Stimme meldet sich ab
und zu, versichert: „So war das, genau so“.
Von Nikolaus Heidelbach wiederum
gibt es Bücher mit wundervollen Illustrati-
onen zu Märchen aus aller Welt, Märchen
der Brüder Grimm und von Hans-Christi-
an Andersen. Köhlmeier schaffe etwas,
sagt der Zeichner anerkennend, das zum
Märchenerzählen unbedingt gehöre:
„Man muss alles zulassen“. Heidelbach zi-
tiert Dürrenmatt: Eine Geschichte sei erst
zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst-
mögliche Wendung genommen hat. „Man
muss das aushalten, eisern zu Ende zu er-
zählen, was vorne angelegt ist.“
Da zeigt sich eins der Geheimnisse von
Heidelbachs Kunst: Der Zeichner ist ein
enorm reflektierter Leser. Wobei er uner-
schrockene Urteile trifft: „Wer es nicht in-
nerhalb von zwei oder drei Seiten schafft,
mehr zu erzählen, als das was da steht, inter-
essiert mich nicht“. Und er liest viel, ist ein
bekanntermaßen Anhänger von Arno
Schmidt, bewundert Vladimir Nabokov
und Martin Mosebach und weiß über die
Gegenwartsliteratur Bescheid. Mit sech-
zehn habe er den Ehrgeiz entwickelt, „alles
zu kennen“, einen Überblick zu gewinnen,
bis sich die Dinge zusammenfügen, sagt er.
Aufgewachsen ist Nikolaus Heidelbach,
geboren 1955, in Braubach am Rhein als ei-
nes von fünf Geschwistern. Sein Vater, der
1923 geborene Karl Heidelbach, war Maler
im Stil des Verismus, der Neuen Sachlich-
keit, dem aus unerfindlichen Gründen der
ganz große Erfolg verwehrt blieb. Nikolaus
wuchs mit Bildern auf, alle Geschwister
zeichneten, aber nur er blieb dabei. Früh
habe es ihn zu den Cartoonisten gezogen,
erinnert er sich, „gleichzeitig wollte ich ein
anerkannter Künstler werden, unter Dürer
habe ich es nicht gemacht.“ Sein Vater habe
diese Einbildung ironisch und bestimmt
korrigiert. Als er anfing mit Bildern komi-
sche Geschichten zu erzählen, erkannte
der Vater sein Talent: „Da mach weiter“.

Aus einer großen Truhe in seinem Ar-
beitszimmer holt Heidelbach Frühwerke,
Bilderbögen, manche mit Bildunterschrif-
ten in eckigen Buchstaben. Darunter „Eine
Dreiecksgeschichte“, sie beginnt mit ei-
nem Mann mit Hut und kugelrunden Au-
gen: „Als der Junggeselle Gustav Sandhaus
eines Abends in seine Wohnung zurück-
kehrte, überraschte ihn ein ungewohnter
Anblick“ – Schwenk auf ein sehr plüschi-
ges Wohnzimmermöbel: „Auf seinem Ses-
sel lag ein kleiner Akt von vollendeter
Schönheit und begrüßte ihn freundlich.“
„Diesem Blatt“, sagt Heidelbach, „ver-
danke ich meine Karriere.“ Mit Anfang
zwanzig hatte er die Dreiecksgeschichte in
einer Kneipe in Köln ausgestellt. Eine Kolle-
gin seiner Mutter, die in einer Filmfirma ar-
beitete, kaufte sie und hängte sie in ihr
Schlafzimmer. „In dieses Schlafzimmer
muss irgendwann Ernst Brücher, der Verle-
ger von Dumont, gekommen sein“, sagt Hei-
delbach. Zu der Zeit lebte er in Berlin, ver-
folgte ein Studium der Germanistik und
Kunstgeschichte, das er in Köln angefan-
gen hatte. Als er vom Interesse des Verle-
gers hörte, glaubte er, Brücher wolle ihm
ein Bild abkaufen. Mit einer Auswahl seiner
Zeichnungen wurde er im Verlag in der Köl-
ner Breiten Straße vorstellig und breitete
sie im Büro des Verlegers aus. „Er ging auf
Strümpfen wie ein Storch zwischen diesen
Blättern lang“, erzählt Heidelbach, „und ich
dachte, meine Güte, so viel Aufwand wegen
einem Bild.“ Brücher setzte sich, zündete ei-
ne Zigarette an und fragte: „Welches Buch
wollen wir zuerst machen?“
So erschienen Heidelbachs erste selb-
ständige Publikationen „Bilderbogen“
1980 bei Dumont, später ergaben sich ähn-
lich enge Beziehungen zu den Verlegern
von Beltz & Gelberg und des Haffmans Ver-
lags. Keine Chance, Heidelbachs Werk, das
sich seitdem angesammelt hat, zusammen-
zufassen. Da sind seine Illustrationen zu
Geschichten von Christiane Nöstlinger,
Siegfried Lenz, Paul Maar und anderen.
Die Reihe, die er mit Wiglaf Droste und Vin-
cent Klink gemacht hat: „Wurst“, „Wein“,
„Weihnachten“ und andere Titel mit Tex-
ten und Bildern. Die Märchen und natür-
lich die vielen Kinderbücher, die Heidel-
bach geschrieben und illustriert hat.
Wobei man das Jahr 2019 ein repräsenta-
tives in seinem Schaffen nennen könnte.
Neben Köhlmeiers Märchen ist sein Bilder-
buch „Alma und Oma im Museum“ erschie-
nen. Die versierte Großmutter darin kann
in die Bilder im Walraff-Richartz-Museum
schlüpfen und sie der Enkelin von innen
heraus erklären. Bei diesem Buch hat er
mit Hilfe seines Sohnes zum ersten Mal di-
gital gearbeitet, um alte Meister und seine
Zeichnungen ineinander zu montieren.
Ein Überraschungserfolg wurde ein klei-
ner Band der Übersetzerin und Autorin So-
fia Blind mit dem Titel „Wörter, die es nicht
auf Hochdeutsch gibt“, dazu kommt Ende
des Jahres noch ein Buch mit Weihnachts-
geschichten und passenden Heidelbach-
Motiven im Kampa-Verlag.

Keine neuen Anlässe gibt es allerdings
in diesem Jahr für eine Diskussion, die ihn
seit seinen Anfängen verfolgt. Auf die Fra-
ge, was Kindern zuzumuten sei, reagiert
Heidelbach routiniert gereizt. In seinen Bü-
chern widerfährt Kindern nicht nur Gutes
und sie haben auch nicht nur Harmloses
im Sinn. Ein Klassiker seiner umstrittens-
ten Bilder stammt aus dem Band „Was ma-
chen die Jungs?“, einem Alphabet der Vor-
namen und Beschäftigungen kleiner Bu-
ben: „Igor hat Hunger“, „Lothar passt auf
seine Schwester auf“ und „Uwe übt“. Das
Bild zeigt einen Friedhof, auf dem sich Uwe
neben einer Grabplatte ein Rechteck aus
Zweiglein abgesteckt hat, auf dem er liegt
und tot sein übt. Bekannt ist auch der Fall
von Heidelbachs Kinderbuch „Rosel von
Melaten“, das mit dem Satz beginnt: „Vor ei-
niger Zeit warf in unserer Stadt nach ei-
nem Ehestreit ein Vater seine kleine Toch-
ter aus dem Fenster.“ Beltz & Gelberg, der
Verlag indem die meisten seiner Bilderbü-
cher erschienen sind, wollte das nicht dru-
cken, und es erschien im Atlantik Verlag.
Heidelbach hat also einige Erfahrung
mit ängstlichen Erwachsenen: „Die Bor-
niertheit, mit der sich Kindern gegenüber
verhalten wird, geht mir immer mehr auf
die Nerven. Da wird argumentiert, als sei-
en Kinder ästhetisch behindert. Dabei will
ich das Bild erstmal sehen, vor dem ein
Kind kapituliert. Das gibt es nicht, Kinder
gehen weg und es interessiert sie nicht,
aber es ist ihnen nichts zu schwierig.“ Als
Bruder, Babysitter, Vater und Großvater,
sagt Heidelbach, habe er viel Zeit damit ver-
bracht, Kinder zu beobachten. Aus dem,
was er ihnen abgeschaut hat und wie er
sich noch an sein eigenes Kinderdenken er-
innere, speisen sich seine Bilder.
Sein Zorn auf die Bedenkenträger
scheint milder, aber nicht weniger gewor-
den: „Mich stört einfach, dass jemand et-
was nicht sehen will, was klar vorhanden
ist, und was mich fasziniert.“ Und das ist
vielleicht das entscheidende Heidelbach-
Geheimnis: Dass die Freiheit, sich ohne
Vorbehalte faszinieren zu lassen, Erwach-
sene verunsichert, während sie Kindern
ganz selbstverständlich ist. Und diese Frei-
heit sieht man seinen Bildern mit den Jah-
ren immer deutlicher an.

Sofia Blind: Wörter, die es nicht auf Hochdeutsch
gibt. Mit Illustrationen von Nikolaus Heidelbach.
Dumont, Köln 2019. 111 Seiten, 18 Euro.
Céleste Blum (Hg.): Nichts als Weihnachten im
Kopf. Illustriert von Nikolaus Heidelbach. Kampa
Verlag, Zürich 2019. 224 Seiten, 24 Euro.
Nikolaus Heidelbach: Alma und Oma im Museum.
Beltz & Gelberg, Weinheim 2019. 42 S., 14,95 Euro.
Michael Köhlmeier: Die Märchen. Mit Bildern von
Nikolaus Heidelbach. Hanser Verlag, München


  1. 806 Seiten, 58 Euro ( limitierte, signierte Vor-
    zugsausgabe 200 Euro).


In jedem dritten US-Haushalt steht mittler-
weile ein Smart Speaker wie Google Home
oder Amazon Echo. Mit Alexa die Beleuch-
tung dimmen oder das Badewasser einlas-
sen, das klingt bequem. Doch die digitalen
Diener sind auch Überwachungswerk-
zeuge. Konzerne wie Apple, Amazon und
Google ließen Audiomitschnitte ihrer
Nutzer auswerten: Patientengespräche,
Drogengeschäfte, Sex – minutiös wurde
das Leben der Kunden protokolliert.
Der Journalist und SZ-Autor Adrian Lo-
be beschreibt in „Speichern und Strafen“,
wie wir uns mit smarten Gadgets unser
eigenes Datengefängnis zimmern. Künst-
liche Agenten tun, was Justizvollzugs-
beamte tun: Sie hören die Gefangenen ab,
führen klandestine Stubengänge und
Anwesenheitskontrollen durch. Google hat
ein Patent auf ein Smart Home ange-
meldet, das Zigarettenrauch erkennt und
den Fernseher sperrt, wenn die Bewohner
Schimpfwörter verwenden. Lobe zeigt, wie
die Codierung unseres Alltags die Grundla-
gen des Politischen verändert. Politische
Probleme werden in Technik, in einen
Modus der Informatik überführt und dem
Zugriff der bürgerlichen Öffentlichkeit ent-
zogen. Am Ende hat der Bürger nur noch
eine Wahl: die des Algorithmus. sz

Adrian Lobe: Speichern und Strafen. Die Gesell-
schaft im Datengefängnis. Verlag C. H. Beck, Mün-
chen 2019. 256 Seiten, 16,95 Euro.

Mal den Teufel an die Wand


Ein Studiobesuch bei dem großartigen Illustrator Nikolaus Heidelbach,


der die hellen Seiten des Menschseins so klar zeichnet wie die dunklen


Die Schriftstellerin Ursula Krechel erhält
für ihr literarisches Lebenswerk den Jean-
Paul-Preis 2019. Krechel, 1947 in Trier ge-
boren, lebt in Berlin. Ende der 1970er-Jah-
re trat sie mit Lyrikveröffentlichungen her-
vor. Neben Gedichten publizierte sie Thea-
terstücke, Romane, Hörspiele und Essays,
zuletzt erschien der Roman „Geisterbahn“
(2018). Der mit 15 000 Euro dotierte Jean-
Paul-Preis wird vom Freistaat Bayern alle
zwei Jahre vergeben. kna

Nach Plagiatsvorwürfen gegen die Autorin
Cornelia Koppetsch hat der transcript-Ver-
lag den Titel „Die Gesellschaft des Zorns“
aus dem Handel genommen. Der Verlag er-
klärte, man räume fehlende Quellenbelege
ein. Man gehe jedoch weiter davon aus,
dass das Buch ein eigenständiges Werk von
Koppetsch sei. Es solle in dritter Auflage
neu gefasst und auf den Markt gebracht
werden. Eine rechtliche Bewertung des Vor-
ganges stehe aus. Indes hat auch die Jury
des NDR Kultur Sachbuchpreises die Nomi-
nierung des Buches zurückgezogen. dpa

Vorsicht, dieser Gedichtband steht unter
sprachelektrischer Hochspannung! Er ist
derart aufgeladen, dass Lichtenberg-Figu-
ren entstehen. Ein einziges „Blitzgebüsch“,
zu dem auch Photooxidantien ihren Teil
beitragen: „baff und alert durch das Weiß,/
Weiß ist Raps, Curry, Dahlien, Chlor,
Dotter, Benzopyren,/aus allen Bahnen
fällst du, bist vollzählig, wirst gebettet/ zu
Ringfiltern, Dispersion“.
Es flip-flopt einem der Kopf, liest man
Karin Fellners „eins: zum andern“: Benzo-
pyren? Ringfilter? Weißer Curry? Hier
scheinen Dinge aufeinanderzutreffen, die
eigentlich nicht zusammengehören. Doch
seltsamerweise reagieren sie miteinander,
und sei es, dass sie nach einem kurzen aber
explosiven Zusammentreffen wieder – Dis-
persion – mit Lichtgeschwindigkeit ausein-
anderfliegen. Sprache macht’s möglich,
oder genauer: „Sprahahache, ach! Beweg-
tes Gefilde, ondulierter Wald.“ Karin Fell-
ner hört in der Sprache das Ach, erkennt in

der Störung den Stör und folgt mit ihm der
Strömung weiter zu „komischen, kosmi-
schen Ringen“. Dabei wirkt es so, als könn-
te sie nur mit Mühe das Brausen und Blub-
bern der Wörter unter Kontrolle halten –
souveräne, sprich gepflegt-langweilige
Meisterschaft sucht man in „eins: zum
andern“ zum Glück vergeblich. Die Münch-
ner Dichterin setzt sich in ihrem fünften
Band der Sprache, diesem verflixten Et-
was, vielmehr ganz ungeschützt aus.
„will nicht, kann“ schreibt ihre Kollegin
Barbara Köhler auf der Umschlagrücksei-
te, und genauso ist es: Fellner sucht nicht
die Entscheidung, das Ja oder Nein, die
Null oder Eins, sie hält es aus, im berühm-
ten Unentschiedenen zu verharren, in der
Hexenküche der Bedeutungen, denn gera-
de hier „in der Mitte von zweien wächst/ al-
lerlei Raues, ein Jux, eine Juxtaposition.“
So kommt in „eins: zum andern“ tatsäch-
lich eins zum anderen. Dort verbleibt es
nicht unbedingt, sondern geht, ja schießt
durch dieses Andere auch einfach mal hin-
durch. Da feuern, nein da „feiern“ die Lese-
Neuronen. „Weiter hinten sitzt die Skriben-
tin und kippelt.“ tobias lehmkuhl

Karin Fellner: eins: zum andern. Gedichte. Parasi-
tenpresse, Köln 2019. 68 Seiten, 10 Euro.

„Kinder gehen weg und es
interessiert sie nicht, aber es ist
ihnen nichts zu schwierig“

Jean-Paul-Preis 2019


an Ursula Krechel


Koppetsch-Buch


nicht mehr im Handel


Adrian Lobe über


das Datengefängnis


Flip-Flop im Kopf


So kosmisch wie komisch:
Karin Fellners Gedichte

Eines der Geheimnisse seiner
Kunst: Der Zeichner ist ein enorm
reflektierter Leser

„Weiter hinten sitzt die
Skribentin und kippelt“

(^12) LITERATUR Dienstag, 12. November 2019, Nr. 261 DEFGH
Einer der dreißig Teufel, die
Nikolaus Heidelbach für dasMär-
chenbuch von Michael Köhlmeier
gezeichnet hat (oben): Einem
jungen Baumeister bietet er seine
Hilfe an, wenn der ein Jahr
lang den Namen Gottes und aller
Heiligen nicht in den Mund
nimmt. In dem Buch über „Wörter,
die es nicht auf Hochdeutsch gibt“,
illustriert Heidelbach das
plattdeutsche „Miendientje“
(rechts). Es steht für den „Stab,
der an der Supermarktkasse die
Waren der Kunden voneinander
trennt“. In Nikolaus Heidelbachs
Bilderbuch „Alma und Oma
im Museum“ besuchen die
beiden zusammen das
Wallraf-Richartz-Museum
in Köln und die Oma
verschwindet in den Bildern
der alten Meister. Von innen
und übertragen durch den
Audioguide erklärt die Oma
der Enkelin, was sie sieht.
FOTOS: KÖHLMEIER, HEIDELBACH (HANSER) /
BLIND, HEIDELBACH (DUMONT) / HEIDELBACH
(BELTZ & GELBERG)
VON SZ-AUTOREN
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