Süddeutsche Zeitung - 12.11.2019

(Tuis.) #1
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von alexander hagelüken
und kristiana ludwig

München/Berlin – Was bedeutet die Eini-
gung der Koalition zur Grundrente? Ant-
worten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Partei hat sich durchgesetzt?
Eher die SPD. Der Koalitionsvertrag sah
eine scharfe Bedürftigkeitsprüfung vor.
Senioren hätten ihre Finanzen komplett
offenlegen müssen, auch 5000 Euro auf
dem Sparbuch und den Wert des Autos –
und womöglich ihr Eigenheim aufgeben
müssen, um Grundrente zu bekommen.
Das hat die SPD verhindert. Senioren müs-
sen nicht zum Sozialamt, die Rentenkasse
zahlt ihnen die Grundrente automatisch.
Die Union setzte aber durch, dass den
Rentenzuschlag nur bekommt, wer (zu-
sammen mit dem etwaigen Partner) kein
zu hohes Einkommen hat. Zudem müssen
Betriebsrentner weniger Krankenkassen-
beiträge zahlen, ein jahrelanges Streitthe-
ma. Auf Druck von CDU/CSU wird auch die
Wirtschaft entlastet. Dies bleibt aber hin-
ter Forderungen der Union zurück, die Un-
ternehmenssteuern deutlich zu senken.
Der Altersforscher Gert Wagner nennt
den Kompromiss eine kluge Lösung. „Die
Lebensleistung wird gewürdigt, aber es
wird auch berücksichtigt, in welchen Ein-
kommensverhältnissen jemand lebt, ohne
dass die Bürokratie übertrieben wird“, so
Wagner, einer der Wissenschaftler in der
Rentenkommission der Regierung. Durch
den Aufschlag würden die Altersbezüge
für Wenigverdiener in Deutschland nicht
mehr wie bisher stur an den eingezahlten
Beiträgen bemessen, was weltweit ohne-
hin die Ausnahme sei. Joachim Ragnitz
vom Ifo-Institut kritisiert genau diese Ver-
änderung: Damit werde das Versicherungs-
prinzip – Rente gemäß Beiträgen – aufge-
weicht. „Außerdem ist das eine Politik zu-
lasten der jüngeren Generation als Steuer-
und Beitragszahler“, die Zahl anspruchs-
berechtigter Rentner steige stark.

Wer bekommt die Grundrente?
Wer nur zwischen 30 und 80 Prozent des
Durchschnittseinkommens verdient hat,
bekommt einen Zuschlag von bis zu ein
paar Hundert Euro im Monat. Bundesar-
beitsminister Hubertus Heil (SPD) nennt
dieses Beispiel: Eine Friseurin, die 40 Jah-
re lang nur 40 Prozent des Durchschnitts-
lohns bekommen hat, kommt heute auf
eine reguläre Rente von knapp 530 Euro –
sie ist normalerweise ein Fall für die Sozial-
hilfe. Mit Grundrente käme sie stattdessen
auf gut 930 Euro.
Voraussetzung für eine Grundrente: ins-
gesamt 35 Jahre Beiträge in die Rentenkas-
se. Entweder durch den Beruf. Oder durch
die angerechnete Pflege von Angehörigen
oder Erziehung von Kindern, wobei sich
die angerechnete Zeit mit der Zahl der Kin-
der steigt. Wer knapp unter den 35 Jahren
bleibt, für den soll es einen Übergangsbe-
reich geben.

Was bedeutet die Einkommensprüfung?
Wer als Alleinstehender im Monat insge-
samt mehr als 1250 Euro oder als Paar
mehr als 1950 Euro Einkommen hat, dem
wird der Grundrentenzuschlag wieder stu-
fenweise abgezogen. Wie genau diese Stu-
fen aussehen, das will Heil noch festlegen.

Zugleich soll beim Wohngeld ein neuer
Freibetrag eingeführt werden, damit nicht
Menschen, die eine Grundrente erhalten,
im selben Zug das Wohngeld gekürzt wird.

Welches Einkommen zählt denn?
Betrachtet wird das zu versteuernde Ein-
kommen, bei dem Beiträge etwa für die
Krankenversicherung abgezogen sind. Ein-
gerechnet werden die gesetzliche Rente,
aber auch Mieteinnahmen und andere
Kapitalerträge. Weil das Einkommen des
Partners mitbetrachtet wird, bleibt im
Regelfall der Zahnarztgatte von der Grund-
rente ausgeschlossen, dessen Gattin eine
hohe Rente hat. Künftig soll sich die
Rentenversicherung automatisch mit den
Finanzämtern kurzschließen und anhand
der Steuererklärungen ermitteln, ob ein
Bürger Anspruch auf die Grundrente hat.

Wer bekommt Grundrente?
Laut Bundesregierung sollen 1,2 bis 1,5 Mil-
lionen Menschen profitieren, zu 80 Pro-
zent Frauen. Außerdem werden Heil zufol-
ge wohl mehr Ostdeutsche als Westdeut-
sche für die Grundrente infrage kommen.
Menschen, die nach 35 Berufsjahren im
Alter nur Grundsicherung bekommen,
also die Sozialhilfe im Alter, sollen durch
einen Freibetrag von maximal 212 Euro im
Monat besser gestellt werden. Dies dürfte
etwa 200 000 Menschen betreffen.

Gibt es auch Ungerechtigkeiten?
Wer nur 27 oder 32 Beitragsjahre hat, be-
kommt keine Grundrente und landet
womöglich weiter in der Sozialhilfe. Das
gilt etwa für Menschen, die lange arbeits-
los waren oder für ihre Kinder beruflich
ausgesetzt haben.

Wer trägt die Kosten?
Die Grundrente soll etwa 1,5 Milliarden Eu-
ro im Jahr kosten und überwiegend aus
Steuern finanziert werden. 400 Millionen
Euro sollen aus dem Etat des Arbeitsminis-
teriums kommen. Zudem sollen Einnah-
men aus einer neuen Finanztransaktions-
steuer in die Grundrente fließen, die Fi-
nanzminister Olaf Scholz (SPD) aber erst
noch einführen muss. Ob diese Börsensteu-
er tatsächlich zum Jahr 2021 kommt, ist
unklar. Scholz strebte bislang eine europäi-
sche Lösung an, doch die Verhandlungen
mit anderen Staaten stocken seit Jahren.

Warum werden dieBeiträge zur Arbeits-
losenversicherung gesenkt?
Die Union will damit die Wirtschaft entlas-
ten, der der Abschwung zu schaffen macht.

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung
wird befristet bis Ende 2022 von 2,5 auf
2,4 Prozent gesenkt. Arbeitnehmer und
Arbeitgeber sparen dadurch jährlich etwa
1,2 Milliarden Euro. Ein weiteres Bonbon
für die Wirtschaft: Es wird ein Beteiligungs-
fonds für Zukunftstechnologien aufgelegt,
etwa Digitalisierung und Klimaschutz –
mit bis zu zehn Milliarden Euro.

Was ändert sich bei den Betriebsrenten?
Teil des Kompromisses ist eine Entlastung
der Betriebsrentner – jedoch in einem
geringeren Maße, als von Gesundheits-
minister Jens Spahn (CDU) ursprünglich
geplant. Weil es viele Senioren aufregt,
dass sie auf Betriebsrenten Krankenbeiträ-
ge zahlen müssen, und zwar den Arbeitge-
ber- wie den Arbeitnehmeranteil, fordert
die CDU schon lange eine Reform. Doch ein
Vorstoß, durch den Betriebsrentner um
drei Milliarden Euro entlastet werden soll-
ten, scheiterte. Jetzt sollen Betriebsrent-
ner auf einen Freibetrag von gut 150 Euro
keine Kassenbeiträge mehr zahlen. Sie
sparen 1,2 Milliarden Euro, auf Kosten der
Krankenversicherungen.

Wann tritt die Neuregelung in Kraft?
Zum 1. Januar 2021. Heil nennt das „ambi-
tioniert“. Schließlich müssen die techni-
schen Voraussetzungen für den Datenaus-
tausch geschaffen werden.  Seite 4

Hamburg – Montagmittag in Hamburg,
High Noon in der Hansestadt. Vier Grad
im Schatten, in der Sonne eventuell ein
ganz klein wenig mehr. Nun kommt Chris-
tian Lindner, der Streiter für die Freiheit
des Wortes. FDP-Open-Air im Univiertel.
Denn der FDP-Vorsitzende spricht nicht
inder beheizten Hamburger Universität,
wo er kürzlich nicht sprechen durfte. Er
spricht direktvorder Hamburger Uni,
und zwar auf einer Straße zwischen dem
sogenannten Rechtshaus und dem Philo-
sophenturm.
Der Auftritt bei der liberalen Hoch-
schulgruppe unter einem Dach der Hoch-
schule war ihm vor einigen Tagen unter-
sagt worden. Es sei „explizit ausgeschlos-
sen, dass die Uni Räume für Veranstaltun-
gen mit parteipolitischer Ausrichtung
zur Verfügung stellt“, so die Begründung
der Uni-Leitung. Die Regeln sind in den
Raumvorgabebestimmungen nachzule-
sen. Allerdings waren vorher Juso-Chef
Kevin Kühnert und Sahra Wagenknecht
(Linke) bei Veranstaltungen in Hamburgs
Uni aufgetreten, was Lindner so erzürn-
te, dass er die Wissenschaftssenatorin
und Zweite Bürgermeisterin Katharina
Fegebank (Grüne) in einem Brief auffor-
derte, die Meinungsfreiheit zu schützen.
Erweitert wurde der Hamburger Teil
der Debatte um den Streit über das Come-
back am Pult von AfD-Mitgründer Bernd
Lucke, der seit diesem Semester wieder
Volkswirtschaft an Hamburgs Uni lehrt.
Die ersten beiden Vorlesungstermine von
Professor Lucke wurden wegen lautstar-
ker bis handgreiflicher Proteste abgebro-
chen, der dritte Versuch fand unter Poli-
zeischutz statt.
Reichlich Stoff also für Lindner, und
kaum taucht er im Gedränge zwischen un-
gefähr 100 Zuhörern auf, da steht überra-
schend Katharina Fegebank neben ihm.
Es dürfe „nicht mit zweierlei Maß gemes-
sen werden“, so Fegebank, die wegen des

Uni-Ärgers in die Kritik geriet, aber im Fe-
bruar den Partner SPD ablösen und Erste
Bürgermeisterin werden will. „Allein
dass Sie hier sind, ist ja ein unübersehba-
res Signal an die Hochschulleitung“, erwi-
dert Lindner. Dann, kurz nach zwölf,
steigt er aufs Podest.
Er hätte „viel lieber mit Ihnen drin dis-
kutiert“, spricht der Redner. So wie in den
Unis von Frankfurt oder Leipzig oder
„selbst im CSU-regierten Bayern“. Aber
Hamburg? „Hier drüben war Kevin Küh-
nert, da vorne war Sahra Wagenknecht“,
nur er habe nicht reingedurft. Demokrati-
scher Austausch gehöre in die Universitä-
ten und nicht davor, meint Lindner.
Es geht ihm bei seiner Philippika auch
um Robert Habeck, der nicht mehr twit-
tert. Um „die Shitstorm-Kultur“. Um Lu-
cke. Den Politiker Lucke habe er be-
kämpft, doch Lindner findet, dass Lucke

„seine falsche Meinung“ äußern dürfen
müsse. Wobei, wer seine Meinung äuße-
re, auch mit Gegenrede zu rechnen habe.
Es folgt der Hinweis, dass der Austausch
von Meinungen „genauso von Links- wie
von Rechtspopulisten gefährdet“ werde.
Das ist einer der Sätze, denen diese War-
nung vorausgeht: „Jetzt eine gefährliche
These“, man möge sich anschnallen. Lind-
ner wittert außer Rechtspopulismus
auch „Hypersensibilität und politische
Verdächtigungskultur von links“.
Es gibt Applaus, vereinzelt hört man
Kommentare wie „Ich find’ das so unan-
genehm“. Demonstriert wird nicht, auch
wachen Polizisten. „Lassen Sie uns ein-
fach wieder respektvoll, vernünftig, of-
fen und leidenschaftlich streiten“, rät
Lindner. Nach 15 Minuten ist die Freiluft-
nummer vor der verbotenen Hamburger
Unistadt vorbei. peter burghardt

München – Nimmt man die Zahlen des am
Montag vorgestellten Lageberichts Cyber-
crime des Bundeskriminalamts (BKA) als
Maßstab, dann stagniert die Cyberkrimina-
lität in Deutschland. Dem BKA wurden im
Lauf des Jahres 2018 rund 87 000 Fälle von
Cyberkriminalität im engeren Sinne be-
kannt, eine Steigerung von nur rund ei-
nem Prozent. Zu dieser Art der Cyberkrimi-
nalität gehören nach der Definition des
BKA etwa der Betrug mit gestohlenen Kre-
ditkartendaten, Überweisungsbetrug, Ran-
somware-Attacken, Computersabotage,
Identitätsdiebstahl sowie das Ausspähen
von Computersystemen.

Doch die Zahlen, das gibt die Behörde
selbst zu, sind mit großer Vorsicht zu genie-
ßen. Die Dunkelziffer, also die Zahl der Ta-
ten, die der Polizei nicht gemeldet werden,
sei gerade bei der Cyberkriminalität ex-
trem hoch. BKA-Vizepräsident Peter Henz-
ler nannte exemplarisch die Schadenssum-
me der dem BKA im Jahr 2018 gemeldeten
Fälle, rund 60 Millionen Euro. Demgegen-
über steht laut Henzler eine kürzlich veröf-
fentlichte Studie des Branchenverbands
Bitkom, der den Gesamtschaden für die
deutsche Wirtschaft nach einer Umfrage
unter IT-Experten und Managern auf über
100 Milliarden Euro jährlich schätzt, mehr
als 1000-mal so viel.
Gründe für dieses immense Dunkelfeld
im Bereich Cybercrime gibt es viele. Zum
einen kann es Opfern peinlich sein, auf In-
ternetbetrüger hereingefallen zu sein. An-
dere machen sich wenig Hoffnung auf eine
erfolgreiche Strafverfolgung und zeigen
Fälle deshalb gar nicht erst bei der Polizei
an. Unternehmen wiederum befürchten,
dass ihre Reputation durch öffentlich ge-
wordene Hackerattacken Schaden nimmt.
Die Bitkom-Studie bestätigt die Vermu-
tung des BKA-Vizepräsidenten. Demnach
waren 75 Prozent der befragten Unterneh-

men in den vergangenen zwei Jahren Op-
fer von Cyberangriffen, zwei Jahre zuvor
waren es noch rund 50 Prozent gewesen.
Cybercrime in Deutschland ist also auf
dem Vormarsch. Für Henzler ist das auch
auf die Wirtschaftskraft Deutschlands zu-
rückzuführen. Für Cyberbetrüger ist das
reiche Land ein reizvolles Ziel. Die Wirt-
schaft sei aufgrund des hohen technischen
Know-hows auch ein lohnendes Ziel für
professionelle Cyberspione aus dem Aus-
land, sogenannte APT-Gruppen.
Auch die technologische Entwicklung
hilft dem BKA zufolge den Kriminellen im
Internet. So seien sogenannte DDoS-An-
griffe, bei denen die Angreifer mithilfe von
Botnetzen Webseiten von Unternehmen so
lange mit Anfragen aus dem Netz bombar-
dieren, bis diese zusammenbrechen, deut-
lich mehr geworden. Gleichzeitig steige die
genutzte Bandbreite der Attacken, was zu
schnelleren Schäden führe. Kriminelle
nutzen solche Angriffe zum Beispiel, um
Betreiber von Online-Shops zu erpressen,
für die ein Ausfall ihrer Bestell-Webseite
schnell sehr teuer werden kann.
Die Kriminellen im Netz müssen heutzu-
tage für viele Angriffe nicht einmal mehr
sonderlich technisch versiert sein. Botnet-
ze, also zu einem Netzwerk zusammenge-
schlossene gekaperte Computer und ande-
re internetfähige Geräte können bei ent-
sprechenden Portalen im Darknet gemie-
tet werden. Auch Erpressersoftware oder
andere Malware, wie den berüchtigten
Trojaner Emotet, können Kriminelle dort
erwerben. Arbeitsteilung gibt es im Jahr
2019 auch unter Cyberkriminellen.
Ein Indiz für diese Entwicklung lieferte
dem BKA im Jahr 2018 ein erfolgreicher
Schlag gegen einen dieser Dienstleister für
kriminelle Umtriebe. Zusammen mit inter-
nationalen Behörden gelang es, den DDoS-
Anbieter Webstresser vom Netz zu neh-
men. Dort waren, wie die Auswertungen
ergaben, 138 000 Kunden angemeldet. Die
DDoS-Angriffe im Netz gingen – nachdem
der Anbieter abgeschaltet worden war –
laut BKA-Vizepräsident Henzler merklich
zurück. mxm

Bis zu ein paar Hundert Euro im Monat


Nach der Einigung der Koalition können künftig 1,2 bis 1,5 Millionen Senioren mit mehr Geld vom Staat rechnen.
Wer profitiert von der neuen Grundrente, wie funktioniert und was kostet sie? Die wichtigsten Antworten

Draußen vor der Tür


FDP-Chef Lindner darf nicht in Hamburgs Uni reden – darum lädt er zum Meinungs-Open-Air


Dresden – Die Evangelische Kirche in
Deutschland (EKD) steht Auslandsein-
sätzen der Bundeswehr skeptisch gegen-
über, wie sie die CDU-Vorsitzende Anne-
gret Kramp-Karrenbauer fordert. Zivile
Konfliktlösungen sollten Vorrang vor
militärischen Interventionen haben,
forderte der badische Landesbischof
Jochen Cornelius-Bundschuh auf der
Tagung der EKD-Synode in Dresden.
Das Kirchenparlament berät dort über
Wege „zu einer Kirche der Gerechtig-
keit und des Friedens“. Ein Kundge-
bungsentwurf fordert unter anderem,
zwei Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts für zivile Konfliktlösung und
Entwicklung aufzuwenden, so viel, wie
die Nato-Partner für militärische Aus-
rüstung ausgeben wollen. Atomwaffen
sollen völkerrechtlich geächtet werden.
Bundeswehr-Oberstleutnant Mathias
Meierhuber warnte die EKD vor einem
fundamentalen Pazifismus: Als Ultima
Ratio müsse man das Böse auch mit
Gewalt bekämpfen können. Kira Vinke
vom Potsdam-Institut für Klimafolgen-
forschung sagte, ohne Klimaschutz
könne es keinen Frieden geben. Durch
die Erderwärmung könnten auf der
Erde weite unbewohnbare Gebiete ent-
stehen, mit unabsehbaren Folgen und
Konflikten. mad

Berlin – Die etwa 21 Millionen Rentner
können auch im kommenden Jahr mit
deutlich steigenden Bezügen rechnen.
Zum 1. Juli 2020 dürften die Renten in
Westdeutschland um 3,15 Prozent und
in Ostdeutschland um 3,92 Prozent
steigen. Das geht aus einem Entwurf
für den Rentenversicherungsbericht
2019 hervor. Es handelt sich bei den
Angaben um Schätzungen zum jetzigen
Zeitpunkt. Die exakten nötigen Werte
für die Berechnung der Rentenerhö-
hung liegen erst im Frühjahr 2020 vor.
Dass die Annahmen zur Rentensteige-
rung am Tag nach der Einigung der
Koalition zur Grundrente bekannt wur-
den, ist Zufall. Die Vorausberechnungen
werden jedes Jahr um diese Zeit fertig-
gestellt. Demnach dürfte sich die Erhö-
hung aber auf dem Niveau diesen Jah-
res bewegen. Im Juli hatten die Renten
im Westen um 3,18 Prozent, im Osten
um 3,91 Prozent zugelegt. dpa

Berlin – Bundeskanzlerin Angela Mer-
kel hat den Nationalen Integrations-
preis 2019 an das Projekt „Integration
durch Qualifizierung – Apotheker für
die Zukunft“ verliehen. Dabei wird ge-
flüchteten Apothekern geholfen, hierzu-
lande einen Job zu bekommen. „Es
zeigt vor allen Dingen auch, wie wert-
voll es ist, wenn Geflüchtete ihr Wissen
und ihr Können bei uns auch wirklich
anwenden“, sagte Merkel (FOTO: DPA)bei
der Verleihung am Montag in Berlin.
Die Landesapothekerkammer Rhein-
land-Pfalz (im Bild: deren Präsident

Andreas Kiefer) hilft zusammen mit
dem Träger Medici in Posterum auslän-
dischen Apothekern dabei, eine deut-
sche Zulassung zu bekommen. Sie müs-
sen dazu in ihrem Heimatland Pharma-
zie studiert oder dort schon als Apothe-
ker gearbeitet haben. Für die Zulassung
baut das Projekt auf drei Säulen:
Sprach- und Fachunterricht, Arbeit in
Apotheken und Betreuung durch einen
ehrenamtlichen Tutor. Das Projekt gibt
es seit Januar 2017. Nach eigenen Anga-
ben haben bisher mehr als 50 ausländi-
sche Apotheker den Vorbereitungskurs
zur Zulassung absolviert. Der Nationale
Integrationspreis, dotiert mit 10 000 Eu-
ro, wurde zum dritten Mal verliehen.
Schwerpunkt war dieses Jahr das The-
ma „Mitgestalten“. dpa

Berlin – Angesichts der jahrelangen
Serie von rechtsextremen Straftaten in
Berlin-Neukölln haben alle zuständigen
Sicherheitsbehörden beteuert, dass sie
alles nur Mögliche zur Aufklärung un-
ternehmen würden. Gleichzeitig räum-
te die Polizei am Montag im Innenaus-
schuss aber auch einige Ermittlungsfeh-
ler ein. Innensenator Andreas Geisel
(SPD), sein Staatssekretär, der Verfas-
sungsschutz-Chef, der Vizechef des
LKA und ein Oberstaatsanwalt beton-
ten, wie umfangreich die Maßnahmen
besonders gegen zwei Verdächtige aus
der rechtsextremen Szene seien. Geisel
gab zu, die Zusammenarbeit zwischen
Polizei und Verfassungsschutz sei nicht
optimal gewesen. Aber besonders nach
den Brandanschlägen Ende Januar 2018
habe die Polizei ihr Vorgehen enorm
ausgeweitet. „Leider haben diese Maß-
nahmen bisher nicht zu Ermittlungser-
folgen geführt. Und es ist klar, dass
mich das zutiefst wurmt.“ In Neukölln
wurden in den vergangenen Jahren
Autos von bekannten Mitgliedern linker
Parteien und Einrichtungen angezün-
det, Drohungen verschickt und linke
Treffpunkte beschädigt.dpa

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 sz.de/nachrichtenpodcast

Berlin – Der Vorsitzende der Jungen Uni-
on, Tilman Kuban, hat seine Ablehnung
des Grundrenten-Kompromisses der Koa-
litionsspitzen mit einer drohenden Belas-
tung der jungen Generation begründet.
Der Zuschuss für kleine Renten sei so nicht
finanzierbar, zudem fehle eine echte Be-
darfsprüfung. Kuban ist eines von insge-
samt drei CDU-Vorstandsmitgliedern, die
am Montag gegen den Kompromiss ge-
stimmt haben. Mit Blick auf die Sitzung
der Unionsfraktion am Dienstag sagte Ku-
ban, er sei mit vielen jungen Abgeordneten
im Gespräch: „Ich werbe dafür, dass gera-
de die jungen Abgeordneten dann auch
klarmachen, dass wir für Generationenge-
rechtigkeit stehen. Und für Generationen-
gerechtigkeit steht dieser Kompromiss lei-
der nicht.“ Zwar hatte sich Koalition am
Sonntag neben der Grundrente auch auf
Entlastungen für Betriebsrentner und Un-
ternehmen verständigt. Doch Kuban sag-
te, die Junge Union sei hier nicht käuflich,
sondern habe eine klare Haltung.

Das CDU-Präsidium hat sich zuvor unge-
achtet der Kritik aus dem Wirtschaftsflü-
gel der Partei hinter den Grundrenten-
Kompromiss gestellt. Der nordrhein-west-
fälische Ministerpräsident Armin Laschet
sagte: „Ich glaube, eine Mehrheit wird zu-
stimmen und damit kann das Ganze umge-
setzt werden.“ Die große Koalition habe
„Handlungsfähigkeit gezeigt und aus mei-
ner Sicht ist das eine gute Voraussetzung,
dass sie auch weiter ihre Arbeit macht“.
Auch CSU-Chef Markus Söder betonte, er
sei „sehr zufrieden“: Die Koalition schließe
eine Gerechtigkeitslücke.
In der SPD kommt sogar von denjenigen
Lob, die mit dem Ende der großen Koaliti-
on liebäugeln und denen ein Scheitern in
die Hände gespielt hätte. Saskia Esken,
Kandidatin um den Parteivorsitz, sagte der
Süddeutschen Zeitung: „Die SPD hat in die-
sem Fall gezeigt, dass, wenn man den Rü-
cken gerade macht und mit harten Erwar-
tungen in die Verhandlungen geht, sie
auch ein gutes Ergebnis erzielen kann.“ Sie
und Norbert Walter-Borjans, die als Team
die künftige Doppelspitze bilden wollen,
schränkten aber ein, es sei lediglich ein
Kompromiss erzielt worden: „Wir hätten
uns eine Grundrente vorgestellt ohne Be-
dürftigkeitsprüfung, ohne Einkommens-
prüfung.“ Klara Geywitz, die gemeinsam
mit Finanzminister Olaf Scholz gegen Es-
ken und Walter-Borjans antritt, sagte: „Die
Koalition hat gezeigt, dass sie handlungsfä-
hig ist. Das war nach Monaten des Verhan-
delns ein sehr wichtiges Signal.“
Grüne und Linke bemängelten unterdes-
sen, dass die Grundrente erst ab 35 Bei-
tragsjahren greife und deshalb das grund-
legende Problem der Altersarmut nicht lö-
se. Während Sozialverbände den Kompro-
miss überwiegend lobten, forderte Arbeit-
geberpräsident Ingo Kramer „langfristig
wirkende Entlastungen der Wirtschaft“.
Der FDP-Politiker Johannes Vogel kritisier-
te, die Union habe „ein schlechtes Modell
der SPD dauerhaft geschluckt“. Die Finan-
zierung der Grundrente über Steuern sei
nicht plausibel. mbal,gam, klu, msz

Einmal Attacke, bitte


Kriminelle im Netz brauchen kaum noch technische Expertise


DEFGH Nr. 261, Dienstag, 12. November 2019 (^) POLITIK 5
Der Grundrenten-Kompromiss führte über einen langen, steinigen und holprigen Pfad. FOTO: MAURITIUS IMAGES / LUMI IMAGES
Straßendiskurs: Christian Lindner (FDP) spricht mit einem Überraschungsgast –
Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA
Das BKA verzeichnet 87000 Fälle
von Cyberkriminalität, doch das
Dunkelfeld ist immens
CSU-Chef Söder hält die
gefundene Lösung für gut, auch
aus der SPD kommt nur Lob
Kirche für zivile Lösungen
Renten steigen 2020 erneut
Preis für Apotheker
Ermittlungsfehler in Neukölln
Jung und
unzufrieden

Der Grundrenten-Kompromiss
gefällt in der CDU nicht allen
INLAND
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