Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1
»Ich bin kein Clown«, sagt Jürgen Klopp

Foto: Paul Cooper/Contour/Getty Images

Nicht mehr normal


Lange galt Jürgen Klopp als Kumpeltyp. Nun steht der Trainer mit dem FC Liverpool ganz oben – und definiert die Marke des Fußballarbeiters neu VON CATHRIN GILBERT


S


elbst im Moment des großen Tri-
umphs ist Jürgen Klopp der Sklave
seines eigenen Images. Alles im
Liverpooler Fußballzirkus soll
spontan wirken, nichts gestellt.
»Ich bin kein Clown«, macht
Klopp einen Kameramann an, als
dieser ihn nach dem 3 : 1 gegen Manchester City
bittet, noch einmal eine Jubelgeste zu wiederholen.
Dabei könnte Klopp, 52, die öffentliche
Wahrnehmung egal sein. Der Trainer des FC
Liverpool hat in diesem Jahr die Cham pions
League gewonnen und wurde daraufhin zum
Welttrainer des Jahres gewählt. Seit dem Früh-
jahr ist Klopps Team in der Premier League un-
geschlagen, das Stadion an der Anfield Road
gleicht einer Festung. Am Sonntag folgte die vor-
läufige Krönung, als Liverpool Manchester City
besiegte. Ach, was heißt besiegte – Klopps Team
hat die Spieler des Katalanen Pep Guar dio la über-
rannt. Klopp hat die Faust in die Luft gestreckt,
er hat gebrüllt, gejubelt und gezeigt, dass gegen
Kraft und Mut nur noch mehr Kraft und Mut
helfen würden, nicht aber Kalkül und Finesse.
Gelassenheit wäre nach dem Sieg angebracht,
aber die hat Klopp nie zugelassen.
Sein sportlicher Erfolg hat viel mit Disziplin zu
tun, er ist das Ergebnis harter Arbeit. Der Erfolg
abseits des Platzes ist das Ergebnis einer Marken-
bildung, wie sie sonst nur von Schauspielern oder
Musikern gelebt wird. Klopp, so geht die Erzäh-
lung, die über Fernseher und Smart phones ver-
breitet wird, ist geradeheraus, direkt, ein Kumpel-
typ, ein Anführer, ein Kämpfer, ein Berserker.
Einer, der immer wieder aufgestanden ist und sich
alles erkämpft hat. Einer, mit dem man gern ein
Bier trinken würde. Der beliebteste Deutsche in
der Fußballwelt. Ein Held, nach dem sich seine
Landsleute zu Hause sehnen in einer Saison, in der
Bayern München praktisch nie so spielt wie Liver-
pool Woche für Woche.


Er kann eine Atmosphäre schaffen, in der
egomanische Superstars funktionieren


Aber wie authentisch ist dieser Mann in den Mo-
menten seines größten Erfolgs? Ist Klopp wirklich
so, wie seine Fans glauben wollen? So, wie er in
den drei Biografien beschrieben wird, die schon
über ihn erschienen sind? Es sind Elogen, Lobes-
hymnen, Liebeslieder. Und sie kreisen darum, dass
Klopp so normal geblieben sei. »The normal one«
nannte er sich selbst, in Anlehnung an seinen Trai-


nerkollegen José Mourinho, der sich selbst als »the
special one« bezeichnete. Ein Kumpel, ein guter
Mensch, ein echter Christ zudem, der gern von
seinem Glauben redet, etwa in dem Film über ihn
Und vorne hilft der liebe Gott.
Klopps Image ist in Teilen auch ein besonders
sorgfältig gezeichnetes. Und für die Authentizität
hilft ihm die bodenständige Herkunft. Er kommt
aus Glatten im Nordschwarzwald, 2400 Einwoh-
ner. Sein Vater war Vertreter für Fischer-Dübel, er
starb, als Klopp 33 Jahre alt war, und hat die Trai-
nerlaufbahn des Sohnes nicht mehr erlebt. Weil
der Vater unter der Woche unterwegs war, zog die
Mutter den Jungen und seine beiden älteren
Schwestern weitgehend allein groß. Und schon
früh zeigte der Sohn dann, dass man weit kommen
kann, wenn man einfach nur immer wieder auf-
steht. Er spielte elf Jahre lang bei Mainz 05 – dabei
siebenmal gegen den Abstieg aus der Zweiten Bun-
desliga. Anfangs im Sturm, dann im Mittelfeld,
schließlich in der Abwehr.
Mit 21 Jahren wurde er selbst Vater, besuchte
morgens Sportwissenschaftsvorlesungen an der
Uni, passte anschließend auf das Kind auf und
fuhr abends zum Training. Um sich ein bisschen
Geld nebenbei zu verdienen, jobbte er auch noch
in einem Filmverleih, machte sein Diplom (mit
einer Arbeit über das Walking).
Nach dem Wechsel auf die Trainerbank,
2001, zeigte er dann, was er wirklich gut konnte,
anfangs bei Mainz 05. 2005 war er mit seinem
Team, das über ein kleines Budget, aber viel
Herz verfügte, in die Uefa-Pokal-Qualifikation
eingezogen – über die Uefa-Fair-Play-Wertung,
also aufgrund besonders fairen Spiels. In einem
provisorischen Pavillon erzählte er damals von
der besonderen Beziehung zu seinen »Jungs«, die
nicht viel jünger waren als er. Jürgen Klopp, das
spürte man, machte nicht einfach seinen Job,
und er machte ihn nicht nur für sich. Das Füh-
ren und Erklären war da schon sein Leben. Er
kann das, eine Atmosphäre schaffen, in der Spie-
ler sich wohlfühlen, die egomanischen Superstars
von Liverpool heute so wie damals die Kicker
von Mainz.
Und er weiß dieses Charisma des Normalen zu
nutzen: 2005 entdeckte das ZDF ihn als Co-Mo-
derator und Kommentator bei Spielen, neben
Franz Beckenbauer und dem Fernsehprofi Johan-
nes B. Kerner. Klopp erklärte den Deutschen die
Viererkette und wie moderner Fußball funktio-
niert. Und weil er das so gut kann, ja eher erzählt
als erklärt, gewann er gleich zweimal den Deut-

schen Fernsehpreis und eine Goldene Henne –
und einen Freund fürs Leben: Kerner. Mit den
Spielern von Borussia Dortmund, die er von 2008
bis 2015 trainierte, wurde er zweimal Deutscher
Meister und DFB-Pokalsieger.
Die Marke Klopp expandierte. Werbung für
Philips, Opel, Sky go, Mitsubishi, Volks- und
Raiffeisenbanken, die Kleistermarke Metylan,
diverse Brillenhersteller oder Brandt-Zwieback.
Zufall ist das nicht, Klopp wird von einer Spieler-
beratungsagentur vertreten, die auch für ihre
guten Beziehungen zur Bild-Zeitung bekannt ist.
Das ist in dieser Branche kein Nachteil.
Seine Heldengeschichten sind Legende. Immer
wieder musste er sich durchkämpfen, und immer
wieder scheiterte er kurz vor der Spitze. Nach-
dem er Mainz im Jahr 2006 in den Uefa-Pokal
geführt hatte, stieg er im folgenden Jahr mit der
Mannschaft ab. Mit Borussia Dortmund schaffte
er den Einzug ins Cham pions- League- Fina le
2013 und verlor.
2015 hörte er als Dortmund-Trainer auf, er
wirkte nach ungewohnten Niederlagen müde und
erschöpft.
Klopp machte vier Monate Pause – und ging
dann nach Liverpool. Es war wahrscheinlich die
beste Entscheidung seines Lebens, auch wenn an-
fangs nichts danach aussah. Als er in England
ankam, lag der Club mutlos auf Platz zehn. Vier
Jahre später gewann Liverpool die Cham pions
League, die Mannschaft siegte nicht einfach, sie
überrannte ihren Finalgegner Tottenham Hotspur.
Mehr Demonstration von Macht und Überlegen-
heit geht auf internationalem Niveau kaum.
Liverpool gehört zwar nicht unendlich reichen
Arabern, aber einem ziemlich reichen Konsorti-
um von Unternehmen vor allem aus den USA.
Geld ist also genug da, Geld entscheidet aber auch
nicht alles. Es braucht dazu einen wie Klopp. Es
ist nicht so, dass er das Spiel der Mannschaft
revolutioniert. Er hat vielmehr eine Atmosphäre
geschaffen, die die Eigentümer des Clubs davon
überzeugt, unfassbar viel Geld in noch bessere
Spieler zu investieren – und dann macht er aus
diesen Einzelnen ein Team. Trotz ihres enormen
Marktwertes stellen sich alle in den Dienst der
Mannschaft, auch die Künstler.
Alle arbeiten daran, dem Gegner den Ball ab-
zujagen, um schnell und geradlinig sofort zum
Torschuss zu kommen. Besonders gut kann man
das an Liverpools Paradespieler, dem Brasilianer
Firmino, beobachten. Der ist nominell ein Mittel-
stürmer, aber im Grunde die fleißigste Arbeits-

biene, die den anderen Stars in der Offensive den
Weg ebnet. Klopps Mannschaft stresst den Geg-
ner permanent, verleitet ihn zu Fehlern – und
überrollt ihn dann. Klopps Spieler rennen viel
und schnell. Dass ein so spektakuläres Spiel wie
am vergangenen Sonntagabend gelingt, liegt aber
auch an der offensiven Ausrichtung von Guardio-
las Manchester City.
Guardiola ist der Mann, an dem sich Jürgen
Klopp seit Jahren abarbeitet wie an keinem ande-
ren. Seit 2016 ist der Katalane, zweimaliger
Champions-League-Sieger, Meister in Spanien,
Deutschland und England, nun bei Manchester
City. In den entscheidenden Duellen dieser bei-
den Ausnahmetrainer ist der Deutsche immer
wieder als Verlierer vom Platz gegangen. So schei-
terte Liverpool im Februar 2016 im Endspiel um
den Ligapokal im legendären Wembley-Stadion
gegen Manchester City im Elfmeterschießen. In
der vergangenen Saison holte der FC Liverpool
97 Punkte, was in jeder Spielzeit zuvor zum Titel
gereicht hätte, wurde aber nur Zweiter – hinter
ManCity. In der gesamten Saison verlor das Team
von Jürgen Klopp nur eine Partie: am 21. Spiel-
tag, auswärts gegen Manchester City.

Für seine Schroffheit auf dem Platz zahlt
er immer wieder Geldstrafen

In der Art und Weise, wie eine Mannschaft spielt,
erkennt man den Charakter des Trainers. Jürgen
Klopp war schon immer ein Kämpfer, Pep Guar-
dio la ein Stratege.
Am vergangenen Wochenende setzte sich
Klopp endlich vor Guar dio la. Es war das Topspiel
in der englischen Liga, technisch auf einem derart
hohen Niveau, dass es sich um eine andere Sport-
art zu handeln schien als die, die in deutschen
Stadien geboten wird. Liverpool führt die Tabelle
nun mit acht Punkten Vorsprung an, Klopp ist
ganz oben angekommen.
Der Weg dahin war lang, er strahlt jetzt wie nie
zuvor. Fast vergessen scheinen die Szenen seiner
Karriere, die zeigten, dass er auch ganz anders sein
kann. Schon oft war er schroff und unbeherrscht.
Immer wieder musste er Geldstrafen zahlen, Tau-
sende von Euro, wegen Beleidigung von Schieds-
richtern und Ähnlichem, Kleingeld für ihn, und
trotzdem: Er erniedrigte Menschen.
Mal rastete er bei einem Champions-League-
Spiel in Neapel so massiv aus, dass er in die Kata-
komben verwiesen wurde und sich das noch lau-
fende Spiel auf einem Fernseher in der Hausmeis-

terkabine des Stadions anschauen musste. 2014
machte er nach einer Niederlage einen ZDF-Mo-
derator nieder wie viele andere auch, aber diesmal
eben vor laufender Kamera.
Wenn man ihn in einem Gespräch fragte, ob
er wie so viele Menschen in besonders stressigen
Situationen an Gewicht zunehme, war seine Ant-
wort entsetztes Schweigen, und er verbreitete eine
Stimmung, die so frostig war wie ein Dezember-
abend im Stadion.
Charakteristisch war auch eine Szene im Mai
2018, Champions-League-Finale in Kiew. Nach
der Niederlage gegen Real Madrid kümmerte
sich Klopp zwar um seine Feldspieler – aber den
Torwart, den er selbst aufgestellt hatte, ließ er
allein auf dem Rasen im Strafraum liegen. Minu-
tenlang lag der Mann da und weinte, drei Bälle
hatte er durchgelassen, zwei davon nach groben
Torwartfehlern. Erst ein Spieler der gegnerischen
Mannschaft ging schließlich zu ihm. Wenig spä-
ter zeigte ein privates Video, wie sich Klopp sin-
gend und tanzend zusammen mit dem Sänger
Campino von den Toten Hosen und seinem
Freund Kerner amüsierte. Und weil die bösen
Reaktionen nicht lange auf sich warten ließen,
drehte die Gruppe gleich noch eins hinterher und
sendete das Versprechen, beim nächsten Mal den
Pott zu holen.
Vielleicht ist es einfach nur normal, dass ein
Mann abhebt, ausrastet, in dessen Leben eigent-
lich nichts mehr normal ist. Kürzlich hat Kerner
mit Klopp im Stadion an der Anfield Road ein
langes Interview geführt, man kann es sich auf
dem Telekom-Kanal Magenta TV ansehen, es
regnet, und fast kann einem Deutschlands Star
leidtun. Zu den Menschen in Liverpool kann er
wenig sagen, es gebe kaum Berührungspunkte:
»Mein Leben sieht leider so aus: von zu Hause
zum Trainingslager, vom Trainingslager nach
Hause und ab und zu zum Stadion.« Wenn er
mal ausgehe, so Klopp, sei er »der fleischgewor-
dene Party-Crasher, ich versaue jedem die Feier,
die anderen Leute können über nichts anderes
mehr nachdenken anscheinend als ein Foto mit
mir.« Und ein Ausflug in eine Bar endete 2017
damit, dass fünf Sicherheitsleute ihn vor Selfie-
Jägern beschützen mussten.
Klopp ist inzwischen eben sehr weit weg von
den Normalen, zu denen er sich gern zählt. Und
damit verdammt weit weg von Glatten im
Schwarzwald. Oder von Mainz oder Dortmund.

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WAS BEWEGT JÜRGEN KLOPP?


32 WIRTSCHAFT 14. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47

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