Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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W


ir klingeln jetzt,“ sagt Fred
Warmbier, Härte im Ge-
sicht. Neben ihm steht sei-
ne Frau Cindy: „Sie werden
sowieso nicht aufmachen,
niemals.“ Fred Warmbier drückt auf die
Klingel neben dem schweren Eisentor,
über dem ein Schild hängt: „Botschaft der
Demokratischen Volksrepublik Korea“. Da-
neben ein Schaukasten voller Bilder, auf
denen sich Diktator Kim Jong-un huldigen
lässt. Seine deutsche Vertretung liegt mit-
ten im Berliner Regierungsviertel, das sich
herausgeputzt hat zum Jahrestag des Mau-
erfalls. Aber hinter dem Tor, vor dem Fred
und Cindy Warmbier stehen, haben Dikta-
tur und Kalter Krieg überlebt.
Es dauert, bis sich eine leise Stimme mel-
det. Fred Warmbier beugt sich zur Sprech-
anlage: „Hier sind Fred und Cindy Warm-
bier, die Eltern von Otto. Wir wollen den
Botschafter sprechen.“ Seine Hand liegt
auf der Klinke. Die Sprechanlage knackt,
dann wieder die leise Stimme. Der Bot-
schafter habe eine Besprechung, danach
Mittagessen. Keine Zeit. Außerdem sei
kein Termin vereinbart worden. „Schicken
Sie uns beim nächsten Mal doch bitte eine
E-Mail.“ Dann ist Stille.
Die Botschaft ist ein runtergewohnter
Plattenbau, eine Gardine bewegt sich, ein
Mann wirft einen Blick nach draußen. Die
beiden Amerikaner vor dem Zaun erkennt
er mit Sicherheit. Jeder nordkoreanische
Diplomat kennt sie, die Eltern von Otto
Warmbier, dem Studenten aus Cincinnati,
Ohio, den das nordkoreanische Regime zu
15 Jahren Arbeitslager verurteilte und erst
halb tot ausreisen ließ. Sechs Tage nach sei-
ner Rückkehr starb Otto Warmbier.
Fred und Cindy Warmbier sind nach Ber-
lin gekommen, um den Tod ihres Sohnes
zu sühnen. An diesem Morgen sind sie mit
ihren deutschen Anwälten vom Potsdamer
Platz aus herübergelaufen, Lothar Harings
ist einer von ihnen, ein Spezialist für Sank-
tionsrecht. Ein kurzer Spaziergang durch
das herbstliche Berlin. Cindy Warmbier
trägt eine goldene Kette unter dem Winter-
mantel, ein Medaillon mit den stilisierten
Buchstaben von Otto hängt daran. Ottos
ehemalige Kunstlehrerin hat es gemacht.
An einem Tisch in der Kanzlei haben sie
zuvor die Geschichte ihres Sohnes erzählt,
vor den Fenstern rauscht der morgendli-
che Verkehr. Fred Warmbier trinkt Cola
Light, seine Frau Tee. Mal wirken sie ganz
ruhig, dann wieder wütend, man spürt
ihren großen Schmerz. Fünf Tage wollte
ihr Sohn in Nordkorea bleiben. Silvester an
einem der unwirtlichsten Orte der Welt fei-
ern, den Jahreswechsel 2015/16 in Pjöng-
jang. Einmal den Kalten Krieg sehen, dann
wieder zurück. Mit seiner Mutter war er
zuvor mal in Kuba gewesen.

Wer als Tourist nach Nordkorea fahren
möchte, muss sich einer Reisegruppe an-
schließen. Otto Warmbier entschied sich
für Young Pioneer Tours, eine Agentur mit
Sitz in China. „Spaß, Nervenkitzel und
Abenteuer zu einem günstigen Preis“,
stand auf der Website. Noch heute wirbt
die Firma mit Reisen „an Orte, von denen
dich deine Mutter lieber fernhalten möch-
te“. Tschernobyl, Tschetschenien, Eritrea,
Somalia. Das Unternehmen habe damals
auch damit geworben, dass noch kein Ame-
rikaner festgenommen worden sei, sagt
Fred Warmbier. „Genau das ist meinem
Sohn passiert.“
Sie waren zu zehnt, untergebracht im
Hotel Yanggakdo, einem Betonkoloss, den
Anfang der Neunzigerjahre französische
Architekten auf eine Insel im Taedong-
Fluss gebaut haben. Kein Gast des Hotels
kann das Hotel verlassen. An den Brücken
stehen Wachen mit Kalaschnikows. Im
Keller ist ein Casino untergebracht, es wird
von gelangweilten Chinesen betrieben, die
hier ebenfalls kaserniert sind. Die Hotel-
bar ist ein verwinkeltes Labyrinth von Ti-
schen, viel Glas, viele Spiegel, am Eingang
steht ein Salzwasseraquarium, in dem eine
einsame Schildkröte umhertreibt. Es gibt
selbstgebrautes Bier, indonesische Limo-
nade und nordkoreanischen Schnaps mit
eingelegter Schlange.
Auf den Reisen von Young Pioneer
Tours wurde immer wieder ordentlich ge-
bechert, erzählen Teilnehmer. Eine der
gängigen Mutproben war es dann, die
berüchtigte fünfte Etage des Yanggakdo
aufzusuchen. Hier sitzt die Verwaltung des
Hotels. Und die Staatssicherheit. An den
Wänden hängen Propaganda-Plakate. Der
Lift hält nicht im fünften Stock, man muss
das Treppenhaus nehmen.
Am Neujahrsmorgen 2016 betrat Otto
Warmbier diese Mitarbeiterebene. Ob es
tatsächlich das fünfte Stockwerk war, ist
unklar. Klar ist hingegen: Es war 1.57 Uhr
Ortszeit, als eine Überwachungskamera
festhielt, wie er eines der Plakate von der
Wand nahm. „Lasst uns stark mit dem Pa-
triotismus von Kim Jong-il bewaffnen“,
stand darauf auf Koreanisch, eingefasst in
Holz, ein wuchtiges Stück Propaganda,
viel zu schwer, um es mitzunehmen.
Am Tag darauf verhafteten nordkoreani-
sche Grenzer Otto Warmbier am Flugha-

fen von Pjöngjang. Die Reisegruppe flog oh-
ne ihn zurück. Auf Facebook tauschten sie
sich danach aus. „Es gab ein kleines Pro-
blem mit Otto“, schrieb die Reiseleiterin
von Young Pioneer Tours. Wenig später
versicherte sie: „Wir erwarten, dass es bald
behoben sein wird, aber bitte habt im
Moment etwas Geduld.“
Was für eine Fehleinschätzung. Den
Eltern in Ohio erzählen sie Ähnliches: Ab-
warten. Ruhe. Keine Interviews. Kein
Lärm. Fred und Cindy Warmbier hielten
sich daran. „Uns wurde wieder und immer
wieder gesagt, wir sollten nichts tun, da-
mit es Otto nicht noch schlechter geht.“
Also taten sie nichts. Auch damit müssen
sie jetzt leben.
Am 22. Januar verbreitete Nordkoreas
amtliche Nachrichtenagentur KCNA die
Meldung, dass „der amerikanische Staats-
bürger Otto Frederik Warmbier“ verhaftet
worden sei, da er versucht habe, „im Auf-
trag der amerikanischen Regierung die
Einheit des Landes zu zerstören“. Cindy
und Fred Warmbier schwiegen weiter.
Ende Februar organisierte das Regime
eine Pressekonferenz in Pjöngjang. In ei-
nem Land, in dem es sonst nie Pressekonfe-
renzen gibt. Mit tränenerstickter Stimme
gestand Otto Warmbier, das Banner von
der Wand genommen zu haben. „Ich bitte
euch um Verzeihung. Bitte! Ich habe den
schlimmsten Fehler meines Lebens began-
gen“, sagte er. Er trug ein beiges Leinen-
jackett, darunter ein gestreiftes Hemd, die
Krawatte offenbar hastig gebunden.
Die Erklärung, die er danach abgab,
klingt so abenteuerlich, dass man sie wahr-
scheinlich nicht einmal in Nordkorea
glaubt. Die Mutter eines Freundes habe
ihm ein Auto im Wert von 10000 Dollar ver-
sprochen, wenn er ein Propaganda-Poster
stehle. Angeblich sollte es in einer Kirche
in Wyoming, einem Vorort von Cincinnati,
aufgehängt werden. Für den Fall, dass
man ihn in Nordkorea erwischt, sollte sei-
ne Familie 200000 Dollar erhalten.

Der Vater beugt sich jetzt über den Kon-
ferenztisch und sagt: „Das ist alles eine
Lüge des Regimes.“ Es waren die letzten
Worte, die er von seinem Sohn hörte.
Zwei Wochen später verurteilte der
Oberste Gerichtshof Nordkoreas Otto
Warmbier wegen „feindlicher Handlungen
gegen den Staat“ zu 15 Jahren Arbeitslager.
Aufnahmen des Staatsfernsehens zeigen,
wie Otto Warmbier abgeführt wird, gefes-
selt mit Handschellen, den Blick gesenkt.
Er trägt wieder das Leinenjackett und das

gestreifte Hemd, es sind die letzten Bilder,
die ihn gesund und lebendig zeigen.
„Es war ein Schauprozess“, sagt Cindy
Warmbier. Ihr Mann hat sein iPad rausge-
holt. Er zeigt Aufnahmen von Otto, dem äl-
testen ihrer drei Kinder: beim Fußballspie-
len, beim Angeln, beim Radfahren. Es ist
ein Tandem, Otto trat immer in die Pedale,
sein Vater saß vorne. „Hinterher war er
ganz schön fertig“, sagt Fred Warmbier.
15 Monate hören sie nichts von ihrem
Sohn. Jedes Mal, wenn die in Pjöngjang sta-
tionierten schwedischen Diplomaten beim
Regime nachfragen, hoffen und bangen
Cindy und Fred Warmbier. Diesmal eine
Nachricht? Ein Brief? War ein Gespräch
mit den Diplomaten möglich?
Schweden ist die Schutzmacht der Verei-
nigten Staaten in Nordkorea, wann immer
ein Amerikaner in Schwierigkeiten gerät,
werden sie informiert. Das Außenministe-
rium in Pjöngjang ignoriert die Eingaben,
Monat für Monat. Kein Kontakt, kein Le-
benszeichen, nichts. Und in Ohio müssen
sie schweigen. Keine „Megafondiploma-
tie“, raten die Beamten in Washington.
Auch zur Abschlussfeier an der Uni fahren
sie nicht. Im Mai 2017 hätte Otto Warmbier
sein Studium der Wirtschaftswissenschaf-
ten an der University of Virginia beendet.
Bei der Zeremonie seines Jahrgangs lassen
die Kommilitonen einen Stuhl leer für Ot-
to. „Die US-Regierung hat unseren Sohn
die ganze Zeit im Stich gelassen“, sagt Cin-
dy Warmbier heute. Ihr Mann nickt.
Am 6. Juni 2017 erhielt der Sonderbeauf-
tragte für Nordkorea im amerikanischen

Außenministerium eine Nachricht. Bei den
Vereinten Nationen in New York akkredi-
tierte nordkoreanische Diplomaten infor-
mierten ihn, dass Otto Warmbier im Wach-
koma liege. Die Geschichte, die sie erzähl-
ten, klang noch abwegiger als die Story mit
dem Auto für 10 000 Dollar. Otto Warmbier
habe, erzählten sie, kurz nach dem Prozess
eine Lebensmittelvergiftung erlitten. Me-
dizinisch: Botulismus. Man habe ihm dar-
aufhin ein Schlafmittel gegeben, leider sei
er seitdem nicht mehr aufgewacht. Die
amerikanischen Behörden unterrichteten
Cindy und Fred Warmbier. Sie mussten
weiter schweigen und wieder bangen.
Ihre Hoffnung war, dass ihr Sohn in ei-
nem künstlichen Koma liegt und die Ärzte
in der Universitätsklinik von Cincinnati
ihn wieder hinbekommen, erzählt Cindy
Warmbier. Sie schaut auf das iPad ihres
Mannes. Man sieht ein Flugzeug auf dem
Rollfeld, es ist Nacht. Ein Spezialjet, mit
dem normalerweise Helfer aus Ebola-Ge-
bieten nach Hause geholt werden. Am


  1. Juni hatte das nordkoreanische Regime
    Otto Warmbier aus „humanitären Grün-
    den“ freigelassen. An Bord des Kranken-
    flugzeugs landete er in den Vereinigten
    Staaten. „Wir hörten sehr laute, fast anima-
    lische Schreie“, sagt Cindy Warmbier. Es
    waren die Schreie ihres Sohnes. Sein Kopf
    war rasiert, in der Nase steckte eine Magen-
    sonde. „Er zitterte heftig und machte diese
    Heulgeräusche wie eine Kuh oder eine Art
    Tier. Er war verstörend“, sagt Fred Warm-
    bier. „Als wir im Krankenhaus ankamen,
    sagten die Ärzte: Otto ist blind und taub.“


Der Vater wischt jetzt über das Display,
zeigt die letzten beiden Bilder. Fred Warm-
biers Augen sind jetzt glasig. Auf den Fotos
sieht man seinen Sohn, wieder zu Hause in
Cincinnati, eine blaue Decke mit seinem
eingestickten Namen über dem abgema-
gerten Körper. Otto Warmbier ist ohne Be-
wusstsein, ein Sterbender.
Ärzte stellten damals großflächige Schä-
den am Hirngewebe fest. Nervenschäden,
wie sie bei einer schweren Botulismusver-
giftung üblich wären, konnten sie hinge-
gen nicht nachweisen. Laut Untersu-
chungsprotokoll konnte Otto Warmbier
Mitte Juni zwar eigenständig atmen, die
Augen öffnen und unkontrolliert blinzeln.
Reaktionen auf seine Umgebung zeigte er
jedoch keine mehr.
Am 19. Juni 2017 stirbt Otto Warmbier.
Er ist 22 Jahre alt.
„Sie haben ihn getötet“, sagt Cindy
Warmbier in Berlin. Dann machen sie sich
auf den Weg zur Botschaft Nordkoreas.

Für Politik haben sie und ihr Mann sich
früher nie interessiert, Cindy Warmbier ist
60 Jahre alt, ihr Mann ein Jahr jünger, er
hat einen kleinen metallverarbeitenden
Betrieb, 25 Mitarbeiter. Sein Hobby ist es,
Schokolade selbst zu schöpfen, er hat ein
paar Packungen mit nach Berlin gebracht.
„Für nette Leute“, sagt er. Von Nordkorea
wussten sie früher so gut wie nichts. Seit
Ottos Tod aber hat das Kim-Regime zwei
neue Feinde. „Wir ziehen Nordkorea zur
Rechenschaft, deshalb sind wir hier“, sagt
Cindy Warmbier. „Was wir jetzt tun, das
tun wir für Otto“, sagt ihr Mann. Sie wollen
das Regime dort treffen, wo es ihm am
meisten wehtut – beim Geld, bei der Finan-
zierung ihres totalitären Staates.
Im April 2018 verklagten sie die nordko-
reanische Regierung wegen „brutaler Fol-
ter und Mordes“. Acht Monate später verur-
teilte ein Bundesgericht in Washington die
Demokratische Volksrepublik Korea zu ei-
nem Schadenersatz in Höhe von 500 Millio-
nen Dollar wegen „Folter, Geiselnahme
und Tötung des jungen Mannes“. Laut Ge-
richt habe das Regime Otto Warmbier als
politischen Gefangenen genommen und
ihn gefoltert, was letztlich zu seinem Tod
geführt habe. Das Urteil kann vollstreckt
werden. Die Frage ist nur, wie treibt man
die 500 Millionen Dollar ein?
Das wären immerhin zwei oder drei Pro-
zent der nordkoreanischen Jahreswirt-
schaftsleistung. Die Warmbiers und ihre
Anwälte probieren es überall auf der Welt.
Als im vergangenen Jahr der nordkoreani-

sche KohlefrachterWise Honest wegen
mutmaßlicher Sanktionsverstöße aufge-
bracht und in einem indonesischen Hafen
festgesetzt wurde, beanspruchten Cindy
und Fred Warmbier das Schiff. Vor drei Wo-
chen entschied ein Bundesgericht, dass
der neue Eigentümer des Frachters die
USA sind. Eine Niederlage, die Cindy und
Fred Warmbier nicht allzu hart trifft. Statt
Geld geht es ihnen vor allem darum, Nord-
korea zu schädigen.
Es gibt Überlegungen, eine Otto-Warm-
bier-Stiftung zu gründen, sie haben auch
mit ihren deutschen Anwälten schon dar-
über gesprochen. Der Zweck könnte darin
bestehen, Familien beizustehen, deren Kin-
der ebenfalls in die Hände von Terrorregi-
men fallen. Deshalb versuchen sie jetzt
auch in Berlin, es dem Regime so schwer
wie möglich zu machen. Sie gehen ins Kanz-
leramt, in den Bundestag und ins Auswärti-
ge Amt. Der Staatssekretär in der Berliner
Innenbehörde hat sich Zeit genommen.
Der US-Botschafter ebenfalls. Cindy Warm-
bier ist schon zum dritten Mal in der Stadt,
für ihren Mann ist es das erste Mal. „Berlin
ist für uns entscheidend“, sagt er. Der
Grund dafür liegt nur ein paar Meter neben
der Botschaft. Es geht um das City Hostel.

Seit Ende der Sechzigerjahre residiert
Nordkorea auf einem 6000 Quadratmeter
großen Areal mit zwei Plattenbauriegeln
am U-Bahnhof Mohrenstraße, zwischen
Brandenburger Tor und Checkpoint Char-
lie. Zu DDR-Zeiten lebten hier 30 Diploma-
ten Nordkoreas, „davon 27 mit Ehefrauen“,
wie die Stasi einmal vermerkte. Dazu „
verwaltungstechnische Angestellte mit
Ehefrau. Sowie 47 Kinder“. Heute sind sie
nur noch eine Handvoll.
Nach der Wende begannen die Nordko-
reaner damit, Teile ihrer Botschaft unterzu-
vermieten. An ein Fitnessstudio und eine
psychotherapeutische Ambulanz. Die Park-
plätze hinter der Vertretung pachtete der
Autovermieter Hertz. 2004 übernahm ein
Hotelier das frühere Verwaltungsgebäude
der Botschaft und ließ den fünfstöckigen
Betonkasten zu einem Hostel umbauen.
450 Betten in mehr als 100 Zimmern. Miet-
einnahmen in Höhe von 40 000 Euro brach-
te das nach Schätzung der deutschen
Sicherheitsbehörden monatlich ein – steu-
erfrei, denn Abgaben zahlten die Nordkore-
aner lange Zeit nicht.
Seit drei Jahren verbietet eine Resoluti-
on des UN-Sicherheitsrates solche Geschäf-
te, in Deutschland wurde eigens das Ge-
setz geändert, um diesen Rechtsbruch zu
beenden. Paragraf 82 Absatz 4 der Außen-
wirtschaftsverordnung. Das Hostel ist
aber weiterhin geöffnet. „Man glaubt es
nicht“, sagt Fred Warmbier.
Die Betreiber ziehen einfach nicht aus.
Am 28. Februar 2018 reichte die nordkorea-
nische Botschaft auf Druck der deutschen
Behörden beim Berliner Landgericht einen
Antrag auf Kündigung und Räumung ein.
Mit einem Schönheitsfehler: Die Nordkore-
aner zahlten nicht den notwendigen Vor-
schuss an Gerichtskosten, wie in jedem Ver-
fahren üblich. Deshalb kann bis heute
nicht verhandelt werden. Der Betrieb des
Hostels geht also einfach weiter.
Die Warmbiers haben sogar angeboten,
Nordkorea die Kosten vorzustrecken. Ein
wenig Geld vorab, damit kein Geld mehr
fließen kann. Die einzige Bedingung: Das
Auswärtige Amt soll zusichern, dass sie da-
mit nicht gegen Sanktionen verstoßen. Sie
wollen die Schließung erreichen. Es ist
ihnen wichtig. Ihre Anwälte decken die Be-
hörden mit Schriftsätzen ein, sie machen
ihnen Vorwürfe wegen der jahrelangen Un-
tätigkeit, die selbst manchen beteiligten
Beamten unangenehm ist. Einer sagt: „Mir
ist es peinlich, dass erst die Eltern eines to-
ten Kindes kommen müssen, damit wir die
Sache endlich zu Ende bringen.“
Im August war Cindy Warmbier schon
einmal im City Hostel, jetzt will auch ihr
Mann unbedingt einmal rein. Sie lassen
den Glaskasten mit den Propagandafotos
hinter sich, fassen sich an den Händen und
steigen gemeinsam die Stufen zur Rezepti-
on hinauf. Es wirkt fast wie eine Reise in
ein feindliches Land. Drinnen wischt gera-
de eine Putzfrau den Aufenthaltsraum, in
dem ein Billardtisch und ein Kicker stehen.
Am Ende eines langen Korridors liegt der
verschlossene Hinterausgang, durch die
Glastür sieht man den Hinterhof, die Fens-
ter und Balkone der Botschaft. Näher
können die Warmbiers Nordkorea nicht
kommen.
Mitte November läuft die letzte Frist
aus, den Vorschuss bei Gericht einzuzah-
len. Nach Recherchen von SZ, NDR und
WDR hat die nordkoreanische Botschaft
nun gegenüber dem Auswärtigen Amt er-
klärt, diesen eingezahlt zu haben. Ein Spre-
cher des Landgerichts wollte dies nicht
kommentieren. Aber womöglich könnte es
bald ein Gerichtsverfahren geben. Mit
Nordkorea als widerwilligem Kläger, der
sich selbst um eine seiner lukrativsten Ein-
nahmequelle im Ausland bringt.
„Das Hostel muss geschlossen werden,
das ist eine Frage des Rechts,“ sagt Fred
Warmbier. „Otto bekam kein Recht.“

DEFGH Nr. 261, Dienstag, 12. November 2019 (^) DIE SEITE DREI 3


Hotel Abgrund


Silvester 2015 feiert der junge Amerikaner Otto Warmbier in Nordkorea.


Nach Hause kommt er viel später – als Sterbender.


Seine Eltern kämpfen seither um das, was ihr Sohn nicht bekam: Gerechtigkeit


vonchristophgiesenundgeorgmascolo


„Ich bitte euch um Verzeihung. Bitte! Ich habe den schlimmsten Fehler meines Lebens begangen“, sagte Otto Warmbier bei dem Schauprozess in Nordkorea.Er
wurde zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt – weil er ein Propagandaposter von der Wand genommen hatte. FOTO: IMAGO / ITAR-TASS

Den Eltern wurde gesagt,
sie sollen abwarten, Ruhe geben.
Was für eine Fehleinschätzung

Die Mutter erinnert sich genau,
wie der Sohn zurückkam,
sein Zittern, die lauten Schreie

„Berlin ist für uns entscheidend“, sagt Fred Warmbier. Mit seiner Frau Cindy
kämpft er darum, dass das Hostel geschlossen wird. FOTO: JOHANNES ANDERS / NDR

Die Warmbiers haben Nordkorea
auf Schadenersatz verklagt.
Sie sagen, sie machen das für Otto

Das Hostel auf dem Gelände
der Botschaft müsste schon lang
geschlossen sein. Ist es aber nicht

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