Der Stern - 07.11.2019

(Kiana) #1
ILLUSTRATION: DIETER BRAUN

Roter Riesling ist eine violett-
schalige Mutation des Riesling,
entdeckt und selektioniert
von Bernhard Ellwanger. Kräftiger
Weißwein mit rosa Reflexen
und von einer Würze, die auch
mit einem Hühnerbraten mit
Pilzfülle mithalten kann. Spontan
vergoren, im Holzfass ausgebaut,
Zucker und Säure je 6,3 g/l.
Für 12,90 Euro bei Tel. 071 51/621 31,
http://www.weingut-ellwanger.com

Kräftig, würzig


(evtl. ein leicht feuchtes Tuch zwischen das
Brett und die Oberfläche der Küchenzeile
platzieren). Mal fühlen ... Hm, der Rücken
fühlt sich beinern an ... Macht nichts, einen
scharfen Schnitt setzen von der Halshaut
bis zum Bürzel – er muss bis auf den Kno-
chen gehen. Der Anfang ist leicht frie-
melig, aber wenn man die Klingenspitze
immer hart über den Knochen führt, löst
man zunächst etwas, danach aber mehr
und mehr Haut und Fleisch vom Gerippe.
Lassen wir uns Zeit dabei. Das Huhn ist
tot, es zuckt und flattert nicht, blutet nicht
aus und sagt auch sonst nichts. Zuschauer
schmeißen wir aus dem Raum und hören
uns statt Vorhaltungen lieber Haydns
Streichquartette an.
Bald schon stoßen wir auf vier Gelenke,
die durchtrennen wir im Knorpel. Auch
begegnen uns zwei Schulterblätter und ein
wünschelrutig geformtes Schlüsselbein.
Das scharfe Messer löst das Fleisch auch
von diesen Knöcheln, wir können sie auch
ruhig herausrenken. Alle Knochen aufbe-
wahren.

Achtung, scharfe Kurve: Brustbein


Schließlich arbeiten wir uns vor bis in die
Zone, wo das Hühnerbrustbein nur noch
von etwas Haut überspannt ist. Packt man
den ganzen Kladderadatsch am Gerippe
und hält es hoch, dann wird das Hühner-
fleisch und seine Haut nebst den noch exis-
tenten Keulen und Flügeln vom Brustbein
baumeln. Vorsicht: Die Geflügelhaut darf
keine Löcher haben, sonst lässt sie sich
nicht füllen. Das Brustbein ist zur Haut hin
knorpelig – wir fahren mit dem Messer

Zur Einübung nehmen wir natürlich
keine teure Ente oder Ähnliches, sondern
ein einfaches Huhn. Das kann auch ein Sup-
penhuhn sein, denn Vögel sind im Grunde
immer baugleich.
Zwingend für das Entbeinen eines Vo-
gels ist ein nicht zu großes und sehr, sehr,
sehrsehr scharfes Messer, nach Möglichkeit
mit einer halbrunden Klinge. Das mit dem
scharfen Messer ist tatsächlich zwingend!
Weil wir sonst scheitern. Machen wir die
Probe: Unser Messer ist hinreichend scharf,
wenn es durch eine rohe Zwiebel nur mit
Druck von oben, also ohne jegliche säbeln-
de Bewegung, wie durch weiche Butter
fährt. Auch ledrige Tomatenhaut bewältigt
es ohne jede Mühe.
Ein Werkzeug, das diesen Test nicht be-
steht, gehört professionell geschärft, ent-
weder von einem hilfsbereiten Metzger
oder (noch besser) von Schleifermeister
Heinz Hauptmann, Marktstraße 16 in 01471
Radeburg. Wir schicken ihm die Messer per
Post mit beigelegtem Antwortadresszettel
(die Spitze in einen Weinkorken gesteckt,
die Schneide in Packpapier gewickelt). Der
Meister sendet sie uns gefährlich scharf
und nach moderatem Honorar zurück.
Bedenken? Rufen wir Heinz Hauptmann
vorher an: Tel. 03 52 08/24 28.

Nun zu den praktischen Schritten


Das Rezept für die gefüllte entbeinte Weih-
nachtsente wird in der stern-Ausgabe 50,
am 5. Dezember erscheinen. Proben wir bis
dahin am Huhn. Das (im Fall von Tiefkühl-
ware natürlich aufgetaute) rohe Huhn
legen wir bäuchlings auf das Arbeitsbrett

zwischen Haut und Brustbein entlang und
lösen das eine vom anderen, ohne Löcher.
Puhhh, das wäre geschafft. In Heft 50
werden wir den Weihnachtsvogel so, wie
er jetzt ist, füllen, mit seinen Keulen und
Flügeln intakt. Weil es so schön aussieht,
wenn er mit allen Vieren aus dem Ofen
kommt und duftend ruft: Wer kommt in
meine Arme?!
Hier allerdings, zu unseren Übungszwe-
cken, fahren wir weiter chirurgisch fort
und lösen auch die Schenkel-, Keulen- und
Flügelknochen aus dem Fleisch. (Aus
den Knochen ziehen wir uns mit Porree,
Möhren, Sellerie, Zwiebel, Lorbeer, Pfeffer-
und Pimentkörnern einen Fond.) Und was
machen wir jetzt mit dem Übungsfleisch?
Wir salzen und pfeffern es auf der Fleisch-
seite, rollen es – Haut nach außen – zu
einer Art Roulade auf, binden die Rolle mit
Küchengarn in Form und braten/schmo-
ren sie in der Pfanne und im Ofen.
Wer dies verfeinern möchte, macht eine
Farce aus 200 g Champignons, in der Kü-
chenmaschine fein geschreddert, zusam-
men mit 1 Zwiebel, 1 Knoblauchzehe und
3 Selleriestangen. Zusammen in einer be-
schichteten Pfanne scharf braten, bis die
Feuchtigkeit fast verdampft ist, 20 g Butter
zufügen, Salz und Pfeffer, abkühlen lassen.
Die Fleischseite damit bestreichen, dann
aufrollen und binden.
Noch ein Trick: Die geschnürte Rolle fest
in mehrfach drum herum gehüllte Alu-
folie wickeln und sie an den Rändern fest
zudrehen. Die Rolle in einem Bräter in
siedendem Waser für 30 Minuten garen,
dann herausnehmen, auswickeln und im
Ofen bei zunächst 200 Grad Ober- und
Unterhitze und schließlich bei zugeschal-
tetem Grill fertig garen. Köstlich! 2

Die Rezepte zum Nachkochen finden Sie
online: http://www.stern.de/sternrezept

Das Huhn am Rückgrat
aufschneiden, die Klinge
dicht über die Knochen
führen und das Fleisch so
in kleinen Schnitten lösen

Schenkel- und Flügelgelen-
ke durchtrennen und das
Gerippe dann ganz heraus-
lösen, dabei am Brustbein
keine Löcher schneiden

Mit der Klinge auch die
Schenkel- und die Keulen-
knochen aus dem Fleisch
parieren; aus Gerippe und
Knochen eine Brühe ziehen

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GENUSS

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