Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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von christoph von eichhorn

K


limaschutz kann so einfach sein.
Manchmal braucht man dafür kei-
ne Windräder zu bauen oder Ver-
brennungsmotoren zu verbieten. Im Falle
von Mooren würde es reichen, die Natur
machenzulassen.Die Feuchtgebietestabi-
lisieren das Klima kostenlos. Sie bedecken
zwar nur drei Prozent der Erdoberfläche,
speichern aber so viel Kohlenstoff wie die
gesamte übrige Vegetation, von der Tun-
dra Sibiriens bis zu den tropischen Regen-
wäldern. Während tote Pflanzen an der
Luft rasch verrotten, das in Blättern, Ästen
undWurzelngebundeneorganischeMate-
rial also zu CO 2 umgewandelt wird, ist die-
serProzessinMoorengebremst.Weilinih-
nenWasserüberschuss herrscht,sinkenab-
gestorbene Pflanzen ab und bleiben kon-
serviert – ähnlich wie saure Gurken nicht
schlecht werden, solange sie in Flüssigkeit
eingelegtsind.IntakteMooresaugenTreib-
hausgase auf, statt sie abzugeben.

Man könnte daraus ableiten, diese Kon-
servengläser des Klimas tunlichst in Ruhe
zu lassen. Doch es geschieht eher das Ge-
genteil. Riesige Moore werden heute tro-
ckengelegt, um Platz für Ölpalmen, Soja-
bohnen oder weidende Tiere zu schaffen.
Seit 1850 hat die Erde rund 50 Millionen
Hektar Moore verloren, das entspricht fast
eineinhalb Mal der Fläche Deutschlands.
Bis 2100 könnten weitere zwölf Millionen
Hektar verloren gehen. Diese Entwicklung
könnte massive Folgen für das Klima ha-
ben, wie ein Forscherteam um Jens Leifeld
vom Schweizer Agrarforschungszentrum
Agroscope nun berichtet. Denn fallen
Moore trocken, verlieren sie nicht nur ihre
klimaschützende Wirkung – sie werden
selbst zu Treibhausgasquellen, da sich mit
einem Mal sehr viel pflanzliches Material
zersetzt. Im Fachblatt Nature Climate
Change haben die Forscher berechnet,
dass ausgetrocknete Moore zwischen 2015
und 2100 rund 170 Milliarden Tonnen CO 2
freisetzen könnten. Damit wären bis zu
41Prozent des verbleibenden Kohlenstoff-
budgets–alsodiegesamteMengeanEmis-
sionen, die man noch ausstoßen darf, um
die Erderwärmung zwischen 1,5 und zwei
Grad zu begrenzen – schon aufgebraucht.
JahrhundertelangwurdenSumpfgebie-
tevorallemaufderNordhalbkugelentwäs-
sert, etwa durch das Urbarmachungsedikt
von Friedrich dem Großen in Ostfriesland.
Noch in der Nachkriegszeit mussten etwa
im Emsland oder in der DDR Moorgebiete

für Ackerflächen weichen. Mittlerweile
trocknen die meisten Moore in den Tropen
aus, vor allem in Südostasien, um dort
Palmölplantagen anzulegen.
Global betrachtet ist der Punkt daher
längst überschritten, an dem man der Na-
tur ihren Lauf lassen könnte. Die Autoren
derStudieschätzen,dassdieTreibhausgas-
bilanz der Moore schon 1960 kippte und
sie zu CO 2 -Quellen wurden. Mittlerweile
bleibe nur noch, die trockengelegten Flä-
chen erneut unter Wasser zu setzen, will
man die Klimaziele von Paris noch einhal-
ten.Indennächsten30Jahrenmüsstenda-
fürjedesJahr1,5MillionenHektarehemali-
ge Moorflächen renaturiert werden.

Technisch gesehen wäre eine „Wieder-
vernässung“einfach,eswürdeausreichen,
Gräben zu schließen, Dämme zu bauen
oder Pumpen abzustellen. „Das kann
schnell gehen“, sagt Thomas Kleinen vom
Max-Planck-Institut für Meteorologie in
Hamburg.DasHauptproblemseiein ande-
res:„MitdemVerkaufvonPalmöloderTro-
penholz lässt sich Geld verdienen, wäh-
rendmandurchdasintakteMoorkeinEin-
kommen erzielt.“ Dennoch gibt es verein-
zeltErfolge.SostellteIndonesiennachver-
heerenden Moorbränden 2015 auf einer
Fläche von 800000 Hektar die Entwässe-
rung ganz oder teilweise ein. Trockene
Moore haben neben dem Schaden für die

Atmosphäre noch einen Nachteil: Sie gera-
ten leichter in Brand. Die Feuer sind
schwerzulöschen,dasieimTorfbodenun-
terirdisch weiter schwelen können.
Auch auf nassen Flächen sei Landwirt-
schaftmöglich,etwaaufsogenanntenPalu-
dikulturen, sagt Hans Joosten, Moorfor-
scher an der Universität Greifswald. „Man
muss dann eben Schilf anbauen.“ Es reiche
aber nicht, mit dem Finger auf die Staaten
Südostasiens zu zeigen, auch Deutschland
müssehandeln,betontJoosten.AufdieFra-
ge,obauchinNiedersachsenoderMecklen-
burg-Vorpommern aus Ackerflächen wie-
der Morast werden sollte, hat Joosten eine
klare Antwort: „Alles.“ Die komplette Flä-

che, die für die Landwirtschaft trockenge-
legt wurde, müsse bis 2050 in den ur-
sprünglichen Zustand zurückgeführt wer-
den. Sonst seien die Klimaziele nicht zu er-
reichen. Der Moorkundler schätzt, dass in
Deutschland etwa 1,2 bis 1,8 Millionen
Hektar wieder zu Mooren werden müssten


  • die Fläche von 25000 durchschnittli-
    chen Bauernhöfen. Dafür sei die Wirkung
    sehr groß. In der EU machten ausgetrock-
    nete Moore nur 2,5 Prozent der Fläche aus,
    seien aber für 25 Prozent der Emissionen
    aus der Landwirtschaft verantwortlich,
    sagt Joosten. „Für den Klimaschutz wäre
    es am einfachsten, sich auf diese wenigen
    Prozent Fläche zu konzentrieren.“


Als im Sommer die ersten amerikanischen
E-Zigaretten-Konsumenten mit schwerer
Atemnot in die Kliniken kamen, hing ein
Adjektiv besonders fest an den Beschrei-
bungen: mysteriös. Mittlerweile sind 2050
überwiegend junge und ansonsten gesun-
de Menschen an dem Lungenleiden er-
krankt, 39 gestorben. Die Vaping-Branche
ist in Aufruhr und sieht ihre Umsätze weg-
brechen. Dampfer sind weit überdieGren-
zender USA hinaus verunsichert. Nun aber
gibt es erstmals einen starken Hinweis,
was dieLungenbeschwerdenausgelöst ha-
ben könnte. Wie aus einer Untersuchung
der US-Gesundheitsbehörde CDC hervor-
geht,könntenVitamin-E-ZusätzeindenLi-
quids der elektronischen Geräte eine ent-
scheidende Rolle spielen.
Wissenschaftler hatten in zehnBundes-
staatenProbenausdenLungenvon29Pati-
entenentnommen.SiehattendazuFlüssig-
keitindasOrgangespült,anschließendab-

gesaugtundanalysiert.Inausnahmslosal-
len 29 Proben fanden sie Vitamin-E-Ace-
tat. „Es ist das erste Mal, dass wir eine po-
tenziell schädliche Chemikalie in biologi-
schen Proben von Patienten mit dieser
Krankheit gefunden haben“, schreibt die

Behörde.DasVitaministineinigenLebens-
mitteln, zum Beispiel in Speiseölen, und in
Kosmetika enthalten; es wird zudem als
Nahrungsergänzungsmittel angeboten. In
all diesen Produkten gilt es als unbedenk-
lich.Inhaliertaber,daslegenbisherigeStu-
diennahe,kannesdieLungenfunktionstö-
ren. Welcher biologische Mechanismus
hinter dem Prozess steckt, ist allerdings
noch nicht geklärt.

Offen ist auch, wieso das Vitamin über-
haupt in den E-Zigaretten war. Prinzipiell
könnte es nach Einschätzung der CDC zum
Verdicken derLiquids verwendetwerden–
oder aber zum Strecken von Öl, das den
Cannabis-Hauptwirkstoff THC enthält.
Die Droge stand von Anfang an im Visier
derBehörden.Bislanghaben86 Prozental-
ler Erkrankten angegeben, in den zurück-
liegenden drei Monaten THC-haltiges Öl
gedampft zu haben. In vielen Fällen hatten
sie den Stoff illegal beschafft, über Dealer,
über das Internet, von Freunden oder Be-
kannten.Unklarist,obdasVitamin-E-Ace-
tatauch in legalen Cannabis-oderanderen
Liquids enthalten ist. Der Markt ist in den
USA unübersichtlich und lax reguliert.
AuchindennunanalysiertenFlüssigkei-
ten aus den Lungen der Erkrankten fan-
den sich THC-Spuren. In 23 Proben konn-
tenWissenschaftlerdenCannabis-Inhalts-
stoff detektieren. Es ist nicht ausgeschlos-

sen, dass auch die übrigen Kranken THC in
ihren Geräten verdampft hatten, denn der
Stoff lässt sich in derartigen Proben nicht
so einfach nachweisen.
Die CDC betont, dass mit den Funden
aus den geschädigten Lungen allein noch
kein Beweis für die Ursache erbracht ist.Es
gab bei diesen ersten Tests keine Kontroll-
gruppe. Erst wenn gezeigt würde, dass ge-
sunde Dampfer keine oder wesentlich sel-
tener Vitamin-E-Spuren in ihren Lungen
haben, käme man einem Beweis nahe. Zu-
dem haben die Untersuchungen der Li-
quids bislang nicht in allen Fällen Vitamin
E finden können. Die CDC hält es für mög-
lich, dass es noch andere Ursachen für die
Lungenentzündungen nach der E-Zigaret-
tegibt.Aufeinesimmerhinhatsiesichzwi-
schenzeitlich festgelegt. Die Krankheit hat
jetzt einen Namen: EVALI, kurz für e-ciga-
rette or vaping product use-associated
lung injury. berit uhlmann

Mögen sich pubertierende Kinder ruhig
über das gemächliche Joggingtempo ihrer
Erzeuger lustig machen. Soll der Partner
doch von dem Bekannten schwärmen, der
mit Ende 50 den Marathon in dreieinhalb
Stunden absolviert, obwohl man selbst
nach dreieinhalb Kilometern schlapp
macht.InbeidenFällengilt:Nichtentmuti-
gen lassen, weitermachen – Hauptsache
laufen, denn Joggen ist in jeder noch so ge-
ringen Dosis gesund. Zu diesen Ergebnis-
sen kommen australische Sportwissen-
schaftler und Mediziner imBritish Journal
of Sports Medicine.
Zwar gilt es unter Ärzten wie Laien als
unbestritten, dass Sport – insbesondere
Ausdauertraining – etliche Krankheiten
verhindern und damit die Lebenserwar-
tung verlängern kann. Über die optimale
Dosis und Frequenz gehen die Meinungen
jedoch auseinander. Ein Team um Zeljko
Pedisic von der Victoria University in Mel-
bourne hat deshalb in einer Metaanalyse
untersucht,wie sich dieHäufigkeit und In-
tensität des Laufens auf die Sterblichkeit
auswirkt. Dazu haben sie die Daten von
mehrals 230000Erwachsenen aus 14 Stu-
dien ausgewertet, in denen die Teilnehmer
bis zu 35 Jahre nachbeobachtet wurden.
Auch wer nur ab und zu seine Jogging-
schuhe schnürt, tut sich demnach Gutes,
denn er kann mit einer um 27 Prozent ver-
minderten Sterblichkeit rechnen. Die
Sterblichkeit an Herzkreislaufleiden wie
Infarkt oderSchlaganfall wirddurchsLau-
fen sogar um 30 Prozent reduziert, jene an
Krebserkrankungenimmerhinum 23Pro-
zent. Sterben müssen zwar alle Menschen
irgendwann,inderEpidemiologiebezeich-
net die Sterblichkeit jedoch die Anzahl der
Todesfälleineinembestimmten Zeitraum.
Der überraschendste Befund der um-
fangreichen Untersuchung ist jedoch, dass
sich bereits eine geringe Dosis Sport äu-
ßerst günstig auf die Gesundheit auswirkt.
Selbstwer nureinmal die Wocheodernoch
seltener joggt, dabei nur eine halbe Stunde
läuft und in einem langsamen Tempo von
weniger als acht Kilometern pro Stunde,
profitiert von der Bewegung. Umgekehrt
habendieWissenschaftlerinihrerUntersu-
chung nicht feststellen können, dass eine
intensivereBelastungbesservorKrankhei-
ten und frühem Tod schützt.

„Jede Strecke, die man läuft, ist besser,
als nicht zu laufen“, schreiben die Autoren.
„Eine höhere Dosis führt in unserer Studie
aber nicht zu einer stärkeren Senkung der
Sterblichkeitundistdeshalbnichtzwangs-
läufig besser für die Gesundheit.“
Aus medizinischer Sicht gilt es als opti-
mal, sich zwei- bis dreimal pro Woche
schweißtreibend zu bewegen und dabei
aufmindestens 150Minuten Ausdauertrai-
ning zu kommen, egal ob es sich um Lau-
fen, Rudern, Walking, Schwimmen oder
Radfahren handelt. Eine Faustregel unter
Sportmedizinern besagt, dass Hobbyläu-
ferihrenHerzen,GefäßenundanderenOr-
ganenGutestun,wennsieohneÜberforde-
rung zehn Kilometer laufen können. Eine
Steigerung auf 20 Kilometer oder gar bis
zur Marathondistanz geht hingegen nicht
mit zusätzlichen Vorteilen für die Gesund-
heit einher. Womöglich ist sogar die Zehn-
Kilometer-Regel zu ambitioniert.
StattimTrainingsplanlangjährigerLäu-
fer die Kilometer-Zeit von sechs auf vier-
einhalb Minuten zu senken oder weitere
Teilnehmerrekorde bei Marathonveran-
staltungen anzustreben, wäre es medizi-
nisch sinnvoller, jene Menschen, die sich
bisher gar nicht sportlich betätigen, dazu
zu motivieren, sich regelmäßig zu bewe-
gen.Pedisicversprichtsichdavonerstaun-
licheWirkungen:„UnabhängigvonderDo-
sis würde es die Gesundheit der Bevölke-
rung verbessern und die Menschen länger
leben lassen, wenn mehr von ihnen laufen
würden.“ werner bartens

Die Substanz wurde womöglich
genutzt, um THC-haltiges
Cannabis-Öl zu strecken

Eine erste starke Spur


Vitamin E aus den Liquids der E-Zigaretten könnte für die Dampfer-Krankheit in den USA verantwortlich sein


Sich etwa dreimal pro Woche
schweißtreibend zu bewegen,
ist aus medizinischer Sicht optimal

Hauptsache


gelaufen


Bewegung bringt auch in geringer
Dosis gesundheitliche Vorteile

Kleine Fläche, große Wirkung


Moore binden riesige Mengen Kohlenstoff und halten den Klimawandel in Schach. Doch immer mehr


Feuchtgebiete müssen Plantagen weichen. Klimaforscher fordern nun ihre Renaturierung – auch in Deutschland


Sollten in Deutschland Millionen
Hektar Ackerland wieder
in Moore verwandelt werden?

(^14) WISSEN Dienstag, 12. November 2019, Nr. 261 DEFGH
Nicht überall sind Moore noch so intakt wie im Murnauer Moos: Das 23 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet gilt heute als bedeutendstes und ursprünglichstes
Moorgebiet des nördlichen Alpenvorlands. Es bietet etwa 900 Pflanzenarten und mehreren Tausend Tierarten einen Lebensraum. FOTO: GÜNTER GRÄF / MAURITIUS IMAGES
Die Vorfälle in den USA haben Dampfer
weltweit verunsichert. FOTO: AFP
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