Neue Zürcher Zeitung - 13.11.2019

(Barry) #1

Mittwoch, 13. November 2019 FEUILLETON 35


Der Büchnerpreisträger Lukas Bärfuss ign oriert


das kulturelle Gedächt nis in DeutschlandSEITE 38


Die Balten wissen, dass Singen verändern kann –


nun kommt ein lettischer Chor nach Zürich SEITE 39


Toba Khedoori:«Untitled», 2019 (Ausschnitt), Öl, Grafit undWachsauf Papier,249,2cm×335,3cm. TOBA KHEDOORI COURTESY REGEN PROJECTS

Können Frauen Kunst anders?


Ausstellungen nur für Künstlerinnen: Das Format ist beliebt. Ist es aber dem weiblichen Kunstschaf fen förderlich?Von Philipp Meier


Frauenund dieKunst, dieKunst und die
Frauen – dieKombination ist, gerade in
unserenTagen, sehr aufgeladen. Es gibt
Markterhebungen, die belegen,dass
Kunst vonFrauen weniger hohe Preise
erzielt. Und es gibt Statistiken, die be-
sagen, dassKünstlerinnen weniger gut
vertreten sind in den Museumsabtei-
lungen für Gegenwartskunst, ganz zu
schweigen von jenen fürKunst vergan-
generJahrhunderte. Reflexartig heisst es
dann: Museen sollten vermehrtFrauen-
kunst ankaufen undAuktionshäuser
einen Mindestanteil anKunst vonFrauen
anbieten – oder gar spezielleVersteige-
rungen nur fürWerke vonKünstlerinnen
durchführen. Zum Zeitgeist passt auch,
dass es immer öftersFrauenausstellun-
gen gibt–also Schauen, an denen nur
Werke von weiblichenKunstschaffenden
gezeigt werden.
Dies weckt bei Besuchern wie mir
allerdingsregelmässig die Erwartung,
dassKunst vonFrauen irgendwie anders
sein muss, speziell weiblichkonnotiert
eben. Und das kann auch durchaus pro-
blematisch sein.Vor allem dann nämlich,
wenn esAusstellungsmacherinnen (und
auchAusstellungsmachern) wie meis-
tens gar nicht darumgeht, allenfallsbe-
sonders weiblicheKunst zu zeigen, wenn
es sich nicht gerade um explizit feminis-
tischeKunst handeln soll.Vielmehr wol-
len doch die betreffendenKuratoren oft
nur ein gesellschaftlich gewachsenes Un-
recht wieder gutmachen im Sinne eines
Korrektivs.WennFrauen schon schlech-
ter vertreten sind inKunstinstitutionen
als Männer, dann bietet man ihnen halt
einen speziell geschütztenRaum, in dem
nur sie ihreKunst zeigen dürfen, eine
Plattformsozusagen zurFörderung von
Frauenkunst.
Denn wir wissen es heute doch eigent-
lich längst.Jedenfalls haben es uns die


Gender-Studies eingehämmert: Bei der
Kunst ist es nicht anders als bei allen
anderen Tätigkeiten; es gibt nicht spe-
zifisch weibliche oder männlicheFähig-
keiten, das haben Studien doch mitunter
zur Genüge bewiesen. Bei mathemati-
schen Berufen zum Beispiel sind zwar
Frauen auch in den fortschrittlichsten
Ländern nach wie vor stark untervertre-

ten. In Pflegeberufen hingegen sind sie
überproportional häufig anzutreffen. Bis-
her schloss man daraus, dass dieWelt der
Zahlen eben eine Männerdomäne sei und
jene der Einfühlung, zu der auch Pflege-
berufe gehören mögen, eine derFrauen.
Jüngste Untersuchungen haben aber er-
wiesen, dassFrauen in Mathematik nicht
schlechter sind als Männer,imGegenteil.

Eine männlicheDomäne


Die Ironie der Sache besteht also nicht
in einem Mangel anFähigkeit,son-
dern gerade im Gegenteil, nämlich in
derTatsache,dassFrauen eigentlich in
allem äusserst begabt seinkönnen. So
seienFrauen zum Beispiel noch bes-
ser in Sprachen als in Mathematik. Und
so wurde dann eben aus dem Umstand,
dassFrauenin therapeutischen Berufen
viel häufiger anzutreffen sind als in tech-
nischen, abgeleitet, dass sie auf Num-
mer sicher gingen und Berufe wählten,

in denen sie sowieso brillierten. Dies, ob-
wohl sie damit unter Umständen einen
geringerenVerdienstinKauf nehmen
müssten, da Pflegeberufe schlechter be-
zahlt sind als zum Beispiel IT-Jobs.
Es gibtalsooffenbarkeine typisch
weiblichenFähigkeiten.Frauen sind zu
allem fähig.Sie stehen sich, ebenso wie
Männer, höchstens selber imWeg. Sonst
nämlich müsste man auch davon aus-
gehen, dassKunstmachen ein doch eher
weibliches Betätigungsfeld ist, da es mit
Gefühlen, mit Subjektivität und weniger
mitRationalität und Objektivität asso-
ziiert wird.DassKunst aber in den letz-
tenJahrhunderten eine ausgesprochen
männliche Domäne war, ist allgemein
bekannt. Nur wenigeFrauen wie etwa
die flämische Stillleben-Altmeisterin
ClaraPeeters, die klassizistische Male-
rin Angelika Kauffmann, die Impressio-
nistin Berthe Morisot oder die Expres-
sionistin Marianne vonWerefkin wag-
ten sich in die von Männern dominierte
Welt derKunst vor.
Mit der Emanzipation und zunehmen-
der Gleichberechtigung hat natürlich
auch dies geändert. Heute gibt es min-
destens so vieleKünstlerinnen wieKünst-
ler. Und es gibt mindestens ebenso gute
Künstlerinnen wieKünstler. Sie tummeln
sich überdies in sämtlichen Stilrichtungen
und Gattungen. Es gibt, ausser der femi-
nistischenKunst vielleicht,keine speziell
weiblichen Gefilde in derKunst.Verena
Loewensbergetwa war eine begnadete
Vertreterin der doch so nüchtern-ver-
kopftenKunst der ZürcherKonkreten.
Joan Mitchell war eine hervorragende
Malerin desrecht brachial anmutenden
amerikanischen abstrakten Expressionis-
mus. Und eskönnten hier zahlreiche wei-
tere Beispiele angefügt werden.
Dennoch werden wir den Eindruck
nicht los, dass esKunst gibt, die irgend-

wieweiblicher daherkommt als an-
dere. Zum Beispiel solche, die sich tex-
tilerMaterialien bedient. Oder solche,
die sich besonders zart oder poetisch
gibt.Wenn dem aber so wäre,müsste
es natürlich auch besonders männliche
Kunst geben, männlicher als derKunst-
durchschnitt. Mankönnte dabei an
Richard Serra denken mit seinen ton-
nenschweren Stahlplatten. Allerdings
gibt es auchKunst von Männern, bei
deren Anblick wir voll auf eineFrau als
Autorin gesetzt hätten. Zum Beispiel
dieKunst geheimnisvollerFundstücke
undrätselhafterKeramiken undTexti-
lien eines Michele Ciacciofera, bei des-
sen lyrischenWerken es oft um Hexen
undFeen geht.

BlossesWunschdenken?


Bei besonders weiblicherKunst käme
einem vielleicht SilviaBächli in den
Sinn, die jetzt zusammen mit vier wei-
terenKünstlerinnen in einerAusstel-
lung in derFondation Beyeler vertreten
ist.Bächlis Zeichnungen sind zart und
lyrisch. Und wenn man auf dieKunst-
werke ihrerKolleginnen in dieser Schau
blickt, kommen einem diese nicht weni-
ger feminin vor.
BeiRachelWhitereadetwa spielt das
Körpergefühl in Bezug zumRaum eine
wichtigeRolle,Toba Khedoori arbei-
tet zwar wandfüllend monumental, ihre
Arbeiten verbleiben aber ganz im lei-
sen Bereich des Zeichnerischen, wäh-
rend Leonor Antunes’ goldgelb-warme
Rauminstallation irgendwie an ein-
ladendeWohnräume mit Designmöbeln
und Modeschmuckerinnert. Susan Phi-
lipsz hat sich sogar dem völlig Immate-
riellen desWindes verschrieben, dessen
Tönen man in ihrer Klanginstallation in
einem gänzlich leerenRaum lauschen

kann.Auch das ist doch typisch weib-
lich. Oder etwa nicht?
Ist ein derartiger Blick auf diese fünf
Werkkomplexe von Vorurteilen ge-
prägt? Und entstehen solche nicht ge-
rade in einer Schau, die ausschliesslich
weiblichen Kunstschaffenden gewid-
met ist? Cherchez la femme!Kuratiert
wurde dieseAusstellung vonTheodora
Vischer.Warum abernurFrauen?Das
seireiner Zufall, beteuert sie,und das
wirdauch offensichtlich in den Gesprä-
chen, die sie mit denKünstlerinnen für
den Katalog geführt hat. Dort geht es
nie und nirgends um speziellWeibliches.
In derAusstellung derFondation
Beyeler bieten die fünfKünstlerinnen
demKunsterlebnis bemerkenswerter-
weise vielRaum. Sie selber nehmen sich
zurück mit stillen Arbeiten. Selbst Antu-
nes’raumfüllende Installation wirkt nie
sperrig, dominant oder abweisend,son-
dern nimmt einen mit ihren warmen
Farben und Materialien auf in einer
Weise, dass man sich geborgen fühlt.
Ist aber diese einladende Zurückhal-
tung nicht gerade eine ausgesprochen
weibliche Eigenschaft? Oder blosses
Wunschdenken?
Wir können es offensichtlich nicht
lassen.Wirdenken in geschlechtsspezi-
fischen Klischees.Wenn es aber auch
keine speziell weibliche oder männ-
licheKunst gibt, so gibt es dochFrauen


  • Künstlerinnen, dieKuratorin –, die
    eineAusstellung so einrichtenkönnen,
    dass sie einem denFreiraum bietet, um
    über all diese Dinge nachzudenken.Ja
    mehr über solche Dinge zu sinnieren als
    über die hiergezeigteKunst selber.Von
    solch anregendenAusstellungen jeden-
    falls wünschten wir uns eigentlich mehr.


Fondation Beyeler, «Resonating Spaces», bis
26.Januar 2020, Katalog Fr. 52.–.

Frauen stehen sich,
ebenso wie Männer,
höchstens selber
im Weg.
Free download pdf