Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

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Baby schuckeln, Haushalt wuppen und im Job glänzen: Mütter sind die Superheldinnen von heute

Foto: Hayley Austin

Was dabei herauskommt, wenn in Kinderbüchern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Thema wird VON JUDITH SCHOLTER


I


n einer Zeit, in der erstmals eine Frau als
Co-Chefin an die Spitze eines Dax-Un-
ternehmens aufsteigt und ein Mann in
Deutschland im Durchschnitt drei Mo-
nate lang Elterngeld bezieht, schickt ein
Kinderbuchautor einen werdenden Vater
auf einen Selbstfindungstrip mitten in
den Wald. Dort trifft der Papa-Novize auf den
Furcht einflößenden »Reuber«, geht bei dem Un-
hold in die Lehre, stellt sich seinen eigenen Ängs-
ten, lernt Feuer zu machen und ernährt sich von
Larven. Danach fühlt der Neu-Vater sich ausrei-
chend gerüstet fürs Kind – derweil die Mutter die
Geburt und die ersten Tage mit Baby ohne ihn
hinter sich gebracht hat (Die Reise zum Mittelpunkt
des Waldes, Mairisch 2018, ab 8). Finn-Ole Hein-
rich hat eine wunderbare Abenteuergeschichte er-
dacht, deren zahlreiche Wortschöpfungen und
-jonglagen große Lesefreude bereiten. Und doch
muss die Frage erlaubt sein: Warum sucht ein
Mann ausgerechnet in einem Kinderbuch nach
seiner Väterlichkeit? Müssen Kinder sich mit den
Rollenkonflikten ihrer Eltern aus ein an der set zen?
Offenbar ja – zumindest ist Heinrichs Buch keine
Ausnahme. Eine Vielzahl von Titeln ganz unter-
schiedlicher Art zeigt, dass die Fragen heutiger Müt-
ter und Väter, wie sie Familie und Beruf mit ein an der
vereinbaren und wie sie die eigenen Ansprüche an
eine gleichberechtigte Partnerschaft leben können,
in der Jugendliteratur angekommen sind. Schon in
Bilderbüchern treten vermehrt Väter auf, die sich in
neuen Rollen versuchen und den Haushalt managen,
während die Mütter bei der Arbeit sind. Die Kinder
in Papa kann fast alles (Carlsen 2018, ab 4) erzählen,
was der so draufhat: Butterbrote schmieren und
Fertiggerichte kochen, Auto fahren und dabei
schimpfen, schnell rennen, schwer tragen, beim Vor-
lesen einschlafen. Und verpeilen, dass am Dienstag
die Kita zu ist, obwohl Mama ihm das extra auf einen
Zettel geschrieben hat.
Ähnlich ist das Szenario in Wenn Mama verreist
(Beltz & Gelberg 2017, ab 3). Solange die Mutter
für den Job durch die Gegend jettet, kümmert sich
Papa, und das Leben ist ein anderes: Man bleibt
abends bis in die Puppen wach und danach den
ganzen Tag im Schlafanzug. »Wenn Mama nicht
da ist, riecht die Wohnung nicht nach Blumen. Es
riecht nach Kakao und Pfannkuchen, und überall
liegt Spielzeug rum!«
Diese Geschichten sind witzig, hübsch anzu-
schauen und vermutlich auch mit den besten Ab-
sichten erdacht. Und doch reproduzieren sie die


D


er momentane Zustand unserer digitalen
Gesellschaft sei vergleichbar mit einer
Szene aus Homers Odyssee. Ziemlich zu
Beginn der Irrfahrt schickt Odysseus drei Gefähr-
ten auf eine unbekannte Insel, wo die Männer von
den dortigen Bewohnern mit honigsüßem Lotus
ruhiggestellt werden. »So ähnlich können wir uns
die Wirkung vorstellen, die Bildschirme auf uns
ausüben«, schreibt die amerikanische Journalistin
Meghan Cox Gurdon in ihrem Buch Die verzau-
berte Stunde. Darin wirbt sie dafür, möglichst oft
die Bildschirme auszuschalten und stattdessen zum
Buch zu greifen und vorzulesen.

Warum es nicht nur für die Entwicklung von
Kindern (auch jener, die längst das Abc beherrschen)
in vielerlei Hinsicht förderlich ist, wenn ihnen vor-
gelesen wird (am besten täglich), sondern warum es
auch den Erwachsenen guttut, erläutert die fünffache
Mutter anhand vieler kleiner Episoden aus ihrem
Familienalltag. Vor allem aber hat sie Wissenschaftler,
Ärzte, Autoren bei der Arbeit begleitet und sich tief
in die Empirie des Themas eingegraben. Kleines
Manko: Umfrage- und Studienergebnisse stammen
überwiegend aus den USA. Für die deutsche Ausgabe
wäre eine ergänzende Recherche des Lektorats an
mancher Stelle erhellend – etwa zur Mediennutzung.

Entstanden ist dennoch ein gleichermaßen fun-
diertes wie kurzweiliges und inspirierendes Sachbuch,
das den Vorleser dank Gurdons literarischer Exper-
tise – sie rezensiert seit bald 15 Jahren Kinderbücher
für das Wall Street Journal – , mit zahlreichen Buch-
vorschlägen entlässt. In die ans Ende gestellte Emp-
fehlungsliste wurde Zusatzarbeit investiert: Neben
den von der Autorin genannten Büchern, sind für
die deutsche Ausgabe weitere Vorschläge für Vorlese-
Geschichten hinzugefügt worden. K AT

Meghan Cox Gurdon: Die verzauberte Stunde.
Insel 2019; 334 S., 24,– €

Die amerikanische Journalistin Meghan Cox Gurdon erklärt das Vorlesen zum Zaubermittel


Für Hirn und Herz


D


ie Sirenenleuchte kündigt nicht die
anrückende Feuerwehr oder den Not-
arzt an, mit diesem Bild wird Lärm
gemacht für bedrucktes Papier. »Einsatz Kin-
derbuch« heißt eine Kampagne, mit der Buch-
händlerinnen gemeinsam mit zehn Verlagen die
Großen fürs Kinderbuch begeistern wollen.
Wie aber überzeugt man die Erwachsenen
von der Großartigkeit der Lektüren für die Klei-
nen? Indem man die Bücher selbst sprechen lässt.
Jeder Verlag hat einen Satz aus einem Buch aus-
gewählt. Auf Postkarten, die von Buchhand-
lungen kostenlos bestellt werden können, sind

sie zu lesen und anzuschauen (ebenso auf der
Web site http://www.einsatzkinderbuch.de). Denn
natürlich darf bei einer Kinderbuchkampagne
die Illustration nicht fehlen.
So wird der Einsatz zum charmanten Ein-
Satz-Projekt, das man sofort fortführen und um
die eigenen Lieblingssätze ergänzen will. Kinder-
literatur sei Literatur – kein Kinderkram, schrei-
ben die Initiatorinnen. Wie wahr! Und sollte es
gelingen, neue Leser anzulocken, dann hat die
Initiative nicht nur etwas für die Sparte Kinder-
buch getan, sondern auch eine Brücke zwischen
den Generationen gebaut. K AT

Eine neue Initiative will auch die Großen fürs Kinderbuch begeistern


Sätze, die ein Leben prägen


Mama hat alles im Griff


altbekannten Muster: Mama hat das Zuhause
im Griff, auch wenn sie arbeitet; Papa impro-
visiert in der Küche, auch wenn er den ganzen
Tag da ist. Für die mit- und vorlesenden El-
tern mag das entlastend sein: Denn allen
gleichberechtigten Vorsätzen zum Trotz teilen
sich die meisten Paare auch in der modernen
Arbeitswelt die Aufgaben sehr klassisch. Fatal
ist nur, dass sich Bilderbücher ja an die Kleins-
ten richten und diese so auf sehr subtile Weise
lernen, was die natürliche Ordnung der Dinge
zu sein scheint.
Das Dilemma, in dem dadurch vor allem
moderne Mütter landen, die zwar arbeiten,
aber zu Hause trotzdem noch alles wuppen,
beschreiben gleich zwei neue Kinderromane
namhafter Autorinnen. Meg Rosoff schildert
in Glück für alle Felle (Fischer 2019, ab 8) auf
groteske Weise, wie ein Haushalt verwahrlost,
wenn die Mutter in den Streik tritt – zum
Glück zieht ein hyperintelligenter Hund ein,
der zum Familientherapeuten mutiert. Und
Amelie Fried berichtet in Ich bin hier bloß die
Mutter (Hanser 2019, ab 10) gekonnt witzig
von der Illustratorin Clara, die über ihren Per-
fektionismus zu Hause und den Wunsch, da-
neben auch noch die besten Zeichnungen zu
schaffen, mit Burn-out in der Klinik landet.
Die Lösung lautet am Schluss in beiden Fällen:
Alle packen etwas mehr mit an und machen
sich mal locker, dann geht’s schon mit Mama
und der Vereinbarkeit.
Interessant ist, dass hier eine gesellschaftliche
und politische Debatte durchs Kinderbuch ins
Private zurückgetragen wird. Mit ein bisschen
Spülmaschineausräumen und Einkaufsdiensten
sind die Fragen der jungen El tern ge ne ra tion
und auch deren tägliche Belastung nur leider
nicht zu lösen. Dies stattdessen zum Thema
von Kinderbüchern zu machen ist mindestens
irritierend, denn es kann nicht die Aufgabe der
Kleinen sein, die Probleme der Großen zu lö-
sen. Genau das geschieht in den Geschichten.
Im Bilderbuch Papa kann fast alles erteilen die
Kinder ihrem Vater am Ende sogar eine Art Ab-
solution: »Du bist super, Papa!«
Wenn man die Frage der Vereinbarkeit
nicht lösen kann, muss man es vielleicht mit
Trost versuchen. Ganz nach dem Motto »Die
sind überfordert, überlastet, übernächtigt, aber
hey, wir sagen ihnen was Schönes, dann geht es
gleich viel besser« stimmen mehrere Titel die-

ses Loblied auf Väter und Mütter an. Eine
Tochter stellt sich vor, was der Vater so macht,
nachdem er sie zum Kindergarten gebracht
hat: in Afrika Monster fangen und auf einem
Hochhaus irgendwo anders eine schöne Frau
aus den Fängen eines Affen befreien (Mein
Papa ist der größte Held der Welt, Gerstenberg
2019, ab 4). Für einen Sohn ist die Mutter eine
Superheldin, sie trägt ein sexy Kostüm mit
Umhang und hohen Stiefeln, kann geheime
Mathe-Formeln entschlüsseln, wilde Stofftiere
bändigen und mit Pflastern Wunden heilen
(Max und die Superhelden, Jumbo 2019, ab 4).
Mütter aus aller Welt und aus verschiedenen
Zeiten werden in Mama (ars edition 2019, ab
6) schlank und mandeläugig in großformatig-
kitschigen Bildern porträtiert und mit anrüh-
renden Versen beschrieben. Von Ambivalenz,
von neuen Ideen, wie Mütter und Väter heute
gemeinsam ihre Aufgaben meistern könnten,
keine Spur. Und wenn die Absicht hinter sol-
chen Geschichten ist, dass Kinder schon mit
der ersten Lektüre andere Rollenbilder ken-
nenlernen, ist die leider gescheitert.
Wie aber könnten Kinderbücher heute von
Familie erzählen? Vermutlich, indem sie ganz
konventionell und im besten Sinne bei ihren
Lesern bleiben, indem sie nicht die Sorgen
und Nöte der Eltern zum Thema machen,
sondern gute Geschichten für Kinder bieten.
Neue Familienkonstellationen und Rollenbil-
der gehören da selbstverständlich dazu und
natürlich auch die Beziehung zwischen Eltern
und Kindern.
Ein schönes Beispiel ist das Bilderbuch Wann
sind wir endlich da? (Tulipan 2019, ab 5) von
Petra Postert und Jens Rasmus. Da fährt ein
Vater mit seinem Sohn durch die traumschöne
Nacht ans Meer. Ob es eine Mutter dazu gibt,
spielt in diesem Buch keine Rolle. Der Vater
kommt allein klar, vermutlich hat er auch die
Brotbox gepackt. Er hofft, dass das Kind bald
einschläft, hat aber selbst größte Schwierigkei-
ten, sich wach zu halten. Unterwegs erzählen
sich die beiden eine Geschichte: von einer jun-
gen Ziege und einer alten Gans, die gemeinsam
ans Meer reisen. Irgendwann stehen die Tiere
am Straßenrand, der Vater hält an, um sie ein-
steigen zu lassen. Auf dem nächtlichen Parkplatz
versorgt und unterhält das Kind die Tramper,
der Erwachsene döst weg. Ein Rund-um-die-
Uhr-Vater ist halt auch nur ein Mensch.

KINDER & JUGENDBUCH 64



  1. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47


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