Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1
Foto (Ausschnitt): Florian Gaertner/Photothek/Getty Images

Wa s t r aut


er sich?


Olaf Scholz baut das Finanzministerium um – es könnte ein


Zentrum für neue Ideen werden VON MARK SCHIERITZ


W


enn man im Bundes­
finanzministerium mit
dem Aufzug in den
vierten Stock fährt und
gleich links in einen
Gang einbiegt, dann
steht man irgendwann
vor dem Büro eines Mannes, den man hier ei­
gentlich nicht vermuten würde. Sein Name:
Jakob von Weizsäcker.
Finanzbeamte sind normalerweise ungefähr so
experimentierfreudig wie Standardtänzer. Solidität,
Stabilität, Kontinuität, dafür steht das Haus. Jakob
von Weizsäcker hingegen fällt immer etwas Neues
ein. Er hat vor ein paar Jahren als Wissenschaftler
in Brüssel ein Modell für Gemeinschaftsanleihen
der Euro­Länder – sogenannte Eurobonds – aus­
gearbeitet. Er hat sich für einen gesamteuropäischen
Rundfunksender eingesetzt. Und er gilt als Erfinder
der sogenannten Blue Card, die es hoch qualifizier­
ten Zuwanderern ermöglicht, in der Europäischen
Union eine Arbeit aufzunehmen.
Seit ein paar Wochen ist dieser Mann nun
Leiter der Abteilung »Finanzpolitische und
volkswirtschaftliche Grundsatzfragen«. Kurz:
Chefvolkswirt. Und er ist nicht der Einzige, der
auffällt in diesem so traditionellen Ministerium.
Ein paar Büros weiter arbeitet Philippa Sigl­
Glöckner. Sie war bei der Weltbank und hat dann
in Berlin eine Denkfabrik für einen menschlicheren
Kapitalismus gegründet, das Dezernat Zukunft.
Dann gibt es da Ole Funke. Er kommt aus
dem Auswärtigen Amt und war im Progressiven
Zentrum aktiv, einer Plattform, die junge Vor­
denker aus aller Welt zusammenbringen will.
Oder Jörg Kukies, der in seiner Jugend zusam­
men mit Andrea Nahles gegen Helmut Kohl auf
die Straße gegangen ist und später die deutsche
Niederlassung von Goldman Sachs geleitet hat, die
führenden Investmentbank der Welt.
Die Liste der Quereinsteiger lässt sich fort­
setzen, was umso verwunderlicher ist, als auch
dem derzeitigen Hausherrn nicht unbedingt ein
Faible für das Unkonventionelle nachgesagt
wird. Was also will Olaf Scholz mit diesen Leu­
ten? Ist er in Wahrheit einer von ihnen? Oder
sind sie für ihn bloße Deko?
Eine Antwort auf diese Frage konnte man ver­
gangene Woche in den Zeitungen lesen. Da wurde
über ein Arbeitspapier berichtet, aus dem hervor­
geht, dass sich Scholz eine gemeinsame europäische
Einlagensicherung für Bankguthaben vorstellen
kann. Auf nationaler Ebene ist so etwas lange etab­
liert: Geht ein Geldhaus pleite, springt der Staat ein
und sichert den Kontoinhabern bis zu einer be­
stimmten Höhe ihre Einlagen. Das soll verhindern,
dass Sparer ihre Konten räumen, wenn Zweifel an
einer Bank aufkommen. Eine solche Garantie aber
gemeinsam für Europa zu geben ist in Deutschland
maximal unbeliebt. Man befürchtet, dass dann
deutsche Sparer für italienische Banken bezahlen
müssen. Deshalb hat die Regierung das Thema bis­
lang nicht angepackt. Scholz rückt nun von dieser
Blockadehaltung ab, und Angela Merkel folgt ihm.


Scholz breche ein Tabu, sagt der
französische Finanzminister


Das kommt an, in der Wissenschaft und in anderen
europäischen Ländern. Sie halte das Papier für einen
»ausgesprochen wichtigen Vorstoß«, sagt Isabel
Schnabel der ZEIT. Schnabel ist Mitglied im Sach­
verständigenrat der Wirtschaftsweisen und für das
Direktorium der Europäischen Zentralbank no­
miniert. Aus Sicht des französischen Finanzminis­
ters Bruno Le Maire wurde mit der Initiative sogar
ein »Tabu« gebrochen. Dabei hat Scholz seine
Amtszeit mit der Ansage begonnen, ein deutscher
Finanzminister sei zuallererst ein deutscher Finanz­
minister. Mit anderen Worten: Man solle nicht
erwarten, dass er den Kurs seines Vorgängers Wolf­
gang Schäuble von der CDU ändern werde.
Gilt das jetzt also nicht mehr? Es tut sich jeden­
falls etwas im Hause Scholz. Es gibt jede Menge
Workshops, Seminare und Gesprächsrunden – oft


mit Ökonomen, die nicht seit Jahrzehnten dasselbe
sagen, sondern an neuen Lösungen interessiert sind.
Leute wie Jens Südekum von der Universität Düs­
seldorf, Andreas Peichl vom Münchner Ifo­Institut,
Moritz Schularick von der Universität Bonn.
In diesen Veranstaltungen werden auch Themen
angesprochen, die unter den Beamten als heikel
gelten. Wie zum Beispiel die Frage, ob sich die
Schuldenbremse im Grundgesetz aushebeln lässt,
die auf Initiative des Finanzministeriums vor zehn
Jahren in die Verfassung geschrieben wurde. Die
Idee: Der Bund könnte eine Investitionsgesellschaft
gründen, die statt seiner Kredite aufnimmt, um
Straßen zu bauen und Glasfaserkabel zu verlegen.
Dort wird auch darüber geredet, was es den Staat
binnen zehn Jahren kosten würde, wenn die öffent­
liche Infrastruktur auf den neuesten Stand gebracht
und die Klimaziele erreicht werden sollen. Es sind
830,8 Milliarden Euro. Diese Zahl jedenfalls steht
in einer Präsentation des Düsseldorfer Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung, die
auf einem dieser Workshops vorgestellt wurde.
Viele dieser Runden gehen auf Wolfgang
Schmidt zurück. Der hat schon für Scholz gearbei­
tet, als der noch Generalsekretär der SPD war.
Heute ist er Staatssekretär im Finanzministerium.
Es sei wichtig, dass »Politik und Wissenschaft sich
offen austauschen können«, sagt Schmidt. Als der
Historiker Lutz Raphael neulich ins Ministerium
kam, um mit Scholz über die politischen Folgen
gesellschaftlicher Umbrüche zu sprechen, war auch
ein Arbeitskreis kritischer Studenten der Freien Uni­
versität Berlin eingeladen, der »mögliche alternati­
ve Ansätze zur Gestaltung von Wirtschaft und
Gesellschaft« ausloten will. So etwas wäre unter
Schäuble schwer vorstellbar gewesen.

Heikle Ideen setzen sich nun durch – aber
nur mit zahlreichen Einschränkungen

Solche Termine nützen Olaf Scholz politisch. Er will
Vorsitzender der SPD werden und muss dazu auch
die Parteilinke für sich gewinnen. Aber wenn Scholz
das Haus für neue Ideen öffnet, dann ist das nicht
nur taktisch motiviert. Er ist davon überzeugt, dass
er zunächst einmal den Harten geben musste, um
mit dem Vorurteil aufzuräumen, Sozialdemokraten
könnten nicht mit Geld umgehen. Das sei die Vo­
raussetzung dafür, dass die Bevölkerung eine Ver­
schiebung des finanzpolitischen Koordinatensystems
akzeptieren werde. In diesem Fall: mehr Europa,
auch wenn es etwas kostet.
Wenn man so will, hat die zweite Phase dieser
Operation begonnen.
Sie ist aber alles andere als ein Selbstläufer. Ein
Finanzministerium ist mehr als eine Denkfabrik.
Die Beamten schreiben keine Besinnungsaufsätze,
sondern Gesetzentwürfe. Und die sind immer noch
vergleichsweise bodenständig. Beispiel Einlagen­
sicherung: Scholz hat eine Reihe von strengen Be­
dingungen aufgestellt, die erfüllt sein müssen, bevor
er einer europäischen Lösung zustimmen will. So
müssen die Euro­Mitgliedsländer ihre Steuergeset­
ze stärker angleichen und schärfere Regeln für die
Bankenaufsicht akzeptieren. Die Bereitschaft dazu
ist in Südeuropa bislang gering.
Dieses Muster zieht sich durch viele Initiativen
aus dem Hause Scholz: Einst als heikel geltende
Ideen setzen sich durch, aber mit etlichen Fußno­
ten. Die Euro­Zone erhält ein eigenes Budget, aber
es ist marginal klein: Gerade einmal 17 Milliarden
Euro sind dafür vorgesehen – verteilt auf 19 Länder
und sieben Jahre. Ein weiteres Beispiel: Der Euro­
Rettungsfonds ESM soll leichter als bisher Hilfs­
kredite an notleidende Staaten vergeben dürfen.
Jedoch sind die Kriterien so restriktiv, dass unklar
ist, ob die Darlehen jemals abgerufen werden.
Finanzpolitik unter Olaf Scholz – das gleicht
der Navigation durch ein Minenfeld. Diese
Erfahrung machen einige derjenigen, die im
Ministerium angefangen haben. Beim Thema
Europa ist dieses Minenfeld gewissermaßen ein
dreidimensionales: Da gibt es die Hanse, ein Zu­
sammenschluss nordeuropäischer Staaten, die
währungspolitische Zugeständnisse an die süd­

europäischen Länder kritisch sehen. Da gibt es den
Koalitionspartner, der beim Thema Europa auf der
Bremse steht. Und da gibt es die Ambitionen von
Olaf Scholz selbst, der fest daran glaubt, dass er aus
kanzlerfähigem Material gemacht ist. Seine Leute
verweisen gerne auf eine neue Umfrage. Demnach
würde Scholz gegen Annegret Kramp­Karrenbauer
von der CDU und Robert Habeck von den Grünen
gewinnen, wenn der Kanzler direkt gewählt würde.
Das spricht aus seiner Sicht dafür, bei der Opera­

tion Koordinatenverschiebung hin zu mehr Europa
oder mehr Schulden vorsichtig vorzugehen.
Wenn man sich im Umfeld von Olaf Scholz um­
hört, dann fällt manchmal der Name des italienischen
Marxisten Antonio Gramsci. Gramsci argumentierte,
dass bürgerliche Gesellschaften nicht in erster Linie
durch die Staatsgewalt, sondern durch ein gemeinsa­
mes Weltverständnis zusammengehalten werden. Wer
die Welt verändern will, der muss demnach das Ver­
ständnis ändern. Nimmt man dieses Argument ernst,

dann würden die Initiativen und Personalentschei­
dungen im Finanzministerium eine solche diskursive
Offensive vorbereiten – in der Hoffnung, dass sie
irgendwann das ganze Land erfasst und den Spielraum
des politisch Möglichen erweitert. Es gibt dabei nur
ein Problem: So etwas braucht Zeit.
Die Frage ist, ob Scholz so viel Zeit hat.

Siehe auch Politik Seite 5: Wie sich die SPD unter
Norbert Walter­Borjans verändern würde

Der Minister will SPD-Chef werden – und könnte nach eigener Überzeugung auch Kanzler


  1. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47 WIRTSCHAFT 23


ANZEIGE
Free download pdf