Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

  1. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47 POLITIK 5


Ve r s c h u l d e t


euch!


Wie der Außenseiter Norbert Walter-Borjans mit linken Rezepten


gegen Olaf Scholz SPD-Vorsitzender werden will VON PETER DAUSEND


D


ie neoliberale Pampa ist ein
Ort, den man ganz gut mit
dem Bus erreichen kann.
Man muss nur einen Fah-
rer hinter das Lenkrad set-
zen, der lieber fremden
Einflüsterern vertraut als
der eigenen Landkarte – und an der wichtigsten
Weggabelung falsch abbiegt. So wie es dem SPD-
Bus mit Gerhard Schröder am Steuer passiert ist.
Die Geschichte von der »neoliberalen Pampa«
und dem Bus erzählt Norbert Walter-Borjans
gern. Sie kam immer gut an auf den 23 Veran-
staltungen, auf denen die SPD nach einer Füh-
rung fahndete. Und sie funktioniert auch jetzt
noch. Denn etwas schwingt unausgesprochen
stets mit: Der damalige Generalsekretär Olaf
Scholz fuhr mit im Pampa-Bus, als Fahrkarten-
kontrolleur. Also ist Scholz mitverantwortlich
dafür, wo sich die SPD heute befindet: dort, wo
man vor lauter Ödnis keine Wähler mehr sieht.
Jetzt, in der entscheidenden Phase, konzentriert
sich der Kampf um den SPD-Vorsitz auf das Duell
Scholz gegen Walter-Borjans, auch bekannt als
Nowabo. Der Mann, den die Genossen als Finanz-
minister haben, gegen den, den viele von ihnen
gerne hätten. Der Verteidiger der schwarzen Null
gegen den forschen Geldausgeber. Der Jurist, der
unbedingt Kanzler werden will, gegen den Diplom-
Volkswirt, der noch nicht einmal einen Kanzler-
kandidaten für notwendig hält. Der Favorit des
Establishments gegen den Außenseiter von links.
Die Geschichte ist so gut, dass für die beiden
Frauen, mit denen sie antreten – Klara Geywitz
und Saskia Esken –, bis zum 30. November, dem
Tag der Entscheidung, lediglich Nebenrollen blei-
ben. Das liegt vor allem daran, dass die So zial-
demo kra ten, die Scholz partout nicht wollen – und
davon gibt es reichlich –, ihre Hoffnungen ganz
explizit an Walter-Borjans knüpfen. Der 67-Jähri-
ge soll ihnen zurückbringen, was Scholz und Co.
einst verschwinden ließen: die eigene Landkarte.
Wer könnte das besser als ein Ex-Finanzminister
von Nordrhein-Westfalen, der gegen heftigen
Wider stand gestohlene Datensätze aufkaufte und
damit Steuerbetrüger zur Kasse bat? Der eine »prä-
ventive So zial po li tik« finanzierte? Der schwule und
lesbische Paare steuerlich gleichstellte? In den Augen
seiner Unterstützer besitzt Walter-Borjans genau
das, was der SPD abhandenkam: Glaubwürdigkeit.
Ökonomen, die sich selbst als »eher links«
bezeichnen, sind am Mittwoch vergangener Wo-
che in die DGB-Zentrale am Hackeschen Markt
in Berlin-Mitte gekommen, um einen ihrer Pro-
minentesten zu ehren. Der Wirtschaftswissen-
schaftler Gustav Horn wurde bekannt mit
Schriften wie Des Reichtums fette Beute. Wie die
Ungleichheit unser Land ruiniert und Die deutsche
Krankheit: Sparwut und Sozialabbau. Im Okto-
ber feierte er seinen 65. Geburtstag, nun wollen
ihn Kollegen, Weggefährten und Anhänger, da-
runter diverse SPD-Abgeordnete, noch einmal
hochleben lassen. Und zwar so, wie man das für
einen ordentlichen Professor macht: mit einem
Vortrag und anschließender Dis kus sion. Walter-
Borjans ist auch da. Er hat mit Horn studiert
und ist, wie dieser, ein Außenseiter seiner Zunft.


Ökonomen und Sozialdemokraten dürfen
wieder vom starken Staat träumen


Von Wut und Frust ist dann viel zu hören, aber auch
von Hoffnung. Von der Wut darüber, dass die Po-
litik sich jahrzehntelang am Spar- und Sozialabbau-
Dogma konservativer Ökonomen orien tiert habe,
am Deregulieren und Privatisieren, selbst dann, als
die So zial demo kra ten noch den Kanzler stellten.
Vom Frust darüber, dass Sigmar Gabriel und Frank-
Walter Steinmeier, SPD-Chef der eine, Fraktions-
vorsitzender der andere, einst 20 linke Ökonomen
um sich sammelten, sich über einen längeren Zeit-
raum beraten ließen – und am Ende kein einziger
von deren Vorschlägen den Weg ins SPD-
Programm fand. Den »absoluten Tiefpunkt meiner
Karriere« nennt das ein Wirtschafts-Prof, der damals
dabei war. Die Hoffnung erwächst daraus, dass es
allmählich vorbei sein könnte mit der Zeit, als SPD-
Kanzler und SPD-Vorsitzende sich gebauchpinselt
fühlten, wenn konservative Ökonomen sie lobten.
Vorbei mit der einseitigen Politikberatung. Nun
dürften, wie Horn vorträgt, Ökonomen wieder vom
starken Staat, von Konjunkturprogrammen und von
der Sinnhaftigkeit von Schulden sprechen und
darauf setzen, Gehör zu finden. Bei Walter-Borjans
ohnehin – der dachte schon immer so. Neue Schul-
den bedeuten für ihn bis heute nicht nur mehr
Lasten, sondern auch mehr Nutzen.
Je länger man bei dieser Veranstaltung zuhört,
desto klarer wird, was seine Unterstützer von einem
SPD-Vorsitzenden Walter-Borjans erwarten: dass
sie die Schlachten von gestern noch einmal schlagen
dürfen – und dieses Mal gewinnen. Auf jener Land-
karte, die Nowabo den Genossen wieder beschaffen


soll, tragen die Großstädte Namen wie »Umvertei-
lung«, »Vermögensteuer« und »Investieren«. Mo-
derneres wie »Klimawandel« ist auf dieser Retro-
Karte unverändert nur ein Dorf.
Wann und mit wem will er das umsetzen, in der
Groko oder mit anderen Partnern? Redet man mit
Walter-Borjans darüber, sagt er – nichts. Aber das
mit so vielen freundlichen Worten, dass man
dahinter Taktik vermutet: Seine Partnerin Esken
fordert so harte Bedingungen für einen Fortbestand
der Groko, dass es einem Nein gleichkommt. Damit
sammelt sie die Groko-Gegner ein. Und er blinkt
ins Ja-Lager, indem er ein wenig rum eiert.
Doch kann der Aufbruch ins Gestern über-
haupt gelingen?
Niemand von denjenigen, die nicht mehr im
Rennen sind, werde das Duo Esken/Nowabo
unterstützen, auch kein Linker und keiner der ent-
schiedenen Scholz-Gegner, sagt einer jener Kan-
didaten, die bereits ausgeschieden sind. »Unfair«
sei es gewesen, dass die beiden, vor allem aber
Walter-Borjans, sich bereits im Vorfeld die Unter-
stützung der Jusos und des NRW-Landesvor-
standes organisiert hätten. Mit Kühnerts Truppen
und dem mitgliederstärksten Landesverband im
Rücken sei doch klar gewesen, dass die beiden in
die Stichwahl kommen würden, das ganze Ver-
fahren sei dadurch entwertet worden.

Mit der entscheidenden Befragung der
Basis eskaliert der Streit an der Spitze

Schaut man sich um nach der ersten Runde des
Kandidatenrennens, inszeniert als eine Art Ver-
söhnungshappening der SPD mit sich selbst, so
sieht man überall Versehrte. Karl Lauterbach, der
merkwürdigerweise fest an seinen eigenen Sieg
geglaubt hat, macht öffentlich Juso-Chef Kevin
Kühnert für seine Niederlage verantwortlich.
Michael Roth aus dem Gute-Laune-Duo Kamp-
mann/Roth kommt nicht damit klar, dass die
Mehrheit seiner Genossen ihn nicht ganz so toll
findet wie er sich selbst, und twittert weinerlich
von parteiinternen »Kampagnen« gegen ihn.
Nina Scheer wird in der Frak tion für ihre anhal-
tende Kritik am Klimapaket ausgebuht und fragt
sich, ob sie noch in der richtigen Partei ist. Und
Gesine Schwan kann bis heute nicht verstehen,
warum sie und Ralf Stegner auf den 23 Veran-
staltungen stets den meisten Beifall bekamen –
und bei der Abstimmung die wenigsten Stim-
men. Alle Kandidaten beschworen vor dem Start,
wie wichtig es für die Geschlossenheit der SPD
sei, dass man bei ein an der blei be, wenn es vorbei
sei. Vorbei ist es noch nicht, doch schon jetzt will
man nichts mehr mit ein an der zu tun haben.
Nun, mit der zweiten, entscheidenden Befra-
gung der Basis, eskaliert der Streit an der Spitze.
Während die beiden Kandidatenpaare auf der
Bühne die Grenze zwischen betonter Sachlichkeit
und gepflegter Langeweile schon mal verschwim-
men lassen, gehen hinter den Kulissen die beiden
Lager mit voller Wucht auf ein an der los. »Nicht
ernst nehmen« würde die Kanzlerin eine SPD-
Spitze Esken/Walter-Borjans, sie »zum Frühstück
verputzen«, heißt es bei den Scholz-Anhängern.
»Amateure« seien die beiden, die gegen »die Profis
auf der anderen Seite« keine Chance hätten. Raus
aus der Groko – und dann sieben Prozent bei Neu-
wahlen: So sähe die Zukunft einer Nowabo-SPD
aus. Außerdem unterstützten die Jusos die beiden
nur deshalb, weil Kühnert über einen schwachen
Parteichef Walter-Borjans den meisten Einfluss aus-
üben könnte. Eine entsprechende Parole kreist
bereits in der Bundestagsfraktion: »Nowabo macht
Kevin froh.«
Ähnlich Böses hört man auch von der anderen
Seite. Wenn Scholz Parteichef würde, werde das
»die Partei spalten«. Der harte Kern entschiedener
Scholz-Kritiker – »und davon gibt es zahlreiche«


  • würde eine solche Entscheidung nicht mittragen,
    der SPD drohe »eine Austrittswelle«, heißt es da.
    Dass Scholz seit Kurzem wohlwollend über die
    Vermögensteuer spricht, offensiv eine europäische
    Ban ken union propagiert und eine Reihe eher linker
    Ökonomen ins Finanzministerium berufen hat,
    sehen die Walter-Borjans-Fans nicht als Kurskorrek-
    tur, sondern als »rein taktisches Manöver kurz vor
    der Wahl«, so eine von ihnen. Das sei aber »zu
    durchsichtig«, um erfolgreich zu sein. Es nutze am
    Ende nur Walter-Borjans. »Denn es zeigt ja, dass
    Nowabo schon immer richtiglag.«
    Interessant an dem sich über drei Monate erstre-
    ckenden Rennen um den Parteivorsitz ist zwar auch,
    wer es am Ende gewinnen wird. Viel interessanter
    ist aber, dass die Hinwendung zur Basis die Partei
    mit sich versöhnen sollte. Nun vertieft sie die Risse.
    Das Neoliberale mag die SPD hinter sich
    gelassen haben. Die Ödnis der Pampa noch lange
    nicht.


Siehe auch Wirtschaft, Seite 23:
Finanzminister Olaf Scholz baut sein Haus um

Amateure gegen
Profis? Norbert
Walter-Borjans
und Saskia
Esken vor der
Stichwahl

Foto: Andreas Pein/laif

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