Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1
Vieh oder Felder. Vielmehr begleichen sie laufende
Kosten, etwa für Futter oder Dünger. Viele Farmer
lösen mit den neuen Schulden auch bisherige Kredi-
te ab, um länger Zeit zum Abstottern zu bekommen.
Die Misere treibt viele Bauern in die Verzweiflung.
Das zeigt die Organisation Farm Aid, die Bauern
unterstützt. Gab sie vor der Krise vor allem Tipps für
besseres Marketing, geht es heute um Existenzängste.
»Alle unsere Mitarbeiter mussten ein Suizidpräven-
tionstraining absolvieren«, sagt Jennifer Fahy, die
Sprecherin der Organisation. Wisconsins Volksver-
treter im Landesparlament, die sonst in kaum einem
Punkt einer Meinung sind, genehmigten Anfang
September gemeinsam 100.000 Dollar für Maß-
nahmen, die depressiven Farmern helfen sollen.
Doch die Farmer geben die Schuld nicht geopoli-
tischen Erschütterungen, deren Urheber ausgerech-
net sie selbst mit ins Amt geholfen haben.
»Es sind die Mega-Milchfarmen, die uns Fa mi-
lien be trie be verdrängen«, sagt Wokatsch. Gemeint
sind Farmen, bei denen statt ein paar Dutzend oder
ein paar Hundert Kühen gleich Tausende in Ställen
stehen, neben denen die von Wokatsch und seinen
Nachbarn wie Gartenlauben wirken.
Eine solche Milchfabrik ist etwa Fair Oaks Farms
in Indiana, wo 35.000 Kühe genug Milch produzie-
ren, um die 150 Kilometer entfernte Metropole
Chicago zu versorgen. Die Melkanlagen der Mega-

Farm, die bis auf kurze Pausen für die Säuberung
rund um die Uhr laufen, können 500 Kühe pro
Stunde abfertigen. Die Fläche der Farm ist größer als
die der Insel Sylt. Touristen schaukeln in einer »Dai-
ry Adventure«-Tour, einer Art Disney-Landwirt-
schaftstour, im Bus durch das Gelände.
Die Megafarmen sind Ausdruck einer Marktkon-
zentration in den USA. Gab es dort 1970 noch
650.000 Milchfarmen, sind es heute nicht einmal
mehr 40.000. Gleichzeitig stehen die etwa 2000
Farmen, die jeweils mehr als 1000 Kühe halten, für
rund die Hälfte der gesamten Milchproduktion. Tier-
und Umweltschützer kritisieren die Intensivhaltung,
doch die bringt entscheidende ökonomische Vor-
teile. Vom Futtereinkauf bis zu den Dienstleistungen
des Veterinärs – Megafarmen erhalten bessere Bedin-
gungen und können so viel billiger produzieren.
Der Farmer Hans Breitenmoser glaubt, dass die
Riesenbetriebe alles verändert haben. Viele Mega-
farmen seien Unternehmen mit Investoren, für die
die Kühe nur ein Investment unter anderen seien.
Verluste seien für sie nicht nur leichter zu verkraften,
sondern wirkten sich sogar steuerlich günstig aus,
weil man sie gegen Gewinne aus anderen Investments
gegenrechnen kann. »Gegen Konkurrenten, für die
Verluste nicht existenzbedrohend sind, kommen wir
Familienbetriebe kaum an«, sagt Breitenmoser.
Wie viel Geld genau in Milchfarmen fließt, lässt
sich schwer ermitteln. Sicher ist: Die Wall Street
zeigt zunehmend Interesse an Anlagen im Agrar-
geschäft. Aurora Organic Dairy etwa, die fünf Bio-
milch-Betriebe in Colorado und Texas betreibt,
gehört inzwischen mehrheitlich Charlesbank Capi-
tal Partners, einem Private-Equity-Unternehmen aus
Boston, zu dessen Investmentportfolio unter ande-
rem auch Erdgaspipelines und Kliniken gehören.
Die gleiche Entwicklung wie bei den Farmen
spielt sich auch bei den kommerziellen Milchabneh-
mern ab: den Molkereien. Die Zahl der Betriebe
nimmt ab, die verbleibenden werden größer. Damit
wird es für sie unwirtschaftlich, ständig viele kleine
Höfe abzuklappern. Viele Bauern in Wisconsin
fürchten deshalb, dass der Tanklaster eines Tages gar
nicht mehr bei ihnen vorbeikommt. Die Koopera tive
Dairy Farmers of America, eine der größten Molke-
reien im Land, kündigte 2017 auf einen Schlag 225
Milchbauern. Und auch Farmer Breitenmoser spürt
die Folgen der Konzentrationswelle. Lange zahlte er
nur 150 Dollar im Monat für den Abtransport seiner
Milch – der Preis wurde von der Molkerei stark sub-
ventioniert. Vor Kurzem teilte ihm das Unternehmen
mit, er müsse nun bis zu 8000 Dollar im Monat
zahlen, damit der Milchfahrer jeden Abend über-
haupt vorbeikommt.
Ein Naturgesetz war die Konzentration der
Marktentwicklung nicht. Sie war und wird von der
Regierung in Washington gewünscht. Im Oktober
riet Trumps Landwirtschaftsminister Sonny Perdue
den wütenden Bauern von Wisconsin, sie sollten
»wachsen oder weichen«. Gehört haben die Land-
wirte den Ruf zur Expansion schon oft. Er war das
Mantra von Earl Butz, in den Siebzigerjahren Land-
wirtschaftsminister unter Präsident Nixon. Von
Kritikern später als »Schutzpatron der Fast-Food-
Nation« geschmäht, betrieb Butz nach Kräften die
Industrialisierung und Globalisierung der US-Land-
wirtschaft. Davon profitierten vor allem die großen
Lebensmittelhersteller, denn diese Entwicklung ließ
die Preise für ihre Rohmaterialien sinken.
Als Ausgleich versprach Butz den Farmern den
Zugang zu Exportmärkten. 1972 etwa fädelte er
Weizenlieferungen an die Sowjetunion ein. Um an
dem so ausgelösten Boom teilzuhaben, verschuldeten
sich Amerikas Farmer, um mehr Land und neue Ma-
schinen kaufen zu können. Dann marschierten die
Sowjets in Afghanistan ein, und die US-Regierung
verhängte ein Embargo. Die Preise brachen ein, die
Zinsen zogen an. Schätzungen zufolge konnten bis
zu 300.000 Farmer in den Achtzigerjahren ihre Kre-
dite nicht mehr bedienen. Viele gaben auf.
Doch Butz’ Nachfolger hielten unbeirrt an der
Globalisierungspolitik fest. 1994, nach der Grün-
dung der nordamerikanischen Freihandelszone,
wurde Mexiko einer der wichtigsten Absatzmärkte


  • was dann aber andere traf: Kleinbauern in Mexiko
    konnten nicht mit den billigeren US-Importen mit-
    halten. Die dadurch ausgelöste Landflucht war einer
    der Gründe für die Welle illegaler Einwanderer, die
    aus Mexiko in die USA drängten.
    Die Folgen der immer stärkeren Zentralisierung
    reichen auch innerhalb der USA längst über die Land-
    wirtschaft hinaus. »Mit dem Verschwinden der Höfe
    sterben auch die Orte«, sagt Sarah Lloyd, eine Milch-
    bäuerin und Aktivistin aus Wisconsin. Sie versucht
    die Farmer für politische Aktionen zu gewinnen.
    Denn schon jetzt franst die Infrastruktur in den
    ländlichen Gegenden immer mehr aus. Viele Be-
    wohner müssen 20 Kilometer zum nächstgelege-
    nen Supermarkt fahren. Krankenhäuser schließen.
    Um die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe zu
    retten, fordert Lloyd ein nationales System, das die
    Produktion jeder Farm auf dem aktuellen Niveau
    einfrieren würde. Wer mehr liefern wollte, müsste
    eine Abgabe auf die zusätzliche Menge zahlen.
    Doch es ist nicht einfach, die Landwirte zu über-
    zeugen. »Viele lehnen das als ›sozialistisch‹ ab«,
    sagt die Aktivistin.
    Auch Randy Wokatsch war lange dagegen. Doch
    sein Glaube an einen freien und fairen Markt ist er-
    schüttert. Sollte das von Lloyd angestrebte System
    tatsächlich kommen, sagt er, könne er sich vorstellen,
    noch einmal eine Herde aufzubauen. Vielleicht ste-
    hen in dem Stall, den sein Großvater 1901 gebaut
    hat, dann wieder Milchkühe.


28 WIRTSCHAFT 14. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47


Randy Wokatsch und
seine Frau Kerry aus
Wisconsin waren
Milchbauern in dritter
Generation. Jetzt
mussten sie ihre Kühe
verkaufen

Fotos: Courtney Perry für DIE ZEIT

Die letzten Farmer von Wisconsin


Lange prägten bäuerliche Familienbetriebe das Bild des ländlichen Amerika. Jetzt stehen die kleinen Bauern in den USA vor dem Ende VON HEIKE BUCHTER


W


ährend der Auktionator
die Herde aus 55 Hol-
steinkühen anpreist –
Die Milchleistung! Die
Qualität! Bio! – und eine
von ihnen aufgeregt in
dem vergitterten Pferch
hin und her rennt, hockt der Bauer, dem die Tiere
bis zum finalen Hammerschlag noch gehören, zu-
sammengesunken und mit versteinerter Miene auf
einer Holzbank unter den Zuschauern.
Es ist schwierig, den Mann anzusprechen, weil die
Veranstalter keine Journalistin als Besucherin dabei
haben wollten, sodass sich die Auktion nur heimlich
beobachten lässt. Auf einer weißen Tafel sind aber
mit Filzstift ein paar Daten notiert, die erahnen las-
sen, dass für diesen Mann mehr zusammenbricht als
nur ein Geschäft: »Auflösung der Herde«, »150
Jahre Familien-Farm«, »Kühe täglich draußen«.
In einem Telefonat ein paar Tage später sagt der
Bauer, der Tom Hasz heißt und 59 Jahre alt ist, dass
der Verkauf ein schwieriger Entschluss gewesen sei.
Doch als sich eine Missernte und damit ein Mangel
an eigenem Futtermittel für seine Tiere abzeichnete,
hielt er den Verkauf seiner prämierten Herde für den
besten Ausweg. Über 150 Jahre lang waren die Hasz
hier in Wisconsin Milchbauern. Jetzt ist der Stall leer.
Mittwochs ist Auktionstag bei Premier Livestock
nahe Wausau, einer Kleinstadt, die mit 40.000 Ein-
wohnern die größte Ansiedlung hier in der hügeligen
Mitte des Bundesstaats Wisconsin ist. An diesem
Vormittag wird bei Premier noch eine weitere Herde
versteigert. Dass ganze Betriebe zum Ausverkauf
stehen, ist dort inzwischen Routine.
Eigentlich werden Wisconsins Einwohner wegen
der vielen Milchbauern und Molkereien in dem
Bundesstaat im Volksmund gern cheeseheads, Käse-
köpfe, genannt. Doch nun kämpfen sie dort um die
Existenz, im Durchschnitt geben täglich zwei Milch-
bauern auf. Über die vergangenen zwölf Monate
waren es 800 Farmen, die ihre Kühe mehr oder we-
niger freiwillig verkauften oder die eine Zwangsvoll-
streckung über sich ergehen lassen mussten. Von den
15.000 Kuhherden in Wisconsin, die es vor 15 Jahren
gab, ist noch die Hälfte übrig.
In ganz Amerika geht es den Landwirten schlecht.
Der Niedergang gründet zum einen in einem tief-
greifenden Umbau der Landwirtschaft, der schon vor
Jahren eingesetzt hat und mit großen Agrarfabriken
zu tun hat. Und er hat mit der Politik eines Präsiden-
ten zu tun, den viele Bauern gewählt haben – und
dem sie dennoch nicht gram zu sein scheinen.
Auch Randy Wokatsch hält am Präsidenten fest.
An der Wand in seinem Stall findet sich ein Zettel,
auf dem steht: »Nicht Russland hat mich für Trump
stimmen lassen, Hillary war’s«. Dabei hat auch Wo-
katsch seine Herde vor Kurzem bei Premier verstei-
gern lassen müssen. Der Auktion selbst blieb er fern.
Es wäre zu schmerzhaft gewesen, sagt er: »Ich kannte
jedes einzelne Tier, die meisten wurden bei uns auf
der Farm geboren.«
In Marathon County, dem Bezirk, in dem
Wokatschs Farm liegt, erhielt Trumps Demokratische
Gegnerin Hillary Clinton 2016 nur 38 Prozent der
Stimmen. Satte 75 Prozent der Landwirte im Mitt-
leren Westen, den sie hier voller Stolz und Symbolik
das Heartland, das Herz des Landes, nennen, stimm-
ten 2016 für den New Yorker Immobilientycoon
Donald Trump als Präsidenten.
Die Landwirte in dieser Region gehören zu
Trumps treuesten Wählern, weil der ihnen eine
Lockerung der Umweltauflagen, die Förderung von
Biosprit und die Abschaffung der Erbschaftssteuer
versprach. Vor allem aber erhofften viele sich von
Trump, der sich als knallharter Verhandlungsprofi
präsentierte, ein Steigen der niedrigen Preise und
mehr Absatzmärkte für ihre Produkte.
Bislang haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt.
Vielmehr treffen die Handelskriege, die Trump mit
China und anderen Nationen angezettelt hat, Ame-
rikas Bauern härter und direkter als Industriebetriebe
oder Verbraucher: In den ersten acht Monaten dieses
Jahres haben ihnen chinesische Importeure nur
Agrarprodukte im Wert von acht Milliarden Dollar
abgenommen. Das ist nicht einmal die Hälfte der
rund 20 Milliarden Dollar an Waren, die sie im Jahr
2017 kauften. Auch die Ausfuhr von Milch und
Milchprodukten nach China hat sich halbiert, nach-
dem die chinesische Regierung im vergangenen
Sommer als Reak tion auf US-Strafzölle selbst 25
Prozent Strafzölle auf US-Agrarimporte eingeführt
hatte. US-Sojaexporte, die den größten Anteil der
Agrarexporte ausmachen, sind um 75 Prozent ein-
gebrochen. China kauft nun Soja aus Brasilien.
Dennoch erklärten im September bei einer Um-
frage des Farm Journal 76 Prozent der befragten
Bauern, sie seien zufrieden mit Trump. Und beim
monatlichen Agrar-Stimmungsbarometer der Purdue
University in Indiana zeigten sich mehr als zwei
Drittel zuversichtlich, dass Trumps Verhandlungen
langfristig erfolgreich sein werden.
Wokatsch war stolz, Milchbauer in der dritten
Generation zu sein. Seine Herde gehörte zu den
besten. Zwei Wochen vor dem Verkauf hat er ihre
Milchleistungsdaten noch einmal zum lokalen Ver-
gleichstest eingeschickt. »Wir waren die Nummer
drei im ganzen Bezirk«, sagt er. Zudem hat er lange
alles versucht, das Aus zu verhindern. Er baute Gin-
seng für asiatische Käufer an, züchtete Saatgut, ver-
wandelte ein Stück seines Grund und Bodens in eine
Sandgrube, verpachtete seinen Wald an Jäger und
seine Scheune als Garage an Campingbus-Besitzer.
Doch nach vier Jahren anhaltend niedriger Milch-
preise gab er schließlich auf. An einem Abend im


September molk er seine Holsteinkühe noch einmal,
mistete ihre Ställe aus. Dann kamen die Viehtrans-
porter von Premier und luden sie ein.
In den gesamten USA ist die Zahl der Höfe, die
in den zwölf Monaten bis September Konkurs an-
melden mussten, im Vergleich zum Vorjahreszeit-
raum um fast ein Drittel gestiegen. Schlechtes Wetter
hat die Lage verschärft. In der Gegend um den Auk-
tionsort Wausau stehen allerorten noch große Pfützen
und Wasserlachen auf den Feldern. Rekordregenfäl-
le verzögerten im ganzen Mittleren Westen, dem
landwirtschaftlichen Kernland der USA, die Aussaat
um Wochen. Nun bedrohen Frost und Schnee die
verspätete Ernte. Klimaforscher wie Richard Rood,
Professor an der University of Michigan in Ann
Arbor, schreiben die zunehmende Häufigkeit von
extremen Wetterereignissen dem Klimawandel zu.
Dabei verschärfen Wetter, Strafzölle und die damit
schwindenden Absatzmärkte eine für kleine amerika-
nische Betriebe ohnehin schwierige Entwicklung, die
lange vor Trumps Präsidentschaft begann. Die Schul-
den, die auf den Höfen lasten, liegen nach Berech-
nungen des US-Landwirtschaftsministeriums bei
mehr als 400 Milliarden Dollar. Allein seit dem ver-
gangenen Jahr haben die Bauern neue Kredite über
24 Milliarden Dollar aufgenommen.
Anders als in guten Zeiten investieren die meisten
das geliehene Geld jedoch nicht in neue Maschinen,

Z E I T-GRAFIK
1000 km

Minnesota

Indiana

USA Wisconsin

Washington, D. C.

K ANADA

MEXIKO
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