Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1
Ich habe mich schon öfter gefragt, ob das Zusammenleben mit
Kindern intelligenter macht. Das behaupten Eltern ja gern. Dass
das Leben mit Kindern so inspirierend sei. Dass sie ständig durch
die Kinder auf neue Ideen gebracht würden und sich immer wieder
selbst hinterfragen müssten. Wenn ich sage, dass eine meiner Töch-
ter Greta heißt, höre ich von anderen Eltern oft den Kommentar:
»Wir haben auch eine kleine Greta zu Hause.« Sie meinen, dass ihr
Kind genauso moralisch, klug und konsequent sei wie Greta Thun-
berg. Ständig werde man herausgefordert und müsse seine eigenen
Standpunkte überdenken, weil die Kinder so schlau und versiert
seien. Eltern bemitleiden Nichteltern gern, weil die immer nur in
ihrer eigenen Welt dünsten würden. Mit Kindern stattdessen: In-
novation jeden Tag. Da bleibe man jung im Kopf. Wenn das wahr
wäre, müsste ich mittlerweile einen IQ wie Stephen Hawking haben.
Schließlich habe ich jeden Tag sehr intensive Diskussionen mit vier
Altersgruppen gleichzeitig. Aber eigenartigerweise fühle ich mich
nach Diskussionen mit meinen Kindern selten erquickt und inspi-
riert, sondern häufig einfach dumpf im Kopf. Das liegt vielleicht da-
ran, dass viele Diskussionen davon handeln, ob man noch eine halbe
Stunde länger Fernsehen gucken darf oder noch eine Stunde länger
Bildschirmzeit auf dem Handy bekommt. Oder ein Gummibärchen
haben kann. Es sind stets Gespräche, die nach demselben Muster
ablaufen. Ein Bedürfnis, ein Widerspruch, eine wütende Gegenrede,
ein Beschwichtigungsversuch, Trotz, ein Verhandlungsangebot. Am
Ende setzt sich das Kind durch, und ich bin müde.
Natürlich gibt es auch andere Gespräche. Greta will etwa wissen,
warum es Schwerkraft gibt. Ich freue mich, dass wir endlich mal
die Gelegenheit für ein inspirierendes Gespräch haben. Für Wis-
sensaustausch zwischen den Generationen. Ich fange also an, von
den vier Grundkräften der Physik zu sprechen. Und komme dann
zur gegenseitigen Anziehung von Massen, die mit zunehmender
Entfernung der Massen abnimmt, aber unbegrenzte Reichweite be-
sitzt. »Ey, Papa, hör auf zu labern, ich habe dich EINE einfache
Sache gefragt«, stöhnt Greta. »Ich wollte nur EINE Sache kurz er-
klärt haben. Und nicht die ganze Welt.« Dann halte ich beleidigt
den Mund. Meine Tochter hat eine wirkungsvolle Abwehr gegen
Mansplaining. Aber wie soll man ein an der inspirieren, wenn eine
Partei nur 30 Sekunden In spi ra tion möchte? Vielleicht müssen sie
auch gar nichts von mir lernen. Ich habe neulich gelesen, dass Kin-
der ihre Intelligenz von der Mutter vererbt bekommen, nicht etwa,
wie lange vermutet, von beiden Elternteilen.
Vielleicht kann ich also die Intelligenz meiner Kinder aus meiner
eigenen begrenzten Welt heraus gar nicht erkennen und liefere
langwierige Erklärungen, die sie alle nicht brauchen. An mir selbst
spüre ich eher Anzeichen von Re si gna tion. Weil ich so viele Kinder-
dialoge führe, nehme ich manchmal eine seltsame Kindersprache
an. Das führt zum Beispiel dazu, dass ich manchen Wörtern unver-
mittelt ein »i« anhänge. Dann sage ich: »Kannst du mir mal eben
die Butti über den Tisch reichen? Danki!« Juli sagt dann: »Papa, du
sollst nicht alles mit ›i‹ sagen, das ist doof!« Und Greta fügt hinzu:
»Weißt du, andere Leute bilden sich fort, Papa bildet sich zurück.«
Das halte ich irgendwie für einen inspirierenden Satz, leider geht
er auf meine Kosten. Ich hoffe, meine Kinder respektieren mich
noch, wenn ich einst vollends degeneriert bin.

Prüfers Töchter MEINE 12-JÄHRIGE

Greta ist 12 Jahre alt. Ihr Vater Tillmann Prüfer schreibt


hier im wöchentlichen Wechsel über sie und seine
anderen drei Töchter im Alter von 19, 14 und 6 Jahren

»Hör auf zu


labern«


Illustration Aline Zalko

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