Neue Zürcher Zeitung - 13.11.2019

(Barry) #1

Mittwoch, 13. November 2019 WIRTSCHAFT 27


Klimaszenarien sorgen für Ernüchterung

Laut der Internationalen Energieagenturist 2018 der Energiekonsumso stark wie lange nicht gestiegen


GERALDHOSP


Während dieForderungen und Anstren-
gungen wachsen, den Klimawandel zu
bremsen,stiegen 2 01 8 die weltweite
Energienachfrage und auch die CO 2 -
Emissionen so stark an wie seit einiger
Zeit nicht mehr.ImJahr 20 18 konsu-
mierte dieWelt um 2,3% mehr an Pri-
märenergie als in derVorperiode, was
den stärksten Anstieg seit 2010 bedeu-
tet. Und die CO 2 -Emissionen, die im Zu-
sammenhang mit der Energieproduk-
tion entstanden, stiegen um knapp 2% –
so stark, wie schon seit 2013 nicht mehr.
DieseEntwicklung zeigt der jüngsteJah-
resbericht der Internationalen Energie-
agentur (IEA) auf. Die Publikation des
Energie-Instituts der Industriestaaten
gilt als die Bibel der Energiebranche.


Wetter spielt grosse Rolle


Neben demrobustenWirtschaftswachs-
tum spielte vor allem dasWetter eine
grosseRolle. Dierelativ hohe Zahl an
überdurchschnittlich heissenund kalten
Tagen liess den Energieverbrauch für
Klimaanlagen und Heizungen steigen,
vor allem in denVereinigten Staaten,
China,Russland und Indien.Die gestie-
gene Nachfrage wurde besonders durch
Erdöl, Erdgas undKohle gedeckt, wo-
bei der Gasverbrauch am stärksten stieg.
In einer früheren Analyse meinte
SpencerDale, der Chefökonom des bri-
tischen Erdölkonzerns BP, dass die Ent-
wicklung der erneuerbaren Energien
vor allem durch dieTechnologie und
diePolitik geprägt werde.Wenn es je-
doch unvorhergeseheneVeränderungen
bei der Nachfrage gebe, werde auf fos-
sile Brennstoffe zurückgegriffen, die bei
der Nutzung flexibler seien – mit negati-
venFolgen für die CO 2 -Emissionen.
Für Ernüchterung sorgen auchregel-
mässigdie Szenarien der IEA. Im jähr-
lichenWorld Energy Outlook hantiert
die Agentur mit drei Szenarien, um den
Energiemix und dieAuswirkungen auf
die Klimaerwärmung bis zumJahr 2040
darzustellen.Das Szenario «CurrentPoli-
cies (derzeitigePolitik)» basiert auf den
gegenwärtig umgesetzten Massnahmen,
während beim Szenario «StatedPolicies


(angekündigtePolitik)» die IEA davon
ausgeht, dass alleVersprechen, die im
Zusammenhang mit demPariser Klima-
schutzabkommen abgegeben worden
sind, auch umgesetzt werden.Das Sze-
nario «Sustainable Development (nach-
haltige Entwicklung)» zeigt hingegen
dieVerschiebungen auf, die nötig sind,
wenn die 20 15 formulierten Klimaziele
erreicht werden sollen. Diese lauten,die
globale Erwärmung sei auf deutlich unter
2 Grad Celsius gegenüber dem vorindus-
triellen Niveau zu senken oder es sei gar
ein maximalerTemperaturanstieg von1,5
Grad Celsius anzustreben.
Die einzelnen Szenarien führen zu
unterschiedlichen Prognosen für die
CO 2 -Emissionen. Die derzeitigePolitik
und die angekündigten Massnahmen
sind laut der IEA nicht in derLage, bis
zumJahr 2040 den CO 2 -Ausstoss auf die
Massgabe derPariserKlimaziele zu sen-
ken. Die Analytiker der IEA verweisen
darauf, dass im Szenario «Angekündigte
Politik» die Schwungkraft für die er-
neuerbaren Energien nicht gross genug
sei, um dieAuswirkungen einer wach-
sendenWirtschaft und einer Zunahme
derWeltbevölkerung auszugleichen. In
einem Extrakapitel beschäftigt sich die
IEA auch mit dem steigenden Energie-
konsum in Afrika. DerKontinent werde
zu einem weltweit wichtigen Nachfrage-
faktor werden, getriebendurchVerstäd-
terung und Bevölkerungswachstum.

Erhöhungder Effizienznötig


Um auf das Szenario «Nachhaltige Ent-
wicklung» einzuschwenken, ist es laut
der IEA unter anderem notwendig,
die Energieeffizienz zu erhöhen.Dann
könnte dieWeltwirtschaft auch um 3,4%
jährlich und dieWeltbevölkerung um1,6
Mrd. Menschen bis zumJahr 2040 zu-
nehmen. Die Entkoppelung derWirt-
schaftsaktivität von den CO 2 -Emissio-
nen hat sich im vergangenenJahr jedoch
verlangsamt. Die Energieintensität – die
Mengean Energie, die für eine Einheit
des Bruttoinlandprodukts benötigt wird


  • ging zwar zurück. Im vergangenenJahr
    jedoch nur um 1,2%, was die Hälfte der
    Verbesserung desDurchschnittswerts
    seit 2010 ist.


«Ära der Globalisieru ng geht womöglich zu Ende»


Die Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch sieht einen erheblich en Vertrauensverlust bei internationalen Prozessen


MICHAEL RASCH, FRANKFURT


Nach demFall der Berliner Mauer vor
30 Jahren begann eine neue Phase der
Globalisierung. Sieverstärkte sich noch
mit dem Beitritt von China zurWelt-
handelsorganisation im Dezember
20 01. Doch diese Ära gehe möglicher-
weise zu Ende, sagt Claudia Buch. Es
sei weltweit ein erheblicherVertrau-
ensverlust in die Bindung von inter-
nationalenVerträgen und in eine an-
dauernde internationaleKooperation
zu spüren, analysiert dieVizepräsiden-
tin der Deutschen Bundesbank im Ge-
spräch mit der NZZ. Internationale
Wertschöpfungsketten, ein wichtiger
Motor der Integration von Märkten,
seien fragil geworden. Unternehmen
könnten sich weniger auf internatio-
nale Lieferketten verlassen als in frü-
herenJahren und würden sich entspre-
chend darauf einstellen.


Deutschland starkexponiert


Laut Buchkönnte dies dazu führen, dass
Konzerne einige der imAusland ge-
schaffenen Produktionskapazitäten wie-
der nach Deutschland oder Europa zu-
rückholen. Es sei vielVertrauen in inter-
nationale Prozesse verloren gegangen.
Wie stark sich diese Effekte auswirkten,
sei zwarkaum zu beziffern. Doch eine
etwaige Deglobalisierung würde sicher-
lich mit Wohlfahrtsverlusten einher-
gehen. Bereits jetzt hätten die beschlos-
senen Zölle Auswirkungen auf den


Welthandel. Deutschland sei aber auf-
grund seiner offenen und exportorien-
tiertenVolkswirtschaft im weltweiten
Vergleich besonders exponiert.
Im Hinblick auf dieFinanzstabili-
tät sieht sie steigende Gefahren. Nied-
rige Zinsen seien ein Grund dafür,
dass mancheVerwundbarkeiten nicht
unmittelbar an den Märkten sichtbar
seien: Die Preise an den Aktienmärk-
ten und bei anderenVermögenswerten
seiennach wie vor hoch. Die Bundes-
bank beobachte derzeitVerwundbar-
keiten etwa durch Zinsrisiken.Vo r
allemkleine und mittlereBanken gin-
gen viel stärker in dieFristentransfor-
mation als früher. Der Anteil derWohn-
immobilienkredite mit einerLaufzeit
von mehrals zehnJahren an neu ver-
gebenen Immobilienkrediten sei von
26% imJahr 2010 auf inzwischen fast
47% gestiegen.Würde es nun zu einem

Zinsschockkommen, wäre eineViel-
zahl vonBanken zeitgleich betroffen.
Dies berge Gefahren für dieFinanz-
stabilität in Deutschland.
Nach einer langen Phase desWirt-
schaftsaufschwungs bestehe imBanken-
sektor generell dieTendenz, dass Kre-
ditrisiken unterschätzt werdenkönnten.
Modelle, dieDaten des vergangenen
Jahrzehnts verwenden,könnten zukünf-
tige Risiken unterschätzen: In diesem
Zeitabschnitt seien die wirtschaftliche
Entwicklung sehr gut sowie Insolvenz-
und Arbeitslosenquoten niedrig gewe-
sen. Derzeit seien beispielsweise viele
Unternehmen in Deutschland sehr gut
eigenfinanziert und verfügten über ge-
nügend Liquidität.Dadurch bestehe je-
doch die Gefahr, dass sich im Kredit-
portfolio vonBanken vor allem die im
Quervergleich riskanteren Unterneh-
men sammeln würden. ImFalle einer

Rezession dürfte sich das dann in einer
höherenAusfallquote niederschlagen.

Risikovorsorge geht zurück


Gefahren des Überoptimismus gebe es
auch auf dem Immobilienmarkt. Sowohl
dieBanken als auch die privaten Kredit-
nehmer in diesem Sektorrechneten mit
weiter steigenden Immobilienpreisen.
Bestehende Risiken würden somit mög-
licherweise ausgeblendet. Die Risiko-
vorsorge derBanken gehe weiterhin zu-
rück und sei auf einem historisch nied-
rigen Niveau.DasGleichegelte für die
Insolvenz- und die Kreditausfallraten.
DieseVerwundbarkeiten und der
Aufbau zyklischer Risiken seien für die
Empfehlung des beim Bundesfinanz-
ministerium angesiedeltenAusschusses
fürFinanzstabilität (AFS) Anlass gewe-
sen, den antizyklischen Kapitalpuffer zu
erhöhen.ImJuli hatten dieAufseher in
Deutschland einen antizyklischen Kapi-
talpuffer in Höhe von 25Basispunkten
eingeführt, der nach einemJahr bindend
wird. Entscheidend für etwaige künftige
Veränderungen sei die weitere Entwick-
lung, etwa bei der Kreditvergabe.Der-
zeit wachse das nominale Kreditvolumen
weiterhin im mittleren einstelligen Pro-
zentbereich. Bei übermässigen Entwick-
lungenam Immobilienmarktkönnte
dieAufsichtRisikogewichte beiWohn-
immobilienkrediten verändern oder das
Verhältnis von Krediten zum Marktwert
oder den Beleihungswert beschränken.
Doch dafür bestehe derzeitkein Anlass.

Für die Fin anzstabilität zu ständig


ra.·Die 53-jährigeVolkswirtin Clau-
dia Buch ist seit 20 14 Vizepräsidentin
der Deutschen Bundesbank und dort
unter anderem fürFinanzstabilität zu-
ständig. Zudem begleitet und vertritt
sie PräsidentJensWeidmann in inter-
nationalen Gremien wie dem EZB-
Rat. Die Ostwestfalin studierte an den
Universitäten in Bonn sowieWiscon-
sin und arbeitete vieleJahrebeim Insti-
tut fürWeltwirtschaft in Kiel.Von 2004

bis 2013 war Buch dann
Wirtschaftsprofessorin für
«International Finance
and Macroeconomics» an
der UniversitätTübingen.
Sie galt jüngst unter Beob-
achtern als Kandidatin für
die frei gewordene «deutsche»Position
im Direktorium der EZB. Die Bundes-
regierung entsandte jedoch die Bonner
Wirtschaftsprofessorin Isabel Schnabel.

Alfa Romeo


beschneidet


Ausbaupläne


Die FCA-Tochter bleibt beider
Modellpalette mit drei Fahrzeugen

HERBIE SCHMIDT

Fulminant war der Start der ersten bei-
den neuen Produkte seitJahren, nicht
minder ambitiös waren die weiteren
Pläne von AlfaRomeo,der Markeaus
demFiat-Chrysler-Konzern. Zwei neue
Sportwagen mit 600 und 700 PS soll-
tenkommen, mit legendären Modell-
bezeichnungen wie 6C und GTV,dazu
ein grosser SUV in der Grösse eines
Maserati Levante.Die hochtraben-
den Pläne stammten vomJuni 2018, als
man bei AlfaRomeo noch glaubte, bis
2022 mit sieben verschiedenen Model-
len jährlich insgesamt 40 0000 Fahr-
zeuge verkaufen zukönnen. Daraus
wird nichts, wie AlfaRomeo jetzt be-
kanntgibt.Weder die Sportwagen noch
der grosse SUV werden vorläufig wei-
terverfolgt. Es bleibt zunächst bei der
Modellpalette mit den dreiFahrzeugen
Stelvio (SUV), Giulia (Limousine) und
Giulietta (Schrägheck-Kompaktwagen).

Marke soll geschärft werden


Bereits vor einiger Zeit liefen der kleine
Mito sowie derMittelmotor-Sportwagen
4C aus. Den neuen Sparplänen fällt nun
auch der Giulietta zum Opfer, der be-
reits mehrereFacelifts hinter sich hat,
den Modellzyklus mit zehnJahren nun
aber erfüllt haben soll, wie aus italie-
nischen Gewerkschaftskreisen verlau-
tet. Zu den weiteren Opfern gehören
Fahrzeuge für den chinesischen Markt,
darunter Langversionen von Giulia
und Stelvio. Wer die hübscheKompakt-
SUV-Studie von AlfaRomeo amAuto-
salon Genf gesehen hat, darf aber auf-
atmen. DerTonale wird definitiv gebaut
und ergänztab 2021 Giulia und Stelvio,
die gleichzeitig eine Modellauffrischung
erhalten werden.Viertes Modell soll
ein kleiner SUV in der Grösse desFiat
500X oder desJeepRenegade werden.
Wie der FCA-Chef Mike Manley Ende
Oktober während einerTelefonkonfe-
renz mit Analytikern bestätigte, soll die
Marke AlfaRomeo geschärft werden.
«Ich glaube grundsätzlich an die Marke,
aber wir müssen sicherstellen, dass die
geplanten Investitionen auch die nöti-
gen Erträge bringen», sagte Manley.
In den ersten neun Monaten desJah-
res2 01 9fielen die weltweitenVerkäufe
von AlfaRomeo um 31 Prozent auf to-
tal 67 427Fahrzeuge,wie derDatenspe-
zialistJato Dynamics bekanntgibt.Laut
Manley will sich AlfaRomeo nun auf
Fahrzeugsegmente undMärktekon-
zentrieren,in denen die Marke bereits
erfolgreich ist.Das sind Europa, USA,
China undJapan.
Auch die Pläne zur Erneuerung
der Antriebspalette werden zurück-
geschraubt. Zwar werde man Hybrid-
und Elektroautos einführen, doch in ge-
ringeremAusmass als ursprünglich ge-
plant. So soll der geplante Klein-SUV
sowohl alsVersion mitBatterie-Elek-
tro-Antrieb als auch mitVerbrennungs-
motor an den Start gehen. DerTonale
wird mitVerbrennungsvarianten sowie
als Plug-in-Hybrid lanciert. Doch weder
Giulianoch Stelvio sollenelektrifiziert
werden. Im Hinblick auf dieFusion zwi-
schen FCA undPeugeot-Citroën (PSA)
sieht Manley Chancen, die mittlerweile
modernisierte Heckantrieb-Plattform
«Giorgio», die alsBasis für Giulia und
Stelvio dient, auch den PSA-Marken
zugänglich zu machen, bei denen der
Frontantriebdominiert.

Autoindustrie amScheideweg


Die hehren Pläne zumAusbau von Alfa
Romeo zurückzufahren, erscheint tat-
sächlich in der gegenwärtigen Situa-
tion opportun. DieAutoindustrie steht
am Scheideweg und muss die richtige
St rategie zur Senkung der CO 2 -Emis-
sionen wählen, zudem bestünde bei der
ursprünglich geplanten Expansion die
Gefahr,dass dieTr aditionsmarke Alfa
Romeo verwässert. So aber besteht eine
kleine Chance, den von Manley ange-
strebtenAufstieg der Marke zum Pre-
miumprodukt zu schaffen.
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