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as Treuhand-Trauma ist nicht
überwunden“, sagt Dietmar
Bartsch, Fraktionschef der Linken.
„Die Folgen der Treuhandarbeit
bleiben im Osten ein Trauma“,
sagt Alexander Gauland, Frak-
tionschef der AfD. Trauma. Dass links und
rechts den gleichen Begriff verwenden, das
Gleiche meinen und das Gleiche wollen,
gibt es kein zweites Mal. 30 Jahre nach dem
Fall der Mauer wollen sie einen Unter-
suchungsausschuss des Bundestages über
die Zerstörung der DDR-Wirtschaft durch
die Treuhandanstalt, das Instrument des
Westens. Um sich selbst als geborene res-
pektive nachgeborene Protestpartei des
Ostens zu präsentieren.
Den Untersuchungsausschuss werden
sie nicht bekommen, denn dafür bräuch-
ten sie mindestens ein Viertel der Stimmen
im Parlament. Die vier anderen Fraktionen
aber sind nicht geneigt, dazu die Hand zu
reichen, denn sie sind teils tief verstrickt in
die Machenschaften der Treuhand. Trauma
des Ostens, das trifft die Sache exakt. Denn
die Treuhand hat aus Miteinander Gegen-
einander gemacht, aus Euphorie Empörung
und aus Aufbruch Zusammenbruch. Es war
die westdeutsche Ursünde nach der Ver-
einigung, die Überwältigung des damals
noch naiv-gutgläubigen Ostens.
glaubten, sie könnten nun endlich los-
legen, in der Marktwirtschaft, ist noch das
kleinere Übel. Von den 4,1 Millionen Jobs,
die am 1. Juli 1990 bei den Treuhand-
Betrieben bestanden hatten, waren am
1. April 1992 gerade noch 1,24 Millionen
übrig. Dieses finstere Tal ist durchwandert.
Doch es bleibt – für immer – die Enteig-
nung der Ostdeutschen durch die West-
deutschen. Denn nur etwa fünf Prozent der
privatisierten DDR-Betriebe gelangten in
die Hände von Ossis. Weniger als zehn Pro-
zent wurden von internationalen Investo-
ren übernommen. Mehr als 85 Prozent aber
kamen in westdeutschen Besitz.
Fünf Prozent, das ist die elektrisierende,
die politische Zahl. Das Volkseigentum Ost
wurde, bis auf diesen Restwert, zu Privat-
eigentum West. Man kann das eine feind-
liche Übernahme nennen. Am Runden
Tisch der untergehenden DDR war im
Februar 1990 die Bildung einer Treuhand-
gesellschaft „zur Wahrung der Anteils-
rechte der Bürger mit DDR-Staatsbürger-
schaft am Volkseigentum der DDR“ vorge-
schlagen worden. Die DDR-Bürger sollten
Anteilsscheine erhalten. Das wurde im
Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts-
und Sozialunion nur noch als Kannbestim-
mung erwähnt. Und dann vergessen.
Seither fühlen sich viele Ostdeutsche
wie Fremde im eigenen Land. Zweitklas-
sig. Beherrscht. Die DDR-Wirtschaft war
pleite, das ist unbestreitbar. Aber sie war
nicht wertlos. Die Aneignung durch West-
deutsche ist tief in die Wirtschafts- und
Sozialstruktur des Ostens eingraviert, in
die Psyche, das kollektive Gedächtnis so-
wieso. Kein Dax-Konzern hat seinen Sitz im
Osten. Nur vier der knapp 200 Topmanager
stammen von dort. Kein Universitätsrek-
tor, kein Bundesrichter ist Ossi. Weil Junge
abhauen, um woanders ihr Glück zu ma-
chen, leben heute im Osten so wenige
Menschen wie 1905. Wirken und Wüten der
Treuhand haben unumkehrbare Folgen.
Vergleichbar ist das mit der Spaltung der
USA durch den Bürgerkrieg zwischen
Nord- und Südstaaten. Der ist auch 154 Jah-
re später unvergessen. Politisch verkapselt
im Rassismus gegen Schwarze, kulturell
verewigt durch Literatur und Film. Der
Bürgerkrieg, vordergründig wegen der
Sklaverei im Süden, hatte tiefere Ursachen.
Der Norden, industriell geprägt, war öko-
nomisch überlegen, der Süden agrarisch
rückständig. Die Wiedervereinigung nach
dem Krieg nannte man in den USA Recon-
struction. Sie erwies sich als neue Teilung.
Womöglich für ewig. Wie bei uns. 2
Die Politik des Westens weiß das genau,
doch sie beschweigt es eisern in den Sonn-
tagsreden der Jubiläumstage, in dem Ge-
barme über die Triumphe der AfD in den
Landschaften der künstlichen Blumen.
Die Treuhand ist der Ursprung all des-
sen, was seit der Wiedervereinigung schief-
gelaufen ist. Sie ist das Brandmal in den
Seelen der Ostdeutschen. Unvergänglich.
Dass durch die Abwicklung der DDR-
Betriebe Millionen arbeitslos wurden, die
EWIG GETEILT
Das Wüten der Treuhand spaltet Osten und Westen
in Deutschland so dauerhaft wie der amerikanische
Bürgerkrieg vor 154 Jahren Nord- und Südstaaten
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KOLUMNE
JÖRGES
Hans-Ulrich Jörges
Der stern-Kolumnist schreibt
jede Woche an dieser Stelle
ZWISCHENRUF AUS BERLIN
ILLUSTRATION: JAN STÖWE/STERN