Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

ENTDECKEN


Vorher/Nachher: D ie Feder


Die Rose fing sie im Wind. Ein Platzregen entleert sich darüber. Die Rose gab sie nicht her,
hält die zerzauste Feder weiter fest. Doch wird sie auch den Herbststürmen trotzen?
Volker Wille, Hannover

ZEITSPRUNG

Als Grundschullehrerin unterrichte ich auch
Musik. Nachdem wir einige Stunden darauf
verwendet haben, ein Mozart-Mitmachkonzert
in unserer Aula vorzubereiten, sprechen wir ein
letztes Mal alles ab. Da meldet sich ein Junge
und fragt: »Kommt der Mozart auch?«
Ilka Schwanig, Frankfurt am Main

Nach 40 Jahren meinen Halbbruder kennen-
zulernen und jede Minute mit ihm zu genießen.
Was für ein Geschenk!
Nicole Strauss, Dresden

Seit einiger Zeit kleide ich meinen Mülleimer
nicht mehr mit Plastiktüten, sondern mit
alten Zeitungsseiten aus.
Heute Morgen, zufällig: Donald Trump,
Gesicht nach oben. Fischreste drauf, herrlich!
Birgit Zimmermann,
Bosau, Schleswig-Holstein

Vier Wochen nach der Brustkrebs-OP darf ich
vorsichtig walken. Ich gehe in den Wald.
Regen? Matsch? Egal! Mit ausgebreiteten Armen
schwebe ich durch die Natur, wie mit Flügeln.
Katja Berkling, Marburg

Paris, Ostbahnhof, am Tresen einer internatio-
nalen Kaffee-Kette. Wir ordern. Der Verkäufer
hält Pappbecher unterschiedlicher Größe hoch
und stellt eine Frage, die mein Mann als »Wat
willste nehm?« versteht. »Porzellantasse«,
antwortet mein Ernst, der seinen Kaffee ungern
aus Pappe trinkt.
Das geht dann einige Male hin und her: Der
hinterm Tresen zeigt munter seine Papierbecher,
mein Mann äußert – schon etwas unmutiger –
den Wunsch nach Porzellan. Bis der Theken-
mann auf das an seine Brust geheftete Namens-
schild zeigt: »What is se name!!!«
Der Wunsch nach Porzellan konnte natürlich
nicht erfüllt werden, aber Ernst bekam
schließlich seinen Becher mit Ernesto
beschriftet, ich meinen mit Karlinda.
Gerlinde Fanselow, Berlin

Der Klang einer Kiste voller Legosteine,
unermüdlich durchwühlt von Kinderhänden
auf der Suche nach dem passenden Stein.
Volker Wagner, Ludwigsburg

Samstags auf dem Markt. Mühsam schiebt ein
älterer Mann seinen Rollator durchs Gedränge,
kommt an einer jungen Frau nicht vorbei, die
verzückt auf ihr Handy schaut. »He, Sie
versperren den Weg«, knurrt er. Sie, ohne
aufzuschauen: »Lassen Sie mich doch in Ruhe,
ich muss jetzt den Liebesbrief lesen.«
Mit »Lassen Sie sich den doch im Bett erzählen,
das ist interessanter« quetscht der Mann seinen
Rollator schließlich durch eine Lücke – und lässt
eine errötende junge Dame zurück.
Fritz Opitz, Braunschweig

An einem unerwartet schönen Herbsttag noch
einmal einen Eisbecher im Freien genießen.
Mecht h i ld Ba mbe y, Zwingenberg, Hessen

Wir sind eine britisch-deutsche Familie, und seit
dem Tag des Brexit-Referendums hängt in unse-
rem Fenster eine EU-Flagge. Neulich erhielten
wir einen anonymen Brief mit der Aufforderung,
die Flagge zu entfernen. Wir erzählten befreun-
deten Nachbarn davon – zwei Tage später hing
eine zweite EU-Flagge in unserer Straße: im Haus
nebenan! Best neighbours in the world!
Katharina O’Connor, Lübeck

Ein blühendes Rapsfeld mitten im Herbst – das
Gelb der Blüten und der Duft zaubern für einen
Augenblick schon den nächsten Frühling herbei.
Lars Janzen, Wistedt, Niedersachsen

Die Englischen Rosen meiner Mutter, die dem
kalten Herbstwind trotzen und noch ein letztes
Mal in diesem Jahr all ihre Blütenpracht zeigen.
(Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben.)
Linnéa Gonschorek, Aachen

Leben


Wa s mein


reicher macht


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Schreiben Sie uns, was Ihr Leben reicher macht,
teilen Sie Ihre »Wortschätze« und
»Zeitsprünge« mit uns.
Beiträge bitte an [email protected] oder an
Redaktion DIE ZEIT, »Z-Leserseite«, 20079 Hamburg

G


emeinsam mit zwei Kollegen habe
ich Anfang dieses Jahres 18 neue
Planeten entdeckt. Sie sind Hunderte
von Lichtjahren entfernt und befin-
den sich außerhalb unseres Sonnensystems, in
der Milchstraße. Für mich ist das bisher der
größte wissenschaftliche Erfolg meiner Karriere.
Wenn ich Freunden davon erzähle, glauben
sie, ich hätte in einer Sternwarte nächtelang vor
einem Teleskop gesessen und den Himmel be-
obachtet. Tatsächlich saß ich die meiste Zeit
tagsüber in meinem Büro vor dem Laptop, ne-
ben mir Papier und Bleistift.
Vor zehn Jahren schoss die Nasa das Welt-
raumteleskop Kepler ins All. Bis Ende letzten
Jahres tastete es den Himmel ab, mit dem Ziel,
Planeten zu finden, die der Erde ähneln und auf
denen womöglich Leben existieren könnte. Für
unsere Entdeckung haben wir Daten ausgewertet,
die das Teleskop von 2014 bis 2018 sammelte.
Die Daten, insgesamt fünf Tera byte, sind
für jeden Internetnutzer frei zugänglich. Man
muss nur »Nasa Exoplanet Ar chive« googeln.
Dort haben wir eine riesige Menge Daten he-
runtergeladen und dann einen Com pu ter code
geschrieben, einen Algorithmus, mit dem wir
die Daten untersuchen können. Er ist das
Herzstück unserer Arbeit und soll uns helfen,
die richtigen Si gna le aus den Daten zu filtern.
Besonders interessiert hat uns die Hellig-
keit von Sternen. Manche Sterne haben näm-
lich Planeten, die wir von der Erde aus in regel-
mäßigen Abständen vor dem Stern vorbeiziehen
sehen. Genau genommen sehen wir die Planeten
aber nicht. Wir sehen nur, dass der Stern regel-
mäßig, zum Beispiel alle paar Wochen, für die
immer gleiche Dauer von einigen Stunden zu-
nächst um einen Bruchteil dunkler und dann
wieder heller wird. Nach diesen periodischen
Helligkeitsschwankungen der Sterne hat unser
Algorithmus gesucht.
Mehrere Tage lang hat unser Algorithmus ge-
rechnet, ehe er uns 34 Planetenkandidaten aus-
spuckte. Die 34 dazugehörigen Si gna le haben wir
einer genaueren computerbasierten Analyse un-
terzogen. Nach mehreren Wochen blieben 18
Objekte übrig. Von ihnen können wir mit jeweils
mehr als 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagen,
dass es sich um einen Planeten handelt. Sie heißen
zum Beispiel K2-32e oder K2-308b und wurden
von der Nasa anerkannt. Genauso wie vorher be-
reits Tausende anderer Planeten, die durch das
Kepler-Teleskop entdeckt wurden.
Auf unserem Computer existieren diese Pla-
neten lediglich als Kombinationen statistischer
Kennzahlen. Doch in Wirklichkeit sind sie un-
gefähr so groß wie die Erde und Mil liar den
Jahre alt. Auf einem dieser Planeten herrschen
sogar Temperaturen, die denen auf der Erde
ähnlich sind. Womöglich gibt es allein in unse-
rer Galaxie Millionen anderer erd ähn licher Pla-
neten, die wir noch nicht entdeckt haben. Es
wäre wirklich ein krasser Zufall, wenn nicht ei-
ner von ihnen zumindest niedere Lebensformen
hervorgebracht hätte.


... ei nen Pla neten


zu entdecken


WIE ES WIRKLICH IST

René Heller, 37, ist Astrophysiker
am Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung in Göttingen

Wenn Sie in unserer Rubrik »Wie es wirklich ist«
berichten möchten,
melden Sie sich bei uns: [email protected]

Berehle


lommelig


Bei uns zu Hause in Rudolstadt pflegten wir ein klappriges Fahrrad als Berehle zu bezeichnen. Neulich spielten
meine Kinder hinterm Haus, als jemand auf einem alten Rad vorbeifuhr. Ich sagte: »Schaut an, eine Berehle!«
Was das denn sei, wurde ich gefragt und versuchte sogleich den Begriff in ihrem Wortschatz zu verankern.
Mit Erfolg, wie sich herausstellte, als mein sechsjähriger Sohn Wochen später angesichts eines wenig
verkehrstauglichen Drahtesels ausrief: »Sieh mal, Papa, eine Berehle!« Der Ausdruck wird also nicht aussterben.
Stephan Laudien, Jena

WORTSCHATZ

Aufgezeichnet von Björn Stephan

Drolla Bibane ist eine Pyrenäische Eselin. Sie lebt auf einem Hof in der Nähe von Trier. »Drolla« ist das okzitanische Wort für Puppe. Fotografiert von Manfred Jarisch für den »Greenpeace Magazin«-Kalender 2020

Folge 179


Du siehst


aus, wie ich


mich fühle


Illustration: Eva Revolver für DIE ZEIT; kl. Fotos : privat

Ich bin gebürtiger Schwabe, lebe aber seit Jahrzehnten in Norddeutschland. Nun traf ich beim
Hundespaziergang eine junge Frau, die ihrem Sohn an den Fahrradhelm fasste und dessen Sitz
stirnrunzelnd mit den Worten »ziemlich lommelig« kommentierte. Der Ausdruck kam mir vertraut vor.
Im Schwäbischen beschreibt er alles, was nicht fest sitzt oder den Kopf hängen lässt. Ich fragte die Dame,
woher sie denn komme – und siehe da, sie stammte aus Nürtingen! Schnell kamen wir überein,
dass es für »lommelig« kein adäquates Wort im Hochdeutschen gibt.
Rainer Vogt, Bremen

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78 14. NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47

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