Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

Wie hat sich Ihr Blick auf das Land durch diese Erfahrung


verändert?
Ich hatte keine Hoffnung mehr, dass sich etwas ändern
könnte. Nach dieser Geschichte war mir klar: So bleibt es.
Von unserer Idee einer gerechten Welt brach über die Jahre
immer ein Stück mehr ab. Trotzdem habe ich so Typen wie
Honecker, auch wenn es bekloppt war, manchmal irgend-
wie verstanden. Wenn du die Nazi-Zeit als Kommunist
überstanden hattest, warst du bestimmt so angstbesetzt
und dachtest: Wenn wir unsere Macht wieder verlieren,
kommt der Faschismus zurück.


Haben Sie damals überlegt, abzuhauen?
Nein, nie. Alle waren da. Meine Freunde, meine Familie.
Der Systemwechsel hätte nicht ersetzen können, was ich in
der DDR hatte: Menschen.


Hatte Ihre Verhaftung Konsequenzen für Ihre Eltern? Ihr
Vater war Chefredakteur der Zeitschrift »Freie Welt« und


eine wichtige Figur in der Presselandschaft.
Ja, nur nicht sofort. Es sollte nicht auffallen. Eines Tages
bekam mein Vater unendlich viele Blumen nach Hause
geschickt: Wir danken dem Genossen Wegner für seine
verantwortungsvolle parteiliche Arbeit. Ihm wurde ge-
dankt, aber in Wirklichkeit wurde er rausgeschmissen.
Danach war Schluss.
Als Strafe für die Flugblatt-Aktion mussten Sie zwei Jahre


lang in der Produktion arbeiten. Eine gängige Maßnahme
für junge Menschen, die sich nicht anpassen konnten. Wo


wurden Sie hingeschickt?
Ich war in einer Siebdruckerei. Ich musste vier Relais in
Förmchen legen, das Sieb runterklappen, die Farbe drauf-
machen, den Rakel, also ein Art Spachtel, drüberziehen
und die fertigen Relais dann auf Paletten stapeln. Wenn ich
etwas versaut hatte, musste ich es mit Aceton sauber ma-
chen. Ich stand Tag für Tag über diesen Dämpfen, bekam
tierischen Hunger, konnte aber nichts bei mir behalten. In
der Fabrik habe ich auch verstanden, warum Arbeiter nicht
ins Theater gehen. Die haben keine Kraft mehr. Wenn man
nach Hause kommt, kann man nur noch sein Kind aus der
Krippe holen, es abfüttern und ins Bett fallen. Als ich nach
anderthalb Jahren nur noch 71 Pfund wog, hat der Amts-
arzt mich für fabrikuntauglich befunden. Das letzte halbe
Jahr durfte ich in der Berliner Stadtbibliothek arbeiten, ich
hatte ja vor der Schauspielschule Bibliothekarin gelernt.


Nach den zwei Jahren in der Produktion haben Sie eine
Ausbildung zur Sängerin absolviert.


Ich habe mich 1971 am Zentralen Studio für Unterhal-
tungskunst beworben und wurde auch sofort angenom-
men. Die Ausbildung war eigentlich für Schlagersänger.
Wir hatten tolle Dozenten. Fast alle Kollegen, die ich kenne,
sind bei der Gesangslehrerin der Schule durchmarschiert:
Toni Krahl von City, Nina Hagen, die Gruppe Kreis. Nach
der Ausbildung bekam ich einen Berufsausweis, auf dem
stand, wie viel Honorar ich pro Auftritt bekommen durfte.
Das hing davon ab, mit welcher Zensur man abgeschlossen
hatte. Ich war Kategorie B, das war nach A das Zweit beste.

Ich durfte 380 Mark nehmen. Fast alle mussten sich an die-
ses System halten, außer Größen wie Manfred Krug oder
Gisela May. Die hatten keine Honorareinschränkungen
und gehörten in eine Sonderkategorie.
Wann haben Sie gemerkt: Ich erreiche mit meiner Musik
Menschen?
Es gab einen Auftritt, da war ich richtig froh. Das war ein
Fasching oder irgend so was im Kraftwerk in Treptow. Der
Saal war riesig und rammelvoll. Ich habe das Lied für Mo-
nika oder Brigitte, das ich nach der Arbeit in der Siebdruck-
fabrik geschrieben hatte, gesungen. Da geht es um eine
kleine Arbeiterin, die alles scheiße findet und die Schnauze
voll hat. Sie mag ihre Arbeit nicht, der Vater haut die Mut-
ter, und der Bruder klaut, und keiner ist zum anderen nett.
Es ist das einzige Lied, das ich im Dialekt geschrieben und
gesungen habe. Und die Leute haben geklatscht wie ver-
rückt, obwohl sie alle schon ein bisschen angesoffen waren.
Wie kam man zu Auftritten?
Man hat sich angeboten oder wurde gefragt. Ich habe
oft in Jugendclubs, FDGB-Heimen oder auf irgend-
welchen Besäufnissen von Betrieben gesungen. Am An-
fang konnte ich auch ganz gut davon leben. Die Mieten
waren in der DDR niedrig, Lebensmittel kosteten fast
nichts. Aber ab Mitte der Siebzigerjahre wurde es im-
mer schwieriger. Meine eigenen Veranstaltungsreihen,
die ich zusammen mit meinem damaligen Mann Klaus
Schlesinger organisiert hatte, wurden verboten, und
ich bekam keine offiziellen Auftritte mehr. Ohne die
Unterstützung von Klaus hätte ich nicht leben können.
Mitarbeiter der Staatssicherheit waren regelmäßig bei Ihren
Konzerten anwesend, um zu kontrollieren, was Sie singen.
Haben Sie deren Anwesenheit wahrgenommen?
Ja, aber nur einmal. Ein Clubbetreiber kam zu mir und
meinte: Hier sitzen heute zwei von der Stasi, lieber nicht
so doll machen. Daraufhin habe ich die beiden den ganzen
Abend angesungen, und als das Konzert zu Ende war, haben
wir ihnen zwei Gläser Sekt an den Tisch schicken lassen.
Die haben sie abgelehnt. Bei mir war es wirklich so: Je mehr
man mich beschneiden wollte, umso lauter wurde ich, und
umso politischer wurden auch meine Texte.
1976 haben Sie sich öffentlich gegen die Ausbürgerung von
Wolf Biermann eingesetzt.
Danach ging gar nichts mehr. Eine Zeit lang konnte ich
noch mit der Ulk-Gruppe MTS, die so Liedkabarett ge-
macht haben und ganz witzig waren, auftreten. Die haben
mich sehr unterstützt. Aber zum Schluss durfte ich nur
noch in Kirchen singen.
Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Wolf Biermann?
Wolf war ein sehr guter Kumpel. Er hat mir sehr geholfen,
als ich in der DDR erkämpfen wollte, dass im Rundfunk
Lieder von mir gespielt werden. Dafür sollte ich sende-
fertiges Material mitbringen. Wo sollte ich das denn her-
bekommen? Wolf hatte aber so ein Zimmer mit Technik und
bot mir an, die Aufnahmen bei ihm zu machen. Bei einem
Lied hat er sogar die Maultrommel gespielt. Ich kann nur

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