Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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So können Sie den SZ-Wirtschaftsgipfel
online verfolgen:

Livestream: SZ und ntv übertragen den
Wirtschaftsgipfel im Netz, das gilt auch
für den Auftritt von Robert Habeck am
Dienstag (21 Uhr). Der Livestream lässt
sich über sz-wirtschaftsgipfel.de aufru-
fen.

Video: Wer ein Panel verpasst hat, kann
sichdiesesauchimNachhineinanschau-
en. Ebenfalls zu finden auf der Website
http://www.sz-wirtschaftsgipfel.de/entde-
cken.

Social Media: Verfolgen Sie die Tweets
unter dem Hashtag #SZGipfel. Auch auf
Linkedin finden Sie auf der Fokusseite
„SZ-Wirtschaftsgipfel“ spannende De-
tails zum Vor-Ort-Geschehen in Berlin.

vonthomasfromm

Berlin – Ana Brnabić ist Politikerin, aber
sie kennt auch die andere Seite. Dafür hat
sie lange genug in der Privatwirtschaft ge-
arbeitet. Ihr wichtigster Schwerpunkt in
Belgrad, seit sie im Juni 2017 zur serbi-
schen Ministerpräsidentin gewählt wurde:
die Digitalisierung der serbischen Verwal-
tung, die Digitalerziehung schon der ganz
KleineninderGrundschule,eineeinfache-
reundschnellerBürokratie.Dasmittelfris-
tige Ziel der 1975 geborenen, parteilosen
Betriebswirtin: ein EU-Beitritt ihres Lan-
des, irgendwann.
Insofern passt Ana Brnabić ganz gut in
diese Gesprächsrunde: Wenn Politik und
Wirtschaft gemeinsam an den komplizier-
ten Brüchen unserer Zeit arbeiten sollen,
dann trifft es sich nicht nur gut, wenn sehr
unterschiedlicheMenschenzusammensit-
zen, um das Thema zu besprechen. Es hilft
auch,wennMenschenwiedieserbischeMi-
nisterpräsidentin dabeisind,dieeherinGe-
meinsamkeiten denken als in Gegensät-
zen, weil sie gewohnt sind, die Perspekti-
ven zu wechseln.

Zum Beispiel beim Blick auf ein einfa-
ches Formular. Jene Bescheinigung, die
man unter anderem braucht, wenn man
als Arbeitnehmer in ein Mitgliedsland der
EU entsendet wird oder zu Geschäftsrei-
sen aufbricht. Das Papier, das klärt, wel-
chesSozialsysteminderEUfüreinenVersi-

cherten zuständig ist, heißt A1, und ist of-
fenbar keine Erfolgsstory. Zumindest
nicht für Dieter Kempf, den Präsidenten
desBundesverbandsderDeutschenIndus-
trie(BDI).Ersagt: „Wenn es hier einen gibt,
der eine A1-Bescheinigung ausfüllen kann


  • Respekt!“
    Soetwas bringtsicheren Beifallausdem
    Publikum.
    Auch die fränkische Familienunterneh-
    merin Angelique Renkhoff-Mücke sieht
    Versäumnisse in der Politik. Die Rahmen-
    bedingungen der vergangenen Jahre seien
    zwar „angenehm“ gewesen. Schade nur,
    dass man nicht genug „vorgebaut“ habe.
    Denn: „Irgendwann kommt der Moment,
    an dem es wieder kippt.“ Und dann stehe
    man da, mit seinen schwierigen A1-Be-
    scheinigungen, den hohen Steuern, der
    komplizierten Bürokratie und all den vie-
    len und langen Genehmigungsfristen. Sie
    willwissen:„WasisteigentlichunsereVisi-
    on? Wo wollen wir im Jahre 2025 stehen?“
    BDI-Chef Kempf sagt es so: Die Hochkon-
    junktur der vergangenen Jahre seien ein-
    fach „verpennt“ worden. Kempf mag klare
    Worte, das hat der Bayer immer schon so
    gehandhabt.Stimmungsmachegegen gro-
    ße SUV? Da macht er nicht mit. Die großen
    Geländekisten würden ja nicht gekauft,
    weil sie produziert werden. Sondern an-
    dersherum: Jemand baue sie halt, weil sie
    nachgefragt würden.
    Ana Brnabić hat da gerade ganz andere
    Themen. Sie kommt aus einem Land, das
    in diesen Jahren große Sprünge macht
    nach den großen Konflikten der vergange-
    nen Jahrzehnte. Vielleicht ist es auch so,
    dass sie die Sorgen der anderen ganz gerne
    hätte. „Deutschland ist ein großes Pro-


blemfüruns“,sagtsie.Denn:„Dagehenun-
sere besten Leute hin.“ Immerhin. Es sind
Menschen, die in Serbien fehlen. „Brain
drain“ nennt man es in der Wirtschaft,
wenn junge, gut ausgebildete Leute nicht
im eigenen Land bleiben, sondern auf der
Suche nach Jobs auswandern. Und junge
Serben mit Uni-Abschluss suchen ihr
Glückoft in Deutschland, wo siesich inter-
essanteGehälterundAufstiegschancener-
hoffen. Andererseits: Deutsche Unterneh-
men beschäftigten auch 60000 Menschen
in Serbien, und das bei sieben Millionen
Einwohnern. „Je stärker Deutschland ist,
desto glücklicher sind wir“, sagt die serbi-
sche Ministerpräsidentin. A1-Formulare,
Reformstau, lange Fristen? Na ja.

Angelique Renkhoff-Mücke, 56, hört
aufmerksamzu.SieistVorstandsvorsitzen-
de des auf Sonnenschutz spezialisierten
Unternehmens Warema Renkhoff SE. Sie
ist Verhandlungsführerin der bayerischen
Metall- und Elektro-Arbeitgeber, und für
jemanden wie sie sind dies nicht die Zeiten
hoher Lohnabschlüsse. Es ist die Stunde
der Wettbewerbsfähigkeit, so die Unter-
nehmerin. Die Konkurrenz schläft nicht.
Da passen Kempf und Renkhoff-Mücke
ganz gut zusammen: Die Wirtschaft macht
schon ihren Teil. Aber die Politik muss
auch etwas dafür tun, damit der Standort
interessant und lukrativ bleibt.
Nun ist es die Politikerin aus Serbien,
die interessiert in die Runde schaut.

Deutschland und Serbien mögen nicht
wirklich unddirekt vergleichbar sein.Aber
es gibt einiges, was man voneinander ler-
nen kann.
Einer, der Serbien ganz gut kennt, ist
der Siemens-Vorstand Michael Sen, Jahr-
gang1968.UnteranderemhatereinWind-
turbinenwerkinSerbien.„DasZusammen-
spielvonPolitikHandinHandmitderWirt-
schaft ist das beste Rezept“, sagt er. Ener-
giewende,Klimawandel,erneuerbareQuel-
len: Ohne die Politik kann auch er nicht.
Auch für Sen haben sich die Zeiten geän-
dert. Er hatte noch eine der klassischen
Stammhauslehren bei Siemens gemacht.
Als Siemens-Vorstand ist er unter ande-
rem für die Medizintechnik zuständig,
schonimnächstenJahrabersollerdasgro-
ße Energiegeschäft von Siemens unter
dem Namen Siemens Energy an die Börse
bringen. 30 Milliarden Euro Umsatz, mehr
als 80000 Mitarbeiter – Sen wird Herr
über eine Siemens-Abspaltung, die unge-
fähr ein Drittel des heutigen Gesamtkon-
zerns ausmacht. Was jemand wie Sen bei
alldemvorallembraucht,isteineverlässli-
che Politik.
Da laufen die Dinge in Belgrad auch
nichtvielanders.Siehabelokaleundgloba-
le Herausforderungen, sagt Ana Brnabić,
die zuhause zwischen vielen Stühlen sitzt.
AlsdasLandseineGesprächeübereinFrei-
handelsabkommen mit der von Russland
geführten Eurasischen Union vertiefte,
war Brüssel skeptisch. Die Serbin versteht
die Aufregung nicht – für sie sei es „wich-
tig, Partnerschaften auf der ganzen Welt
zuhaben“,sagte sie neulich in einem Inter-
view.DieWeltistim Umbruch, damitmuss
auch sie klar kommen.

haben deutsche Unterneh-
men in Serbien, einem Land
mit sieben Millionen Einwoh-
nern. Für Serbien ist Deutsch-
land auch der wichtigste
Handelspartner. Von
Siemens bis zum Autozuliefe-
rer Leoni – die Unternehmen
schätzen die geografische
Nähe und gut ausgebildete
Mitarbeiter. Allerdings verlas-
sen junge, gut ausgebildete
Leute häufig das Land; das
Nettodurchschnittseinkom-
men liegt derzeit bei rund
375 Euro im Monat. Auch
deshalb setzt Ministerpräsi-
dentin Ana Brnabić auf die
Digitalisierung. Sie sagt:
„Serbien war nicht unter den
Gewinnern der dritten indus-
triellen Revolution, deshalb
sollten wir dafür kämpfen, zu
den Gewinnern der vierten
Revolution zu gehören.“

Live dabei


Die Unternehmen
dieses Landes
haben äußerst wenig Grund
zum Klagen.“

Klaus Ernst, Linkspartei

Der Höhepunkt
der Reise nach Berlin
ist der Rückweg
nach Bayern.“

Markus Söder,
Ministerpräsident von Bayern

Die AfD
appelliert gegen alles,
was Deutschland
aus meiner Sicht stark
gemacht hat.“

Stephan Weil, Ministerpräsident
von Niedersachsen

„Wenn man zu allem
Nein sagt, wird man als
Industrienation
nicht bestehen.“

Armin Laschet, Ministerpräsident
von Nordrhein-Westfalen

Es wäre völlig
unrealistisch zu sagen,
dass wir innerhalb
der nächsten zehn Jahre
weltweit auf den
Verbrenner verzichten.“

Ola Källenius,
Daimler-Vorstandschef

Wir haben die
letzten zehn Jahre
Hochkonjunktur
verpennt.“

Dieter Kempf, BDI-Präsident

Je besser
es Deutschland geht,
desto besser
geht es uns.“

Ana Brnabić,
Premierministerin von Serbien

60000

Beschäftigte


Gilian Tans , Jahrgang 1970, Vorstandsche-
fin der Reisevergleichs-und Buchungs-
webseite Booking.com, sieht keinen Nach-
teil darin, dass ihr Unternehmen von Euro-
pa aus gestartet ist. Gerade das – mit
mehreren Sprachen und Währungen um-
zugehen – habe dem Unternehmen bei
der späteren Expansion sehr geholfen,
sagt Tans(FOTO: J. SIMON). Was in Europa
allerdings fehle, sei das Kapital, damit
Unternehmen wachsen können, vor allen
Dingen international, sowie Digitalexper-
tinnen. Deutschland sei insgesamt schon

besser geworden. Es gebe hier inzwischen
mehr Start-ups und auch Börsengänge
wie etwa den von Teamviewer. „Die Dinge
bewegen sich“, sagte Tans, aber auch die
Entwicklung außerhalb Europas gehe
sehr schnell vonstatten, daher könne man
schon von einem digitalen Notstand spre-
chen. Die Datenschutzgrundverordnung
hält die Niederländerin dagegen nicht für
einen Wettbewerbsnachteil. „Die Unter-
nehmen brauchen Regulierung, damit die
Bedingungen für alle gleich sind.“ Sie
warnte davor, sich vor Innovation zu
fürchten. Künstliche Intelligenz sei die
Zukunft. Die Länder der EU hätten in
dieser Hinsicht viel zu bieten, dieses Po-
tenzial müsse man nutzen. Nicht immer
aber brauche es für alles neue Wege. „Erst
einmal müssen doch die alten Methoden
funktionieren. Man kann auch mit den
herkömmlichen Mitteln viel tun.“ Gilian
Tans hatte vor ihrer Karriere schon in der
Hotel- und Reisebranche gearbeitet, dann
wagte sie den Schritt und ging 2002 als
fünfte Mitarbeiterin zu dem damals noch
sehr kleinen Unternehmen Booking. Das
wuchs dann allerdings sehr schnell und
Tans legte eine ziemliche Blitzkarriere
hin. 2011 wurde sie Leiterin des Tagesge-
schäfts, 2015 wurde sie zur Präsidentin
ernennt, 2016 folgte sie überraschend
Darren Huston als Chefin nach. ma

Markus Haas , Jahrgang 1972, Chef von
Telefónica/O2 Deutschland, hat ein Pa-
pierproblem: „Wir haben immer noch
Kunden, die ihre Rechnung auf Papier
haben wollen“, sagte Haas auf die Frage,
ob es in Deutschland einen digitalen Not-
stand gebe, also einen kaum noch aufzu-
holenden Rückstand bei der Digitalisie-
rung. „Ich kenne keinen CEO, der sein
Unternehmen nicht auf die neuen Zeiten
vorbereitet“, sagte er, aber die Menschen
müssten da auch mitziehen. Haas(FOTO: J.
SIMON)wünscht sich von der Politik bessere

Rahmenbedingungen. Etwa, dass in Zu-
kunft keine Auktionen mehr für Mobil-
funk-Frequenzen abgehalten, sondern
mit Auflagen zur Verfügung gestellt wer-
den. Die jüngste Auktion des ersten Pak-
tes der 5G-Frequenzen sei „ein Desaster“
gewesen. „Das hätten wir vermeiden kön-
nen.“ Die Konsequenz sei nun, dass es mit
dem Ausbau des schnellen Mobilfunks in
Deutschland langsamer vorangeht. Die
Länder mit den besten Netzen, zum Bei-
spiel in Skandinavien, „hatten nie Auktio-
nen“, sagte Haas. Er wollte aber auch
nicht alles auf die Politik schieben: „Wir
müssen uns auch selbst noch mehr an-
strengen.“ Da hat er recht: Telefónica
muss bis Jahresende noch jede Menge
4G-Masten errichten. Dazu hatte sich das
Unternehmen gegenüber der Bundesnetz-
agentur verpflichtet. 7000 Basisstationen
hat man dieses Jahr schon aufgebaut –
mehr als im gesamten Vorjahr. Um das
Ziel – 10000 Stationen – zu erreichen,
müssen die Techniker des Unternehmens
allerdings noch mächtig Gas geben. Im-
merhin laufen die Geschäfte von Telefóni-
ca recht ordentlich. Im Kerngeschäft er-
reichte das Unternehmen das stärkste
Wachstum seit der Fusion mit E-Plus, die
nicht nur viele Milliarden kostete, son-
dern auch eine langwierige und kostspieli-
ge Integration nach sich zog. ma

Philipp Justus , Jahrgang 1970, Deutsch-
landchef von Google, ermutigt die Konkur-
renz, sein Unternehmen und andere US-
Konzerne mit neuen Ideen herauszufor-
dern. Nichts zu tun, weil es schon Amazon
oder Google gebe, sei grundverkehrt, sagt
er. „Man muss stattdessen schauen, wo
die Großen Lücken lassen“, fordert Justus
(FOTO: J. SIMON). Die große Frage sei, wie alle
von der digitalen Revolution profitieren
könnten, „das war ja ein großes Verspre-
chen des Internets“. Damit das auch funk-
tioniere, müsse man sich Regeln geben.
Deutschland sieht der Google-Manager
auf diesem Gebiet im Mittelfeld, „aber da
wollen wir doch eigentlich nicht sein“. Es
gebe aber auch hier gute Beispiele für
erfolgreiche Start-ups, jedoch sagten zwei
Drittel aller Unternehmen, dass ihnen die
Mitarbeiter mit den nötigen digitalen
Fähigkeiten fehlten und sie deshalb nicht
schnell genug vorankämen. „Da müssen
wir schnell handeln“,
um etwa die Lehr-
pläne zu ändern.
Justus führt Google
Deutschland seit
2013, davor hat er
mehrere Führungspo-
sitionen in der Digital-
branche in Deutsch-
land bekleidet. ma

SZ-WirtschaftsgipfelWie Politik und Wirtschaft mit den Umbrüchen in der Welt umgehen


Da schau her


Die Sorgen von Serbien sind nicht die Sorgen der deutschen Industrie. Aber Politik und Wirtschaft können doch etwas voneinander lernen,
gerade weil sie unterschiedliche Perspektiven auf die gleichen Probleme haben – zum Beispiel das Formular A

„Wenn es hier einen gibt,
der eine A1-Bescheinigung
ausfüllen kann – Respekt!“

„Das Zusammenspiel von
Politik Hand in Hand mit der
Wirtschaft ist das beste Rezept.“

DEFGH Nr. 261, Dienstag, 12. November 2019 (^) WIRTSCHAFT 17
Was braucht Deutschland, um
voranzukommen? Weniger
Bürokratie, da waren sich
nicht nur Unternehmerin Ange-
lique Renkhoff-Mücke und
BDI-Präsident Dieter Kempf
einig (unten links). Michael
Sen von Siemens (oben links)
treibt die Energiewende um.
Serbiens Ministerpräsidentin
Ana Brnabić (großes Bild,
links) sorgt sich um die Abwan-
derung junger Menschen. Nie-
dersachsens Ministerpräsi-
dent Stephan Weil und sein
bayerischer Amtskollege Mar-
kus Söder wollen die Koalition
fortsetzen. Zwischen den bei-
den: SZ-Chefredakteur Wolf-
gang Krach.FOTOS: RUMPF, SIMON
Out of Europe als Startvorteil Nichts tun ist falsch Nie mehr Desaster
PERSONALIEN

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