Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

»Nilda ist die beste Köchin der Welt«


Zu Hause schwärmten die Kinder unserer Kollegin immer von ihrer


Kita-Köchin Nilda Bezerra. Dort aßen sie sogar gekochtes Gemüse!


Wie schafft die Brasilianerin das bloß?


Vo n ANNABEL WAHBA


Meine erste Begegnung mit Nilda Bezerra ist mir im Rückblick
peinlich. Es ist jetzt sieben Jahre her, sie stand in der Küche des


Kinderladens, die braunen Locken von einem Haarband zurückge-
halten, die Lippen rot geschminkt wie immer, und schnitt saftiges


Mangofleisch in Würfel für die Nachspeise. Meine damals zwei-
jährige Tochter Fiona war erst seit wenigen Tagen bei den Wild


Poppies in Berlin-Kreuzberg und ich zur Eingewöhnung mit dabei.
An diesem Tag sollte Fiona zum ersten Mal in der Kita essen. Die


Erzieherinnen hatten mir schon viel von der Köchin Nilda erzählt:
»Sie verwöhnt uns sehr«, sagte eine von ihnen.


Fiona setzte sich mit vier anderen Kindern an den gedeckten Tisch in
der Küche. Nilda, die alle in der Kita nur beim Vornamen nennen,


stellte zunächst die Vorspeise auf den Tisch, einen Rohkostteller mit
allerlei Gemüse, darunter Paprika und Kohlrabi. Ich setzte mich dazu


und sagte: »Ich glaube nicht, dass Fiona das essen wird.«
Nilda erinnert mich an diesen Satz, als ich nun – um einige Er-


fahrungen reicher – wieder in ihrer Küche sitze, um mit ihr über das
Geheimnis guten Kinderessens zu reden. Erste Regel: Essen nicht


stigmatisieren. »Wir Erwachsenen haben einen großen Einfluss. Als
Mutter sagt man in so einer Situation am besten gar nichts, anstatt


das Kind in seiner Abneigung zu bestärken«, sagt sie. Meine Tochter
aß damals übrigens eifrig mit – auch das hat Nilda nicht vergessen.


Meine Tochter geht längst in die Schule, mein Sohn seit August
auch. Weil sie Nildas gutes Mittagessen gewohnt sind, essen sie in


der Schulmensa nur wenig – mal sind ihnen die Speisen zu salzig,
mal zu geschmacklos, meist zu verkocht. Umso wichtiger ist es, dass


wir zu Hause kochen. Noch immer hören wir dann oft von ihnen:
Das schmeckt nicht so gut wie bei Nilda. Und wenn ich versuche,


Nildas Gerichte nachzukochen, heißt es: »Du kannst das nicht so
gut wie sie. Nilda ist die beste Köchin der Welt.«


Unter all den Tipps, die Experten Eltern in Sachen Essen geben,
haben wir vor allem einen immer befolgt: gemeinsam zu Abend zu


essen. Denn Essen ist ja mehr als nur Nahrungsaufnahme, man sitzt
zusammen, erzählt sich, wie der Tag so gelaufen ist – das gemein-


same Essen als Kitt, der die Familie zusammenhält. So zumindest das
Ideal. Denn leider gilt der Grundsatz, dass Essen mehr als Nahrungs-


aufnahme ist, auch andersrum: Kinder benutzen es, um eigene In-


teressen durchzusetzen. Wer sich weigert, die Gurke auf seinem Teller
zu essen, bekommt garantiert die Aufmerksamkeit der Eltern. Und
für uns ist Essen oft mit Stress verbunden: Wenn wir von der Arbeit
kommen, Hausaufgaben mit den Kindern erledigen und nebenbei
am Herd etwas kochen müssen, das allen schmeckt, ist es mit der Har-
monie spätestens dann vorbei, wenn dieses Essen verschmäht wird.
So wie leider oft bei uns. Sobald wir von den Top Ten der Kinder-
gerichte abwichen (Nudeln, Pizza, Fischstäbchen, Pommes, Rahm-
spinat, Kartoffelpüree, Ei, Fleischbällchen, Pfannkuchen, Würst-
chen), beschwerten sich die Kinder. Mein Mann und ich wollten
aber auch mal was anderes essen – und wir finden, dass die Kinder
sich unserem Geschmack zumindest annähern sollten.
Neulich habe ich mit den Kindern ein Essensmagazin durchgeblät-
tert, sie sollten sich selbst Gerichte aussuchen. Unter den gut drei
Dutzend Rezepten für Familien fand jedes meiner Kinder zumindest
zwei oder drei, die wir dann zusammen kochten. Nur leider mochte
meine Tochter die Tomatensuppe nicht, die mein Sohn ausgesucht
hatte. Und er lehnte die Wraps mit Gemüse ab, die sie wollte.
Am besten funktionieren bei uns Gerichte, die ich so genau wie mög-
lich nach Nildas Vorgaben nachkoche: etwa ihr Hirseauflauf (Rezept
Seite 64), ihre Spinatlasagne und ihr Tofu mit Gemüse in einer Kokos-
Curry-Soße und Reis. Dass die Kinder das gerne essen, liegt natürlich
daran, dass sie es bereits kennen. Es liegt aber vor allem daran, dass
Nilda viele Jahre Erfahrung hat. Was also ist das Geheimnis der besten
Köchin der Welt? Was lässt sich bei ihr lernen und abgucken?
Der deutsch-englische Kinderladen Wild Poppies liegt in einer ru-
higen Seitenstraße. In den drei großen Erdgeschossräumen eines
Altbaus spielen 15 Kinder zwischen einem und sechs Jahren. Nilda
versorgt noch eine benachbarte Kita mit Essen, jede Mahlzeit muss
für 40 Personen reichen. Es gibt nur vegetarische Gerichte, mit Aus-
nahme von Fischstäbchen. Das war schon so, als Nilda hier anfing.
Zwei der Erzieherinnen und Nilda selbst sind Vegetarierinnen. »Ich
würde den Kindern aber niemals ausreden, Fleisch zu essen«, sagt sie.
Es ist neun Uhr, Nilda war schon einkaufen, im Bio-Supermarkt, und
steht jetzt am Herd. Die 55-Jährige trägt an diesem Morgen eine tief-
rote Schürze, die sie von einem Urlaub in ihrem Heimatland Brasilien
mitgebracht hat. Sie lebt seit 1991 in Berlin, ihr Deutsch hat einen Fotos

Alexander Gehring (S. 61 und 64)
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