Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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von florian flade und
max hoppenstedt

Berlin – Es ist ein großes Versprechen, das
die Hannoveraner Firma ihren Kunden
macht: Der E-Mail-Anbieter Tutanota
wirbt damit, der „weltweit sicherste
E-Mail-Service“ zu sein. Das Start-Up bie-
tetverschlüsselte E-Mail-Kommunikation
an. Sechs Millionen Kunden hat die Firma
nach eigenen Angaben inzwischen, die auf
dieses Sicherheitsversprechen vertrauen.
Doch am 2. Oktober 2018 landete ein
Schreiben vom Amtsgericht Itzehoe im
BriefkastenvonTutanota.NachInformati-
onenvonNDR,WDRundSüddeutscher Zei-
tungforderte das Gericht Geschäftsführer
Matthias Pfau auf, die E-Mails seines
Dienstes unverschlüsselt und in Echtzeit
der Polizei zur Verfügung zu stellen. Ha-
ckererpresstenmitSchadsoftwaremehre-
re in Schleswig-Holstein ansässige Betrie-
be. Und sie nutzten dafür eine E-Mail-
Adresse von Tutanota. Die Ermittler woll-
tendie E-Mailsmitlesen,umdenCyberkri-
minellen auf die Spur zu kommen.

Der Fall zeigt einen Konflikt, der sich in
den vergangenen Jahren verschärft hat:
Kriminelle nutzen verschlüsselte oder be-
sonders geschützte Kommunikationswe-
ge, die Strafverfolger schwer überwachen
können.EtwaMessengerdienstewieWhat-
sapp, Telegram oder Krypto-Mails wie je-
nevonTutanota.DasFBInenntdasPhäno-
men „going dark“, bisherige Überwa-
chungspraktiken der Ermittler greifen
nicht. So führt Verschlüsselung zu einem
StreitzwischenSicherheitsbehörden,Poli-
tikern und Datenschützern.
Die einen wollen, dass Kommunikation
nicht zu sicher wird, sodass sie weiterhin
Verdächtigeüberwachenkönnen.Dieande-
ren wollen, dass mehr Daten verschlüsselt
werden,umBürgerundUnternehmenbes-
servorKriminellen,SpionageunddemDa-
tenhunger der Tech-Konzerne zu schüt-
zen. Die Bundesregierung jedenfalls sah
KryptografielangesogaralsWettbewerbs-
vorteil und gab das Ziel aus, Deutschland
zum „Verschlüsselungsstandort Nummer
eins“ zu machen.
Tutanotas Dienst funktioniert so: Wenn
zwei Nutzer sich eine Mail schreiben, wird
dieseautomatischmitderbesonderssiche-
ren Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung ge-
schützt. Nur Sender und Empfänger kön-
nen die Nachricht lesen. Mail-Anbieter wie
Google oder Gmx haben einen solchen
Schutz nicht. Wenn ein Kunde eine E-Mail
von einer Person bekommt, die keinen Tu-
tanota-Account hat, dann verschlüsselt
das Unternehmen laut eigenen Angaben
die Nachricht zumindest automatisch, so-
bald sie auf ihren Servern landet.
Genau das wollte das Amtsgericht Itze-
hoe nach Informationen von NDR, WDR
undSZnicht hinnehmen. In dem Schrei-

ben vom Oktober 2018 forderte es von Tu-
tanota, die gesamten Inhalte der E-Mails
herauszugeben, die nicht ende-zu-ende-
verschlüsselt sind. Firmenchef Pfau und
seine Kollegen weigerten sich zunächst.
„Ich habe die Forderung für falsch gehal-
ten, als das Schreiben bei uns ankam, und
ich halte sie bis heutefür falsch“,sagt Pfau.
Fünf Monate später entschied das Ge-
richtaber,dassTutanotadieDatenheraus-
geben muss, und verhängte eine Strafe in
Höhevon1000Euro.„DieKern-DNAunse-
res Unternehmens ist Datenschutz“, sagt
der Geschäftsführer. Jetzt muss Tutanota
für die Strafverfolger eine neue Funktion
programmieren: Wenn für einen Account

eine gültige Anordnung eines deutschen
Gerichts vorliegt, kann das Unternehmen
zusätzlich eine Kopie der E-Mails erstel-
len, die auch die Ermittler lesen können.
Mails mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
könnensieweiterhin nichtlesen.„Ich wür-
demichlieberumerweiterteDatenschutz-
funktionen für unsere Kunden kümmern,
alsumerweiterteZugriffsrechtefürdieBe-
hörden”,sagt Matthias Pfau.Natürlichhal-
teman sich aberandiegesetzlichenVorga-
ben und kooperiere mit den Behörden.
Welche Daten E-Mail-Anbieter weiter-
gebenmüssen, regeltdasTelekommunika-
tionsgesetz (TKG). Es stammt aus einer
Zeit,inderesnochkeineSmartphonesund

Krypto-Mailsgab.DamalsbedeuteteÜber-
wachung, dass ein Telefonanbieter der Po-
lizei einen Zugang zur Leitung freischaltet.
„DasProblemist,dassdieMitwirkungs-
pflichten,diedasTKGdenProvidernaufer-
legt, relativ unscharf formuliert sind“, sagt
Ulf Buermeyer, Jurist und Mitgründer der
Gesellschaft für Freiheitsrechte. „Gerade
im Technikbereich finde ich es sehr wich-
tig, dass die Gesetze präzise formuliert
sind und genau beschreiben, was erlaubt
ist und was nicht.“
Wenige Monate, nachdem Tutanota
Post vom Itzehoer Amtsgericht bekom-
men hatte, traf das Bundesverfassungsge-
richt eine Grundsatzentscheidung zum

TKG. Der Berliner E-Mail-Anbieter Posteo
hatte dagegen geklagt, IP-Adressen von
Kunden an Strafverfolger herauszugeben.
Die Firma, die mit besonderer Datenspar-
samkeit wirbt, speichert diese Adressen
nämlichgarnicht.EndeJanuar2019urteil-
ten die Richter aber, dass Posteo die Daten
nun speichern und herausgeben muss.
Nach diesem Urteil entschied auch Mat-
thias Pfau, sich nicht weiter gegen die For-
derung vom Amtsgericht zu wehren. We-
gen der weitgefassten Gesetzesgrundlage
glaubt auch Ulf Buermeyer, dass Tutanota
juristisch keine Chance gehabt hätte. Des-
halbkomme es „eherselten dazu, dasssich
ein Provider in solchen Fällen wehrt“.

Brüssel – Bei einer Tochter der Swedbank
warenes135MilliardenEuro,beiderDans-
ke Bank 200 Milliarden Euro – bei den
Geldwäsche-Skandalen, die zuletzt in Eu-
ropa aufflogen, ging es jeweils um enorme
Summen.DieMilliardenkonntenausdubi-
osen Quellen ins Finanzsystem einge-
schleustwerden,weilBankenundnationa-
le Aufseher nicht genau genug hinschau-
ten. Um die Kontrollen zu verbessern, for-
dern Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) und seine Amtskollegen aus Frank-
reich, Italien, Spanien, den Niederlanden
undLettlandnundenAufbaueinerEU-An-
tigeldwäschebehörde.
In ihrem vierseitigen Diskussionspa-
pier, das derSüddeutschen Zeitungvor-
liegt,schreibensie,dassesfüreineeinheit-
liche und wirksame Kontrolle von Geldwä-
scheundden KampfgegenTerrorfinanzie-
rung in Europa notwendig sei, „einen zen-
tralen Aufseher zu schaffen, der nationale
Aufseher ersetzen und unabhängig über-
wachen kann“. Mit dem Thema Geldwä-

sche sollen sich die EU-Finanzminister bei
ihrem Treffen im Dezember befassen; ge-
plant ist auch ein Beschluss dazu. Der Ent-
wurf dieser Entschließung fordert die EU-
Kommission auf, den Nutzen solch einer
Aufsichtsbehörde zu prüfen und gegebe-
nenfalls einen Vorschlag zu erarbeiten.
Bislang überwachen nationale Behör-
den, ob sich Banken ausreichend dagegen
wappnen, dass Kunden Schwarzgeld oder
GewinneausdunklenGeschäftenindenle-
galen Finanzkreislauf einspeisen. In
Deutschland ist die Bundesanstalt für Fi-
nanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zu-
ständig.DieEuropäischeBankenaufsichts-
behörde (EBA) in Paris koordiniert nur die
Arbeit der nationalen Kontrolleure und
kann Untersuchungen einleiten, wenn et-
was schiefläuft. Im Frühjahr beschlossen
dieMitgliedstaaten, derEBA nachden auf-
gedeckten Skandalen mehr Kompetenzen
zu geben, schreckten jedoch vor der Schaf-
fungeinermächtigenAnti-Geldwäschebe-
hördeaufEU-Ebenezurück.SolcheineAuf-

sicht verlangen dagegen die Kommission
und viele Abgeordnete im Europaparla-
ment.
DassjetztzumindestsechsFinanzminis-
ter umschwenken, freut Markus Ferber,
den wirtschaftspolitischen Sprecher der

Christdemokraten im EU-Parlament:
„Beim Kampf gegen Geldwäsche im euro-
päischen Finanzsektor liegt einiges im Ar-
gen“,sagtderCSU-Politiker.„DieKoopera-
tion zwischen den zuständigen Behörden
funktioniert hinten und vorne nicht –

nicht innerhalb der Mitgliedstaaten und
schon gar nicht grenzüberschreitend.“ Es
sei daher richtig, die Befugnisse auf EU-
Ebene zu bündeln.
Ferbers düstere Diagnose wird von der
EU-Kommissiongeteilt.ImSommerveröf-
fentlichtedieBrüsslerBehörde eineUnter-
suchung zur Wirksamkeit der Regeln ge-
gen Geldwäsche. Die Kommission klagte,
die EU-Vorschriften würden nicht in allen
Staaten gleich hart angewandt; Zuständig-
keiten seien zersplittert, die Zusammenar-
beit sei manchmal ineffizient.
Dem Problem, dass die Staaten Brüssels
Vorgaben nicht einheitlich umsetzen, wid-
met sich auch das Papier der Finanzminis-
ter. Bisher regelt die EU den Kampf gegen
Geldwäsche und Terrorfinanzierung mit
Direktiven. Diese Rechtsakte geben Ziele
vor, lassen den Staaten aber Spielraum bei
derkonkreten Ausgestaltung. Die Minister
fordern,diewichtigstenFragensolltenbes-
ser von Verordnungen abgedeckt werden.
Anders als Direktiven müssen EU-Verord-

nungen eins-zu-eins umgesetzt werden,
ohne Spielraum.
Nationale Aufsichtsbehörden sollen
dem Diskussionspapier zufolge weiter be-
stehen,dochwürdensiederneuenEU-Ein-
richtung unterstellt. Diese überwacht de-
ren Arbeit und kann bestimmte Banken
auchdirektkontrollierenundEntscheidun-
gen über die Institute fällen, wenn sie das
den untergebenen Behörden nicht zutraut.
Die EU-Institution soll zudem unabhängig
vonMitgliedstaatensein–daswäreeinRie-
senunterschiedzurEuropäischenBanken-
aufsichtsbehörde (EBA), in deren Verwal-
tungsrat Vertreter der nationalen Aufsich-
ten sitzen. Die sechs Minister können sich
allerdingszweiOptionen vorstellen: Entwe-
der wird eine neue EU-Behörde geschaf-
fen, diesich nurum Geldwäschekümmert,
oder die EBA wird gestärkt und weiterent-
wickelt, so dass sie diese Rolle überneh-
men kann. Bevor es vorangeht, müssen
abererstdieanderen22Finanzministerzu-
stimmen. björn finke

Finanzminister fordern EU-Behörde gegen Geldwäsche


In Europa ist es leicht, Schwarzgeld in den legalen Finanzkreislauf einzuspeisen. Eine zentrale Aufsicht soll den Kampf dagegen erleichtern


Die Bundesregierung
sah Verschlüsselung lange
sogar als Wettbewerbsvorteil

Durch die Vordertür


Behörden zwingen einen deutschen E-Mail-Anbieter, die Nachrichten seiner Kunden ungeschützt
weiterzugeben. Dabei ist eine besonders sichere Verschlüsselung die Geschäftsgrundlage der Firma

Berlin – Die deutsche Klimabilanz dürf-
te in diesem Jahr noch einmal deutlich
besser ausfallen als 2018. Grund dafür
ist ein regelrechter Einbruch beim
Kohlestrom. Wie aus neuen Zahlen der
Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen
hervorgeht, sackte allein der Verbrauch
an Braunkohle in den ersten neun Mona-
ten um 21,7 Prozent ab. Grund dafür ist
unter anderem die gedrosselte Förde-
rung im Tagebau Hambach, aber auch
Revisionen und Stilllegungen einzelner
Blöcke. Braunkohle gilt als besonders
klimaschädlich. Man gehe von einem
„merklichen Rückgang bei den CO2-
Emissionen aus“, heißt es in dem Be-
richt über die ersten drei Quartale des
Jahres, der am Montag veröffentlich
wurde. Auch der Absatz von Steinkohle,
ebenfalls mit vielen Emissionen ver-
bunden, ging um 18 Prozent zurück.
Ihr Einsatz in Kraftwerken sank sogar
um mehr als 30 Prozent. Die erneuerba-
ren Energien dagegen legten um vier
Prozent zu, vor allem dank der Wind-
kraft: Sie allein produzierte 17 Prozent
mehr Strom als im Vorjahr. Auch der
Absatz von Erdgas wuchs. Es verbrennt
mit weniger Emissionen als Braun- und
Steinkohle. Obendrein ist der Gesamt-
bedarf an Energie den Zahlen zufolge
rückläufig. Er lag um 2,3 Prozent unter
den Werten des Vorjahres, und das trotz
kühlerer Witterung. Rechne man diese
heraus, habe der Rückgang sogar drei
Prozent betragen, heißt es in dem
Bericht. miba

Berlin – Die Stimmung in der Weltwirt-
schaft ist so schlecht wie seit dem Kri-
senjahr 2009 nicht mehr. Das entspre-
chende Barometer fiel im vierten Quar-
tal auf minus 18,8 Punkte von minus
10,1 Punkten im vorangegangenen Vier-
teljahr, wie das Ifo-Institut am Montag
zu seiner Umfrage unter 1230 Experten
aus 117 Ländern mitteilte. Das ist der
schlechteste Wert seit dem zweiten
Quartal 2009, als die Finanzkrise die
Wirtschaft in fast allen Regionen traf.
„Die Weltkonjunktur kühlt sich weiter
ab“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
„Die Experten erwarten ein deutlich
schwächeres Wachstum des Welthan-
dels, einen schwächeren privaten Kon-
sum und eine niedrigere Investitionstä-
tigkeit.“ Sowohl die Lage als auch die
Aussichten für die kommenden Monate
wurden angesichts von Handelskonflik-
ten und Risiken wie dem Brexit deutlich
schlechter bewertet. reuters

München – Der Konzernbetriebsrat
von Osram will die Übernahme des
Münchner Lichtkonzerns durch die
österreichischen AMS auf gerichtli-
chem Weg verhindern. Das Arbeitneh-
mergremium habe beim Oberlandesge-
richt Frankfurt Beschwerde gegen die
Finanzaufsicht Bafin eingelegt, die die
Offerte zugelassen hatte, und eine einst-
weilige Verfügung beantragt. „Der Kon-
zernbetriebsrat weiß um die Schwierig-
keit des Rechtswegs, sieht sich aber
verpflichtet, jedes nicht von Vornherein

aussichtslose Mittel zu ergreifen, um
das Traditionsunternehmen Osram und
die Arbeitsplätze im Unternehmen zu
erhalten“, hieß es. Der Betriebsrat fürch-
tet, dass Osram(FOTO: DPA)nach der Über-
nahme zerschlagen wird. reuters

Bundesfinanzminis-
ter Olaf Scholz, 61,
hält Kontrollen gegen
Geldwäsche in der
EU für unzurei-
chend. Der SPD-Poli-
tiker sowie Minister
anderer Staaten
schlagen eine neue
Behörde vor.FOTO: DPA

(^18) WIRTSCHAFT Dienstag, 12. November 2019, Nr. 261 DEFGH
Diese drei E-Mails scheinen noch ungelesen. Aber Ermittler können bestimmte Nachrichten sehen, ohne dass der Nutzer davon weiß. FOTO: UNSPLASH
Kohleverbrauch sinkt stark
Ifo: So schlecht wie 2009
Osram-Betriebsrat vor Gericht

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