Neue Zürcher Zeitung - 13.11.2019

(Barry) #1

26 WIRTSCHAFT Mittwoch, 13. November 2019


Die libanesische Schulden blase

droht zu platzen

Die Banken des Landes haben durch ein Schneeballsystem viel Geld verdient – sein Kollaps scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein


CHRISTIAN WEISFLOG, BEIRUT


AmUrsprungderKrisestandeigentlich
eineguteIdee.NachdemEndedesBür-
gerkriegs1990 brauchte Libanon drin-
gend I nvestitionen für denWiederauf-
bau. Deshalb band dieRegierung die
eigeneWährung mit einem fixenWech-
selkurs an den Dollar:1507,5 libanesi-
sche Pfund für1$.Ausländische Inves-
toren mussten somit nicht mehr fürch-
ten, dass ihr Kapital durch plötzliche
Wechselkursänderungenentwertetwer-
den könnte. Und einheimischeBanken
konnten dem Staat ohne grosse Sorgen
das notwendige Geld für denWieder-
aufbau leihen.


Investitionen in marodenStaat


DochdielibanesischeWirtschaftprodu-
ziert kaum Exportgüter und importiert
im Gegenzug in wesentlich grösseren
Mengen–vorallemTreibstof fe,Medika-
mente und Maschinen. Das Resultat ist
ein beträchtliches Handelsbilanzdefizit,
dasimvergangenenJahrrund15 Mrd.$
betrug.DiesentsprichtrundeinemVier-
tel d er Wirtschaftsleistung. Und in die-
sem Jahr wird das Defizit aufgrund der
stark wachsenden Erdölimporte weiter
zunehmen. Die Ursache dafür ist vor
allem der florierendeTreibstoffschmug-
gel nachSyrien.
UmdenWechselkursindiesemUm-
feld stabil zu halten und den Import-
überschuss zu finanzieren,setzt d as
Bankensystem seitJahren auf überaus
hohe Zinsen. Diese verführen die zehn
MillionenlibanesischenGastarbeiterim
Auslanddazu,ihrehartverdientenDol-
lar in der Heimat anzulegen. ProJahr
fliessen so harte Devisen für insgesamt
7Mrd.$ins Land.
Diese Rimessen machen über 40%
der Bankeinlagen aus.Doch anstatt
das Geld in produktiveWirtschafts-
zweige zu investieren,kauften dieBan-
ken vor allem staatliche Schuldpapiere,
die einen durchschnittlichen Zins von
fast 8% abwerfen. Ein lohnendes Ge-
schäft auch deshalb, weil die Staats-
schuldenkontinuierlichaufmittlerweile
fast 90 Mrd.$ anwuchsen. Die hohen
Zinsen führten dazu, dass die öffent-
liche Hand über 40% ihrer Einnahmen
für den Schuldendienst ausgibt, wäh-
rend allein die zwei grössten libanesi-


schen Banken 2016 einen Gewinn von
1Mrd.$verbuchten.
Um diesen Zins-Schneeball wei-
terhin rollen zu lassen, ist Libanon auf
einen jährlich um6 bis 7% wachsenden
Dollarzufluss angewiesen. So unrealis-
tisch diesist, suchten dieBanken ihr
GlückinletzterZeittrotzdeminimmer
höheren Zinsen.Die meisten von ihnen
offerierten in diesemFrühjahr12% für
ein Konto in libanesischen Pfund und
8% für Dollarguthaben.
Spätestens im September war klar,
dass dasSystem kurz vor demKollaps
steht. DieRegierung erklärte den wirt-
schaftlichen Notstand,und Banken be-
gannen denVerkauf von Dollar einzu-
schränken. Als Erstes betrafen diese
Massnahmen dieTankstellenbesitzer.
Sie müssen ihre eingenommenen Pfund
in Dollar umtauschen, um das impor-

tierte Benzin zu bezahlen.Nun sahen
sie sich plötzlich gezwungen, die harten
Devisen zu einem weit höheren Preis
auf dem Schwarzmarkt zu besorgen.
Gleichzeitigkonnten sie denAufschlag
nicht an dieKunden weitergeben, weil
dieBenzinpreisestaatlichreguliertsind.

Das Benzin wird knapp


Anfang Oktober traten dieTankstel-
lenbetreiberdeshalbkurzzeitigineinen
Streik. Die Zentralbank versprach dar-
auf, genügend Dollar zum offiziellen
Wechselkurs zurVerfügung zu stellen.
«Doch dies ist bis jetzt nur für 85%
des Gesamtvolumens derFall», erklärt
GeorgeFayad, der Präsident derVer-
einigung der Erdölimporteure im Ge-
spräch.IndenvergangenenTagenhaben
einzelneTankstellen deshalb ganz ge-

schlossen, andere verkaufen ihr Benzin
nur in rationierten Mengen.
Die Regierung ihrerseits versuchte
ihre wachsende Schuldenlast derweil
mit weiteren Steuererhöhungenan die
Bürgerweiterzugeben.Vorallemdiege-
plante Abgabe aufTelefonanrufe mit
Messenger-Diensten wie etwaWhats-
app oder Skype löste am17.Oktober
schliesslichdieanhaltendenMassenpro-
teste aus, die zweiWochen später den
Regierungschef Saad Hariri zumRück-
trittzwangen.
Für das grosse Problem gäbe es
eigentlich eine simple Lösung, schreibt
der ÖkonomDan Azzi: «Ein Haircut
auf alleKonten mit mehr als einer Mil-
lion Dollar.» So katastrophal, wie sich
das anhöre, sei dies nicht. Denn das
reichsteProzentderlibanesischenBank-
kunden verfüge über einVermögen von

90Mrd.$. «Ein Libanese, der vor zehn
Jahren 10 Mio.$zu 12% Zinsen ange-
legt hat, verfügt heute über 31 Mio.$.
Mit einem Haircut von 50% hätte er
noch15,5Mio .Daswäreimmernochein
ziemlichvernünftiger Profit von 4,5%.»

Die Elitestellt sich taub


Doch anstatt die Probleme anzugehen,
wartet die Elite bisher einfach ab. Bis
heutehabendieoffiziellenKonsultatio-
nenzurBildungeinerneuenRegierung
nicht begonnen. Der seit1993 amtie-
rende Zentralbankchef Riad Salame
hält unbeirrt am altenKurs fest. In
einer Pressekonferenz für ausgewählte
JournalistenlehnteeramMontageinen
Haircut oder eineFreigabe desWech-
selkurses genauso ab wie Kapitalver-
kehrskontrollen. Das Resultat sind
spontane Lösungen ad hoc: Einerseits
wird der Dollar auf dem Schwarzmarkt
bereits für1800liban.£ gehandelt,eine
realeAbwertung von 20%.Andrerseits
habendieBankendenfreienDollarver-
kehr weiter eingeschränkt. Am Schal-
ter erhalten dieKunden proWoche bei
vielen Geldinstituten nur noch rund
2000$. Gleichzeitig wurden Importeu-
ren bisher nicht ausgeschöpfte Kre-
ditlimiten suspendiert. Am Dienstag
haben dieBankangestellteneinen u n-
befristeten Streik begonnen.
Im Gegensatz zu denTankstellen
zeichnen sich in den Supermärkten
allerdings nochkeine grossenVersor-
gungslücken ab. Doch dieVerunsiche-
rung führt an manchen Orten bereits
zu Hamsterkäufenund Preissteigerun-
gen.«IchbezahledenGrosshändlernfür
manche Produkte bereits 10 bis15%
mehr», sagt der Betreiber eines Mini-
marktes in der Hauptstadt Beirut. Sie
bekomme bis jetzt noch alle Medika-
mente, berichtet eine Apothekerin um
di e Eck e. «Aber vieleKunden bezie-
hen nun einenVorrat für die nächsten
3bis 6Monate.»
Kamal Amro handelt mit gebrauch-
tenRolex-Uhren.DochseitwenigenTa-
genhaterseinewertvolleWareausden
Vitrinen genommen und im Safe ver-
staut.Warum,kann er nichtwirklich er-
klären.Aber irgendwie scheint er wohl
zuahnen,dassdasEndedesSchneeball-
systems in ungeordnetenBahnen ver-
laufen könnte.

Ein Motorradfahrer passiert einevon Protestierenden errichteteBarrikade in der libanesischen HauptstadtBeirut. HUSSEIN MALLA / AP

Hat die Basler Lonza-Gruppe ein Führungsproblem?


Zum zweiten Mal innerhalb vonweniger als einem Jahr kommt es beim Chemieunternehmen zu einem unerwarteten Wechsel an der Konzernspitze


DOMINIK FELDGES


Der Basler Chemiekonzern Lonza er-
freut seine Aktionäre seit langem mit
einem guten Geschäftsgang. Doch bei
der Besetzung der oberstenFührungs-
ebenebeweistdieFirmakeineglückliche
Hand .SchonzumzweitenMalinnerhalb
vonwenigeralseinemJahrkündigtsich
ein überraschenderWechsel an. Ende
Januar20 19war esRichardRidingerge-
wesen,der bekanntgegeben hatte,nach
knapp siebenjähriger Tätigkeit von sei-
nem Posten alsKonzernchef zurückzu-
treten .Nun hat sich auch sein Nachfol-
ger MarcFunk entschlossen, den Hut
zu nehmen.Funk, and ers als Ridinger
von Haus aus nicht Chemiker, sondern
Jurist, übernahm die Geschäftsführung
erstperAnfangMärz2019.Zuvorhatte
erwährendfünfJahrendiemitAbstand
umsatz- und ertragsstärkste Sparte der
Firma,Pharma und Biotech,geleitet.


Eine vageErklärung


Der Verwaltungsratspräsident Albert
Baehny, der bis zur Einsetzung eines
definitivenNachfolgersabsofortinteri-
mistisch auch derKonzernführung vor-
stehen wird, hatte die Ernennung von


Funk damals noch in den höchstenTö-
nen gelobt: «DerVerwaltungsrat freut
sich über einen starken internen Nach-
folger,derdasUnternehmenindiespan-
nendeZukunftführenwird» ,liessersich
ineinerMedienmitteilungzumWechsel
an der Firmenspitze Ende vergangenen
Januarszitieren.Voneiner«spannenden
Zukunft»derFirmasprichterauchdie-
ses Mal wieder, doch unterliess er es im
nunverschicktenCommuniqué,sichsel-
berzu Funkzuäussern.Die–knappfor-
mulierte –Verabschiedung oblag dem
bisherigenVerwaltungsratsmitgliedund
neu ernannten Lead Independent Di-
rector Christoph Mäder.
FürMedienanfragenwarBaehny,der
den Verwaltungsrat von Lonza erst seit
Mai 20 18 präsidiert,am Dienstag nicht
verfügbar.Auch mit Mitarbeitern oder
Investo ren suchte er offenbar nicht das
Gespräch. Im Mediencommuniqué be-
schränkt sich Lonza auf dievage Er-
klärung , Funk werde das Unternehmen
«aus persönlichen Gründen» verlassen.
Bei der Ankündigung von Ridingers
Rücktrittwar der Hintergrund des Ent-
scheids noch insofern präzisiert worden,
alseshiess,derManagerbeabsichtige,«in
nichtexekutivenFunktioneninverschie-
denen Unternehmen tätig zu werden».

Finanzanalytiker erklärten am
Dienstagübereinstimmend,vomerneu-
ten Wechsel an derKonzernspitze auf
dem falschenFuss erwischt worden zu
sein. «DiesesAusmass anWechseln ist
für ein Unternehmen mit einem stabi-
len, defensiven Geschäftsmodell über-
raschend», konstatieren die Vertre-
ter der Grossbank UBS. «Die Nach-
richt vomRücktritt Funks sei «wirk-
lich komplett unerwartet» gekommen,
doppeltenAnalytiker vonBaader Hel-
vea EquityResearch nach.Auch An-
leger fühlten sich überrumpelt. Der
Aktienkurs von Lonza gab in einem
kaum veränderten Gesamtmarkt um
4,5% gegenüber demVortag nach. Die
beiden Abgänge an derKonzernspitze

innerhalb von wenigerals einem Jahr
passen schlecht zum Leistungsausweis
Baehnys. Der Westschweizer hat sich
dank langjähriger erfolgreicher Tätig-
keit beim Sanitärtechnik-Spezialisten
Geberit denRuf erworben, für stabile
Verhältnisse auch inPersonalfragen zu
sorgen.So attestieren ihm viele Markt-
beobachter, vor seinemRücktritt als
Konzernchef Ende 2014 seine Nach-
folgebeimJonerUnternehmenvorbild-
lichaufgegleistzuhaben.DieFunktion
des Firmenchefs wird seither ununter-
brochenundmitErfolgvoneinemjün-
geren Manager, Christian Buhl, ausge-
übt.BaehnystehtnachwievordemVer-
waltungsrat vonGeberit vor. Nach sei-
nererstmaligenWahlimApril2011war
erwährendknappvierJahrensogarzu-
gleich als VR-Präsident und CEO der
Firma tätig gewesen.

Firma soll «Schwung behalten»


Mit dem sogenannten Doppelmandat
kennt sich der Biochemiker, der in frü-
heren Jahren als Manager bei einer
ReihevonChemiefirmen(DowChemi-
cals, Ciba-Geigy Spezialitätenchemie,
Wacker Chemie) Erfahrungen gesam-
melt hatte, demnach aus. Allerdings

dürfte Baehny, der Mitte60 ist, allein
schon ausAltersgründenbei Lonza da-
nach trachten, möglichst schnell einen
neuen Konzernchef zu finden. Eine
lange Phase der Unsicherheit kann sich
die Firma,die mit bedeutenden Investi-
tionsvorhabenbesondersanihremwelt-
weit grösstenProduktionsstandort in
VispbeschäftigtistundzudemeineVer-
selbständigung vonTeilen ihrer Aktivi-
täten (Bereich Spezialitätenchemie)
vorbereitet,auch nicht leisten.
Baehny will, wie er in der neusten
Medienmitteilung unterstreicht, sel-
ber sicherstellen, dass dieFirma «ihren
Schwung beibehält». Die Anleger, die
am Dienstag eine herbe Enttäuschung
erlebt haben, werden ihn zweifel los
daran messen.

BILDER KEYSTONE
Marc Funk
Abgetretener
CEOvon Lonza

Albert Baehny
Präsidentvon Lonza
und CEO ad interim

Lonza-Aktie, in Fr.

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