Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

Herr Lobo, 2010 veröffentlichten Sie
Ihren Roman »Strohfeuer«, in dem Sie


Ihr Alter Ego als Großmaul und Laber-
tasche beschreiben. Ist das Buch auto-


biografisch?
Nicht zu 100 Prozent, hoffe ich. Ich habe


in den letzten zehn Jahren meine introver­
tierte Seite wiederentdeckt.


Man kennt den Vorgang sonst eher um-
gekehrt: dass ein Stiller seine Schüch-


ternheit ablegt und laut wird.
Bei mir ist es zum Teil genau anders herum.


Ich bin mein erwachsenes Leben lang da­
von ausgegangen, der extrovertierte Typ zu


sein, bis es in verschiedenen Situationen zu
sanften Erschütterungen kam. Eine davon


war vor sieben Jahren, als ich meiner Frau
zum Vorwurf machte, dass ich kaum mehr


ausgehe – irgendwie dachte ich, es liege an
ihr. Wir haben dann darüber geredet und


festgestellt, dass ich mein geändertes Aus­
gehverhalten nicht ihr anlasten konnte, sie


zwang mich zu überhaupt nichts. Ich blieb
offensichtlich neuerdings einfach lieber zu


Hause. Die zweite Situation war, als mir
meine Mutter sagte: »Du warst ja als Kind


immer so introvertiert!« Meine erste Re ak­
tion war: Wie bitte? Aber als ich dann darü­


ber nachdachte und Erinnerungen zurück­
kamen, ging mir auf: Es ist wahr. Kürzlich


hat mir die Autorin Samira El Ouassil von
der Existenz der ambiverts erzählt. Also


Leuten, die gleichzeitig intro­ und extro­
vertiert sind. Ich glaube, dazu zähle ich.


Bei einem introvertierten Menschen
denkt man, der sucht nicht die Öffent-


lichkeit. Sie hingegen sind jemand, der
sein öffentliches Ich wie ein Marken-


zeichen inszeniert. Der Irokesenschnitt
als Wiedererkennungsmerkmal – daran


halten Sie erstaunlich lange fest.
Ich finde da gar nichts erstaunlich lange.


Andere Firmen überarbeiten ihr Corpo-
rate Design nach einer gewissen Zeit.


Es wäre natürlich Unfug, den Eindruck
von Selbstmarketing rundweg zu bestrei­


ten, schließlich wird das von außen so
wahrgenommen. Es fühlt sich für mich


aber nicht ausschließlich so an. Es hat auch
als eine Form von Schutz begonnen. Ich


komme aus dem Internet, einem Raum,


in dem viel mit Hass gearbeitet wird. Mit
großen Empörungsstürmen, die man erst
mal lernen muss auszuhalten. Das ist die
Öffentlichkeit, aus der ich meine mediale
Persona geschöpft habe, die Bühne, auf der
ich zuerst nach außen getreten bin. Viele
Elemente, die man in einer klassischen
Medienlandschaft als Selbstinszenierung
betrachtet, wirken im Netz eigentlich als
Schutzvorrichtungen, zumindest anfangs.
Inwiefern schützt ein Irokesenschnitt?
Er erschafft eine plakative Figur, von der
ich mich distanzieren kann, wenn sie at­
tackiert wird. Ich kann immer denken: Die
greifen nicht mich an, sondern das Sym­
bol, das ich im Internet bin. Früher trug
ich auch immer Bart und Anzug. Wenn es
dann zu einer Attacke kam, sagte ich mir:
Ja klar, ich bin visuell mit einer gewissen
Lächerlichkeit versehen, ist doch klar, dass
mich ein paar Leute attackieren. Einen
emotional bewältigbaren Grund zu haben,
warum Leute das tun, ist pures Gold.

Woher kamen die Attacken?
In der Frühphase der heutigen sozialen
Medien, noch vor Facebook und Twitter,
waren Blogs die prägenden Kanäle. Dort
habe ich meine ersten massenhaften Hass­
attacken erlebt, Anfang 2007 auch die erste
Gewaltandrohung wegen meines dama­
ligen Buchs. Jemand schrieb, er werde Blut­
polka mit mir tanzen, ohne auch nur zu
erklären, was ihm nicht passte. Allerdings
hatte ich schon zuvor eine Art Feuertaufe
der heftigen Ablehnung durchlaufen, näm­
lich im Forum »Höfliche Paparazzi«.
Für das Forum schrieben viele heute be-
kannte Autoren wie Wolfgang Herrndorf
oder Kathrin Passig, die Texte kritisierte
man gegenseitig. Wie war das?
Die Kritik war allgemein streng, aber ich
war in der ersten Zeit ein spezieller Hass­
kandidat. Da waren viele Leute, die noch
nicht den Erfolg hatten, den sie sich selbst
natürlich längst zugesprochen hätten.
Wolfgang Herrndorf hatte gerade seinen
ersten Roman untergebracht. Tex Rubino­
witz war dabei, am Anfang auch noch Max
Goldt. Ich war der Idiot, von dem man
sich fragte, warum er dabeibleibt, obwohl
er beschimpft wird.
Warum wurden Sie beschimpft? Neigten
Sie zur Großspurigkeit?
Das ist schwer zu verneinen. Da waren
viele brillante Leute, die ritualhaft so taten,
als seien ihre Texte höchstens mittelmäßig
oder nebenbei rausgeschleudert. Diese fal­
sche Bescheidenheit hat mich genervt, da­
gegen habe ich gestänkert. Gleichzeitig war
ich zum ersten Mal in einem intellektuellen
Zirkel, in dem meine Taschenspielertricks
nicht mehr funktionierten. Einem Kreis,
in dem alle sagten: Für uns ist Sprache das
zentrale Mittel zur Bewältigung der Welt.
Die auch präzise sahen, wo die Schwächen
von Texten lagen. Trotz der Ablehnung
wusste ich: Da gehörst du hin. Ich habe viel
über das Schreiben gelernt, aber auch über
Online­Communitys, über Ablehnung und
darüber, wie man damit umgeht. Das war
das Nichtschwimmerbecken, bevor ich in
die sozialen Medien gegangen bin. Foto

ddp images / CI

Der Autor fand ein Mittel, um weniger an Hass und Empörung im Netz zu leiden


Das war meine Rettung SASCHA LOBO


Das Gespräch führte Ijoma Mangold

Im nächsten Heft: Die Deutschlandkarte zeigt, wo die größten Meteoriten einschlugen.


Und auf unseren Reiseseiten empfehlen wir eine Bar mit Ausblick und ein Hotel voller optischer Täuschungen


Sascha Lobo, 44, ist in West-Berlin
geboren. Seit seinem Buch
»Wir nennen es Arbeit« von 2 0 0 6
(mit Holm Friebe) gilt er als führender
deutscher Internet-Experte.
Vor Kurzem erschien »Realitätsschock


  • Zehn Lehren aus der Gegenwart«


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