Der Stern - 07.11.2019

(Kiana) #1
FOTOS: PRIVAT; BETTMANN/GETTY IMAGES

RUDI,


WENN DU SO


WEITERMACHST,


WERDEN SIE


DICH


ABKNALLEN“


Mein Freund George Tabori wollte mich
mal zu einem Besuch der Gedenkstätte
überreden. Ich sagte: „Ich halte das nicht
aus. Da sollen andere hinfahren.“
Ihre Lieder galten der SED-Führung
wahlweise als pornografisch oder anti-
kommunistisch. Was überwog?
In der klassischen Kunst der Pornografie
habe ich nichts geliefert. Nobody is perfect.
Und antikommunistisch? Mein Selbstbild
war: Ich bin nicht nur ein Kommunist,
sondern der Kommunist. Hätte ich mich
nicht treu an meinen Kinderglauben ge-
klammert, hätte ich nicht den Mut gehabt,
mich mit solch mächtigen Verbrechern
anzulegen. Ich wusste ja, was es kostet.
Ihr Sehnsuchtsort damals?
Hamburg. Nie der Westen, aber immer
Hamburg.
Das beste Mitbringsel aus dem Westen?
Verbotene Literatur. Ich fraß alles. Auch
Trotzki. Die Literatur war das Einzige, was
ich wirklich brauchte. Und einmal im Jahr
eine Kiste Bananen. Zu meinem Geburts-
tag machte ich immer eine große Fete.
Ich bereitete jedes Mal dasselbe Essen:
Schweinefilet, scharf gebraten mit ganz viel
Butter, viel zu viel Honig, ganz viel Curry,
belegt mit Bananen. Für 60, 70 Leute.
An Wandel durch Annäherung geglaubt?
Klar. Mich störte nur, dass die Herrschen-
den im Westen sich mit unseren Bonzen
intimer eingelassen haben als mit uns, der
Opposition.
Rudi Dutschke ging bei Ihnen ein und
aus. Was war der beste Rat, den Sie ihm
geben konnten?
Den hat er nicht befolgt. Ich schrieb ihm
mal: „Rudi, wenn du so weitermachst, wer-
den sie dich abknallen.“

DIE 70ER JAHRE


Willy Brandt am Fenster in Erfurt. Haben
Sie die Begeisterung geteilt?
Das weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich
aber, dass die Leute Willy mit „y“ meinten
und nicht mit „i“, denn Brandts Gegenüber
war ja DDR Ministerpräsident Willi Stoph.
Den nannten wir: Willi-is-doof.
Jemals überlegt, ein Lied auf Jürgen
Sparwasser zu schreiben?
Nein. Fußball interessierte mich nur beim
Selberkicken. Als Sparwasser aber das 1 : 0
gegen die BRD schoss, in Hamburg übri-
gens, konnte ich eine interessante Studie
an mir selber vornehmen. Man reagiert
beim Sport unterhalb des eigenen Den-
kens, automatisch. Und so riss ich vorm
Fernseher in Ostberlin die Arme hoch:
„Jaaa, Tor!“ Dann schwenkte die Kamera

auf den schmalen Fanblock in der Kurve
und man sah all diese Funktionärsfressen,
wie sie jubelten. Und ich: „Wäähh.“
Der schönste Moment Ihres Konzerts in
Köln im November 1976?
Als ich es nach viereinhalb Stunden ge-
schafft hatte. Und hatte mich nur einmal
verspielt nach zwölf Jahren Im-Zimmer-
Singen vor einer Handvoll Freunden. Kein
besonders gutes Training, um vor 8000
Leuten aufzutreten, die nach jedem Lied
klatschen. Dieses Klatschen hatte eine
unglaubliche emotionale Gewalt. Es war,
wie in ein Meer zu steigen, mit zehn Me-
ter hohen wilden Wellen. Das reißt einen
mit. Ich hätte noch fünf Stunden weiter-
singen können. Als das Konzert zu Ende
war, war das der vielleicht schicksals-
glücklichste Moment meines Lebens. Ich
war überwältigt von der Freude, dass ich in
den zwölf Jahren Verbot nicht kaputt-
gegangen war. Verboten wurde ich ja mit
dem Ziel, dass dieser Biermann eintrock-
net, vereinsamt und verkommt.
War Ihre Ausbürgerung der endgültige
Anfang vom Ende der DDR?
Die Bonzen der Partei hatten natürlich da-
mit gerechnet, dass es im Westen ein großes
Geschrei geben würde. Proteste gab’s, sogar
international, auch von zahlreichen Intel-
lektuellen und Künstlern wie Sartre oder
Alan Ginsberg. Die Herrschenden der DDR
waren bereit, diese Proteste gelassen hin-
zunehmen. Aber: Niemand hatte geahnt,
was nach der Ausbürgerung in der DDR
passierte. Auf die Solidaritätsbewegung, die
sich schnellstens entwickelte – erst bei den
Schriftstellern, daraufhin bei Arbeitern in
den Fabriken, Schülern, Studenten, über-
all –, auf diese massiven Widerworte war
niemand vorbereitet. Und genau das

meine Rettung. Die Wahrheit ist: Ich hätte


mitgemacht, wenn der Mann mir die Hand


auf die Schulter gelegt und gesagt hätte:


„Wolf, du ahnst nicht, wie viele Nazis es


hier noch gibt, die gegen den Sozialismus


kämpfen. Du musst uns helfen!“ Auf diese


Tour wäre ich sicher reingefallen.


Bei Bert Brechts Tod geweint?


Überhaupt nicht. Ich habe ihn nie gesehen,


nicht mal en passant.


DIE 60ER JAHRE


Mauer oder antifaschistischer Schutzwall?


Natürlich Mauer. Es ist eine aggressive De-


mütigung, wenn man Leuten ins Gesicht


sagt: Diese Menschenfalle mit Stachel-


draht, gebaut, um Flüchtende zu töten,


heißt nicht Mauer, sondern antifaschis-


tischer Schutzwall.


Hatten Sie Zeit und Interesse, die Ausch-


witz-Prozesse zu verfolgen?


Sie haben mich zu der Zeit nicht besonders


beschäftigt, aus einem banalen Grund:


Ich lebe seit meiner Kindheit in Auschwitz.


Hinüberschauen ging 1961 noch:
Ein Elternpaar aus West-Berlin zeigt seine
Kinder den Großeltern im Osten der Stadt

„Sie wollte, dass ich die Menschheit rette“ –
Biermann mit seiner Mutter Emma


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