Der Stern - 07.11.2019

(Kiana) #1

aber wenn das so weitergeht,


müssen wir sehr bald von


Staatsversagen sprechen.“


In den vergangenen Jahren

haben zahlreiche Untersu-


chungen von Wissenschaft-


lern oder Unternehmens-


beratungen den Notstand


genau vermessen. Aktuell


sind bundesweit mehr als


200 000 Stellen im öffent-


lichen Dienst unbesetzt. Bei


Staatsdienern ist die Ent-


wicklung leicht vorherseh-


bar, denn schon am ersten


Arbeitstag steht das exakte


Datum des letzten fest.


Demnach werden bis 2030

rund 1,5 Millionen Staats-


diener pensioniert. „Viele


der frei werdenden Stellen


bekommen wir nie wieder


besetzt“, sagt Gerd Lands-


berg, Geschäftsführer des


Deutschen Städte- und Ge-


meindebundes. Eine Studie


seines Verbands kommt


über einstimmend mit zwei


Gut achten der Beraterfir-


men McKinsey und Pricewa-


terhouse Coopers zu dem


Ergebnis, dass bis 2030 im öffentlichen


Dienst etwa 800 000 Stellen nicht besetzt


werden können. „Das Personalproblem


wird von der Politik und der Öffentlichkeit


völlig unterschätzt“, sagt Landsberg.


In den meisten Köpfen hat sich in den

vergangenen Jahrzehnten ein ganz anderes


Bild festgesetzt: der verfettete Staatsappa-


rat. Sagt jemand „öffentlicher Dienst“, hö-


ren viele das Wort „aufgebläht“ automatisch


mit, als wäre es sein zweiter Vorname. Das


Vorurteil war lange berechtigt. In den 1970er


Jahren erstreikten die Beschäftigten des


Staates eine Rekordlohnerhöhung von elf


Prozent. In der Folge wucherte der Staats-


apparat in nie gekanntem Tempo, Stellen


wurden geschaffen und die Beschäftigten


mit Privilegien ausgestattet. Aus dieser Zeit


stammen die gängigen Beamtenklischees.


Doch spätestens seit der Wiedervereini-

gung wurde der Rückwärtsgang eingelegt.


Seitdem hat noch so gut wie jede Bun -


des- und Landesregierung massiv Stellen


gestrichen, immer mit der Methode „Ra-


senmäher“. Selbst wenn man die Beschäf-


tigten der privatisierten Bahn und Post


nicht mitrechnet, hat der öf-
fentliche Dienst seit der Wie-
dervereinigung gut 15 Prozent
der Stellen eingebüßt. In den
Kommunen beträgt der Rück-
gang sogar mehr als ein Viertel.
Aus dem fetten Staat wurde ein
ausgehungerter. Gerade mal 7,5
Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes geben die Deutschen für
ihre Staatsdiener aus. Das ist der
zweitniedrigste Wert in der EU.
Der menschlichen Infrastruk-
tur erging es so wie den Brü-
cken, Straßen und Gebäuden:
Sie wurde über Jahrzehnte ver-
nachlässigt und auf Verschleiß
gefahren. Die Folge sind nicht
funktionierende Behörden und
Staus beim Service, wie man sie
früher bei Drittweltländern be-
lächelte. Der öffentliche Dienst
ist ein Sanierungsfall.
Inzwischen haben die verant-
wortlichen Politiker den Fehler
erkannt und versuchen gegen-
zusteuern. Zu spät, denn die
Spielregeln haben sich geän-
dert: Die Massenarbeitslosig-
keit wurde abgelöst von mas-
senhaftem Fachkräftemangel.
Jetzt werden zwar Stellen geschaffen, die
können aber nicht mehr besetzt werden,
denn sämtliche Arbeitgeber streiten sich
um dieselben Fachleute. Mit seinen nied-
rigen Löhnen und dem starren Tarifrecht
ist der Staatsdienst nahezu chancenlos
gegenüber der Konkurrenz der Privat-
wirtschaft.
Den Bürgern ist der Niedergang nicht
verborgen geblieben. Mehr als 60 Prozent
halten den Staat für überfordert. „Das ist
die logische Konsequenz einer jahrzehn-
telangen Spar- und Rückzugspolitik“, sagt
Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beam-
tenbundes.
Die zerbröselnde Bausubstanz wurde
früher sichtbar als das Personalproblem.
Darum sind die Rettungsmaßnahmen hier
schon weiter. In Berlin sind ganze Schüler-
generationen mit stinkenden Schultoilet-
ten und einsturzgefährdeten Turnhallen
aufgewachsen. Endlich tut sich jetzt was:
Der Senat hat eine „Schulbauoffensive“
gestartet. In zehn Jahren sollen insgesamt
5,5 Milliarden Euro für die Sanierung und
den Neubau von Schulen ausgegeben

NACHDEM DAS


ANGEBOT MIT DER


RAUS WAR, HATTEN


WIR PLÖTZLICH


AUSWAHL“



Personalchef Maßmann weiß:
Nur mit Lockangeboten findet
er Fachleute wie die
Ingenieurin Schultenkamp


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