Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1
E

ine typische René-
Travnicek-Pointe
geht so: »Meine Da-
men und Herren,
wir haben beim Ein-
lass ins Studio das
Publikum gescannt,
und die Prüfung hat
ergeben, dass jeder
Dritte von Ihnen extrem gut aussieht.
Also, schauen Sie sich doch mal Ihre
Sitznachbarn zur Linken und zur Rech-
ten an, und dann überlegen Sie ...« Spä-
ter, bei Let’s Dance, wird er die Pointe
wieder bringen. Er bringt sie oft. Nicht,
weil ihm nichts anderes einfiele. Sie
funktioniert bloß sehr gut.
Eben, bei Jauch, hat er sie nicht ge-
bracht. Nun läuft Travnicek zu seinem
SUV und wirft das Jackett in den Kof-
ferraum, auf das Humornotfallkit, das
dort immer liegt, jederzeit einsetzbar:
Steppschuhe und Gummihuhn. Er
lässt den Motor an und ruft: »Jetzt aber
schnell!« Der Warm-Upper, selbst
längst warm, fährt raus aus Hürth im
Süden Kölns, wo bis vor Kurzem zwei
Zeitzonen existiert haben.
In der einen war es 14 Uhr. Eine Müll-
abfuhr kurvte durch das Dauergrau der
Industrieareale, Regen spülte über das
Gesicht von Günther Jauch, das für die
Ticket hotline seiner Show warb. Fast sah
es aus, als würde der Plakatjauch bitterlich
weinen. Hürth, 14 Uhr, das war unge-
schmälerte Trostlosigkeit. Ist es auch jetzt
wieder. Aber dazwischen gab es eine wei-
tere Zeitzone, ein paar Meter hinter dem
Plakat, und in dieser Zeitzone war es
20.15 Uhr. Kunstlicht hatte von der Stu-
diodecke hinabgestrahlt auf die unend-
lichen Möglichkeiten der deutschen
Primetime, während der leibhaftige Jauch
mit der ihm ganz eigenen Bausparerfrech-
heit den nächsten Millionär suchte.
Müsste man Travniceks Job beschrei-
ben, dann so: garantieren, dass das Studio-
publikum vergisst, dass die Sendung nur
aufgezeichnet wird und draußen die
14-Uhr-Welt wartet; besser noch, ver-
gessen machen, dass man sich überhaupt
in Hürth befindet, am Stadtrand, am
Ende eines Parkplatzes. Stattdessen: Glanz,
Glamour. 4,5 Millionen an den TV-Ge-
räten, 14,5 Prozent Marktanteil. Immer
wieder, immer noch. René Travnicek, 44
Jahre alt, hat sie weggefrotzelt, weggerappt
und weggekalauert, die Trostlosigkeit da
draußen.
Im Fernsehen aber wird davon
nichts zu sehen sein, das ist sein Los: Er
ist der große Ungesehene. Der ewige
Vorbereiter, der Gute-Laune-Macher.
Jetzt bloß nicht sagen: der Anheizer. Er
hasst es, so genannt zu werden, was
wohl auch daran liegt, dass ihn viele so
nennen. Klinge falsch, nach Cala Raja-
da, Cluburlaub, Spaßpool, findet er.
Hatte er denn keinen Spaß?
Doch, war eine gute Sendung, sagt
Travnicek, eben noch auf der A 4, jetzt
auf der A 1. Vorbei an Müngersdorf,
Widdersdorf, Bocklemünd. Aber jetzt
muss er zur nächsten Show, Let’s Dance,
noch so eine Bombastproduktion, die
etliche Deutsche vor dem Fernseher
versammelt. Allzu viele solcher Formate
gibt es nicht mehr. Travnicek ist in Eile.
Let’s Dance sendet live, dort verschmel-
zen die zwei Zeitzonen wieder.
Eigentlich hätte Jauch am Abend auf-
gezeichnet, aber weil Travnicek schon für
Let’s Dance gebucht war, ließ der Quiz-
großmeister seine Show vorverlegen. Ei-
nen anderen Warm-Upper wollte er nicht
buchen, Jauch ist, die Produktionsbedin-
gungen betreffend, durchaus pedantisch,
alles soll sein wie immer, und Travnicek
ist nun mal sein Mann.
René Travnicek ist der meistgebuchte
Warm-Upper des Landes. Deutschland
sucht den Superstar, ZDF-Fernsehgarten,
Frag doch mal die Maus. Comedypreis,
Genial daneben, Grill den Henssler. Er
war bei Raab, ist bei Pflaume und duzt
Luke Mockridge. Sein Lebenslauf ist
ein Querschnitt durch die Fernsehzei-
tung. Etwa 200 Shows schafft Travnicek
im Jahr, sein Kalender, verschiedenfar-
big gemarkert, ist sehr bunt.
Er parkt vor der Produktionshalle der
MMC Studios, Kölner Nordosten jetzt,
und eilt zum Eingang, die Steppschuhe
in der Hand. Sie warten schon. Er hat
seinen Studioausweis vergessen, sie win-
ken ihn durch. Kennen ihn ja hier. Seit
zehn Jahren macht Travnicek das Warm-
up für Let’s Dance. Im Studio fährt er sein
Mischpult hoch, eine Abspielstation mit
vielen Knöpfen und Soundspuren, auf
denen Klassiker abgelegt sind: Mr. Presi-
dent, U Can’t Touch This, Ace of Base.
Dann beobachtet er die Menschen, die
plätzesuchend auf die Tribünen quellen.
Vorscouting ist das bei Travnicek, Anti-
zipation möglicher Stimmungsverläufe an
diesem Abend. Wie werden sie reagieren,
die ledergesichtigen Männer in Samt-
sakkos, die Frauen, die meterdick aufge-
pudert haben, die Mädchen mit den ge-
glätteten Scheiteln? Die Stimmung ist von
der Erwartungshaltung bei einer Theater-
premiere kaum zu unterscheiden. Nur
dass hier halt gleich Oliver Pocher im

brustfreien Dompteursjäckchen Freddie
Mercury mimen und Daniel Hartwich,
der als Dschungelcamp-Moderator be-
kannt geworden ist, ihn anfeuern wird:
»Du Teufelskerl, du!«
Travniceks Programm steht und fällt
mit der Begeisterungsbereitschaft seines
Publikums, für ihn ist Fantum erst mal
gut. »Wenn die Leute wären wie der Mann
im roten Polohemd« – er zeigt auf einen
Stiernacken, der dreinblickt, als habe man
ihm dreimal die Vorfahrt genommen –,
»würde das ein harter Abend werden.«
Beim ZDF hat Travnicek einmal eine
Jubiläumsshow gewarmuppt, in der mehr-
heitlich Senioren saßen, er sagt: »So ein
Publikum musst du dir richtig hart erar-
beiten.« Hier bei RTL muss er nur das
Feuer schüren, das schon brennt.
Er hat 15 Minuten vor Showbeginn,
die sind am wichtigsten. Danach gilt es
noch mal vier Werbeblöcke je acht Minu-
ten zu füllen. Travnicek fokussiert sich,
strafft sich, als sei er hier gleich live. Und
im Prinzip ist er das ja auch. Live, in Farbe,
aber für 300 Leute statt 3,7 Millionen. Er
wirft sich seinen Ritualmentos ein, tänzelt

dann in die Mitte der Bühne. »Hi, guten
Abend, mein Name ist René Travnicek,
und das ist ein Ein-Euro-Job, den ich sehr
gerne mache ...« Gelächter. Er hat sie. Jetzt
nur nicht los- und nachlassen.
Er bringt den eingangs erwähnten
Pointenklassiker und leitet dann über zu
seinem Rap, was zuerst komisch klingt,
aber durchaus unterhaltsam ist, unwieder-
gebbar leider. Das Publikum lacht und
klatscht, spürbar erleichtert, dass das alles
ganz locker und nett ist – und dass hier
niemand dem Spott preisgegeben wird.
So halten es nämlich manche von
Travniceks Kollegen.
Warm-Upper gibt es viele. Von den
Besseren teilen sich sechs den deutschen
TV-Markt auf, drei davon sind gut ge-
bucht, Travnicek besser als alle anderen.
Die meisten seiner Konkurrenten haben
sich auf die brachialen Pointen verlegt,
den flachen Witz, das Abarbeiten am Zu-
schauer. Sie picken sich Einzelne aus dem
Publikum, das genau davor Angst hat, und
führen die vor. Travnicek sagt, das sei nicht
sein Stil. Er führt auch vor, aber nur sich
selbst, seine Nummern. Bei einer anderen

großen Show, sie läuft auf Sat.1, erzählt
ein Produktionsassistent, wie sie einmal
Travnicek ersetzen mussten, der schon
woanders im Wort war, und dass der Er-
satz dann bloß alle Zuschauer gefragt
habe, ob sie denn mit dem Kombi da
seien, dann kam noch ein platter Gag zur
Familienkutsche, das war’s. Der Produzent
habe sich danach lieber wieder weit im
Voraus um Travnicek bemüht.
Der geht jetzt durch die Reihen und
sucht Leute aus, aber nur Freiwillige, und
studiert mit denen binnen zwei Minuten
eine Choreografie zur Musik der Back-
street Boys ein. Er steppt, rätselt, mono-
logisiert, eigentlich ist das Stand-up, aber
im amerikanischen Stil, ironisch, doppel-
bödig. Er bezieht das Publikum ein, statt
es nur zu adressieren. Dazwischen macht
Travnicek einfach ein bisschen Party.
Man könnte sagen, dass er das, was in
vielen Shows zur Parodie verkommen oder
vor lauter Um- und Überbauten nicht
mehr sichtbar ist, auf den eigentlichen
Kern reduziert, zurückstutzt, auf Auftritt
und Applaus. Er ist ein Puritaner der
Bühne. Unterhalter, nicht Entertainer.

Manchen seiner Sprüche fügt er offene,
umarmende Fragen hinzu: »... aber das
kennen wir ja alle, oder?« Er ist ein leiser
Vertreter einer Branche, in der alles immer
ganz laut sein muss.
Gelernt hat Travnicek das nicht. Zum
Hotelfachmann wurde er ausgebildet, half
als Croupier im Casino aus, leitete eine
Promotion-Agentur in Stuttgart. Im Jahr
2000 lief er in eine Bar, wollte nach den
Gelben Seiten fragen, sich ein Fitness-
studio suchen. Zufällig castete das Team
der Kuppelshow Herzblatt in der Bar neue
Kandidaten. Travnicek, Single damals,
sprach spontan vor und gefiel. Man lud
ihn ins Studio, auch dort belustigte er das
Publikum mit seinen Einlagen. Die Herz-
blatt-Chefs schlugen vor, er könne ja im-
mer mal wieder vorbeikommen, sie wür-
den ihm für seine Späße auch etwas zah-
len. So ging das los. Travnicek wurde bei
Herzblatt mit dem Fernsehen verkuppelt.
Die Beziehung hält bis heute, sie hat
aber auch die Abnutzungen erfahren, die
sich eben einstellen, wenn man einander
seit Jahren kennt, bisweilen zu gut. Trav-
nicek ist für das Fernsehen nach Köln

gezogen, weil dort die Privatsender sitzen,
er kündigte bei der Agentur, ohne zu wis-
sen, ob er vom Warm-up leben kann. Am
Anfang, erzählt er, habe er immer das re-
duzierte Toastbrot gekauft und ohne Belag
gegessen, zu wenig Aufträge, warten auf
bessere Zeiten. Dann kam Nur die Liebe
zählt, kam Oliver Geissen, kam DSDS.
Travnicek hat spekuliert und wurde be-
lohnt, und wohl auch deshalb kann er
heute noch schwärmen vom Fernsehen an
sich, von der Digitalisierung und hoch-
auflösenden Leinwänden, davon, dass die
Öffentlichen nicht mehr so steif und die
Privaten nicht mehr nur grell sein müssen.
Man muss sich dafür vergegenwärti-
gen, dass Travnicek, obwohl erst 44 Jahre
alt, in einer anderen Fernsehära aufge-
wachsen ist und auch beruflich noch eine
andere Fernsehepoche erlebt hat. In seiner
Kindheit gab es drei Programme. Er
schaute die tschechischen Märchen, spä-
ter: Ein Colt für alle Fälle, Knight Rider,
Dallas. Fernsehen lief nicht nebenher,
sondern gar nicht oder ganz gezielt; er er-
innert sich, wie die Familie am Samstag-
abend für Wetten, dass..? vor dem Fernse-
her zusammenkam, er erinnert auch den
Groll der Eltern, wenn er heimlich fern-
gesehen hatte. Der Vater brauchte nur die
Hand auf den Fernseher legen, die Röhre
war noch Stunden später warm. Travnicek
hat den Boom des Privatfernsehens mit-
erlebt, er kennt das Testbild nach null Uhr
und die Klatschpappen von früher. Ko-
mödien wie Die nackte Kanone mit Leslie
Nielsen haben seinen Humor geprägt.
Es ist einfach, sich mit dieser Kenntnis
der alten Zeit für das neue, schnelle, in
unzählige Nischen aufgefächerte Fernse-
hen zu begeistern. Es ist genauso einfach,
nostalgisch zu werden. »Fernsehen war die
Möglichkeit, sich etwas zuzuführen, was
es im eigenen Leben nicht gab«, sagt Trav-
nicek, »Fernsehen war die Freiheit jenseits
der Verbote.« Inzwischen verzichtet Trav-
nicek auf diese Freiheit. Er guckt kein
Fernsehen mehr.
Es ist nicht so, dass er keinen Fernse-
her hätte. Ein gewaltiges Smart-TV steht
auf der Kommode im Wohnzimmer in
Aachen. Nur bleibt dieser Fernseher, bis
auf Sportschau und Traumschiff, schwarz.
»Meine Frau hat neulich vorgeschlagen,
ein Poster davorzuhängen«, sagt Travni-
cek. Die vielen Shows, für die er Warm-
up macht, mag er sich nicht noch mal
ansehen. »Weil ich weiß, da gab es den
Cut und dann wurde das Spiel aufgebaut
im Hintergrund und deshalb steht das
Spiel jetzt da. Und dann weiß ich noch,
dass ich an der nächsten Stelle ange-
klatscht habe, und deshalb klatscht das
Publikum so wild. Sorry, das geht nicht.«
Selbst Shows, bei denen er nicht mitge-
wirkt hat, sieht er an, wie sie produziert
wurden, das macht sie unsehbar für ihn.
Aber Travniceks Verdruss reicht noch
tiefer. Er liebt das Fernsehen, doch für ihn
hat es seinen Zauber verloren. An Let’s
Dance, das mittlerweile begonnen hat, ist
das besonders gut nachzuvollziehen. Pro-
minente, eher der Kategorie C, werden
mit professionellen Tänzern gepaart und
müssen im Wochentakt neu tanzen. Eine
Jury richtet, das schlechteste Duett wird
rausgewählt. Das Ganze wird mit viel
Tränendrüse und Gekicher inszeniert, in
den Pausen aber, wenn Travnicek zurück
auf die Bühne muss, sacken alle Beteilig-
ten in sich zusammen wie Marionetten,
denen auf einmal die Schnüre durch-
trennt worden sind. Die immense An-
strengung, grundlos gut gelaunt zu sein,
weicht einer diffusen Traurigkeit.
Jorge González starrt minutenlang ins
Leere, Motsi Mabuse auf ihr Handy, die
Tänzer zu den Vertrauten, die sich ins
Publikum schleusen durften. Der erkäl-
tete Hartwich hustet gelbes Sputum in
eine Serviette, die ihm die eifrige Assisten-
tin hält. Es ist eine faszinierende, anthro-
pologisch wertvolle Surrealität. Travnicek
steht derweil vor dem Publikum und muss
genau diese Leere füllen. Am Ende ist er
selbst leer. Während der Show konnte
man ihn sehen, wie er, auf seinem Platz
am Treppengang, anfangs die Tänze noch
mitklatschte und irgendwann nicht mehr.
Travnicek ist zu diplomatisch und auch
zu klug, um hart ins Gericht zu gehen mit
denen, die ihm sein Einkommen sichern.
Aber am Ende von Let’s Dance steht er an
seinem Pult, erschöpft und ohne Schutz-
schild und sagt: »Ich würde mir manch-
mal ein höheres Niveau wünschen.«
Natürlich überlege er, wie lange er das
noch machen soll. Wann er vielleicht zu
alt ist dafür. »Man kennt das, wenn man
in der Bar einen Witz erzählt«, hat er in
seinem Haus in Aachen gesagt, »und die
Freunde gehen ab. Dann will man noch
einen drauflegen. Es gibt einfach diese
Sucht, die Lacher zu kriegen.«
Nun packt er ein und geht, nach mehr
als drei Stunden. Er entkabelt seine Gerä-
te, legt die Steppschuhe in die Kiste, und
als Frauke Ludowig denen, die immer
noch vor dem Fernseher sitzen, »Szenen,
die Sie eben nicht gesehen haben« an-
droht, fährt der Mann, der alles gesehen
hat, schon vom Parkplatz in die Nacht.

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  1. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47 71


René Travnicek animiert das Studiopublikum von »Let’s Dance« (Foto), »DSDS« und »Wer wird Millionär?«

Der Vorarbeiter


Es gibt einen Mann, der kennt das deutsche Fernsehen


wie kaum ein anderer. Aber fast niemand kennt ihn.


René Travnicek ist der meistgebuchte Warm-Upper des Landes.


Was sieht der, der nicht gesehen wird?


VON MORITZ HERRMANN

Foto: Nikita Teryoshin für DIE ZEIT
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