Neue Zürcher Zeitung - 30.10.2019

(Michael S) #1

28 WIRTSCHAFT Donnerstag, 31. Oktober 2019


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Schutzgesetz

für Informanten

Ständeräte wollenHinweisgeber in Firmen absichern


HANSUELI SCHÖCHLI

Das Verdikt war klar: Mit144 zu 27
Stimmen hatte der Nationalrat diesen
Juni das Gesetzesprojekt zum Schutz
von Informanten in Unternehmen ab-
gelehnt.Das Ergebnis entsprang einer
unheiligen Allianz: Der Linken ging die
Vorlage zu wenig weit (sie forderte vor
allem einen ausgebautenKündigungs-
schutz), während viele Bürgerliche die
vorgeschlagenenRegeln als «zukompli-
ziert» empfanden. Zuspruch gab es nur
von der CVP und der BDP. DieVorlage
liegt seither auf dem Sterbebett.
Nun versucht dieRechtskommission
des Ständerats eineWiederbelebung.
Vorausgegangenwaren Gespräche zwi-
schen dem Arbeitgeberverband und der
Anti-Korruptions-OrganisationTr ans-
parency Schweiz. Die beiden Organi-
sationen fanden eine gemeinsamePosi-
tion: Manunterstütze denVorschlag
des Bundesrats von 2018.Transparency
hatte mehr gewollt, doch der Arbeit-
geberverband kam nachRücksprache
mit derBasis zum Schluss, dass intern
eine weitergehendeVorlage nicht mehr-
heitsfähig wäre.

DieseVorlageoder gar nichts


Die Rechtskommission des Stände-
rats hat nun laut Mitteilung vom Mitt-
woch mit 6 zu 2 Stimmen bei 4 Enthal-
tungen demVorschlag des Bundesrats
unverändert zugestimmt.Falls dasPar-
lament dieVorlage versenke, werde es
für lange Zeit überhauptkeine gesetz-
licheVerankerung des Schutzes für
Whistleblower geben, sagt der Zürcher
SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor
DanielJositsch. Er sei überzeugt, dass
dieseVorlage für betroffene Arbeitneh-
mer besser sei als der Status quo.Jositsch
muss aber in seiner eigenenPartei noch
viel Überzeugungsarbeit leisten; ohne
linke Unterstützung dürfte das Geset-
zesprojekt kaum überleben.
DieVorlageverankert das Prinzip
der Meldekaskade:Wer in seinem Be-
trieb einen «nachvollziehbaren»Ver-
dacht überVerstösse gegen Gesetze
oder interne Richtlinien hegt, soll dies
zuerst dem Arbeitgeber melden,und
nur wenn dies nicht wirkt, ist eine Mel-
dung an eineexterne Behörde und –
im äusserstenFall – an die Öffentlich-
keit zulässig.
Die genannten Bedingungen für
externe Meldungen sind lautTr anspa-
rency Schweiz zu streng. Einer der Kri-
tikpunkte: Direkte Meldungen an Be-
hörden wären kaum zulässig, wenn der
Arbeitgeber eine unabhängige Melde-
stelle eingerichtet hat,Regeln zur Be-
handlung von Meldungen erlässt,Kün-
digungen wegen einer Meldung verbie-
tet und anonyme Meldungen zulässt.
Doch was gilt, wenn ein Angestellter
Hinweise darauf hat, dass die Chef-
etage seines Arbeitgebers inRechts-
brüche verwickelt ist und deshalb der
internen Meldestelle nicht zu trauen ist?
Dann wäredie interne Meldestellemög-
licherweise nicht mehr als unabhängig
zu betrachten, und eine Meldung direkt
an eine Behördekönnte unter Umstän-
den zulässig sein.

Hohe Hürden


Besonders hoch sind gemäss dem Ge-
setzesentwurf die Hürden für den Gang
eines Informanten an die Öffentlich-
keit.Zulässig wäreein solcher Gang nur,
wenn der Hinweisgeber alsFolge seiner
Meldung an die Behörde dieKündigung
oder sonstige Nachteile erlitten hat oder
wenn die Behörde aufWunsch nicht
innertvierzehnTagen «geeigneteAus-
künfte» zur Behandlung desFalls erteilt.
Auskünfte wie«Wir haben die Meldung
geprüft,aber nicht genügend Anhalts-
punkte für eine weitere Untersuchung»
oder«Wir haben einVerfahren eingelei-
tet und werden die erforderlichen Mass-
nahmen treffen» würden laut Bundesrat
bereits als «geeignet» gelten.

Für Tr ansparency Schweiz ist diese
Vorlage besser als ein«Totalabsturz»:
DieVorlagebringe mehrRechtssicher-
heit und Orientierung fürArbeitneh-
mer und Arbeitgeber; sie verankere den
Grundsatz, dass dieTr euepflicht der
Arbeitnehmer nicht absolut sei, sie an-
erkenne im Grundsatz die Zulässigkeit
vonMeldungen an eine externe Stelle
unter Bedingungen; und falls sich die
Regeln als ungenügend herausstellten,
seien künftigVerbesserungen aufgrund
der Praxiserfahrungen möglich.
Der Vergleich der Gesetzesvor-
lage zum Status quo ist nicht eindeu-
tig.Die im Gesetzesvorschlag vorge-
sehene Meldekaskade (intern, extern,
Öffentlichkeit) entspricht im Grund-
satz der bestehendenRechtspraxis. Dies
lässt sich aus Bundesgerichtsentschei-
den und Gesetzeskommentaren heraus-
lesen. Die Richter haben bis anhin er-
heblichen Spielraum, auf die Besonder-
heiten des Einzelfalls einzugehen; das
klingt vernünftig, doch dieKehrseite
der Medaille istRechtsunsicherheit für
Betroffene. Die vorgeschlagene Geset-
zesrevision würde etwas mehrRechts-
sicherheit zulasten des richterlichen
Spielraums schaffen.Laut einer Lesart
von Kritikern würde der Gesetzesent-
wurf imVergleich zur geltendenRechts-
praxis die Hürden für externe Meldun-
gen von Hinweisgebern eher noch etwas
erhöhen, dochrestlos schlüssig erscheint
die Sache nicht.

Die Schweizin der Kritik


Der Schutz von Hinweisgebern ist in
der Schweiz seit über 15 Jahren auf der
Politikagenda. Der globaleLänderver-
ein OECD empfiehlt der Schweiz einen
stärkeren Schutz von Informanten. Der
jüngsteLänderbericht eines OECD-
Prüfteams zur Schweizer Umsetzung der
OECD-Konvention gegen dieKorrup-
tion war 20 18 sehr kritisch in Sachen In-
formantenschutz. Der Berichtkritisiert
nebst der Absenz eines ausdrücklichen
Gesetzesschutzes auch das «fast univer-
selle Misstrauen in der Schweiz gegen-
über Hinweisgebern».Aus dem Bericht
lässt sich herauslesen, dass derVorschlag
des Bundesrats für die OECD-Prüfer
kaum weit genug ginge.
Weiter geht die von der EU dieses
Jahr beschlossene Richtlinie zum Schutz
von Hinweisgebern. Die Richtlinie ver-
bietet dieKündigung und andereVer-
geltungsmassnahmen durchArbeitgeber
gegen Informanten; in der Schweiz gilt
im Grundsatz dieKündigungsfreiheit,
doch bei missbräuchlichenKündigungen
erhalten Hinweisgeber Schadenersatz
bis maximal sechs Monatslöhnen. Die
EU-Richtlinie stelltkonkreteVorschrif-
ten fürFirmen ab 50 Angestellten zur
Einführung betrieblicher Meldekanäle
auf; der SchweizerVorschlag des Bun-
desrats verzichtet auf solcheVorschrif-
ten,erlaubt aber in Betrieben ohnein-
terne Meldestelle Direktmeldungen an
externe Behörden.
Die EU-Richtlinie, welche die Mit-
gliedländer bis 2021 umsetzen müssen,
enthält im Grundsatz die gleicheMel-
dekaskade wie die SchweizerRechts-
praxis; die EU-Richtlinie macht aber
den externen Meldestellen strengere In-
formationsvorgaben und lässt im Prin-
zip auch die Möglichkeit offen, dass sich
ein Hinweisgeber direkt an eine externe
Stelle wenden kann.

VieleFirmenhaben Meldestelle


Viele grössereFirmen haben schon
interne Meldestellen – auch in der
Schweiz.Laut einer Umfrage von die-
semFrühjahr bei knapp 1400 Unter-
nehmen in der Schweiz und drei ande-
ren Ländern hatten knapp zwei Drittel
der SchweizerFirmen eine betriebliche
Meldestelle.Im vergangenenJahr waren
laut der Umfrage nur 5% der Meldun-
gen missbräuchlich, und etwa jede
zweite Meldung schätzten die Unter-
nehmen alsrelevant ein.

Fed senkt den Leitzins ein drittes Mal


Lockerungtrotz ansprechender Konjunkturlage – nun dürfte aber eine Pause folgen


MARTIN LANZ,WASHINGTON


Am Mittwochmorgen hat das US-Han-
delsministerium überraschend gute
Wachstumszahlen für das dritte Quartal
2019 veröffentlicht. Zwar entspricht die
aufsJahr hochgerechnete Zunahme des
realen Bruttoinlandprodukts (BIP) um
1,9% einerVerlangsamung gegenüber
denVorquartalen. Die Erwartungen der
Analytiker vonWerten um 1,5% wur-
den aber deutlich übertroffen. Offenbar
nicht deutlich genug: Der geldpolitische
Ausschuss desFederalReserveSystem
(Fed) jedenfalls betrachtet dieKonjunk-
turlage weiterhin als anfällig und ent-
schied am Mittwochnachmittag, diese
mit einer weiteren vorbeugenden Leit-
zinssenkung zu stützen.


UneinigeGeldpolitiker


Es war die dritte Zinssenkung um 25
Basispunkte hintereinander; das Ziel-
band für den US-Leitzins beträgt da-
mit nur noch 1,5–1,75%.Wie schon bei
den Zinssenkungen von EndeJuli und
Mitte September erfolgte der Entscheid
am Mittwoch nicht einstimmig. Zwei der
zehn stimmberechtigten Geldpolitiker –
Esther George von der Kansas-City-Fed
und EricRosengren von der Boston-Fed



  • hätten einFesthalten am bisherigen
    Zielband von 1,75–2% vorgezogen.
    In seinem Communiqué verzichtete
    der geldpolitischeAusschuss dieses Mal
    auf den Hinweis, dass man «angemes-
    senreagieren werde, um den wirtschaft-
    lichen Aufschwung aufrechtzuerhal-
    ten».Damit signalisiertdasFed, dasses
    nun eine schöpferischePause einlegen
    dürfte. Eine neuerliche Zinssenkung an


der letztenFed-Sitzung desJahres vom


  1. bis 11.Dezember ist damit nicht aus-
    geschlossen, aber die Bedingungen da-
    für sind strenger geworden.Was das ge-
    naubedeutet, erklärte derFed-ChefJe-
    romePowell im Anschluss an die Sit-
    zung in einer Pressekonferenz.
    Die US-Wirtschaft befinde sich im
    inzwischen elften Expansionsjahr, und
    dieAussichtenseien gut, sagtePowell.
    Dazu hätten auch die jüngsten Zins-
    senkungen beigetragen. Der derzeitige
    geldpolitischeKurs bleibe deshalb an-
    gemessen, solange sich derAufschwung
    tatsächlich so fortsetze, wie es dasFed
    erwarte.Powell verwies vor allem auf
    den soliden Haushaltssektor und das
    anhaltende Beschäftigungswachstum
    als wichtige Konjunkturstützen. Die


US-Geldpolitik folge aberkeinem vor-
gegebenen Pfad, sagtePowell. Es blie-
ben Unsicherheiten.Damit signalisierte
er, dass das neue Leitzinsniveau von1,5–
1,75% nun eine Zeitlang gelten dürfte,
aber nicht in Stein gemeisselt ist. Soll-
ten sich die Umstände massgeblich ver-
schlechtern, werde manreagieren, ver-
sprach derFed-Chef. Das wäre bei
einem Stellenabbau oder einemWachs-
tumseinbruch derFall.

Powell verbreitetOptimismus


Auch sonst verbreitete derFed-Chef
Optimismus: Die Wahrscheinlichkeit
einesNo-Deal-Brexits und diehandels-
politischen Unsicherheiten hätten abge-
nommen. Sollte das aufgegleiste Phase-
eins-Handelsabkommen zwischen den
USAund China tatsächlich zustande
kommen, könnte eine bessere Stimmung
unter den Unternehmen auch den Indus-
triesektor wieder in Schwung bringen.
Das bedeute aber nicht, dass man
nun bereits wieder über Zinserhöhun-
gen nachdenke, sagtePowell. DieFrage
würde sich nur stellen, wenn die Infla-
tion stark anziehen würde. Ein solches
Szenario zeichne sich nicht ab, vielmehr
seien die Inflationserwartungen tenden-
ziell weiter gesunken, meintePowell.
Dennoch:Dass die jüngsten Zinssenkun-
gen nach einerPause wieder rückgängig
gemacht werden, ist nicht unplausibel.
So kam es nach den Zinssenkungen 1995
und1998, die ebenfalls alsVersicherung
gegen einen Abschwung dargestellt wur-
den und diePowell diesesJahr als Anlei-
tung dienen, zunächst zu geldpolitischen
Pausen, auf die dann aber Leitzinserhö-
hungen folgten.

Europe under


thepopulist sp


Joschka Fischer


Keynote on 11 November 2019
15.30–16.30 in Zurich

Social and economic origins of populism


Economics.For Society.


11 November 2019 |9.30–18.00
Public eventat Kaufleuten Zürich
Entrance is free, but registration is required
wwwwwww.ubscenter.uzh.ch

What is populism, what are the challenges and how does it threaten democracy and
liberty? This question takes center stage at this year’sForum, where we address this
topic of highest sociopolitical relevance, as it will form our society for years to come.
Here are some highlights:
Who are the populists?Keynote byTo rsten Persson from Stockholm University.
Populism–fostering progress, stagnationorregress?Disputation with Kishwer Falkner,
Member of the House of Lords, andYa nisVaroufakis, economist and former Minister
of Finance of Greece.

Forum for Economic Dialogue

pell

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