Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

MEDIZIN


»Gelitten wie


ein Hund«


Der Skandal um einen angeblich revolutionären Brustkrebstest der


Uni-Klinik Heidelberg: Nun spricht die inzwischen zurückgetretene


Chefin der Klinik über die Hintergründe des Falls und seine Folgen


Er gilt als einer der größten Skandale der deut-
schen Hochschulmedizin. Im Februar kündigte
die Universitätsklinik Heidelberg in einer Presse-
mitteilung einen Bluttest an, der Brustkrebs früher
zu erkennen helfen sollte, von einem »Meilen-
stein« war die Rede. Doch wenig später entpupp-
ten sich die Ankündigungen als völlig überzogen.
Der Ruf einer der ältesten Universitätskliniken
Deutschlands hatte Schaden genommen. Zwei
Untersuchungskommissionen wurden eingesetzt,
fast die gesamte Führungsspitze trat zurück, auch
die Ärztliche Direktorin und Vorstandsvorsitzende
des Universitätsklinikums, Annette Grüters-
Kieslich. In ihrem ersten ausführlichen Gespräch
äußert sie sich zu den Umständen und ihrer
Situation in der Klinik.

DIE ZEIT: Frau Grüters-Kieslich, Sie sind seit An-
fang dieses Monats nicht mehr Chefin des Univer-
sitätsklinikums Heidelberg. In der Rückschau mit
etwas Abstand erklären Sie uns bitte: Wie konnte an
einer der besten medizinischen Forschungsstätten
dieses Landes so etwas geschehen?
Annette Grüters-Kieslich: Das ist nicht einfach, den
nötigen Abstand habe ich noch lange nicht.
ZEIT: Versuchen Sie dennoch eine Erklärung.
Grüters: Der Heidelberger Bluttestskandal handelt
von einem Mediziner, der einen nicht einmal in An-
sätzen ausgereiften Test zur Krebsfrüherkennung
mit völlig inadäquaten Kommunikationsmitteln,
also durch PR-Platzierungen in Bild oder Bunte, als
medizinische Re vo lu tion verkauft hat – und niemand
im Universitätsklinikum hat es verhindert.
ZEIT: Die oberste Verhinderin hätten doch Sie sein
müssen.
Grüters: Ich kannte zwar das Forschungsprojekt,
denn es hatte bereits vorher im Klinikum für Ärger
gesorgt. Für die inhaltliche Qualitätskontrolle des
Tests war ich aber nicht zuständig. Und dass eine
Pressemitteilung und ein Interview mit dem Medi-
ziner veröffentlicht werden sollten, wusste ich im
Gegensatz zu anderen am Klinikum erst zwei Tage
vorher. Ich wurde systematisch von Informationen
abgeschnitten.
ZEIT: Und was haben Sie gemacht?
Grüters: Ich habe den Test immer nur als eine ergän-
zende Diagnostik zur Mammografie, der etablierten
Methode zur Brustkrebs-Früherkennung, gesehen.
Daher habe ich die Pressemitteilung so abgeschwächt,
dass das deutlich wird.
ZEIT: Das war offensichtlich nicht genug.
Grüters: Das stimmt. Obendrein wurde das Wort
»Meilenstein« gegen meinen Willen hineinge-
schrieben. Die finale Version der Pressemitteilung
wurde dann wenige Stunden vor der Pressekonferenz
plötzlich noch einmal in einer veränderten Version
verschickt – und ich hatte keine Möglichkeit mehr,
diesen neuerlichen Unsinn erneut zu entschärfen.
ZEIT: Hätten Sie die ganze Aktion nicht abblasen
müssen? Ihnen als erfahrene Wissenschaftlerin
musste klar sein, dass da unbegründete Heilsver-
sprechungen gemacht wurden.
Grüters: Rückblickend betrachtet, hätte ich wesent-
lich stärker darauf bestehen sollen, dass die Univer-
sitätsklinik nicht der Absender der Pressemitteilung
hätte sein dürfen. Das habe ich versucht, konnte
mich jedoch nicht durchsetzen.
ZEIT: Nicht zuständig, konnten sich nicht durch-
setzen, keine Zeit: Für Außenstehende erscheinen
solche Erklärungen als Ausflüchte. Sie waren
schließlich nicht nur Ärztliche Direktorin, sondern
auch Vorstandsvorsitzende des Klinikums.
Grüters: Der Titel stand auf meiner Visitenkarte.
Viele Leute denken da an die Chefin eines großen
Unternehmens mit Macht, Durchgriffsrechten und
einem großen Mitarbeiterstab. Das ist aber ein
großer Irrtum.
ZEIT: Das Uni-Klinikum Heidelberg hat etwa
13.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von
1,3 Milliarden Euro. Damit entspricht es von den
Zahlen her einem Unternehmen im MDax.
Grüters: Eine leitende Ärztliche Direktorin oder ein
Ärztlicher Direktor können nur moderieren. Das ist
eines der großen Probleme der deutschen Univer-
sitätsmedizin: ihre inadäquate Führungsstruktur.
An der Spitze stehen in der Regel Mediziner ohne
betriebswirtschaftliche Ausbildung und mit wenig
Durchgriffsmacht.
ZEIT: Wie kann man sich die Vorbereitung auf
einen solchen Job vorstellen? Bekommt man ein
Coaching, gibt es Managementkurse?
Grüters: Als ich für meinen ersten großen Posten
an der Charité die Verantwortung für die Kinder-,
Jugend- und Frauenmedizin übernahm, immerhin
mit einem Umsatz von 130 Millionen Euro, habe
ich mir zunächst einmal ein betriebswirtschaftliches
Handbuch gekauft. Ich denke, ich habe durchaus

einen ordentlichen Job gemacht. Aber ein fundiertes
Training on the Job sieht anders aus.
ZEIT: Hatten Sie in Heidelberg denn einen Stab
von Mitarbeitern zur Verfügung?
Grüters: Mein Stab bestand aus meiner Sekretärin.
Das reicht vielleicht, wenn man den Vorstandsvor-
sitz weitgehend repräsentativ versteht. Ich bin aber
nicht der Typ, der nur Reden hält und Eröffnungs-
bänder durchschneidet.
ZEIT: Sie hatten keine Referenten? Der Vorstands-
vorsitzende einer ähnlich großen Firma hat mehrere
Dutzend Leute, die ihm zuarbeiten.
Grüters: Ich habe wiederholt darauf hingewiesen,
dass wir mehr Experten brauchen. Zum Beispiel
eine Stabsstelle für die Digitalisierung der Patienten-
versorgung. Oder Fachleute, die mit dem Vorstand
Szenarien für die Zukunft des Klinikums entwerfen.
Einige Uni-Klinika sind da auch schon etwas weiter.
In Heidelberg wurde mir signalisiert: Wir sind eines
der besten Häuser Deutschlands, das brauchen wir
nicht.
ZEIT: Sie reden von Bilanzen und unternehmeri-
scher Ausrichtung: Als Patient kann man da Angst
bekommen. Man will doch, dass Ärzte das Sagen
haben und nicht Betriebswirtschaftler.
Grüters: Das Ziel einer Universitätsklinik muss eine
sehr gute Medizin sein, bei der der Mensch im Mittel-
punkt steht. Gleichzeitig ist sie aber eben auch ein
Wirtschaftsbetrieb, der seine Ressourcen nicht ver-
schwenden darf.
ZEIT: Jetzt hören Sie in Heidelberg auf. Konnten
Sie sich auch deshalb nicht durchsetzen, weil Sie
eine Frau sind?
Grüters: Eine weibliche Vorstandsvorsitzende an
einem deutschen Universitätsklinikum ist immer
noch eine Art weißer Rabe. Mittlerweile sind zwar
mehr als 60 Prozent der Medizinstudierenden weib-
lich, an die Spitze schaffen es bisher aber weiterhin
nur sehr, sehr wenige Frauen. Und einfach haben sie
es dort nicht. Doch die Probleme der Universitäts-
medizin haben weniger mit Personen zu tun als mit
dem Strukturen.
ZEIT: Der Leiter der externen Untersuchungskom-
mission, Matthias Kleiner, sprach beim Skandal von
»Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitel-
keit«. Würden Sie das ebenso sehen?
Grüters: Sicher spielten bei einigen Protagonisten
Eitelkeit und auch die Hoffnung auf schnelle Ge-
winne aus einem vermarktbaren Test eine wesentli-
che Rolle. Genauso auch die Hoffnung, dass man
mit dem neuen Test den Brustkrebs früher erkennen
kann. Brustkrebs ist schließlich der häufigste Krebs
bei Frauen. Dabei war der Mediziner in Heidelberg,
der das Projekt verantwortete, kein Experte der
molekularen Medizin oder Forscher, sondern eher
ein Praktiker.
ZEIT: Das ehemalige Forscherteam hatte er vorher
aus dem Projekt gedrängt.
Grüters: Ein Klinikchef hat diese Macht. Das ur-
sprüngliche Team wurde willkürlich unter anderem
durch eine junge engagierte Ärztin ersetzt, die eben-
falls nicht die ausreichende Expertise hatte – aber
darauf auch selbst immer hingewiesen hatte.
ZEIT: Die sich aber nach unserem Eindruck nicht
gegen die Vermarktung des Tests stemmte.
Grüters: Das hat sie sehr wohl wiederholt getan.
Aber wer in einer hierarchisch geführten Universi-
tätsklinik zu oft Nein sagt, wird schnell aufs Abstell-
gleis gestellt.
ZEIT: Das hört sich eher nach Absolutismus an als
nach rationaler Wissenschaft.
Grüters: In der Universitätsmedizin muss man un-
endlich viel arbeiten und oft sehr lange buckeln, um
nach oben zu kommen. Wenn man es dann schließ-
lich zum Professor oder zur Professorin geschafft
hat, lässt man andere nicht selten spüren, wer die
Macht hat: über Geld, interessante Patienten, Kar-
rierechancen. Wir verlieren unzählige wissenschaft-
lich interessierte Leute, die darauf keine Lust haben.
ZEIT: Ist das auch eine Kulturfrage?
Grüters: In den USA zum Beispiel, wo ich einige Zeit
gearbeitet habe, ist das anders. Da behandelt der er-
fahrene Professor den jungen Nachwuchswissen-
schaftler eher als gleichberechtigten Kollegen. In
Deutschland herrscht stärkeres Statusdenken vor.
Daran hat sich nicht sehr viel geändert, seit ich in
dem Beruf bin – und das sind immerhin 40 Jahre.
ZEIT: Sie waren vor Ihrem Job in Heidelberg
Dekanin an der Berliner Charité. Zudem saßen
Sie vorher im Aufsichtsrat in Heidelberg. Sie
wussten also, worauf Sie sich einließen.
Grüters: Ich wusste, dass Heidelberg eine der besten
Forschungsuniversitäten Europas ist – mit einem rie-
sigen Entwicklungspotenzial. Es hat mich gereizt,
mitzuhelfen, dieses Potenzial zur Entfaltung zu brin-
gen. Gleichzeitig ahnte ich, dass mächtige Klinikchefs
dort wahrscheinlich noch stärker an nicht zukunfts-

Die Ärztin Annette Grüters-
Kieslich ist eine erfahrene
Medizinmanagerin. Sie war
Dekanin an der Berliner
Charité. 2017 übernahm sie
den Vorstandsvorsitz an
der Uni-Klinik Heidelberg.
Ihr Ziel: Die Zukunft
der Universitätsmedizin
gestalten

Fotos: Peter Rigaud für DIE ZEIT

fähigen Strukturen festhalten als anderswo. Refor-
men würden also nicht einfach werden.
ZEIT: Sie haben es dennoch versucht ...
Grüters: ... weil ich weiß, wie wichtig die Univer-
sitätsmedizin für Patienten und für unsere Gesell-
schaft ist – und unter welchem Druck sie steht.
Wir entwickeln nicht nur die Medizin von morgen
oder bilden wissenschaftsorientierte Ärzte aus. Wir
helfen auch Patienten mit oft sehr speziellen Er-
krankungen. Diese drei Aufgaben unter einem
Dach – Forschung, Lehre und Patientenversor-
gung – machen die Universitätsmedizin so beson-
ders. Gleichzeitig drohen sie uns zu zerreißen.
ZEIT: Inwiefern?
Grüters: Weil die Universitätsmedizin chronisch
unterfinanziert ist. Die meisten Hochschulklinika
werden auch dieses Jahr wieder mit einem Minus
abschließen.
ZEIT: Und deswegen muss der Orthopäde noch
ein paar Hüften einbauen und der Chirurg ein
paar Schilddrüsen operieren, obwohl viele dieser
Operationen gar nicht nötig sind?
Grüters: Das ist verkürzt formuliert, aber im
Prinzip stimmt es. Dabei wäre es gerade Aufgabe
der Universitätsmedizin zu erforschen, ob man die
Lebensqualität von Patienten nicht verbessert,
indem man einen Eingriff oder eine Therapie
einfach mal weglässt.
ZEIT: Können Sie ein Beispiel nennen?
Grüters: Um herauszufinden, ob die Herzkranz-
gefäße verengt sind, macht man traditionell eine
Herzkatheter-Untersuchung. Moderne Verfahren
wie die hochauflösende Computertomografie sind
inzwischen aber so gut, dass es interessant wäre, in
einem großen Versuch herauszufinden, wann sie
dem Herzkatheter sogar überlegen sind. Schonen-
der für die Patienten sind sie allemal.
ZEIT: Warum macht man das nicht?
Grüters: Das Weglassen einer aufwendigen Di a-
gnos tik oder Behandlungsmethode bringt den Kli-
niken oft nicht nur weniger Geld – das Geld für
andere Verfahren fließt zudem in eine andere Ab-
teilung. Da das notwendige Bewusstsein interdis-
ziplinären Zusammenwirkens häufig nicht vor-
handen ist, hält ein budgetbewusster Klinikchef
an den traditionellen Methoden fest.

ZEIT: Wo ist der Ausweg?
Grüters: Für solche Sonderaufgaben oder Transfor-
mationsprozesse gewähren andere Staaten wie die
Niederlande ihren Uni-Kliniken ein Extrabudget.
In Deutschland stoßen wir mit unserer Forderung
nach dem sogenannten Systemzuschlag seit Jahren
auf taube Ohren. Stattdessen werden in der Kran-
kenversorgung heute alle Kliniken gleich behandelt.
ZEIT: Was spricht dagegen?
Grüters: Bei einer Blinddarm-Operation nichts.
Kritisch wird es bei Patienten, bei denen die meisten
Ärzte keine Hoffnung mehr haben, etwa bei
Krebskranken. Am Ende landen solche Patienten
häufig in der Universitätsklinik. Oder nehmen Sie
den Fall Michael ...
ZEIT: ... ein acht Monate altes Kind mit fort-
schreitendem angeborenem Muskelschwund. Der
Fall aus Deutschland ging durch die Medien.
Grüters: In den USA gibt es seit einiger Zeit eine
Gentherapie, die in Deutschland noch nicht zu-
gelassen ist. Die Eltern haben sich dahinterge-
klemmt, dass die Krankenkasse die Behandlungs-
kosten dennoch trägt, und in Zusammenarbeit
mit anderen Kliniken haben wir in Heidelberg den
Fall übernommen. Es gab unzählige Besprechun-
gen, ein Dutzend Ärzte, Apotheker, Ethiker,
Menschen in der Verwaltung und auch der Vor-
stand waren beteiligt – ein Riesenaufwand. Doch
genau das ist die Aufgabe der Universitätsmedizin:
Fortschritte schneller als bislang den betroffenen
Menschen zukommen zu lassen.
ZEIT: Wie geht es denn jetzt bei Ihnen weiter?
Grüters: Ich muss erst einmal wieder zu mir finden.
Es gab in den vergangenen Monaten Zeiten, da
habe ich gelitten wie ein Hund. Das wurde mir als
für einen Vorstand inadäquate Reaktion angekrei-
det – als wenn eine Führungskraft keine Gefühle
haben dürfte. Das ist ein vollkommen antiquiertes
Führungsverständnis. Mir liegt die Universitäts-
medizin weiterhin sehr am Herzen, da so viele Men-
schen, gerade diejenigen mit seltenen Krankheiten,
von ihr abhängig sind. Was ich mache: Vielleicht
fragen Sie mich das in drei Monaten noch einmal.

Das Interview führten Jan Schweitzer
und Martin Spiewak

Nichts weniger als eine
Weltsensation versprach
die »Bild« am 21. Februar


  1. Ein in Heidelberg
    entwickelter Test sollte
    Tumoren in der Brust sehr
    frühzeitig erkennen. Andere
    Medien wie der »Focus«,
    die »Bunte« oder »Der
    Westen« folgten mit
    voreiligen Jubel meldungen.
    Der Test ist bis heute nicht
    annähernd einsatzbereit.


Der Skandal



  1. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47 WISSEN 35

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