Die Zeit - 14.07.2019

(Jacob Rumans) #1

Harald Martenstein


Über die vom Verschwinden bedrohte Tugend der Duldsamkeit


und den angemessenen Umgang mit »Mikroaggressionen«


Harald Martenstein


ist Redakteur des »Tagesspiegels«


Eine katholische Zeitung hat mir einen Fragebogen vorgelegt. Sie


wollten wissen, was ich tun würde, wenn ich einen Tag Papst wäre.
Das war einfach: »Zölibat abschaffen, Priesteramt für Frauen.« Sie


fragten, was ich am liebsten rieche. Diese Antwort lautete: »Neu­
geborene Babys, Rosen und Grappa, nicht gleichzeitig, sondern


nach ein an der.« Die schwierigste Frage hieß: »An was glauben Sie?«
Ich glaube, dass wir vieles über das Universum noch nicht wissen,


insofern ist Gott möglich.
Leider fragten sie nicht nach der Lieblingstugend. Das wäre Duld­


samkeit. Es gibt auch andere wichtige Tugenden, klar, aber die
Duldsamkeit ist vom Verschwinden bedroht, sie ist der Regenwald


unter den Tugenden. Duldsamkeit bedeutet zum Beispiel, dass
man auch mal eine Kränkung hinnimmt, ohne zurückzuschlagen


oder sich aufzuregen. Mir fällt das keineswegs leicht. Tugenden
sind nun mal schwierig. Die wichtigste Voraussetzung für Duld­


samkeit ist das Wissen um die eigene Fehlbarkeit. Wenn ich selber
Fehler mache, wie kann ich mich dann über Fehler von anderen


maßlos aufregen? Duldsamkeit bedeutet nicht, dass man sich alles
gefallen lässt. Die Re ak tion darf nur nicht maßlos sein. Kleinig­


keiten sollte man wegstecken.
In den letzten Jahren hat der Begriff »Mikroaggression« Karriere ge­


macht. Das sind kleinste Kränkungen »marginalisierter Gruppen«.
Eigentlich alle Gruppen gelten heute als marginalisiert, außer wei­


ßen Männern. Mikroaggressionen sind den Aggressoren meist gar
nicht bewusst, sie sind oft nett gemeint. Auf Forbes.com beschreibt


eine Frau namens Pragya Agarwa, was sie wütend macht. Wenn
sie erwähnt, dass sie aus Indien stammt, antworten Leute: »I love


Indian food.« Schlimmes Klischee. Das kenne ich auch. Wenn ich


in den USA sage, woher ich komme, höre ich Mikroaggressionen
wie »German beer – wunderbar!« Auf Wikipedia wird als Beispiel
eine Lehrerin genannt, die einem Jugendlichen namens Muhamad
freundlich rät, über eine Namensänderung nachzudenken, mit dem
Namen könne er später, etwa bei Bewerbungen, Probleme kriegen.
Zweifellos war das ein blöder Rat und ärgerlich für Muhamad. Ich
hätte an seiner Stelle geantwortet: »Das ist nun mal mein Name.
Falls er Probleme macht, dann sollte man die Probleme aus der Welt
schaffen und nicht den Namen, oder?« Fertig. Eine »Aggression« ist
das nicht. Wenn jemand aus Gedankenlosigkeit mit guten Absichten
einen Fehler macht, verhält diese Person sich falsch, aber nicht ag­
gressiv. Eine Welt, in der es Fehler dieser Art nicht mehr gibt, trüge
den Namen »Paradies«. Die Mikroaggressionsjäger sorgen dafür, dass
es immer schwieriger wird, mit ein an der zu reden. Ohne ein gewisses
Maß an Duldsamkeit kann eine Gesellschaft nicht funktionieren.
Als ich mit einem Freund darüber diskutierte, landeten wir bei der
mikroaggressiven Frage Nummer eins: »Wo kommen Sie her?« Diese
Frage ist ärgerlich, wenn man in Krefeld geboren wurde und anders
aussieht als die meisten Krefelder. Die Frage, sagte der Freund, si gna­
li sie re aber Interesse an der anderen Person und Neugier, Ersteres sei
nett, Letzteres eine unausrottbare menschliche Eigenschaft. Auch ich
werde manchmal gefragt, woher ich stamme, weil man an meinem
Tonfall merkt, dass ich kein natural born Berliner bin.
Worüber ärgere ich mich? Natürlich darüber, dass ich als »alter
weißer Mann« eingeordnet werde. Ich bin viel mehr als nur das!
Aber ich will es aus Duldsamkeit hinnehmen. Ich werde sagen:
»Ich bin nun mal weiß. Wenn ihr damit ein Problem habt, müsst
ihr Blackfacing erlauben.«

Zu hören unter http://www.zeit.de/audio

Illustration Martin Fengel

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