Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

weichen portugiesischen Akzent. Mein siebenjähriger Sohn Lucien ist


heute mitgekommen, er hat Ferien. Die beiden umarmen sich zur
Begrüßung. Wer einem mittags den hungrigen Magen füllt, zu dem


hat man eine besondere Beziehung. Nilda weiß von jedem Kind, was
es gerne mag und was nicht. Sie ist Teil des Kinderladens, wie die


Erzieherinnen auch, die Kinder respektieren sie. Sicher essen sie auch
deshalb bei ihr eher Gerichte, über die sie bei den Eltern mäkeln. Was


Nilda heute kocht, ist dafür ein guter Test, wie mir beim Blick in ihren
Kochtopf klar wird. Sie schwitzt gerade Süßkartoffeln an für das Ge-


müse in Tomatensoße, das es zu gebackenen Polentaschnitten geben
wird. Süßkartoffeln mag mein Sohn nicht, wie er erst am Vorabend


erklärt hat. Da kochte mein Mann ein neues Gericht, das Kinder an-
geblich lieben – zumindest nach Aussage des britischen Fernsehkochs


und fünffachen Vaters Jamie Oliver, von dem es stammt: Ofengemüse
mit Halloumi, das mit etwas Pesto verfeinert wird. Zumindest was


Lucien angeht, liegt Oliver falsch: Ihm waren die Süßkartoffeln »zu
süß und zu weich«. Ob er sie heute in Nildas Soße essen wird?


Was mir an Nilda auffällt, ist die Gelassenheit, die sie in der Küche
ausstrahlt. Sie hat einen genauen Plan, was sie wann zu erledigen


hat. Wenn sie Zutaten schneiden muss, tut sie das zügig, aber nicht
hektisch, Unruhe kommt bei ihr selten auf. Bei ihr sieht Kochen aus


wie etwas, das Freude macht. Bei mir ist das sicher nicht immer so.
In der Kita ist es heute ruhig, wegen der Herbstferien sind nur fünf


Kinder da. Es kommt oft vor, dass die Kinder bei Nilda in der Küche
vorbeischauen. »Manchmal fragt eines von ihnen, was ich koche«,


sagt Nilda. Dann hebt sie es hoch, damit es in den Topf schauen
kann, und erklärt ihm, wie zum Beispiel das Gemüse heißt, das sie


gerade zubereitet. Sie gibt grundsätzlich ehrlich Auskunft, wenn ein
Kind nach den Zutaten eines Gerichts fragt. Auch auf die Gefahr


hin, dass es etwas ist, das es nicht mag.
Sie erinnert sich, wie meine Tochter einmal zu ihr in die Küche kam


und sie fragte, was sie da gerade im Topf rühre.
»Zwiebeln«, sagte Nilda.


»Die mag ich nicht.«
»Die sind aber in jeder Soße von mir, die hast du immer gegessen.«


Danach war das Thema beendet, Fiona aß das Gericht.
»Das Wichtigste ist, dass die Kinder eine Beziehung zum Essen


aufbauen«, sagt Nilda Bezerra. »Man kann ihnen nicht einfach ein
Gericht hinstellen und hoffen, dass sie es essen. Hier im Kinder-


laden gucken sie nicht nur in meine Töpfe, sie mögen es auch, dass
wir alle gemeinsam essen.« Und die Erzieherinnen achten darauf,


dass sich die Kinder den Appetit nicht mit Snacks zwischendurch
verderben. Deshalb essen sie vormittags auf dem Spielplatz nichts


(mit Ausnahme der ganz Kleinen) und haben um 12.30 Uhr, wenn
das Essen auf dem Tisch steht, tatsächlich Hunger.


Im zweiten Topf auf Nildas Herd blubbert Polenta. Als diese gar ist,
streicht Nilda die Masse auf Bleche, etwa zwei Zentimeter dick, nach


etwa zehn Minuten schneidet sie die mittlerweile feste Polenta in
akkurate Rechtecke, so groß wie Fischstäbchen. Die backt sie dann


im Ofen unter dem Grill, bis sie goldbraun sind. Die Polentaschnit-
ten sehen sehr appetitlich aus. »Die Optik und auch die Farben des


Essens sind wichtig, wenn man für Kinder kocht«, sagt Nilda.
Eine andere Kinderladen-Köchin habe einmal zu ihr gesagt: Du


machst dir ja so viel Mühe, ich gebe einfach die Zutaten in den Topf
und fertig. »So was kann ich nicht«, sagt Nilda. Essen ist für sie eine


sinnliche Erfahrung. Sie freut sich, wenn die Kinder vom Spielplatz
kommen, der Duft aus der Küche durch den Kinderladen zieht und


sie zu ihr sagen: Oh, das riecht aber gut.


Dass die Wild Poppies eine eigene Köchin haben, ist ein Glück für
Kinder und Erzieherinnen, aber es ist kein Luxus. Die Stadt Berlin
übernimmt die Betreuungskosten – Kindergärten sind hier ebenso
wie der Hort im ersten und zweiten Schuljahr für die Eltern kosten-
los, auch das Essen dort. Der Träger der Wild Poppies hat nicht mehr
Geld zur Verfügung als andere. Nur haben eben nicht alle Einrichtun-
gen eine geeignete Küche. Oder sie schließen lieber Verträge mit Ca-
terern ab, weil der Aufwand geringer ist. Dieses Essen – für die Masse
gekocht – schmeckt natürlich anders als das aus einer kleinen Küche.
Eigentlich hat Nilda in Brasilien Portugiesische Literatur studiert.
Kochen konnte sie da schon, das hat sie mit 14 gelernt, als sie nach
dem Tod ihrer Mutter den Haushalt führte, während ihr Vater und
ihre vier älteren Geschwister arbeiten gingen. Als sie nach Berlin kam,
kochte sie in brasilianischen Restaurants. Über eine Bekannte hörte
sie dann von der Stelle bei den Wild Poppies. Das Kochen für Kinder
fand sie reizvoll: »Für Erwachsene zu kochen ist komplizierter, sie ver-
gleichen ständig. Es ist schwierig, genau den Geschmack zu treffen,
den sie sich vorgestellt haben. Das Schöne an Kindern ist auch, dass
sie so ehrlich sind: Entweder sie mögen etwas oder eben nicht.«
In den Restaurants habe sie auch mit ausgebildeten Köchen zusam-
mengearbeitet, sagt Nilda Bezerra. »Die haben allerlei gelernt in ih-
rer Ausbildung, zum Beispiel wie man richtig schneidet. Aber etwas
fehlte einigen: die Intuition und das Gefühl fürs Kochen.« Sie kocht
nie nach Rezept, sondern nach Gefühl. Sie weiß aus Erfahrung, wie
viel Polenta und wie viel Wasser sie in den Topf geben muss. Sie
stellt sich keine Uhr, um zu wissen, wann ein Auflauf fertig ist, son-
dern sticht hinein und überprüft so die Konsistenz. Dass sie intui-
tiv kocht, ist Teil ihrer Persönlichkeit und ihres Lebensgefühls. Sie
liebt improvisierte Musik wie Samba und Jazz. Man könne auch an
den Zutaten ihrer Gerichte erkennen, dass sie aus Brasilien kommt,
sagt sie. »Ich koche immer mit Knoblauch, Zwiebeln und frischen
Kräutern, dieses würzige Element ist Teil der brasilianischen Kü-
che.« Manchmal macht sie brasilianisch inspirierte Nachspeisen wie
Kokos pud ding und Mangojoghurt. Mangos hat sie schon als Kind
im Garten ihres Großvaters vom Baum gepflückt und gegessen.
Nilda stammt aus einem Dorf im Nordosten Brasiliens, die Familie
aß, was auf dem Land des Großvaters wuchs, das Geld war knapp.
Ihre Mutter kochte viel Reis, Bohnen, Mais, Süßkartoffeln, Maniok.
Abends kam die ganze Familie zusammen zum Essen. Fleisch mochte
Nilda schon damals nicht. »Das war aber kein besonderes Thema, ich
habe eben gegessen, was es gab, wenn ich Hunger hatte. Und wenn
ich etwas wirklich nicht mochte, habe ich es gelassen.« Einzelne Be-
findlichkeiten wurden nicht weiter beachtet. Tagsüber holten sich die
Kinder die Früchte von den Bäumen, auf die sie Lust hatten, oder
lutschten Zuckerrohrstangen. Vitaminmangel, über den sich deutsche
Eltern heute oft sorgen, weil ihre Kinder am liebsten Kohlenhydrate
und Zucker zu sich nehmen, war in ihrer Kindheit also kein Thema.
Ein bisschen ist das gemeinsame Essen in der Kita auch wie das Es-
sen in der Großfamilie. Die gemeinsame Mahlzeit ist bei den Wild
Poppies ein Ritual. Vor dem Essen sprechen die Kinder mit den
Erzieherinnen einen Reim. Dann gibt es zuerst die Vorspeise – einen
Salat oder einen Rohkostteller – und schließlich die Hauptspeise.
Montags steht immer ein Nudelgericht auf dem Speiseplan, freitags
Suppe, weil da morgens zusammen gefrühstückt wird. Am Dienstag
und am Donnerstag macht Nilda eine Nachspeise – zum Beispiel
Bananenquark mit Schokostreuseln, Apfel-Tiramisu, einen Obst-
teller oder Schokopudding. »Es darf ruhig mal Zucker drin sein. Ich
achte allerdings darauf, dass es nicht zu viel ist.«

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