Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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München – Apple liebt den großen Auf-
tritt. Große Worte sind es auch, mit denen
der Konzern seine Kreditkarte Apple Card
bewirbt, die in den USA seit August erhält-
lich ist. Sie stehe unter anderem für Ein-
fachheit und Transparenz – kurzum für al-
les, was „Millionen Menschen“ bereits am
Bezahldienst Apple Pay „lieben“. Doch
nicht alle sehen das so wie Apple. Da ist et-
wa David Heinemeier Hansson: Am Wo-
chenende beschrieb der ursprünglich aus
Dänemark stammende Gründer der US-
Softwarefirma Basecamp auf Twitter, wie
Apple Card seine Frau benachteilige. Der
Dienst sei „verdammt sexistisch“, fasste er
seine 30-teilige Abfolge von Tweets zusam-
men, die erstaunlich reich an Kraftausdrü-
cken sind. Obwohl beide Ehepartner steu-
erlich gemeinsam veranlagt seien und sei-
ne Frau sogar kreditwürdiger sei, hätte er
einen 20 Mal größeren Kreditrahmen er-
halten. „Es kommt noch schlimmer“,
schreibt Hansson. Selbst wenn seine Frau
ihr Konto ausgleiche, könne sie bis zur
nächsten Zahlungsperiode nicht mehr mit
der Kreditkarte bezahlen. Und das alles
nur, weil sie eine Frau sei, vermutet Hans-
son.

Um den Sachverhalt zu klären, habe sei-
ne Gattin daraufhin mit zwei Apple-Mitar-
beitern gesprochen, laut Hansson „nette,
höfliche Menschen, die ein völlig kaputtes
und verwerfliches System“ repräsentier-
ten. Sie hätten versichert, dass Apple nie-
manden absichtlich diskriminieren wolle


  • vielmehr sei „der Algorithmus“ verant-
    wortlich. Tatsächlich prüfen viele Aus-
    kunfteien und Banken heute mittels
    schlauer Software, ob und zu welchen Kon-
    ditionen jemand einen Kredit erhält. Die
    Algorithmen können dabei auch auf alte


Daten zurückgreifen und aus ihnen ler-
nen: Zum Beispiel könnten sie zu dem
Schluss kommen, dass Frauen einen
Kredit seltener zurückzahlen als Männer
und aus diesem Muster ihre Schlüsse zie-
hen.
„Wenn Algorithmen im Einsatz sind,
können Fehler passieren“, sagt Carla Hus-
tedt, die bei der Bertelsmann Stiftung zur
Ethik der Algorithmen forscht. Doch wenn
sie passieren, wie mutmaßlich bei Apple
Card, dann müssten sich die Unternehmen
zwei Fragen stellen: Wie oft wird einer be-
stimmten Gruppe, etwa Frauen, ein Kredit
oder ein großer Kreditrahmen verwehrt,
obwohl sie kreditwürdig sind? Und wie
geht man als Unternehmen mit solchen

Fehlern um? „Die Schuld bei der Maschine
zu suchen, ist sicherlich nicht der richtige
Weg“, kritisiert Hustedt. Vielmehr müsste
Apple transparent aufklären, welche Krite-
rien dazu führen, dass Frauen – systema-
tisch oder in bestimmten Fällen – benach-
teiligt werden.
Ein Einzelfall scheint das Beispiel von
Hansson jedenfalls nicht zu sein. Unter sei-
nem Tweet meldete sich später auch Steve
Wozniak zu Wort, der Apple einst mitge-
gründet hatte und bei der Apple Card nach
eigenen Angaben einen zehn Mal größe-
ren Kreditrahmen als seine Ehefrau erhal-
ten habe – und das, obwohl die beiden ein
gemeinsames Konto hätten. Die Bank
Goldman Sachs, die zusammen mit Apple

die Kreditkarte herausgibt, hat inzwi-
schen auf die Vorwürfe reagiert. Die Kre-
ditwürdigkeit werde für jeden Antragstel-
ler individuell geprüft, sodass auch Ehe-
paare und Mitglieder der selben Familie ei-
nen unterschiedlich großen Spielraum er-
halten könnten. „Faktoren wie das Ge-
schlecht“ hätten auf die Entscheidung
aber keinen Einfluss. Ob das stimmt, will
jetzt die New Yorker Finanzaufsicht prü-
fen.
Hierzulande ist eine der wichtigsten Kre-
dit-Auskunfteien die Schufa. „Dass Frau-
en eine schlechtere Kreditwürdigkeit hät-
ten, deckt sich nicht mit unseren Erfahrun-
gen“, sagt ein Sprecher. Mehr noch: In dem
derzeit von der Schufa eingesetzten Be-
rechnungsverfahren tauche das Merkmal
Geschlecht gar nicht mehr auf. Das zeige
schon, dass das Geschlecht „keine über-
greifende Relevanz für die Bonität hat“. Die
Aussage ist umso bemerkenswerter, da es
„in Deutschland gesetzlich zulässig ist, das
Merkmal Geschlecht für diese Fragestel-
lung zu verwenden“, sagt der Sprecher. In
der Vergangenheit sei es eher so gewesen,
dass Frauen eine bessere Bonität gehabt
hätten.
Dennoch besteht das Risiko, dass Algo-
rithmen diskriminieren – nicht nur, wenn
es um Kredite geht, sondern beispielswei-
se auch bei Software, die Bewerbungen
prüft und aussortiert. Darum müssten die
Unternehmen sie regelmäßigen Qualitäts-
tests unterziehen, sagt Expertin Hustedt.
„Auch diverse Teams auf der Entwickler-
seite können dabei helfen, Diskriminie-
rung frühzeitig zu erkennen.“
Im aktuellen Fall hat ein privilegierter
Unternehmer die mutmaßliche Diskrimi-
nierung öffentlich gemacht. „Das ist gut,
weil es dem Thema Aufmerksamkeit ver-
schafft“, sagt Hustedt. „Aber wir sollten
uns darüber im Klaren sein, dass es oft die
ohnehin schon Benachteiligten sind, die
von Algorithmen zusätzlich benachteiligt
werden.“ h. von der hagen, f. wilke

Frankfurt – Bundesfinanzminister Olaf
Scholz (SPD) bekommt bei seinem Vorstoß
für eine europäische Einlagensicherung
Unterstützung von den privaten deut-
schen Banken. Es sei gut, dass sich das Mi-
nisterium mit der Idee einer Einlagenrück-
versicherung von dem bisherigen Vor-
schlag der EU-Kommission löse, sagte
Hans-Walter Peters, Präsident des Banken-
verbandes (BdB), am Montag in Frankfurt.
Gegen die Ideen der Kommission hatten
sich die deutschen Banken immer ge-
sträubt. Sie fürchteten, dass aus deutschen
Einlagensicherungstöpfen Ausfälle von
Banken in anderen Ländern finanziert wür-
den. Der BdB vertritt die privaten Banken
in Deutschland. Die Gespräche um ein eu-
ropäisches Einlagensicherungssystem
sind seit Jahren festgefahren. Im Kern
geht es darum, Sparguthaben, die bislang
nur auf nationaler Ebene mehr oder weni-
ger gut gesichert sind, auch europäisch ab-
zusichern. Damit soll vor allem in Krisen
verhindert werden, dass Sparer in Panik
ihr Geld von der Bank holen („Bank Run“)
und die Institute im schlimmsten Fall die
gesamte Eurozone in Schwierigkeiten stür-
zen. Bankenpräsident Peters hob positiv
hervor, dass der Minister von einer Verge-
meinschaftung der Finanzmittel abrücke,
wie sie die Kommission bisher vorgesehen
habe. Scholz’ Vorschlag zufolge solle es ein
Rückversicherungssystem geben, in dem
die deutschen Banken auch die Chance hät-
ten, ihr Geld zurückzubekommen, wenn
sie in Anspruch genommen würden. Auch
sonst gebe es in Scholz’ Papier „viele Ideen,
die wir sehr begrüßen“, sagte BdB-Haupt-
geschäftsführer Christian Ossig.

Unter anderem dringt Scholz parallel
auf eine strengere Regelung für Staatsan-
leihen: Banken, welche in Staatsanleihen
ihrer Heimatländer investiert haben, sol-
len diese mit Eigenkapital unterlegen. Da-
zu sind sie bislang nicht verpflichtet, ob-
wohl dadurch Staatskrisen schneller auf
Banken überspringen können. Allen voran
die italienische Regierung ist stets froh dar-
über, dass ihr die heimischen Institute mas-
senhaft Anleihen abkaufen. Deswegen
lehnt Rom solche Vorschläge ab. Der Ban-
kenverband fordert, diese Frage global zu
lösen. Schließlich sei es im weltweiten
Wettbewerb von Nachteil, wenn Banken au-
ßerhalb Europas ihre Staatsanleihen nicht
mit Eigenkapital unterlegen müssten. „Da
hilft ein europäischer Angang wenig, das
muss man global machen“, sagte Ossig. Oh-
nehin aber haben deutsche Kreditinstitute
in den vergangenen Jahren deutlich weni-
ger in Staatsanleihen investiert als Banken
in Italien – schließlich werfen die Papiere
keine Zinsen mehr ab oder haben sogar ne-
gative Rendite. Laut Berechnungen des
Analysehauses Barkow Consulting ging
das Volumen deutscher Staatsanleihen in
den Bilanzen deutscher Banken in den ver-
gangenen fünf Jahren um 35 Prozent auf
168Milliarden Euro zurück. dpa/mesc

München – Ein Penthouse mitten in New
York City, mit direktem Blick auf den Cen-
tral Park, oft als Zweit- oder Drittwoh-
nung: Meist sind es vermögende Schau-
spieler, Musiker oder Unternehmer, die
sich derartige Luxusbleiben in der US-Me-
tropole leisten. Und oft nutzen sie dafür ei-
ne sogenannte LLC, eine Limited Liability
Company, also Firmen, die den Kauf abwi-
ckeln und für die Prominenten als Käufer
auftreten, ähnlich einer deutschen GmbH.
So verhindern Prominente, dass sie na-
mentlich im Kaufprozess auftauchen – sie
und ihr Wohnort bleiben auf diese Weise
geheim. Amazon-Chef Jeff Bezos hält es
so, die Sängerin Taylor Swift ebenfalls, ge-
nauso russische Oligarchen.
Ein Gesetz, das der Gouverneur des Staa-
tes New York, der Demokrat Andrew Cuo-
mo, im September unterzeichnet hat, sorg-
te deswegen für Wirbel. Es sollte mehr
Transparenz in den Wohnungsmarkt brin-
gen – und damit auch Käufernamen offen-
legen. Lokalpolitiker des Bundesstaats hat-
ten es auf den Weg gebracht, weil ihnen die
Handhabe fehlte, die Eigentumsrechte ver-
schiedener Wohnungen im Bundesgebiet
zu klären. Davon ausgehend, unterschrieb
der Gouverneur das Gesetz, das für den ge-
samten Bundesstaat gilt und damit auch
für die Stadt New York und die dortigen auf
ihre Privatsphäre bedachten Millionäre
oder jene, die Vermögenswerte vor Klagen
schützen wollen.
Es sieht vor, das die Käufer jener Luxus-
bleiben, die eine LLC zwischenschalten, of-
fengelegt werden müssen. Auch deswe-
gen, um Kriminellen, die Immobilien auch
als Schlupfloch für Geldwäsche genutzt ha-
ben, zu enttarnen und insgesamt mehr
Transparenz zu schaffen. Unbeabsichtigt
enttarne man dadurch aber auch die Millio-
näre, schreibt dasWall Street Journal.
Bei Maklern und Eigentümern kam das
nicht gut an. Nun wurde klargestellt, dass
das Gesetz nicht für Einzelwohnungen gilt,
sondern für „Wohnimmobilien mit ein- bis
Vierfamilienwohneinheiten“. Für Einzel-
apartments also nicht. Prominente dürfte
das beruhigen. Doch wurde auch Kritik
laut, dass das Gesetz nun nicht weit genug
greife. Kriminellen, die mit schmutzigem
Geld Gebäude kaufen und es durch die fälli-
gen Steuern „reinwaschen“, blieben weiter
inkognito. clara lipkowski

München – Wer arm ist, muss bei den Ge-
bühren für sein Bankkonto besonders viel
zahlen. Das ist das Ergebnis einer Untersu-
chung der Stiftung Warentest. Die Inhaber
sogenannter Basiskonten müssen dem-
nach für ihr Girokonto oft deutlich mehr
ausgeben als normale Gehalts- und Ren-
tenempfänger. Bei den teuersten Banken
kostete die Kontoführung nach Angaben
der Warentester mehr als 200 Euro im
Jahr. Am teuersten sind die Basiskonten
der Salzlandsparkasse und der Targobank:
Sie verlangen etwa 250 Euro jährlich.
Basiskonten gibt es seit 2016. Sie sollen
allen Bürgern die Teilnahme am bargeldlo-
sen Zahlungsverkehr ermöglichen, also et-
wa auch Obdachlosen, Bedürftigen oder
Asylsuchenden. Das deutsche Zahlungs-
kontengesetz schreibt daher vor, dass die
Kreditinstitute jedem Verbraucher ein sol-
ches Konto gewähren müssen. Grundlage
dafür ist eine EU-Richtlinie. Bei den Kos-
ten für das Basiskonto allerdings bleibt das
Gesetz vage: Der Preis müsse sich an
marktüblichen Entgelten orientieren und
„angemessen“ sein. „Diese Schwachstelle
führt dazu, dass die Gebühren immer hö-
her werden“, sagt Dorothea Mohn vom Ver-
braucherzentrale Bundesverband (VZBV):
„Denen die besonders wenig haben, greift
man in die Tasche. Das ist ärgerlich und un-
fair – und sicher nicht Sinn des Gesetzes.“
Tatsächlich haben sich die Kosten für
Basiskonten in den vergangenen zwei Jah-
ren noch einmal erhöht. Damals hatte die
Stiftung Warentest die Gebühren für die Je-
dermann-Konten schon einmal unter-
sucht. Im Vergleich zu 2017 hätten viele
Banken nun den Grundpreis für das Konto
und die Gebühren für Überweisungen per
Papier angehoben. „Die typischen Nutzer
von Basiskonten sind Filialkunden“, sagt
Kerstin Backofen von der Stiftung Waren-
test. Diese erledigten ihre Überweisungen
oft in der Bank per Beleg.
Als Grund für die hohen Kontokosten ga-
ben die Institute den Warentestern meist
einen Mehraufwand für Beratung und Er-
öffnung des Kontos an. Auch müssten die
Banken öfter die Kontoführung kontrollie-
ren. „Das rechtfertigt jedoch nicht die zum
Teil extremen Unterschiede zum norma-
len Girokonto“, meint Kerstin Backofen.
Ähnlich sieht es VZBV-Expertin Mohn:
„Die Kunden, die ein Basiskonto haben,
sind nicht sehr attraktiv für die Banken.“
Sie hätten in der Regel keine Sparverträge
und bräuchten auch keine anderen Bank-
produkte. Die hohen Preise der Basiskon-
ten seien aus dieser Sicht auch ein „Ab-
wehrmechanismus“, meint Mohn: „Damit
halten sich die Banken die Kunden ein
stückweit fern.“ Nicht zuletzt deshalb füh-
re der VZBV derzeit gegen zwei Banken Ge-
richtsverfahren wegen zu hoher Basiskon-
toengelte.
Immerhin: Nicht alle Banken greifen bei
den Basiskonten über Gebühr zu. Bei zwei
Geldinstituten sind die Konten sogar kos-
tenlos: der PSD-Bank Karlsruhe-Neustadt
und der Sparda Baden-Württemberg. Wei-
tere 45 der 124 untersuchten Geldhäuser
verlangen nach Angaben der Warentester
weniger als 100 Euro im Jahr. Abgelehnt
werden dürfen Kunden, die ein Basiskonto
eröffnen möchten, nur in sehr seltenen Fäl-
len. Wo es doch passiert, raten Verbrau-
cherschützer dazu, die Schlichtungsstel-
len der Bankenverbände anzurufen oder
sich an die Finanzaufsicht Bafin zu wen-
den. Diese kann den Anspruch durchset-
zen. andreas jalsovec

von jürgen schmieder

Los Angeles – Kshama Sawant wird auch
künftig dem Stadtrat von Seattle angehö-
ren. Das ist die reine Nachricht, und sie
klingt nicht besonders spektakulär – doch
sie ist es: Sawant hat einen Wahlkampf
geführt, der laut der Behörde Washington
State Public Disclosure Commission insge-
samt 2060 Dollar gekostet hat. Die Wahl-
kampfkasse ihres Gegners Egan Orion:
617 592 Dollar. Sie war gefüllt worden von
einer Lobbygruppe der Handelskammer
der Metropolregion Seattle – unterstützt
von Unternehmen wie Amazon, Starbucks
und Expedia.

Insgesamt hat Amazon mehr als eine
Million Dollar in diese Kommunalwahl
investiert. Funktioniert hat das jedoch
überhaupt nicht: Sieben von neun Sitzen
standen zur Wahl, aber nur zwei der von
Amazon bevorzugten Kandidaten haben
gewonnen – möglicherweise gerade we-
gen der Spenden des Online-Versandhänd-
lers. „Wir sind gegen den reichsten Mann
der Welt angetreten“, sagt Sawant, die am
Ende 51,6 Prozent der Stimmen bekam.
„Jeff Bezos hat wirklich alles gegeben,
aber unsere Bewegung hat gewonnen.“
Es ging bei dieser Wahl freilich nicht um
einen Sitz im Stadtrat, sondern um viel
mehr. Wer vor 20 Jahren mal im Nordwes-
ten der Vereinigten Staaten gewesen ist
und heute erneut dorthin fährt, der dürfte
erstaunt sein über die wahnwitzige Wand-
lung der Region. Seattle war einmal eine
Arbeiterstadt, die Bewohner haben Bäume
gefällt oder in den Fabriken des Flugzeug-
bauers Boeing geschuftet. Arbeiterhosen,
Flanellhemden und Armeeparkas: So sah
die Kleidung jener Leute aus, in deren
Wohnorten elfeinhalb Monate lang Herbst
und zwei Wochen lang Spätherbst ist.
Bands wieNirvana,Pearl JamoderSound-
gardendokumentierten die Melancholie
dieser Gegend und trugen sie in die Welt.
Dann begann der Aufschwung: Bill
Gates gründete den Computerkonzern
Microsoft, Jeff Bezos startete Amazon,
Howard Schultz die Kaffeehauskette Star-
bucks, aus einer Microsoft-Abteilung
entstand das Online-Reisebüro Expedia.
Konzerne wie Nordstrom, Costco und
T-Mobile USA kamen mit ihren Firmensit-
zen nach Seattle, das plötzlich nicht mehr
als dreckig und depressiv galt, sondern als
modern und lebenswert.
Zwei Dinge prägen heute das Stadtbild
von Seattle: die zahlreichen Kräne, weil
überall neue Bürogebäude und Wohn-
häuser errichtet werden, und die Zelte auf
den Gehsteigen, weil sich immer mehr
Menschen kein Dach über dem Kopf mehr
leisten können.
Firmengründer an der amerikanischen
Pazifikküste sind es gewohnt, von Politi-
kern umschmeichelt und mit Steuer-
vergünstigungen in Milliardenhöhe zum
Verbleib oder Umzug bewegt zu werden.
Wer erzählt seinen Wählern nicht gerne,
Zehntausende Jobs geschaffen zu haben,
weil sich ein Konzern wie Amazon für diese
Stadt entschieden hat? In Seattle aller-
dings regte sich schon vor Jahren Wider-
stand, es kam die Forderung auf, dass sich
Unternehmen am Kampf gegen die Ob-

dachlosigkeit beteiligen sollten. Geplant
war eine sogenannte Head Tax: Jede Firma
sollte pro Mitarbeiter eine Abgabe von
275 Dollar im Jahr entrichten.

Die Unternehmen wehrten sich gegen
die Sondersteuer, vor allem Amazon, das
in Seattle mehr als 45 000 Menschen be-
schäftigt und zusätzlich 12,4 Millionen
Dollar pro Jahr hätte zahlen müssen. Der
Konzern drohte damit, einen geplanten Bü-
roturm doch nicht zu errichten und einen

im Bau befindlichen Wolkenkratzer nicht
in Betrieb zu nehmen. Vor einem Jahr wur-
de das Gesetz per Referendum zurückge-
nommen. Den Stadtratsmitgliedern wur-
de danach vorgeworfen, weder das Gesetz
durchgebracht, noch einen anderen Plan
zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit vor-
gelegt zu haben.
Diese Stimmung wollte Amazon ganz of-
fensichtlich nutzen. „Wir leisten unseren
Beitrag, weil uns die Zukunft von Seattle
am Herzen liegt“, sagte ein Firmenspre-
cher. Nun steht Jeff Bezos freilich nicht im
Verdacht, allzu altruistisch veranlagt zu
sein, und selbst Kandidat Orion sagte, dass
„der Schatten von Amazon“ über ihm
hinge, die Unterstützung „völlig unnötig“

gewesen sei und „von den Sachthemen
abgelenkt“ habe.
„Diese Wahl ist eine Botschaft an
Milliardäre, an die Bauindustrie und das
Establishment“, sagte Gewinnerin Sawant,
nachdem ihr Wahlsieg feststand. Sie selbst
bezeichnet sich als Sozialistin und stilisier-
te die Wahl zu einem Kampf zwischen
Arbeitern und milliardenschweren Unter-
nehmern. Und kündigt an: „Sie ist so nahe
an einem Referendum über die Besteue-
rung von Amazon, wie es nur geht. Ich
werde mit den Kollegen des Stadtrates
möglichst schnell ein neues Steuergesetz
erarbeiten.“ Dass Amazon ein solches Ge-
setz einfach hinnehmen wird, ist freilich
nicht zu erwarten.

Düsseldorf – Die Deutsche Telekom, Tele-
fonica Deutschland und Vodafone machen
beim Ausbau ihrer Mobilfunknetze ge-
meinsame Sache. Ziel sei eine optimale mo-
bile Breitbandversorgung für Kunden in
ganz Deutschland, vor allem im ländlichen
Raum und entlang der Verkehrswege auf
Straßen, Schienen und Flüssen, teilten die
Unternehmen mit. Sie unterschrieben eine
entsprechende Absichtserklärung. Bis zu
6000 neue Mobilfunkstandorte sollen auf-
gebaut werden. Spätestens im Frühjahr
2020 würden weitere Details der Koopera-
tion vertraglich festgelegt. Das Bundeskar-
tellamt sei über die Pläne informiert. Die
Bundesnetzagentur hatte bereits erklärt,
dass die gemeinsame Nutzung von Infra-
struktur sinnvoll sei.
Der vierte Konkurrent 1&1 Drillisch sei
eingeladen, sich zu beteiligen, hieß es. Vor-
aussetzung sei, dass sich der Wettbewer-
ber im gleichen Umfang wie die anderen
Partner engagiere. Drillisch teilte dazu
mit: „Die drei anderen Netzbetreiber ha-
ben uns über ihre Pläne informiert und die
grundsätzliche Einladung ausgesprochen,
uns zu beteiligen. Die Details sollen uns
kurzfristig zukommen, anschließend wer-
den wir über eine Beteiligung entschei-
den.“ Zuvor hatte die Firma noch abgewun-
ken. Der Ausbau der Autobahnen und Bun-
desstraßen mit schnellem Internet sei eine
Auflage für die etablierten Netzbetreiber
und betreffe 1&1 Drillisch als Neueinstei-
ger daher nicht. „Deshalb sind wir auch
nicht Teil dieser Kooperation.“ Die deut-
sche Industrie hatte nach der Versteige-
rung der 5G-Frequenzen im vergangenen
Jahr einen zügigen Ausbau der Mobilfunk-
netze gefordert und dabei explizit die Ver-
sorgung auf dem Land angemahnt. Zwei
Drittel aller Industriearbeitsplätze seien
dort zu finden. Der Bund hatte mit der Ver-
steigerung neuer Mobilfunkfrequenzen
gut 6,5 Milliarden Euro eingenommen –
von den vier Bietern Deutsche Telekom,
Vodafone, Telefonica Deutschland und
Drillisch. reuters

„Wenn Algorithmen
im Einsatz sind, können
Fehler passieren.“

Minimalistische Optik: Glaubt man dem US-Gründer David Hansson, ist bei der
Apple Card auch der Kreditrahmen für Frauen reduziert.FOTO: MARK SOLARSKI/UNSPLASH

New York will geheime


Hauskäufe einschränken


Kredit und Würde


Benachteiligt die neue Kreditkarte von Apple Frauen? Ein wütender Unternehmer behauptet das – und findet Unterstützer


Gegen die Reichsten


Mehr als eine Million Dollar investierte Amazon in den Kommunalwahlkampf in Seattle – gewonnen hat
dennoch die Kandidatin, die die Großunternehmen der Stadt mit höheren Abgaben belasten will

Netzbetreiber planen


gemeinsamen Ausbau


„Diese Wahl ist eine
Botschaft an die Milliardäre“,
jubelt die Wahlsiegerin

Es gibt immer mehr Zelte in der
Stadt, weil sich die Leute die
Mieten nicht mehr leisten können

Europäische Einlagensicherung –
und strengere Regeln für den
Krisenfall

DEFGH Nr. 261, Dienstag, 12. November 2019 (^) WIRTSCHAFT 19
„Viele Ideen, die
wir begrüßen“

Privatbanken unterstützen die
Pläne von Finanzminister Scholz
Kshama Sawant hatte im Wahlkampf in Seattle kaum Geld zur Verfügung – im Gegensatz zu Egan Orion, der von Konzer-
nen wie Amazon hohe Spenden erhielt. FOTO: TED S. WARREN/AP
Arme Kunden
zahlen mehr

Banken kassieren für Basiskonten
besonders hohe Gebühren
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