Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

ENERGIE


Immer mehr Eigenheimbesitzer produzieren ihren eigenen Strom, ohne groß um Erlaubnis zu fragen

Illustration: Max Guther für DIE ZEIT; kl. Foto: nello

Kraftwerk auf


dem Balkon


Heimische Sonnenkollektoren kann man jetzt einfach an die Steckdose anschließen


und damit Strom sparen. Legal ist das nicht immer VON DIRK ASENDORPF


Auch wer kein Eigenheim mit großem Süd-Dach
besitzt, kann mit einem kleinen Solarmodul
Strom erzeugen – und braucht dafür seit April
noch nicht einmal einen Monteur oder Elektri-
ker. Denn das Anschlusskabel darf jetzt einfach
in eine normale Steckdose gestöpselt werden –
und schon fließt der Ökostrom.
Tatsächlich erlebt die Branche gerade einen
Boom. Die Deutsche Gesellschaft für Sonnen-
energie (DGS) schätzt die Zahl der Mini-Solar-
anlagen bereits auf über 100.000 – mehr als eine
Verdoppelung gegenüber dem vergangenen Jahr.
Einige Stromanbieter werben Neukunden mit
Lockangeboten, und auch in Baumärkten und
im Internet purzeln die Preise. Schon für 600
Euro lassen sich zwei Solarmodule aufstellen, die
zusammen die pro Haushalt maximal erlaubte
Leistung von 600 Watt erreichen. Bei optimaler
Ausrichtung nach Süden können damit über 500
Kilowattstunden im Jahr erzeugt werden. Bei ei-
nem Haushaltsstrompreis von 27 Cent bedeutet
das eine um 135 Euro niedrigere Stromrechnung
im Jahr. Schon nach fünf Jahren hätte sich so die
In ves ti tion amortisiert.
Die Wirklichkeit ist allerdings komplizierter.
Anders als bei großen Dachanlagen darf der
Strom aus dem Mini-Solarkraftwerk nur zum
Eigenverbrauch genutzt werden. Der ist in
einem normalen Haushalt tagsüber aber oft ge-
ringer als 600 Watt. Was darüber hinaus erzeugt
wird, geht verloren. Denn die Kosten für einen
heimischen Akku, um den überflüssigen Strom
zu speichern, sind für eine solch geringe Strom-
menge viel zu hoch. Und wer noch einen klassi-
schen Stromzähler hat, muss diesen zunächst
austauschen lassen. Sonst würde der Zähler bei
Über pro duk tion rückwärts laufen. Doch das ist
verboten. Einige Stromversorger erledigen den
Zählertausch kostenlos, andere verlangen über
hundert Euro Gebühr dafür.
Auch der bürokratische Aufwand ist je nach
Stromversorger unterschiedlich. Mal reicht eine
simple Meldung im Internet, mal wird das Aus-
füllen eines 20-seitigen Formulars mit vielen tech-
nischen Fragen verlangt, die ein Laie kaum beant-
worten kann. Experten streiten darüber, ob eine
Anmeldung überhaupt nötig ist, eine klare gesetz-
liche Regelung fehlt. Da der Stromversorger zu-
dem kaum feststellen kann, ob eine Mini-Solar-
anlage angestöpselt wurde, verzichten viele Käufer

auf die Anmeldung. In der Szene ist deshalb auch
von »Guerilla-Fotovoltaik« die Rede.
»Balkonmodul« ist der am häufigsten genutz-
te Begriff bei der Internetsuche nach Mini-Solar-
anlagen. »Tatsächlich stehen bisher die meisten
aber auf Garagen- und anderen Flachdächern
oder in Gärten direkt auf dem Rasen«, sagt Mar-
kus Vietz ke von der DGS. Dort erbringen sie in
der Regel höhere Erträge als auf einem teilweise
verschatteten Balkon. An dessen sonniger Außen-
seite dürfen die Anlagen wiederum nur mit Zu-
stimmung des Vermieters angebracht werden.
Am effektivsten ist die Eigenstromerzeugung,
wenn je ein Modul nach Osten und nach Westen
ausgerichtet wird. Dann ist die Spitzenleistung am
Mittag zwar geringer, dafür liefert die Anlage über
den gesamten Tag verteilt mehr Strom. Wer zudem
auch noch mit einer Wärmepumpe heizt und
Warmwasser erzeugt, kann sicher sein, dass auch
im Hochsommer nichts davon verschwendet wird.
Einen ernst zu nehmenden Beitrag zur Ener-
giewende können die Mini-Solaranlagen aber
nicht leisten. Bisher liegt ihr Anteil am gesamten
deutschen Stromverbrauch bei weniger als 0,01
Prozent. Und selbst wenn sich alle Haushalte, die
über sonnige Freiflächen verfügen, beteiligten,
würde der Anteil unter einem Prozent bleiben.
Noch weit geringer ist das Potenzial kleiner
Windräder für den Hausgebrauch. In den meis-
ten Bundesländern dürfen sie zwar bis zu einer
Höhe von zehn Metern ohne Baugenehmigung
errichtet werden. Wirtschaftlich lohnt sich das
jedoch nur an äußerst windigen Standorten auf
Bergen oder in Küstennähe. In der Stadt ist der
Wind meist viel zu schwach und zudem durch
die vielen Häuser auch noch stark verwirbelt.
Das senkt den Ertrag zusätzlich.
Für das gute Gewissen sind heimische Mini-
Ökostromkraftwerke trotzdem geeignet. Von einem
»nicht zu unterschätzenden psychologischen Effekt«
spricht Volker Quaschning, Experte für regenera-
tive Energiesysteme an der Berliner Hochschule für
Technik und Wirtschaft. »Bisher finanzieren Mie-
ter die Vergütung für große Solaranlagen auf Ein-
familienhäusern mit, jetzt können sie selber Strom
erzeugen.« Und zudem mit dem Solarmodul auf
dem Balkon »ein Zeichen für den Kampf gegen den
Klimawandel« setzen.

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och nie war es so einfach,
Klimaschutz und Eigennutz
zu verbinden. Damit jeden-
falls werben die Hersteller
von Mini-Solaranlagen und
versprechen eine »sichere Geldanlage für
jedermann«. Green peace spricht gar von
einer »Ener gie- Revo lu tion auf dem Balkon«.

S


tatt am Abend einen krakelig ausgefüllten
Zettel im Briefkasten zu finden, dass man
nicht angetroffen worden sei und der
Zusteller das Päckchen beim Nachbarn
(Name unleserlich) oder in einem Paketshop (weit
entfernt) hinterlegt habe – statt dieser analogen
Tumbheit wäre doch eine smarte digitale Lösung
schön. So eine, bei der ein schlaues Gerät auf einen
Befehl aus der Cloud hin dem Boten die Haustür
öffnet, damit er das Päckchen im Hausflur depo-
nieren kann. Die Müllers von nebenan werden’s
schon nicht klauen ... Dieser beinahe klischeehaft
alltägliche Fall ist eine der Funktionen des Nello
One, einer digitalen Erweiterung für die Gegen-
sprechanlage in Mehrfamilienhäusern.
Home, smart home. Die Möglichkeiten digital
aufgemotzter Haustechnik scheinen, der Fülle der
Berichterstattung und den Versprechen der Her-
steller nach zu urteilen, höchstens noch durch die
menschliche Vorstellungskraft begrenzt zu sein.
Wie praktisch das alles! Und in dieses Bild schien
der Nello One voll zu passen.
Doch im Herbst mussten dessen Besitzer etwas
ganz anderes befürchten: Einen Türöffner, der
nicht mehr öffnet. Ein smartes Gerät, das plötz-
lich jeder Funktion beraubt wird. Eine Anschaf-
fung für die Zukunft, von der nur ein hundert
Euro teurer Geräterest bleibt. – Der inzwischen
insolvente Hersteller kündigte Anfang Oktober
seinen Kunden per Rundmail an, bald den Server
abzuschalten, ohne den der Türöffner nicht funk-
tioniert. Denn die Cloud ist der Schlüssel.


Diese ernüchternde Einsicht beschränkt sich
nicht auf das Smart-Home-Zubehör: Viele Digi-
talgeräte hängen zeitlebens an der digitalen Nabel-
schnur des Herstellers. Nachdem Ende 2016 der
Smartwatch-Pionier Pebble von seinem Konkur-
renten Fitbit geschluckt worden war, schaltete
dieser den alten Pebbles-Geräten im vergangenen
Sommer die Server ab. Im selben Jahr erlebten
Besitzer von Nokias vernetzter Personenwaage
Body Cardio, dass der Hersteller nachträglich eine
Kernfunktion der Geräte deaktiviert hat. Und in
diesem Frühjahr klagten Besitzer der Nike-Schuhe
Adapt BB: Statt wie versprochen automatisch
ließen sich die digital aufgerüsteten Turnschuhe
überhaupt nicht mehr schnüren. Schuld war ein
Fehler in der App. Will heißen: Smarte Geräte zu
besitzen heißt nicht zwangsläufig auch, Herr über
sie zu sein.
Den Nello-Nutzern brachte der November
eine weitere Wendung: In einer neuen Mail
erfuhren sie, dass der Hersteller vom italienischen
Konkurrenten Sclak übernommen worden sei,
und dass dieser – allora! – den Server weiter be-
treibe. Bleibt nur dieses Detail: Damit nämlich
der Türöffner One weiter läuft, benötigen dessen
Besitzer eine neue Version der Nello-App auf
ihrem Smartphone. Und dieses Update gibt es nur
gegen die Einwilligung zur Übertragung der Nut-
zerdaten an Sclak.
Natürlich, die Kunden haben die Wahl. Aber
wie bei so vielen smarten Geräten lautet sie: Ab-
hängigkeit oder Elektroschrott. STEFAN SCHMITT

Digitale


Nabelschnur


Die Macht der Maschinen


Kein Anschluss:
Türöffner Nello

36 WISSEN 14. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47


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