Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

A


ENTDECKEN


»Geld sollte durch Parlamente verteilt werden.


Doch wenn sich diese das Geld nicht holen, bleibt nur


das demokratische Gewissen der Reichen«


ls sich Teile des sogenannten Nationalsozia­
listischen Untergrunds 2011 selbst enttarn­
ten, als klar wurde, dass Neo nazis, begleitet
vom Verfassungsschutz, über viele Jahre un­
erkannt mordend durch Deutschland ziehen
konnten, da war der Aufschrei groß.
Als 2015 dann ein Rechtsextremist die
damalige Kandidatin für das Amt der Kölner
Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, mit
einem Messer angriff und lebensgefährlich
verletzte, da war der Aufschrei groß.
Als im Oktober 2016 in Geor gens­
gmünd ein sogenannter Reichsbürger einen
Polizisten erschoss und drei weitere schwer
verletzte, überwog eher ein kurioses öffent­
liches Interesse an dieser neuen rechtsextre­
mistischen Subkultur.
Wussten Sie, dass es seit 2016 eine Serie
von durch Neo nazis verübten Brandanschlä­
gen in Berlin­Neukölln gibt?
Als ein Rechtsextremist 2017 den Alte­
naer Bürgermeister Andreas Hollstein mit
einem Messer angriff und lebensgefährlich
verletzte, verhallte der Aufschrei schnell.
Als im Juni 2019 der Kasseler Regierungs­
präsident Walter Lübcke (CDU) auf der
Terrasse seines Hauses durch einen justiz­ und
polizeibekannten Rechtsextremisten ermordet
wurde, hieß es anfangs, man habe keine Er­
kenntnisse über Täter oder Motiv, dann hieß
es, man sei sich sicher, dass der Täter aus dem
persönlichen Umfeld des Ermordeten komme,
dann wurde klar, dass es ein Rechtsextremist
war, der in der Tatdurchführung von anderen

Rechtsextremisten unterstützt worden sein
soll. Dafür, dass hier ein Politiker ermordet
wurde, der sich seit 2015 Drohungen aus der
rechten Szene ausgesetzt sah, folgte politisch
überraschend wenig daraus.
Als am 9. Oktober, an Jom Kippur, ein
Rechtsextremist versuchte, in die Synagoge
von Halle an der Saale einzudringen, um
dort möglichst viele Menschen zu ermor­
den, scheiterte er dabei an seiner eigenen
Unfähigkeit. Was ihn nicht daran hinderte,
eine Passantin und den Kunden einer Dö­
nerbude zu erschießen. Es gab einen Auf­
schrei, es gab Diskussionen, ob diese Tat,
im Stile des Terroranschlags von Christ­
church, live ins Internet ge streamt, die eines
Einzeltäters war. Es gab eine Dis kus sion
über die sogenannte Gamer­Szene. Es gab
kurz Kritik an der Polizei, dass diese zu spät
da gewesen sei und wie es sein könne, in
diesen Zeiten eine Synagoge noch nicht
mal an Jom Kippur polizeilich zu schützen.
Fassen wir einmal zusammen: Seit 1990
wurden nach Recherchen von ZEIT
ONLINE und Tagesspiegel 169 Menschen
durch rechtsextremistisch motivierte Täter
ermordet. Das sind fast sechs Menschen im
Jahr. Seit 29 Jahren jeden zweiten Monat ein
Mord. Laut Amadeu Antonio Stiftung gab
es zwischen 2014 und 2017 allein 4289 An­
schläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Das
sind jeden Tag drei Anschläge. Jeden Tag.
Gleichzeitig erstarkt in Deutschland seit
2015 eine rechtsextreme Partei, die unter dem

Deckmantel der Meinungsfreiheit die Grenze
dessen, was gesagt und gemacht werden kann,
bereits weit verschoben hat. Eine Partei, die
gegen die sogenannte politische Korrektheit
kämpft, aber sofort rumheult, wenn man sie
als das benennt, was sie ist: rechtsextrem. Wo­
bei man nach den Wahlen 2019 sagen kann:
Rechtsextremismus hat für Teile der Deut­
schen anscheinend sein Stigma verloren, denn
offenbar ist die AfD nicht trotz, sondern wegen
ihrer Menschenfeindlichkeit so erfolgreich.
Inzwischen gibt es kaum noch Spitzen­
politiker und Spitzenpolitikerinnen, die
noch keine Morddrohung aus dem rechts­
extremen Spektrum erhalten haben. Ich
bekam meine erste 2013.
Langsam müsste man mal was tun, hm?
Die Regierung hat sich jetzt endlich auf ein
Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus
geeinigt, das darauf wartet, in Gesetze gegossen
zu werden. Twitter und Face book werden zum
x­ten Mal aufgefordert, mit den Strafverfol­
gungsbehörden zusammenzuarbeiten. Am
konkretesten ist noch die geplante Verschär­
fung des Waffenrechts. Beim Thema Prä ven­
tion geht es wieder mal nur gegen »Extremis­
mus jeglicher Art«.
Man müsste mal was tun. Man, das bin
auch ich. Das sind wir alle. Und zwar mög­
lichst nicht nur mit Beiträgen wie diesem
(hallo, Metaebene), die ja auch einer gewissen
Konjunktur unterliegen. Das letzte Mal habe
ich mich 2016 mit so einem kernigen Zwi­
schenruf in einem FAS-Interview zu Wort

Cash gegen Rechts!

VON CHRISTOPHER LAUER


gemeldet und gefordert, man müsse aus der
Komfortzone raus und sich politisch engagie­
ren. Gab viel Zuspruch, doch passiert ist exakt
gar nichts. Mein von einer jugendlich anmu­
tenden Naivität getragenes persönliches En­
gage ment bei der SPD zerschellte an den
Mühen der Ebene, wie es so schön heißt.
Das überaus Ärgerliche am Rechtsextre­
mismus, über die konkrete Gefahr für Leib
und Leben hinaus, ist außerdem, dass wir als
Deutsche und Europäer, als Bewohnerinnen
und Bewohner dieses Planeten eigentlich grad
echt andere Probleme haben, als uns mit
Leuten rumzuschlagen, die vielleicht mal
»interessante politische Personen in diesem
Lande« werden. Und dennoch müssen wir
uns natürlich mit ihnen rumschlagen, oder
um es mit Erich Kästner zu sagen: Wir müs­
sen den Schneeball endlich zertreten, bevor
er zur Lawine wird.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus
findet, trotz Twitter­ und sonstiger Empö­
rung, nicht spürbar statt. Im Gegenteil, wie
unter anderem Recherchen der taz zeigen:
Mitglieder der Sicherheitsbehörden, die in
konspirativen Chats den Tag X planten, den
Tag also, an dem in einer konzertierten Ak tion
Andersdenkende beseitigt werden sollen,
wofür Leichensäcke, Waffen und Mu ni tion
besorgt werden, geben Anlass zur Sorge, es
könnte schon zu spät sein.
Menschen, die in Regionen wohnen, in
denen der Rechtsextremismus seit Jahren
ungehindert Land gewinnt, berichten alle
dasselbe: wie es immer schwerer wird, gegen
die rechte Dominanz anzukämpfen, wie al­
leingelassen sich diejenigen fühlen, die sich
antifaschistisch engagieren. In der öffent­
lichen Debatte wird ihr En gage ment mit
Linksextremismus gleichgesetzt, der wiede­
rum mit Rechtsextremismus gleichgesetzt
wird. Das ist schlichtweg infam.
Initiativen gegen Rechtsextremismus und
für demokratischen Zusammenhalt müssen
landesweit fürchten, ihre Fördermittel ge­
strichen zu bekommen. Zuletzt sollte bei der
Bundesinitiative »Demokratie leben« gespart
werden, was in letzter Minute durch öffent­
liche Empörung verhindert wurde.
Jetzt mal eine unerhörte Idee: Wie wäre es
denn, wenn die Reichen dieses Landes, also
jene von ihnen, die übermorgen nicht gern
in einem faschistischen Staat aufwachen
wollen (ist auch schlecht für den Wirtschafts­
standort), sich mit ihrem Geld für den Erhalt
der Demokratie einsetzen? Wenn also Leute,
die mehr Geld haben, als sie jemals in 1000
Jahren ausgeben könnten, anfangen, progres­
sive Kräfte in ihrem Kampf gegen Rechts­
extremismus zu unterstützen?
Vielleicht gibt es ja auch schon ein paar,
und ich habe es nur nicht mitbekommen.
Denn was beim Blick auf die Rechten auf­
fällt, recherchiert etwa im Buch Das Netzwerk
der Neuen Rechten, ist, dass es Menschen mit
viel Geld in Deutschland und Europa gibt,
die die nationalistische Re vo lu tion finanzie­
ren. Da bekommt Alice Weidel im Bundes­
tagswahlkampf 2017 mal eben so 132.000
Euro aus der Schweiz gespendet (höchstwahr­
scheinlich illegal), und zu jedem Landtags­
wahlkampf werden von dubiosen Vereinen
Broschüren herausgebracht, die sich als un­
abhängige Infoblätter ausgeben und dann
zufälligerweise das Wahlprogramm der AfD
featuren. In Amerika halten sich rechte Super­
reiche wie die Familie Mercer schon lange ihre
Propagandakanäle, ohne die Trumps Wahl­
sieg 2016 kaum denkbar gewesen wäre. Das
bekannteste Beispiel ist das von ihnen finan­
zierte Blog Breitbart in Verbindung mit den
politischen Vernetzungsaktivitäten seines
ehemaligen Chefs Steve Bannon, der es sich
zum Ziel gesetzt hat, den Rechtspopulisten
auch in Europa zur Macht zu verhelfen.
Viel spricht dafür, dass Geld sehr gut dabei
hilft, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen
oder ein Projekt frei von ökonomischen
Existenzängsten durchzuziehen. Ich frage
mich nur, woran es liegt, dass reiche Rechte
den Rechtsextremismus tatkräftig unter­
stützen, während Reiche, die nicht rechts

sind, offenbar vor allem Kunstsammlungen
anlegen, historische Bauwerke retten oder
Wohnungen in Berlin horten.
Allein die 500 reichsten Deutschen besit­
zen laut der Rangliste des Manager Magazins
2019 ein Vermögen von sage und schreibe
803.950.000.000 Euro. 804 Mil liar den! Mit
diesem Geld könnte der Landeshaushalt
Berlins 28 Jahre lang finanziert werden.
Grundsätzlich gilt: Geld sollte durch Par­
lamente verteilt werden. Doch wenn sich
diese das Geld nicht holen, weil sie ein Pro­
blem mit Vermögen­ und Erbschaftsteuern
haben (und dem Schließen von Steuer­
schlupflöchern), bleibt eben nur das demo­
kratische Gewissen der Reichen. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass jedem dieser 500 reichs­
ten Deutschen der Rechtsextremismus am
Arsch vorbeigeht. Deutschland hat 200 Mil­
liar dä re. Es muss doch zwei, drei Superreiche
geben, die ein Problem mit Nazis haben.
Wieso müssen Parlamentarier auf Bundes­
und Landesebene in ihren Haushalten wie die
Kesselflicker um demokratiefördernde Pro­
jekte streiten, bei denen es oft nur um meh­
rere 10.000 Euro im Jahr geht, wenn gleich­
zeitig – nur vier beliebige Beispiele – die
BMW­Erben Stefan Quandt und Susanne
Klatten (laut Manager Magazin 26,5 Mil liar­
den Euro), der Lidl­Besitzer Dieter Schwarz
(27,5 Mil liar den Euro) oder der Unterneh­
menserbe Georg Schaeff ler (13,4 Mil liar den
Euro) nur einen für sie winzigen Dauerauftrag
für diese Projekte einrichten müssten?
Mir ist schon klar, dass diese Leute spen­
den (meiner Meinung nach viel zu wenig),
aber es geht hier nicht um »wohltätige Zwe­
cke«, es geht um die Bekämpfung des wieder
erstarkenden Faschismus in Deutschland.
Liebe liberal gesinnte Superreiche, wenn
Sie In spi ra tion brauchen, googeln Sie mal:
Dresden Nazifrei, das ist das Bündnis, das
trotz Pegida nicht müde wird, Aufmärsche von
Rechtsextremisten zu blockieren.
Oder Aktionsnetzwerk gegen Rechts­
extremismus Jena. Die arbeiten in der Stadt,
aus der die NSU­Mitglieder Zschäpe,
Mundlos und Böhnhardt stammten.
Oder der Verein Opferperspektive in
Brandenburg. Dort kümmert man sich um
die Do ku men ta tion rechtsextremistischer
Morde und kämpft für eine bessere Gedenk­
und Anerkennungskultur in Brandenburg.
Aktivistinnen und Aktivisten müssten
nicht bis zur Selbstaufgabe ehrenamtlich
schuften, wenn Sie sie einfach finanzieren.
Sie könnten auch politischen Talenten
wie Marina Weisband oder Luisa Neubauer
dabei helfen, sich voll auf Politik und Welt­
verbesserung zu konzentrieren.
Oder warum unterstützen Sie nicht die
Bürgermeisterin Martina Angermann aus
Arnsdorf in Sachsen, die von Rechten so
lange gemobbt wurde, bis sie krank wurde?
Einfach mal bei ihr melden und fragen, was
sie braucht.
Von Ihnen finanzierte progressive
Thinktanks könnten dafür sorgen, dass
schlaue Juristinnen und Juristen den gan­
zen Tag Gesetzesvorschläge schreiben, die
dieses Land ökologisch, so zial und ökono­
misch weiterbringen, denn ein gutes Re­
zept gegen Rechtsextremismus ist auch
eine Perspektive auf eine bessere Zukunft.
Warum sollen nur Konzerne große An­
waltskanzleien mit Geld zuschmeißen, da­
mit die dann Gesetze schreiben, die so
oder so ähnlich von der Politik beschlos­
sen werden?
Sowieso, Juristinnen und Juristen: Bezah­
len Sie doch einfach welche, die die Rädels­
führer der Neuen Rechten mit so vielen
Zivil klagen überschütten, dass diese irgend­
wann entnervt vom juristischen Vielfronten­
krieg aufgeben.
So, liebe Reiche, jetzt seid ihr dran. Ma­
chen Sie es einfach wie Generaldirektor Haf­
fenloher in Kir Royal: mit Cash. Im Koffer.

Christopher Lauer war einer der führenden
Köpfe der Piratenpartei und 2011 bis 2016
Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses

Illustration: Julia Schwarz für DIE ZEIT

68 14. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47


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