Neue Zürcher Zeitung - 13.11.2019

(Barry) #1

20 ZÜRICH UNDREGION Mittwoch, 13. November 2019


OBERGERICHT


Ludwig A. Minelli erklärt das Gericht für befangen

Noch kein Urteil im Prozess gege n den Dignitas-Gründer wegen Ehrverletzung bei der damaligen Regierungsratskandidatin Silvia Steiner


TOM FELBER


Im April 20 18 befand das Bezirks-
gericht Zürich, Ludwig A. Minelli habe
mit einerTextpassage in einem Flyer,
der während desRegierungsratswahl-
kampfs 20 15 in 745000 Zürcher Haus-
halteverteilt worden war, die Ehre der
damaligen CVP-Kandidatin Silvia Stei-
ner verletzt. Der heute 86-jährige Digni-
tas-Gründer wurde wegenVerleumdung
zu einer bedingten Geldstrafe von 150
Tagessätzen à 260Franken und 90 00
Franken Busse verurteilt. Zudem muss
er der heutigen Bildungsdirektorin
Steiner 30 00 Franken Genugtuung be-
zahlen. Minelli wehrt sich dagegen mit
allen juristischen Kniffen. Deshalb hat
die Berufungsverhandlung am Dienstag
vor Obergericht noch ohne ein Ergeb-
nis geendet.


Silvia SteinersVergangenheit


Als Absender des besagten Flyers
war ein bis dahin unbekannterVe r-
ein «ÜberparteilichesKomitee Selbst-
bestimmung am Lebensende» aufgetre-
ten. Späterkonnte Minelli eineVerbin-
dung nachgewiesen werden. Der Flyer
trug denTitel «Diese Frau möchte
Ihnen Ihre Mündigkeit absprechen».
Silvia Steiner wurde vor allem wegen
ihrer Haltung zur Sterbehilfe mitVor-
würfen eingedeckt. Sie reichte eine
Strafanzeige ein, in welcher sie einen
einzigen Satz aus dem Flyer beanstan-
dete. Darin geht es um ihren Abgang
als Kriminalpolizeichefin der Stadtpoli-
zei Zürich imJahre 2002. Der Satz lau-
tet: «Eine Affäre umTr unkenheit am
Steuer, bei der es um ihren damaligen
Ehemann ging, führtenach nur dreiJah-
ren zu ihremRauswurf aus der Stadt-
polizei Zürich.»
Das Bezirksgericht hielt in seiner Ur-
teilsbegründung fest, durch diesen Satz
werde dem Leser eingeredet, Silvia Stei-
ner habe ihre Stellung als Kripo-Che-
fin missbraucht, um ihren inzwischen
verstorbenen Ehemann zu schützen.
Es würde ihr damit derVorwurf ge-
macht, sie habe sich im strafrechtlichen
und/oder personalrechtlichenSinne un-
korrekt verhalten. Unerwähnt blieb im
Flyer aber, dass Steiner nach einem
strafrechtlichen und einem adminis-
trativrechtlichenVerfahren rehabilitiert
worden war und dass das Arbeitsver-
hältnis nach einer Suspendierung durch


die damaligePolizeivorsteherin Esther
Maurer in gegenseitigem Einverneh-
men aufgelöst wurde.
Das Bezirksgericht kam zu dem
Schluss, dass ein derartiger massiver
Vorwurf, der tatsächlich gar nicht be-
stand, im Sinne der bundesgericht-
lichenRechtsprechung ehrverletzend
sei. DerVorwurf sei zudem dermas-
sen schwer, dass er auch imRahmen
eines politischenWahlkampfs nichtge-
rechtfertigt gewesen sei, wo die Hürde
für ehrverletzendeÄusserungen sogar
noch höher liegt.
Im Berufungsprozess stellt Minellis
VerteidigerPatrick Schaerz imRahmen
derVorfragen im Gerichtssaal den An-
trag, dasVerfahren sei einzustellen, weil
es in der Schweizkeine unabhängige,
unparteiische Gerichtsinstanz gebe. Da
es sich bei der Privatklägerin um eine
politische Kandidatin des damaligen
bürgerlichen Fünfertickets und eine
heutigeRegierungsrätin handle, sei das

gesamte Obergericht befangen. Es be-
stünden erhebliche Bedenken gegen-
über der Unabhängigkeit der Richter.
Diese seien nämlich alle selber Mit-
glieder von politischenParteien und
müssten einen «nicht unerheblichen
Teil ihres Einkommens» ihrenParteien
alsParteisteuernbezahlen.
Das Bundesstrafgericht hatte zwar
ein ähnliches Ablehnungsgesuch von
Minellis Rechtsvertreter gegen das
Obergericht bereits im Oktober 20 18
abgelehnt. Inzwischen habe sich aber
ein neues Argument ergeben, erklärt
Rechtsanwalt Schaerz: Nachdem das
Bundesgericht in diesem Sommer der
Auslieferung von4 5000 Datensätzen
von UBS-Kunden anFrankreich zuge-
stimmt hatte, hättenSVP-Politiker die
Nichtwiederwahl eines beteiligten Bun-
desrichters gefordert, was eben genau
die fehlende richterliche Unabhängig-
keit und die Drucksituation, unter wel-
cher Richter stünden, belege.

ImWeiteren beantragt derVerteidi-
ger die Einvernahme der ehemaligen
StadtzürcherPolizeivorsteherin Esther
Maurer als Zeugin und von derRegie-
rungsrätin Silvia Steiner alsAuskunfts-
person, um die Hintergründe des da-
maligen Abgangs von Silvia Steiner als
der Stadtzürcher Kriminalpolizeichefin
zuklären.
Nach einer Beratungspause erklärt
der vorsitzende Oberrichter Christoph
Spiess, mankönne sich zwar fragen,
ob das Ablehnungsbegehren gegen-
über dem Gericht offensichtlichrechts-
missbräuchlich sei, letztlich sei aber so-
wiesowieder das Bundesstrafgericht in
Bellinzona zuständig. Die Oberrichter
könnten nicht selber darüber befinden.
Er sei sich aber sicher, dass Bellin-
zona das Begehren ohnehin ablehnen
werde. Deshalb werde dieVerhandlung
nun weitergeführt. Mit einer Beratung
könne allerdings erst nach demVorlie-
gen des Entscheids aus Bellinzona be-

gonnen werden. Mit diesemVorgehen
zeigt sich auch MinellisVerteidigung
einverstanden.

«Ich kenne denUrheber nicht»


Spiess vergisst dann im nächsten
Moment noch, Minelli zu befragen, und
will gleich demVerteidiger dasWort
für sein Plädoyererteilen, bemerkt den
Fauxpas allerdings. Die Befragung ist
äusserst kurz. LudwigA.Minelliräumt
wie bereits vor Bezirksgericht ein, für
dieVerteilung des Flyers zuständig ge-
wesen zu sein, verfasst habe erdenText
aber nicht. «Der Inhaltkommt nicht
von mir. Ichkenne den Urheber nicht»,
erklärt er. Zudem bestreitet er, sich
strafbar gemacht zu haben: «Der Inhalt
ist strafrechtlich zulässig.» Minelli be-
stätigt in der Befragung, dass ein zwei-
tes Strafverfahren, in dem er vom Be-
zirksgericht Uster im Mai 20 18 von den
Vorwürfen der Beihilfe zum Selbst-
mord aus selbstsüchtigen Beweggrün-
den und desWuchers freigesprochen
worden war, im Moment ebenfalls am
Obergericht hängig ist.
SeinVerteidigerPatrick Schaerz for-
dert einenFreispruch und bringt im
Wesentlichen dieselben Argumente wie
vor Bezirksgericht vor. Der Sachver-
halt sei gar nicht erstellt und zudem von
derVorinstanz willkürlich gewürdigt
worden. DieAussagen im Flyer seien
wahr, wennauch zugespitzt formuliert.
Das Ziel des Flyers sei nicht gewesen,
Silvia Steiner in der Ehrezu verletzen,
sondern Zweifel an ihrer Eignung als
Regierungsrätin zu wecken. Es handle
sich bei der Anklage um eine krasseVe r-
letzung der Meinungsäusserungsfreiheit,
der subjektiveTatbestand sei nicht er-
füllt, ein Eventualvorsatz liege nicht vor.
St aatsanwaltJérôme Burkhalter plä-
diert nur äusserst kurz und beantragt
die Bestätigung des vorinstanzlichen
Urteils. Er betont noch einmal, dass der
Flyer von einemDurchschnittsleser so
verstanden habe werden müssen, dass
sich Silvia Steiner strafrechtlich oder
personalrechtlich einesFehlverhaltens
schuldig gemacht habe. Minelli habe
planmässig und wider besseresWissen
ge handelt. Silvia SteinersRechtsanwalt
UrsVögeliverzichtet auf Anträge.
Wann die Beratung der Oberrich-
ter aufgenommen werden kann und das
Urteil gesprochen wird, ist unklar und
hängt vom Entscheid aus Bellinzona ab.

Warten auf das Urteil: LudwigA.Minelli sollbereits widerlegte Vorwürfe gegen Silvia Steiner verbreitet haben. SIMONTANNER/NZZ

Zürich ist sehr interessiert an


Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge


Noch gibt es Hürden, doch die erforderliche Gesetzesänderung könnte schnell kommen


(sda)/nil./dfr. ·Paris, Mailand und London
habenes schoneingeführt: einFahrver-
bot für ältereAutos oder Dieselfahr-
zeuge. Nachdem Genf eigenmächtig
beschlossen hat, künftig seine Innen-
stadt an besonders belastetenTagen für
Dreckschleudern dichtzumachen, lieb-
äugeltdie Stadt Zürich mit demselben
Vorgehen.
Grundsätzlich sei die Stadt Zürich
sehr daran interessiert, solcheFahrver-
bote einzuführen, sagteRainer Zah vom
städtischen Umwelt- und Gesundheits-
schutz gegenüber demRegionaljournal
«Zürich - Schaffhausen» vonRadio SRF
vom Dienstag.


Offene juristische Fragen


Ein solchesFahrverbot für Dreckschleu-
dern würde laut Zah wohl primär die
Innenstadt betreffen. Obwohl dieAutos
tendenziell immer sauberer werden,
überschreitet die Luftbelastung an ein-
zelnen Orten die Grenzwerte um bis zu
das Doppelte.
Wie genau der Perimeter gelegt
würde, sei noch nicht geklärt. «Es gibt


immernoch offene juristischeFragen.»
Hauptproblem sei das Bundesgesetz, das
entsprechend geändert werden müsste.
Solange das nicht geschehe, könne die
Stadt Zürich nicht weitermachen. Be-
reits vor zehnJahren sei man in Bern
entsprechend vorstellig geworden. An-
gesichts der neuen Kräfte imParlament
gehe es nun aber «vielleicht schneller,
als man denkt».
Der Kanton Genf ist in SachenFahr-
verbote vorgeprescht. Dort gilt anTa -
gen, an denen die Luft stark verschmutzt
ist, abkommendemJahr einFahrver-
bot fürFahrzeuge mit besonders hohen
Emissionen.Dazu führt Genf ohne ge-
setzliche Grundlage Umweltplaketten
mit verschiedenenFarben ein, dieAus-
kunft über den Schadstoffausstoss ge-
ben.Jenach Kleberfarbe gilt an belas-
tetenTagen dann einFahrverbot.Auch
im KantonBasel-Stadt ist ein eigener
Pilotversuch angedacht.
Die Stadt Zürich ist fürAutofahre-
rinnen und -fahrer heute schon ein har-
tes Pflaster. Umweltzonen wären für
sie ein weiterer Schlag. Lorenz Knecht,
Direktor der ZürcherACS-Sektion, hält

nichtsvon neuenVerboten.«Wichtiger
wäre es,Anreize zu schaffen, um um-
weltschonende Antriebe zu fördern»,
sagt er. Zum Beispielkönnten «saubere
Autos» bei derParkplatzsuche bevor-
zugt behandelt werden.

Auch grüne Kritiker


Grundsätzlich sei es falsch, dieAuto-
fahrer als alleinigeVerursacher des
Klimawandels verantwortlich zu ma-
chen, findetKnecht. Es sei zu befürch-
ten, dass das Gewerbe und der Detail-
handel, die heute in Zürich bereits zu
kämpfen hätten, durch solcheFahrver-
bote noch weiter geschädigt würden.
LautRadio SRF haben aber selbst
eingefleischteAutogegner Mühe mit
demVorschlag. «Massnahmen, die den
Autoverkehr über das ganzeJahrredu-
zieren, scheinen mir viel zielführen-
der als Umweltzonen», sagt Markus
Knauss, grüner Gemeinderat und Co-
Geschäftsführer desVCS Zürich. Um-
weltzonen hätten vor allem eine sym-
bolische Bedeutung, seien aberkeine
nachhaltigeLösung.

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