FOTOS: LACI PERENYI/PICTURE ALLIANCE; HARALD SCHMITT; AP; PICTURE-ALLIANCE; REUTER
Die Dokumentation „Die Michael-Schumacher-
Story“ läuft am 13. November um 20.15 Uhr bei RTL
A
ls Michael Schumacher in
Adelaide, Australien, zum
ersten Mal Formel-1-Welt-
meister wurde, war der
Durst gewaltig in der
Gaststätte „Alt Kerpen“.
Die Wirtin Ilona Weyrauch
kam kaum mit dem
Zapfen nach, so bierselig
feierten die Menschen in
Schumachers Heimatstadt
den Titelgewinn. Sie verrate besser nicht,
wie viel sie damals ausgeschenkt habe,
sagt Weyrauch, „sonst habe ich morgen
die Steuerfahndung am Hals“.
Das Delikt dürfte mittlerweile verjährt
sein, denn Schumachers Triumph datiert
auf den 13. November 1994. Dieser Tag
vor 25 Jahren hat Kerpen, westlich von Köln
gelegen, zu einem landesweit bekannten
Ort gemacht. Es war der Tag, an dem die
Deutschen ihre Liebe zum Rennsport
entdeckten und in Michael Schumacher,
fortan „der Kerpener“ genannt, einen neu-
en Helden fanden – neun Jahre nachdem
Boris Becker zum ersten Mal Wimbledon
gewonnen hatte.
Die Dokumentarfilmer Jörg Levsen und
Tristan Söhngen haben den 25. Jahrestag
von Schumachers erstem Titelgewinn zum
Anlass genommen, die Saison 1994 nach-
zuerzählen. Erst im letzten Rennen in
Adelaide, mit nur einem einzigen Punkt
Vorsprung vor dem Briten Damon Hill,
hatte Schumacher die Weltmeisterschaft
für sich entscheiden können.
Gestützt auf Zeitzeugeninterviews
und bislang unveröffentlichtes Material
zeichnen die Autoren in „Die Michael-
Schumacher-Story“ ein dichtes Porträt des
aufstrebenden Rennfahrers. In einigen
Rückblenden erzählt die Dokumentation
auch aus Schumachers Kindheit. So ist ein
Interview zu sehen, das der schüchterne
Kartfahrer Schumacher gibt, ein Schulkind
damals noch.
Ansonsten bleibt der Film streng bei
seinem Thema, der WM-Saison 1994. Wer
sich Informationen über Schumachers
aktuellen Gesundheitszustand erhofft,
wird enttäuscht.
Bei einem Skiunfall im Dezember 2013
hatte Schumacher schwere Kopfverletzun-
gen erlitten. Seitdem ist seine Situation für
Außenstehende ein Rätsel; sie gibt Anlass
zu vielen Spekulationen und Gerüchten.
Schumachers Familie hat sich für eine
strikte Informationssperre entschieden,
und diese respektieren die Filmemacher
auch. Keiner der Wegbegleiter, die zu
Wort kommen, spricht über den Unfall und
dessen Folgen.
Wer den Film sieht, muss trotzdem an
Schumachers Schicksalsschlag denken. Im
Rückblick ist seine Karriere nämlich eine
tragische, auch wenn alles so märchenhaft
begann im Jahr 1994 und sechs weitere
WM-Titelgewinne folgen sollten. Bis heu-
te ist das ein Rekord in der Formel 1.
Von Schumachers Anfängen erzählt Ger-
hard Berger, damals ein arrivierter Pilot bei
Ferrari. Berger war irritiert über den forschen
Neuling. „Michael ist als junger Bursche
reingekommen, hat aber vom ersten Tag an
Ecken und Kanten gehabt. Und das war für
uns unangenehm, weil wir lieber Fahrer hat-
ten, die sich gefügt haben, die sich hinten
anstellen. Die nicht so viel Druck machen.“
Und Schumacher machte gehörig Druck.
Bei einer Testfahrt provozierte er Ayrton
Senna und bremste ihn in den Kurven aus.
Jenen großen Senna, der im Ruf stand,
einer der besten Rennfahrer aller Zeiten zu
sein. „Der Michael hat vom ersten Tag an
einen extremen Killerinstinkt mitge-
bracht“, sagt Berger, „das war auch ein Teil
seines Erfolges.“
Genau solch einen Fahrer hatte Flavio
Briatore gesucht. Einen, der die Formel 1
aufmischt und sich um große Namen nicht
schert. Das Interview mit Briatore, ehemals
Teamchef von Benetton, ist das Herzstück
des Films. Man sieht, wie er sich vor dem
Gespräch die Haare richtet. Er benutzt
dazu sein goldgerahmtes Handy, in dessen
Display er sich spiegelt.
In radebrechendem Englisch erzählt er
von seinen früheren Bemühungen, Schu-
macher vom Team Jordan abzuwerben:
„Benetton ist sehr interessiert. Wir sind
besser als Jordan. Das Auto ist gut, gut, gut.“
Briatore und Schumacher wurden ein
ungleiches und gefürchtetes Duo: hier der
Lebemann, der von Autos wenig Ahnung
hatte, aber einen Rennstall mit seiner
großen Klappe bei Laune halten konnte,
dort der Kfz-Geselle aus dem Rheinland,
der den Geruch der Garage liebte und der
mit den Ingenieuren am Auto tüftelte.
Schumacher startete grandios in die
Saison 1994: Von den ersten sieben Rennen
gewann er sechs. Und doch sprach bald
kaum jemand mehr über Schumachers
steilen Aufstieg, denn die Formel 1 erlebte
dramatische Tage. Beim dritten Saisonren-
nen in Imola verunglücken zwei Piloten
schwer: Während des Trainings verliert der
Österreicher Roland Ratzenberger die
Kontrolle über seinen Wagen und rast mit
290 km/h gegen eine Mauer. Er ist sofort
tot. Einen Tag später prallt Ayrton Senna in
eine Streckenbegrenzung. Die Vorderrad-
aufhängung löst sich und trifft den Brasi-
lianer am Schädel. Senna stirbt in einer
Unfallklinik in Bologna.
Schumacher war von den Todesfällen
tief bewegt. Die Dokumentation endet mit
seiner Pressekonferenz nach dem Gewinn
der WM in Adelaide. Er sitzt dort nicht
als strahlender Sieger auf dem Podium,
sondern mit schlaffen Schultern, in sich
versunken. „Ich widme meine erste Welt-
meisterschaft Ayrton Senna“, sagt Schuma-
cher. „Für mich gibt es keinen anderen.“ 2
Wie aus dem Kerpener Rennfahrer ein Weltmeister wurde, daran
erinnert jetzt die Dokumentation „Die Michael-Schumacher-Story“
Von Christian Ewers
DIE HELDENREISE
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