- NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47 STREIT 11
s hätte eine Chance sein können für Mark
Zuckerberg, den Gründer und Haupteigen
tümer von Face book. Eine Chance, aus der
Defensive herauszukommen. Eine Chance,
wenigstens ein bisschen von dem Vertrauen
zurückzugewinnen, das durch die unzählige
Skandale der vergangenen Jahre verloren ge
gangen ist. Das Magazin Wired hat die zu
rückliegenden 18 Monate gerade schlicht als
»Hölle« für Face book bezeichnet. Vor allem
aber wäre es eine Chance für den Digital
tycoon gewesen, endlich zu beweisen, dass er
begriffen hat, welche Verantwortung er trägt.
Aber Zuckerberg hat die Chance nicht
einfach nur ungenutzt gelassen. Er hat sie zer
stört. Trotzig wie einer, dem die Welt ringsum
egal ist.
Zuckerberg hat entschieden, bezahlte poli
tische Werbung auch dann nicht von seiner
Plattform zu verbannen, wenn sie nachweislich
falsche Informationen enthält. Die neue Re
gelung erlaubt Politikern – gegen Geld –, zu
behaupten, was sie wollen, so
gar Unwahrheiten, Verschwö
rungstheorien, Fake News zu
verbreiten. Bezahlte Lügen,
mit anderen Worten, sind
okay für Face book. Und das in
einem Moment, da die ideo
logische Spaltung der Verei
nigten Staaten und anderer
Demokratien so tief geht wie
seit Jahrzehnten nicht.
Zuckerberg ist dafür hef
tig kritisiert worden – mehr
aber auch nicht.
Der Drehbuchautor Aaron
Sorkin etwa, von dem der
Film The Social Network
stammt, eine ätzend ironische
Nacherzählung der Grün
dung von Face book, hat Zu
ckerberg vorgeworfen, er ver
teidige nicht die Meinungs
freiheit, sondern »attackiere
die Wahrheit«.
Die demokratische Präsi
dentschaftsbewerberin Eliza
beth Warren schimpfte, Face
book sei eine »Maschine«, die
»mit Desinformationen Profit
macht«. Sie ließ testweise eine
Anzeige schalten, in der sie
die – nachweislich falsche –
Behauptung aufstellte, Zu
ckerberg habe zur Wahl von
Trump aufgerufen. Die An
zeige wurde von Face book
ohne Zögern online gestellt.
»Wir bleiben dabei, die
freie politische Rede nicht zu
zensieren«, sagte eine Spre
cherin von Face book. Aber
was soll an absichtlichen
Falschbehauptungen schüt
zenswerte freie Rede sein?
Und wieso kommt Face book
mit solchen Scheinargumen
ten nach wie vor davon? Warum zögert die
Politik immer noch, das Notwendige zu tun:
den Konzern zu verantwortlichem Handeln
zu zwingen?
Sogar einige von Zuckerbergs eigenen
Mitarbeitern protestieren mittlerweile. In ei
nem internen Brief, über den die New York
Times berichtete, klagten etwa 250 Angestell
te, die neue Regeln machten es möglich, dass
»Politiker unsere Plattform in eine Waffe ver
wandeln«.
Die Probleme reichen weit über die Ver
einig ten Staaten hinaus. Eben erst haben Bür
gerrechtsgruppen in Sri Lanka davor gewarnt,
die neuen Wahlwerbungsregeln von Face book
drohten die Präsidentschaftswahlen in dem
Inselstaat zu gefährden. Tatsächlich haben die
sozialen Netzwerke gerade in fragilen Gesell
schaften, die mit ethnischen oder religiösen
Konflikten zu kämpfen haben, immer wieder
als digitale Brandbeschleuniger gewirkt.
Face book beteuert zwar, der Konzern blo
ckiere jeden Tag Millionen Fake Accounts
und investiere massiv in das Faktenchecken
durch unabhängige Dritte. Doch Zucker
bergs neue Wahlwerbungsregeln haben alle
diese Anstrengungen infrage gestellt.
Zuckerberg verteidigte seine Haltung in
einer Rede an der GeorgetownUniversität
und während einer Anhörung vor dem Re
präsentantenhaus in Washington. Dort sagte
er zu der Abgeordneten Alexandria Ocasio
Cortez: »In einer Demokratie, glaube ich,
sollten die Menschen selbst sehen, was die
Politiker (...) sagen, und selbst deren Charak
ter beurteilen.«
Solche Äußerungen zeigen, worin das ei
gentliche Problem von Face book besteht. Zu
ckerberg hängt einer technolibertären Ideo
logie an, die darauf vertraut,
dass der Markt schon alles
richten und auch Lügen von
Wahrheit trennen werde. Im
Umkehrschluss heißt das aber
eben auch, dass Plattformen
wie Face book selbst keine
Verantwortung tragen.
Dieses Selbstbild jedoch
geht an der Rolle und der Ver
antwortung der Netzwerke
grotesk vorbei. Sie sind längst
keine technischen Plattformen
mehr, sie stellen nicht bloß
einen neutralen Diskursraum
zur Verfügung, sie steuern
über ihre Algorithmen massiv
und gezielt, was die Nutzer zu
sehen bekommen und welche
Botschaften sich wie schnell
ausbreiten.
Sicher, es sind nicht Twit
ter, Google oder Face book, es
sind die Nutzer, die Hass, Het
ze, Mordaufrufe oder Kinder
pornografie ins Netz stellen.
Aber es sind die Plattformen,
die es erst möglich machen,
den Dreck millionenfach wei
terzuverbreiten, in Sekunden
bruchteilen, weltweit.
Mehr noch, alle Plattfor
men haben spezifische Inte
ressen, nach denen das Nut
zerverhalten gesteuert wird.
Ihre Existenz hängt davon ab,
ihre Nutzer an sich zu bin
den, sie emotional zu packen,
ihre Augen auf die Bild
schirme zu bannen, sie zu ver
führen, möglichst viel Zeit
bei ihnen zu verbringen.
Denn je länger die Nutzer auf
einer Plattform sind, desto
mehr Werbung kann man
ihnen vorsetzen. Und desto
mehr Daten lassen sich von ihnen absaugen.
Das Geschäftsmodell von Face book und ande
ren Plattformen ist simpel: Sie wollen so viel
Aufmerksamkeit wie nur möglich. Immer
mehr. Ständig.
Darauf sind die Algorithmen program
miert, wie digitale Suchtmittel. Und der beste
Lockstoff für Aufmerksamkeit sind Emotio
nen. Je stärker die Emotionen, desto größer
die Aufmerksamkeit: Bilder emotionalisieren
stärker als Texte, Videos stärker als Fotos. Streit
emotionalisiert stärker als Konsens. »Wir ge
gen sie« mehr als Differenzierung. So stärken
Face books Algorithmen weltweit Wut und
Tribalismus.
Was lässt sich dagegen tun? Gegen einen
Riesenkonzern wie Face book könne man ja
eh nichts ausrichten, behaupten Politiker oft,
in einer Mischung aus Verzweiflung und Re
si gna tion. Aber das stimmt nicht. Überall auf
der Welt denken Politiker und Bürgerrechtler
intensiv darüber nach, wie sich die Macht der
Plattformen einhegen lässt. Die Vorschläge
für mögliche Reformen häufen sich.
Die kritischen Face book Mit ar bei ter selbst
zum Beispiel haben vorgeschlagen, bezahlte
Wahlwerbung, wenn schon nicht zu blockie
ren, dann wenigstens optisch anders zu ge
stalten als andere Posts. Sie regten auch an,
Obergrenzen für Werbeausgaben einzelner
Kandidaten festzulegen.
Auf der Bilderplattform Instagram, die
ebenfalls zum Face book Kon zern gehört,
sind Hasskommentare und Shit storms viel
seltener. Das liegt allerdings nicht daran, dass
die Bilder dort alle so niedlich wären, son
dern an bewussten Entscheidungen der
Gründer: Die haben die innere Architektur
der Plattform anders entworfen, weniger auf
das Teilen von Inhalten hin ausgerichtet,
weniger darauf, dass Botschaften sich schnell
verbreiten, generell weniger auf aggressives
Wachstum. Außerdem hat Instagram schon
im Sommer 2017 begonnen, künstliche In
telligenz zum Aufspüren von Hasskommen
taren einzusetzen.
Die Plattformen könnten also durchaus
einiges unternehmen. Und wenn sie das
nicht tun, muss eben die Politik regulierend
eingreifen, wie in anderen Marktbereichen
auch, die sonst außer Kontrolle geraten und
Gefahren für die Allgemeinheit produzieren
könnten. Deswegen gibt es den TÜV für
Autos oder Standards für Lebensmittel.
Bundesjustizministerin Christine Lam
precht zum Beispiel hat das anfangs umstrit
tene deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz
gerade nachgeschärft, das Face book, Twitter
und Co. künftig nicht nur verpflichtet, be
stimmte Inhalte von den Plattformen zu
löschen, sondern zudem besonders schwere
Delikte von sich aus bei der Polizei oder der
Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Die Anzeige
pflicht soll es der Justiz erleichtern, gegen
Straftäter im Netz vorzugehen.
Viel grundsätzlicher will die USDemo
kratin Elizabeth Warren eingreifen. Sie hat
eine Zerschlagung von Face book gefordert.
Die Macht von Monopolisten, so der Ge
danke, münde immer in Missbrauch. Aber
was genau würde eine Zerschlagung von
Face book in kleinere Firmen am Problem des
profitablen Laisserfaire ändern?
Es bleibt die große Frage, wie lange ei
gentlich die Plattformen noch von jeder Ver
antwortung für das befreit bleiben sollen,
was ihre Nutzer so posten. Anders als tradi
tionelle Medien haften die großen
sozialen Netzwerke nicht für die
Inhalte, die sie verbreiten. Das mag
früher richtig gewesen sein, als die
Plattformen wirklich nur techni
sche Vehikel waren. Mittlerweile
aber sind sie längst Medienhäuser
neuer Art, die Inhalte kuratieren,
steuern, bewerten. Ihre Haftungs
befreiung ist ein Privileg, für das es
keine Rechtfertigung mehr gibt.
Wer heute mit FacebookMana
gern spricht, hinter verschlossenen
Türen, hört von ihnen, sie hätten
durchaus verstanden, dass die Firma
alle Vertrauenswürdigkeit verloren
habe. Dass Selbstkontrolle keine
Option mehr sei. Wir warten darauf, sagen
sie, dass der Staat endlich beginnt, uns die Re
geln vorzuschreiben, die wir brauchen.
Man sollte auf die Leute hören.
Heinrich Wefing
ist CoLeiter des
Politikressorts der ZEIT
Der Konzern
der bezahlten Lügen
Facebook verdient Geld damit, die Gesellschaft
auseinanderzutreiben und Fake News in die Welt zu
blasen. Die Politik muss endlich den Mut fassen,
dem Netzwerk Grenzen zu setzen VON HEINRICH WEFING
LASS MICH AUSREDEN!
E
Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT; kl. Foto: Norman Hoppenheit für DIE ZEIT
Auch in Deutschland
gibt es »keine
spezifische Regulierung
von Wahlwerbung im
Internet«, hat der
Wissen schaft liche
Dienst des Bundes
tages erst unlängst
festgehalten. Für die
Wahlwerbung im
öffent lich rechtlichen
Rundfunk hingegen
gelten strenge Maß
stäbe, die in den
Rundfunkstaats
verträgen geregelt sind.
Die ZEIT prüft Wahl
werbung grundsätzlich
vor der Veröffent
lichung und weist sie
gegebenenfalls zurück.
Ganz allgemein sind
unwahre Tatsachen
behauptungen nach
ständiger Recht
sprechung des Bundes
verfassungs gerichts
nicht vom Grundrecht
auf freie Meinungs
äußerung geschützt,
da, so die Karlsruher
Richter, unrichtige
Informationen nichts
zum Meinungs
bildungsprozess
bei tragen können.
Was gilt bei
der ZEIT?
ANZEIGE
Erkenne Dein
Diabetes-Risiko!
Welt-Diabetes-Tag ·14. November
TesteDichjetzt auf http://www.diabinfo.de
Angebotenvon: Initiiertvon: Geförd ert durch: