Mittwoch, 13. November 2019 MEINUNG &DEBATTE
Der Präsident der SP Schweiz kündigt Rücktritt an
Levrat formte die SP zur Blockadepartei
SP-Präsident Christian Levrat tritt zurück.Wie die
Partei am Dienstag mitgeteilt hat, tritt derFreibur-
ger im nächsten April nicht mehr zurWiederwahl
an. ZwölfJahre lang hat er die Geschicke der SP
geleitet. DerRücktrittkommt wenig überraschend.
Gerüchte über das Ende seiner Präsidentschaft
schossen in den letztenWochen ins Kraut, be-
feuert von Medien und von«Parteifreunden», die
als Heckenschützen ihren Präsidenten genüsslich
attackierten. Zugewartet hat derFreiburger, bis
er am vergangenen Sonntag seinen Ständeratssitz
verteidigenkonnte. Nun schafft der Angeschossene
Klarheit. Es wurde Zeit.
Christian Levrat ist 2008 angetreten, die SP pro-
grammatisch zu modernisieren und zu stärken. Bei-
des ist ihm nicht gelungen.Weder ist die SP heute
eine moderne sozialdemokratischePartei, noch
hat sie es geschafft, ihre Machtbasis zu erweitern.
Levrat hat in seiner Amtszeit dem gewerkschaft-
lich-dogmatischen Flügel zu neuer Blüte verholfen.
Under hat dieJungsozialisten gezielt in diePar-
teistrukturen eingebunden und ihreArt desPoli-
tisierens gefördert. DieFolgen sind unübersehbar:
Die SP ist in den grossenReformfragen zur Blo-
ckadepartei geworden. Und die Debatten, welche
diePartei führt, erinnern entweder an marxistische
Seminareoder sind geprägt vom polemischenFuror
derJungsozialisten. Man debattiert engagiert über
Papi-Zeit und gendergerechte Sprache.
Bei alldem war Levrat ein klugerTaktiker, der
die Machtmechanismen im Bundeshaus gut zu len-
ken wusste. Der grösste Erfolg war sicherlich das
Volksnein zur Unternehmenssteuerreform. Hier
hat die Linke das vereinigte bürgerlicheLager alt
aussehen lassen. Überblickt man Levrats Ära, soll-
ten linkeVolksbegehren, die an der Urne Schiff-
bruch erlitten,allerdings nicht vergessen werden.
Erinnert sei hier nur an die 1:12-Initiative.Verloren
ging auch die Abstimmung über die Altersvorsorge
imJahr 2017:Hier hatte Levratim Ständerat erst
eingelenkt, nachdem die Erhöhung der AHV-Ren-
ten mit der Giesskanne in dieVorlage aufgenom-
men worden war. Der alsKompromiss verkaufte
«Deal» fand beimVolkkeine Gnade.
Levrats Amtszeit endet für ihn bitter. Die SP hat
in den Nationalratswahlen das schlechteste Ergeb-
nis seit Einführung des Proporzes eingefahren – sie
liegt nur nochknapp vor der FDP. Der SP-Präsi-
dent war in der Analyse derWahlniederlage bisher
nichtin derLage, Fehler einzugestehen. AmWahl-
tag sprach er wenig einfallsreich einzig von der grü-
nenWelle. Das ist sein Erklärungsmuster für die
SP-Niederlage. Sicher: Die Grünen sind derzeit in
Mode, segeln mitRückenwind.Warum aberkonnte
die SP, die sich seit jeher eben auch für ökologi-
sche Anliegen stark macht, nicht profitieren?Dass
die schallende Ohrfeige für die SP – auch in den
jüngsten Ständeratswahlen–noch andereGründe
habenkönnte, für diese Analyse fehlte Levrat die
eigentlich erforderliche Selbstkritik. Dies übrigens
war immer ein Problem inseiner Amtszeit: Dem
Mann fehlte es nicht an Selbstbewusstsein – an der
Fähigkeit,sich zu überdenken, mangelte es jedoch.
Die SP wird heute wahrgenommen als Besitz-
standspartei. Sie verteidigt ihrePfründen. Das
gilt insbesondere in der Sozialpolitik und in der
Europapolitik.Das Verweigern sämtlicher nachhal-
tigerReformen in der Altersvorsorge führt dazu,
dass die absehbar enormenLasten auf die nach-
folgenden Generationen abgeschoben werden.
DiesePolitik ist im bestenFallekonservativ, sicher
ist sie nicht sozial. Siekönnte auch dazu führen,
dass das bewährte Dreisäulenmodell zum Absturz
gebracht wird. In der Europapolitik führte die ge-
werkschaftliche Blockade, von Levrat gestützt, zum
Auseinanderbrechen der europapolitischen Allianz.
Das ist gravierend für einLand, das wesentlich von
guten und nachhaltigen wirtschaftlichen Beziehun-
gen zu Europa lebt. InBasel – um nur ein Beispiel
zu nennen – kann die Sozialdemokratie ihre sozial-
staatlichen Segnungen nur über die Menschen aus-
schütten, weil die Pharmabranche im europäischen
Markt mit gleich langen Spiessen kämpfen kann.
DasWissen um diese Zusammenhänge ging unter
Levrat in der Sozialdemokratieverloren. Und eine
daraus folgende linkePolitik derVernunft eben-
falls. Oberwasser haben jene, die meinen, mit einer
antikapitalistischenPolitikkönne für sozial Schwä-
chere mehr erreicht werden.
Wer auch immer die Nachfolge Levrats antritt:
Zu hoffen ist, dass sich die SP wieder zu einerPar-
tei entwickelt, welche die grossen politischen, wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Herausforde-
rungen anerkennt und bereit ist, bei der Lösung
mitzuwirken. DieThese sei gewagt, dass die SP als
konstruktive Kraft eher wiederWähleranteile wird
gewinnenkönnen.Tatsächlich setzt sich dieWähler-
schaft der SP ja nicht mehr nur aus Arbeitern zu-
sammen. DiePartei wird von urban-akademischen
Menschen gewählt, die häufig im staatlichen oder
parastaatlichen Sektor tätig sind. Diese Gruppe er-
wartet weder Gewerkschaftspolitik noch marxis-
tischeParolen.Jedenfalls ist die ideologisch ver-
brämte Besitzstandspartei, für die Levrat stand, im
Oktober an der Urne abgestraft worden.
Impact-I nvestments
Manche Bank verspricht zu viel
Besser eine späte Einsicht als garkeine. So istes si-
cher zu begrüssen, wenn sich je länger, je mehr die
Überzeugung durchsetzt, dasssich die Menschheit
den grossen Herausforderungen stellen muss, dieauf
sie wegen der Erderwärmung zukommen.Wenn An-
leger dazu Beiträge leistenkönnen, ist das erst ein-
mal willkommen zu heissen. Doch leiderhalten die
Versprechen bei näherer Betrachtung einer Über-
prüfung nicht immerstand–derTeufel liegt wie so
oft im Detail und mitunter auch im Unbewussten.
Unbestritten ist, dass sich mit Geld viel bewegen
lässt, sowohl zumPositiven als auch zum Negativen.
Doch wenn es gleich um die «Rettung des Plane-
ten» geht, wird dieseWirkung gerne überschätzt.
Eine grosseVerantwortungkommt dabei den An-
bietern von Anlageprodukten zu, die jedoch die
lange Geschichte des «zu viel versprechen und zu
wenig halten» immer wieder gerne fortschreiben.
Betraf das in derVergangenheit vorab die inAus-
sichtgestelltenRenditen, so gilt das nun zunehmend
auch für sogenannte Impact-Investments. Ursprüng-
lich war der Begriffeng definiert: Es geht um Inves-
titionen, die eine messbare positive ökologische oder
sozialeWirkung und zugleich eine marktüblicheRen-
dite erzielen.Typischerweise wirdFirmen dabei neues
Kapital zurVerfügung gestellt, mit dem sie Projekte
finanzieren, die einen positiven Beitrag leisten.
Inzwischen wird der Begriff jedoch inflatio-
när verwendet, so auch bei Aktieninvestments.
Vermögensverwalter zeigen auf, zu welchen der
17 nachhaltigen Entwicklungsziele derVereinten
Nationen (SDG) ein Unternehmen mit seinen Akti-
vitäten beiträgt, und Anlegern wird dann suggeriert,
sie trügen ihr Scherflein zu einer besserenWelt bei,
wenn sie die entsprechenden Aktienkauften. Doch
den Unternehmen fliesstdadurchkein neues Geld
für sinnvolle Projekte zu. Eigentlich müsste man die
Frage stellen, was der bisherige Inhaberder Aktien
mit demVerkaufserlös anstellt. Pflanzt erBäume?
Oder kauft er einAuto mit 500 PS?
Vor diesem Hintergrund ist die Credit Suisse mit
einer Ankündigung am Dienstag fast schon positiv
aufgefallen. DieBank will einenFonds auflegen, der
auf SDG Nr. 12, «verantwortungsvollerKonsum und
Produktion», basiert. Zwarkonnte dieBank derVer-
suchung nicht widerstehen, zu behaupten, mit dem
Fonds «den sichtbaren Wandel imVerhalten von
Konsumenten und Herstellern zu unterstützen, in-
dem er in Geschäftsmodelle investiert, welche die
Schaffung nachhaltigerProdukte und Dienstleistun-
gen ermöglichen oder entsprechenddazu beitragen».
Immerhin hat dasFinanzinstitut aber den Be-
griff Impact-Investment vermieden und dieRen-
ditechancen für Anlegerin denVordergrund ge-
stellt, die sich aus den von ihm wahrgenomme-
nen Investitionen in zunehmend verantwortungs-
bewusstesKonsumverhalten ergeben sollen.Auch
wenn es für denFonds schwer genug sein wird, eine
Überrendite zu erzielen, dürfte das immer noch
einfacher zu bewerkstelligen sein, als einen mess-
baren Beitrag zu SDG Nr. 12 zu leisten.
Vermögensverwalter, denen wirklich etwas
daran liegt, die Nachhaltigkeitsziele der Uno zu
unterstützen,sollten dieWirkungihrer Anlagepro-
dukte– und insbesondere der Impact-Investments
- besser transparent machen. Und Anleger müs-
sen sich bewusst sein, dass Menschen solche Invest-
ments oft unbewusst alsFreifahrtschein auffassen,
um an anderer Stelle imWiderspruch zu den eige-
nen Zielen zu handeln. Plakativ gesagt bedeutet
das: Lieber weniger denFokus auf Impact-Invest-
ments legen und dafür ein 100-PS-Auto fahren,
statt mit solchenAnlagen sein Gewissen zu beruhi-
gen und in ein 500-PS-Auto zu steigen.
Ve rmögensverwalter, denen
wirklich etwas daran liegt,
die Nachhaltigkeitsziele
der Uno zu unterstützen,
sollten dieWirkung
ihrer Anlageprodukte
besser transparent machen.
Empfang des weissrussischen Präsidenten Lukaschenko in Wien
Opportunismus ist keine Strategie
Wien ist nicht mehr das Zentrum einerWeltmacht.
Doch alsKulisse für einen prachtvollen Empfang
bleibt Österreichs Hauptstadt unübertroffen. Die
Hofburgmit ihren Gemälden und gesticktenVor-
hängen, die herrschaftlichenPaläste und sogar ein
Denkmal für die Sowjetarmee sorgen dafür, dass
sich auch osteuropäischeAutokraten wie Wladimir
Putin oder am Dienstag der weissrussische Präsi-
dent Alexander Lukaschenko pudelwohl fühlen.
Die höflichen Gastgeber halten sich mit Kritik zu-
rück, unterschreibenWirtschaftsverträge und fei-
ern sich als Brückenbauer zwischen Ost undWest.
So angenehm solche Besuche für alle Beteilig-
ten sind,so kaschieren sie meist eine stark ökono-
misch getriebene, prinzipienarmeAussenpolitik.
Der Schweiz als zweitem neutralemLand im Zen-
trum Europas ist ein solcher Ansatz nicht ganz un-
bekannt – genauso wenig wie das mangelnde Pro-
blembewusstsein.Dass Kleinstaaten sich gegen-
über den Grossen opportunistisch verhalten, ist
nachvollziehbar. Eine ungesund grosse Bedeutung
ergibt sich daraus erst, weil auch die Europäische
Union als BlockkeinKonzept für den Umgang mit
ihrer östlichen Nachbarschaft hat.
DieFührungsschwäche und die mangelndeEinig-
keit haben sich letztmals in der Blockierung der EU-
Erweiterung auf demWestbalkan manifestiert.Auf
dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist dieRat-
losigkeit noch deutlich grösser. Dies führt zu seltsa-
men Initiativen wie der Einladung Österreichs an
Weissrussland. Sie verhilft Lukaschenko zu einer
plötzlichen, höchst zweifelhaften Salonfähigkeit.
Österreich betont zwar, derVorstoss sei mit der
EU und den wichtigsten Mitgliedsländern abge-
stimmt. Diese bestätigen, informiert worden zu sein.
Eine gemeinsame Strategie oder sogar einekoor-
dinierte Initiative im Umgang mit dem Kleinstaat
von Putins Gnaden ist aber nicht zu erkennen.Da-
bei wäre eine Klärung gerade jetzt wichtig, wo Be-
wegung in die diplomatischen Bemühungen zum
Ukraine-Konfliktkommt, bei der Minsk alsVermitt-
ler undVerhandlungsort eineRolle zu spielen hat.
Diese sollte jedoch nicht überschätzt werden; die
wichtigsten äusseren AkteureRussland, Deutschland
undFrankreich treffen sich im Normandie-Format.
Österreichs Hofieren ist auch deshalbkontra-
produktiv, weil es inWeissrussland unrealistische
Erwartungen weckt. Lukaschenko träumt nun von
Gipfeltreffen in den grossen europäischen Städ-
ten, die zwar nicht ausgeschlossen, aber alles an-
dere als ausgemacht sind. Die EU-Mitgliedsländer
werden sich ganz genau überlegen, wie viel Risiko
sie im Umgang mit einem Staat eingehen, dessen
Konflikte mit dem grösseren BruderRussland sich
seit einiger Zeit empfindlich zuspitzen.Dass Luka-
schenko versucht, durch eineAnnäherung an die
EU mehr Distanz zu Putin zu gewinnen,ist zwar
nichts Neues. Doch der Einsatz ist heute deutlich
höher, auch angesichts ungeklärter Nachfolgerege-
lungen in Minsk und Moskau.
Dass das Ringen um Macht und Geld in einem
solchen geopolitischen Graubereich dasPotenzial
zur Eskalation hat, zeigte sich 20 14 in der Ukraine.
Umso wichtiger wäre ein klaresAuftreten der Euro-
päer, um Bedingungen für eine weitere wirtschaft-
liche Annäherung zu setzen. Die inhaltliche und poli-
tische Stärkung der östlichenPartnerschaft, eines
Programms, das seit einemJahrzehnt toter Buch-
stabe geblieben ist, wäre ein Anfang.Wunder sind
davonkeine zu erwarten, verfügt Europa doch vor
allem über SoftPower und in einem härteren Rin-
gen über schlechte Karten.Daraus aber zu schliessen,
dass Leisetretereiund Opportunismus die richtige
Strategie seien,kommt einer Selbstaufgabe gleich.
Die Einladung Österreichs
verhilft Lukaschenko
zu einer plötzlichen,
höchst zweifelhaften
Salonfähigkeit.
IVO MIJNSSEN