Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

Frau Wegner, stimmt es, dass Sie mal eine Katze hatten, die


»Bleib da« hieß?
Ja, das war die Katze, mit der ich 1983 ausgebürgert wurde.
Wegen der Ausreise brauchte ich ein Gesundheitszeugnis
für sie, also bin ich zu einer Tierärztin gegangen. Als mich
die Ärztin nach dem Namen meiner Katze fragte, habe ich
angefangen zu heulen. Nichts mehr mit bleib da. »Bleib da«
musste weg und ich auch.
Sie sind gerade 72 Jahre alt geworden. Ihr Leben war bis-


lang turbulent und erzählt viel über die gesamte deutsch-
deutsche Geschichte. Beginnen wir von vorn: Wer waren


Ihre Eltern?
Meine Eltern waren Kommunisten und lebten vor dem
Krieg in West-Berlin. Sie waren liebe und anständige Men-
schen. In der ganzen Elsa-Brändström-Straße in Pankow,
wo wir den Großteil meiner Kindheit verbrachten, hieß es
immer: Nichts über die kleine Wegner sagen, ihre Eltern
sind gute Genossen und in der Partei.
War es eine bewusste Entscheidung Ihrer Eltern, nach dem


Krieg in Ost-Berlin, also in der DDR, zu leben?
Eigentlich nicht, obwohl der Sozialismus für beide ein
großer Traum war. Mein Vater wurde 1947 aus englischer
Gefangenschaft entlassen und fing an, als Journalist für die
Tägliche Rundschau zu arbeiten. Die Zeitung gehörte den
Sowjets, und die Chefredaktion bestand aus sowjetischen
und deutschen Kommunisten. Als 1948 die Währungs-
reform verabschiedet wurde, wurde mein Vater plötzlich
mit Ostgeld bezahlt, und wir konnten uns die Westmiete
in Berlin-Lichterfelde nicht mehr leisten. 1949 sind meine
Eltern dann mit mir und meiner fünf Jahre älteren Schwes-
ter nach Pankow gezogen.


Welche Rolle hat der Sozialismus in Ihrem Alltag gespielt?
Keine große. Ich habe erst in der Pubertät angefangen, mich
wirklich kundig zu machen. Davor war ich ein ziemlich be-
klopptes Kind. Für mich war jeder, der ein Bonbon trug – so
nannten wir das Parteiabzeichen –, per se ein guter Mensch.
Und Stalin war mein Gott. Das hatte ich aber nicht von
meinen Eltern. Sie kannten schließlich viele deutsche Kom-
munisten und KPD-Mitglieder, die in den Dreißigerjahren
vor Hitler in die Sow jet union geflüchtet waren, dann aber
von Stalins Terror heimgesucht wurden, verschwanden, in
Lager geschickt oder verhaftet wurden. Aber ich wurde ja
schon im Kindergarten indoktriniert, und es gab keinen öf-
fentlichen Raum, in dem kein Bild von Stalin hing. Wenn


ich mich von meinem Vater ungerecht behandelt fühlte,
dachte ich immer: »Ach, wäre nur Stalin mein Vater!« Im
Kindergarten habe ich mal einem anderen Kind verboten
weiterzuessen, als zu Stalins Geburtstag sein Lieblingslied
im Radio lief. Das gehörte sich in meinen Augen nicht.
Wenn sein Lied lief, musste man still sein.
Welches war sein Lieblingslied? Können Sie es noch singen?
Ja natürlich, das Lied heißt Suliko und ist ein georgisches
Volkslied. Suliko ist ein Mädchenname.
Wie waren Sie als junges Mädchen?
Ich war vor allem in der Pubertät sehr unglücklich. Ein
Lehrer, den ich verehrt habe, hat in einer Kurzbeurteilung
auf meinem Zeugnis mal geschrieben: »Bettina ist in-
tellektuell weit voraus, aber körperlich unterentwickelt.«
Das hat mich sehr verletzt. Alle Mädchen in meiner Klasse
hatten ihre Regel, außer mir. Ich war sehr dünn und hatte
lange keine Brüste. Auf der Straße haben sie oft gerufen:
»Da kommt das Schneewittchen, ohne Arsch und ohne
Tittchen!« Ich hatte überhaupt kein Vertrauen zu meinem
Körper und war sehr verunsichert.
Wann hat sich das geändert?
Als ich mit 20 ein Kind bekommen habe. Aber selbst da
dachte ich noch: Bist du ein hässlicher Vogel! Wenn ich
heute Bilder von früher sehe, denke ich: Mensch, warst du
niedlich. Was hast du dir nur für Gedanken gemacht?
Wann haben Sie angefangen, Lieder zu schreiben und Gi-
tarre zu spielen?
Mit elf oder zwölf. Das Schreiben hat mir über meine
Traurigkeit hinweggeholfen, dass nichts an mir dran ist.
Gitarre spielen habe ich von meiner Mutter und meiner
Schwester gelernt, sie haben mir Griffe gezeigt. Am An-
fang habe ich zusammen mit meiner Freundin Marion
viele Schlager nachgesungen und sehr viel Bertolt Brecht.
Aber irgendwann war Brecht mir zu intellektuell und nicht
gefühlsbetont genug. Also habe ich meine eigenen Lieder
geschrieben, über Themen wie Liebe, Verlassensein, Tod,
meine Angst vor einem Atomkrieg. Das hat sich über die
Jahre eigentlich auch kaum geändert. Nach meiner Ausrei-
se und dem Mauerfall kam noch der Heimatverlust dazu.
Das sind ernste Themen für einen Teenager. Was dachten
Sie als Zwölfjährige über den Tod?
Ich hatte furchtbar Angst. Das habe ich immer noch, auch
wenn es etwas besser geworden ist. Aber als Zwölfjährige
war es wirklich schlimm. Ich habe sehr viel darüber nach-
gedacht, wie es sich anfühlt, wenn man stirbt, wenn nichts
mehr da und alles weg ist und man in ein tiefes, dunkles
Loch in der Erde fällt.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie, wenn es so weit ist, am
liebsten in einem Hotelzimmer in Paris den Freitod wählen
würden.
Ich finde, dass der Mensch verdammt noch mal die Wahl
haben muss, zu sagen: »Ich habe fertig!« Das ist unsere ein-
zige wirkliche Freiheit. Ich weiß auch schon, was auf meiner
Beerdigung gespielt werden soll: Das Stück Sarabande von
Händel, das Lied Ich will so gern ein Vogel sein von Karsten

Vo n CAROLIN WÜRFEL Fotos JELKA VON LANGEN

Bettina Wegner, 72, wuchs in Berlin-Prenzlauer
Berg auf. Als Liedermacherin wurden ihre Auftritte
aufgrund ihrer kritischen Haltung zur DDR
erst eingeschränkt, später bekam sie Berufsverbot
und wurde 1983 schließlich ausgebürgert.
Am 11. Dezember gibt sie mit Karsten Troyke in der
»Wabe« in Berlin eines ihrer seltenen Konzerte

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