Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1
Gutes über ihn sagen. Das Einzige, was ich schwer ertragen
konnte, war, dass er bei seinen Konzerten immer so viel ge-
redet hat. Der hat ja manchmal drei Viertel geredet und nur
ein Viertel gesungen. Das konnte ich ihm aber auch sagen.
Woher haben Sie diesen Mut genommen, sich immer wieder
gegen das System zu stellen?
Ich hatte einfach keine Angst, außer vor dem Knast und
später davor, anderen Menschen zu schaden, die mir helfen
wollten. Ich weiß eigentlich bis heute nicht, ob ich damals
auf der richtigen Seite stand. Ich weiß nur, dass ich nicht
auf der ganz falschen Seite stehen wollte. Mittlerweile
denke ich: Vielleicht gibt es gar keine richtigen Seiten. Das
ist auch etwas, das man im Alter lernt.
Von 1970 bis 1982 waren Sie mit dem Schriftsteller Klaus
Schlesinger verheiratet. Jeder brachte ein Kind mit in die
Ehe, und Sie bekamen einen gemeinsamen Sohn. Zwei
Künstlerpersönlichkeiten in einem Haushalt – was war das
für ein Alltag?
Na ja, wenn ich auf Tournee gegangen bin und nach einer
Woche zurück nach Hause kam, lag ein großer Berg Wä-
sche da, und die Küche stand voller Geschirr. Ich wusste,
die Kinder haben nicht gehungert, aber ich hatte einiges
nachzuarbeiten. Das hat mich sehr gestört. Ungerecht fand
ich auch, dass ich kein eigenes Zimmer hatte. Er hatte ein

Arbeitszimmer, ich nicht. Mein Zimmer war das Durch-
gangszimmer von der Küche zum Wohnzimmer. Aber ich
konnte eh überall schreiben. Die besten Ideen hatte ich
immer auf dem Klo.
Ihr bekanntestes Lied, »Sind so kleine Hände«, wurde 1979
auf Ihrer ersten Langspielplatte im Westen bei CBS veröf-
fentlicht, die sich mehr als hunderttausend Mal verkaufte.
Wo haben Sie das Lied geschrieben?
Im Zug auf dem Weg zu einem Konzert in Thüringen mit
der Gruppe MTS. Ein Mann kam in mein Abteil, der sehr
zerknautscht aussah. Er hatte einen Diplomatenkoffer,
den legte er sich auf den Schoß und fing an, ganz nervös
mit den Fingern daraufzuklopfen und zu -trommeln. Ich
dachte: Das ist nicht normal. Was haben sie mit dem wohl
gemacht? Der war doch auch mal ein Kind, wie meine
Jungs mit ihren kleinen Händen, und dann habe ich an-
gefangen. Als ich ausgestiegen bin, war das Lied fertig.
Sie gaben auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz
Konzerte. Haben Sie im Westen mehr Geld für Ihre Auf-
tritte bekommen?
Am Anfang habe ich auch im Westen nur 380 Mark ge-
nommen, weil das ja auf meinem Berufsausweis stand.
Aber dann kamen Kollegen zu mir und sagten: »Spinnst
du, wir haben so für höhere Honorare gekämpft, da kannst

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DER MONTIERTE MENSCH 8. NOV2 019 –15. MÄR 2020


Museumsplatz1
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Fernand Léger,

Le mécanicien,

1920, National Galler

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