Neue Zürcher Zeitung - 30.10.2019

(Michael S) #1

Donnerstag, 31. Oktober 2019 FINANZEN 29


Wie stabil ist der Höhenflug?

Immobilienakti en und -fonds haben 2019 ausser gewöhnlich stark zugelegt


MICHAEL SCHÄFER


Die Warnungen sind nicht zu über-
hören: «Anleihen sind eine riesengrosse
Blase.» So oder ähnlich tönt es von etli-
chen Marktbeobachtern.Auch wenn das
Volumen der Anleihen, die negativeVe r-
fallrenditenaufweisen, wieder etwas ab-
genommen hat, beträgt es noch immer
14 Bio.Fr.Jüngst hat sich sogar Grie-
chenland zu den Staaten gesellt, die für
ihrePapiere Zinsen erhalten, statt sol-
chezahlen zu müssen – wennauch nur
füreinerelativ kurzeLaufzeit.Aber es
sind bei weitem nicht nur Obligationen,
derenKurse durch die aussergewöhnliche
Geldpolitik der Notenbanken in schwin-
delerregende Höhen getrieben wurden.


Wie im Bilderbuch


Angesichts der Einbussen, mit denen
Investoren bei festverzinslichenPapieren
rechnen müssen, sind viele von ihnen im
grossenStilauf Immobilienanlagenaus-
gewichen. In derFolge sind auch in die-
sem Bereich die Preise in den vergan-
genenJahren deutlich gestiegen. Allein
im laufendenJahr haben die Aktien von
Schweizer Immobiliengesellschaften im
Durchschnitt um rund 29% zugelegt,jene
derkotierten Immobilienfonds immerhin
um15%. Die spürbaren Preiskorrektu-
ren von Dezember 20 18 sind längstver-
gessen, und neueRekordmarken wurden
in Serie aufgestellt. DieFrage liegt nahe:
Wenn die üppigenKursgewinne durch
die Blase am Bondmarkt getrieben wur-
den, wie fragil sind sie dann?
An Gefahren fürSchweizer Immobi-
lienanlagen, die zu einer Schubumkehr
bei der Kursentwicklung führenkönn-
ten, mangeltesnicht. Zu den strukturel-
len Risiken zählen zunehmende Leer-
stände, eine sich abkühlendeKonjunktur
und steigende Zinsen.Was die steigenden
Leerstände anbelangt, sind sie imWohn-
bereich ein sehrreelles Szenario, denn bei
den Mietwohnungen ist die Leerstands-
quote bereits deutlich gestiegen, und
das Immobilienberatungs-Unternehmen
WüestPartner erwartet auch imkom-
mendenJahr eine weitere Zunahme.


Ein Ventil gegenÜberhitzung


Für Investoren, die indirekte Schweizer
Immobilienanlagen halten, ist diese in
der Öffentlichkeit stark beachtete Ent-
wicklung bis jetzt aber noch nicht son-
derlichbedrohlich, auchwenn die Leer-
standsquote beiRenditeobjekten über
dem landesweiten Durchschnitt von
rund 1,7% liegt.Via Immobilienfonds
oder Aktien von Immobiliengesellschaf-
ten investiert mannämlich in breit diver-
sifiziertePortfolios. Die nicht vermie-
tetenWohnungenkonzentrierten sich
aber auf gewisse Bereiche, sagt Claudio
Saputelli,Immobilienchef in der globa-
lenVermögensverwaltung der UBS.
Zum einen seienRegionen wie Solo-
thurn oder Aargau betroffen, wo in ein-
zelnen Gemeinden die Leerstände be-
reits schmerzen. Zum anderen sei zu be-
obachten, dass vor allem die zweitneus-
tenWohnungen einen schweren Stand
haben. Gemeint sind damit Objekte,
die vor wenigenJahren auf den Markt
gekommen sind und denen inzwischen
noch neuere den Rang abgelaufen
haben. Die Leerstände sind aber laut Sa-
putelli auch eines der wenigenVentile,
die dazu beitragen, dass sich der Markt
nicht weiter überhitzt. Die Investoren
verlangten wieder höherePrämien, um
die steigenden Risiken zukompensieren.
Ähnlichsieht esder Chefökonom
vonRaiffeisen, Martin Neff: «Die meis-
ten Investoren habenrealisiert, dass die
Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Siekennen dieGrenzen derAbsorptions-
fähigkeit.»Konkret bedeute das, dass in
der Mehrzahl der Gemeinden mit beson-


ders hohen Leerstandsquoten nur noch
wenige oder garkeine Mietwohnungen
mehr gebautwürden, so dass sich dieLage
über die Zeit wieder entspannenkönne.

Diversifikationist Pflicht


Auf den Punkt bringt die Problematik
Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilien-
analyse bei der Credit Suisse: «Gefähr-
lich kann der Leerstand fürInvestoren
werden, die nur ein oder zwei Objekte
besitzen. In einem diversifiziertenPort-
folio drückt ein höherer Leerstand zwar
auf dieRendite,die Einbussen spielen
sich dort aber in einem engenRahmen
ab und wirken sich nur geringfügig auf
die Stellen hinter demKomma aus.»
Deutlich gravierendereAuswirkun-
gen erwartet Hasenmaile imFall einer
schwerenRezession, der die Credit Suisse
immerhin eine Eintrittswahrscheinlich-
keit von15% einräumt.Dann dürften sich
auch die Leerstände zu einem grösseren
Problem entwickeln, vermutet er. Es sei
in den letztenJahren zwar schon zu viel
gebaut worden, aber angesichts der guten
Konjunkturentwicklung und der Netto-
zuwanderung wurde das zusätzlich auf
den MarktkommendeWohnungsangebot

bisherrelativ gut absorbiert.Vor allem
die bereits ansässige Bevölkerung hat in
den letztenJahren ihrenWohnflächen-
konsum deutlich erhöht.Durch einen
konjunkturellenRückschlag würde sich
das ändern – und dieWohnungsproduk-
tionkönnte nichtrasch daraufreagieren,
denn dieWohnungen, die in den nächsten
zweiJahren auf den Marktkommen, sind
bereits imBau.
Noch grössereAuswirkungen als auf
demWohnungsmarkt würde eineRezes-
sion auf dem volatileren und stärker vom
Wirtschaftsgang abhängigen Büromarkt
zeitigen, gibt Saputelli zu denken. Dieser
ist jedoch derzeitrecht gut «inForm», die
Leerstände sind seit einiger Zeit rück-
läufig. Zudem,erklärt Saputelli, sei man
hierzulande schon seitJa hren an nied-
rige Wachstumsraten gewöhnt. Ein
Rückgang des Bruttoinlandprodukts
(BIP) von beispielsweise 0,5% über ei-
nige Quartale gäbe nochkeinen Anlass
zu grösserer Sorge.Anders sei es, wenn
dieWirtschaft überJahre jeweils spür-
bar um mehr als 1% schrumpfen würde.
Komme es dann zu einer empfind-
lichenAusweitung der Arbeitslosigkeit,
verschlechteresich bei den betroffenen
Haushalten dieTr agbarkeit der Hypo-

thek.Weil es aber sehr unwahrscheinlich
sei, dass in einem Szenario mithoher
Arbeitslosigkeit die Zinsen gleichzeitig
anstiegen, seien aus heutiger Sicht Not-
verkäufe und damit Preiskorrekturen im
grösseren Stil äusserst unwahrscheinlich,
erklärt Neff.Einig sindsich die Exper-
ten, dass ein ausgeprägter Zinsanstieg
das grösste Risiko für die Immobilien-
preise und damit auch für Investoren
darstellt. Solange die Niedrigzinsen da-
für sorgten, dass die Nachfrage nach
Immobilien hoch bleibe, könne viel ver-
kraftet werden, so Saputelli. Falle dieser
Faktor weg, werde es kurzfristig zu star-
ken Wertkorrekturenkommen.

KeinZinsanstiegin Sicht


Allerdings wäre ein solcher Zinsanstieg
vollkommen unerwartet. Noch vor einem
Jahr habe man mit einer gewissen Nor-
malisierung der Geldpolitik gerechnet;
aber nach derRückkehr der US-Noten-
bankFed und anderer Zentralbankenauf
einen expansivenKurs sei für die nächs-
ten zwei bisdreiJahre nicht vorstellbar,
woher ein solcher Zinsanstiegkommen
sollte, gibt Hasenmaile zu bedenken.
Sollte es doch dazukommen, gilt es
laut Saputelli aber zu unterscheiden,
ob hinter dem Zinsanstieg ein starkes
Wirtschaftswachstumsteckt oder ob
die Zentralbank mit einerrestriktiven
Geldpolitik eine Inflation bekämpft, die
nicht von einem entsprechendenWachs-
tum begleitetist. Solltedas erste der bei-
den Szenarien zutreffen – das zweite
sei in einer offenenWirtschaft wie der
schweizerischen kaum denkbar –, wäre
mittelfristig mit einer Gegenbewegung
zurechnen, also mit steigenden Mieten
und Immobilienpreisen.
Man kann es drehen und wenden,
wie man will: Obwohl sich die Preise
der Immobilienanlagen deutlich erhöht
haben, ist derzeitkein Alarmismus an-
gesagt. Zwar ist es bei den Leerstän-
den und derKonjunktur nicht zum Bes-
ten bestellt, aber für tiefe Sorgenfalten
gibt eskeinen Anlass. Und imFall eines
massiven Zinsanstiegs wären diese Sor-
gen zwar berechtigt – er ist aber weit und
breit nicht in Sicht. Zu einer gewissen
Korrektur kann es angesichts der luftigen
Höhen natürlich jederzeitkommen, am
günstigen Umfeld für Immobilienanla-
gen ändert sich dadurch jedoch nichts.

Ob man direkt in Immobilieninvestiertoder indirekt überFonds und Aktien, macht einen grossen Unterschied. GAËTAN BALLY / KEYSTONE

Norwegens


Ölfonds knackt


magische Marke


Der Marktwert beläuf t sich j etzt
auf über 10 Billionen Kronen

RUDOLF HERMANN

Es ist ein faszinierendes Schauspiel, die
Wertentwicklung des norwegischen «Pen-
sionsfondsAusland» zu verfolgen.Tu n
kannmandas auf derWebsite desFonds,
der imVolksmund schon fast liebevoll
«Oljefondet» («Ölfonds») genannt wird.
Die Zahlen zucken in schwindelerregen-
demTempo, je nachdem, was dasVermö-
gen des weltweit grössten Staatsfonds
gerade wert ist. Am vergangenenFreitag
gab es einen besonderen Moment zu ge-
niessen: und zwar, als derFonds die magi-
sche Markevon 10 000 Mrd. nKr., umge-
rechnet 1075 Mrd.Fr., knackte.
Der Ölfonds heisst zwar offiziellPen-
sionsfonds, ist aber eigentlichkeiner.
Denn er unterstehtkeinerlei zukünfti-
genVerpflichtungen zuRentenzahlun-
gen, sondern akkumuliertFinanzmittel
für eine – vielleicht nicht einmal mehr so
ferne – Zeit, in der Norwegen ohne Erd-
öleinkünfte auskommen muss und ein
Polster gutgebrauchen kann, umdieAus-
gaben seines extensiven Sozialsystems
zu bestreiten. Die Anlagen finden aus-
schliesslich imAusland statt, damit das
viele Geld nicht den inländischen Markt
aus denFugen geraten lässt. Undweil der
Fondskein eigentlicherPensionsfonds
ist, kannersichauch mehr Risiko leisten.
Diesäussert sich ineinem hohen
Aktienanteil. Er lag in den letztenJah-
ren im Bereich von plus/minus 65%,ist
seit 20 18 jedoch im Steigen begriffen
und liegt derzeit nur sehr knapp unter
70%. Es ist dieFortsetzung eines lang-
fristigenTr ends. Im Umfeld der globa-
len Krise nach 2007 bewilligte das nor-
wegischeParlament, das diesbezüglich
das letzteWort hat, eine Anhebung der
Aktienquote von 40auf50%; 2017 gab
es das Plazet für die Erhöhung auf 70%.
Im zweiten Quartal verzeichnete der
Fonds, der 1,4% des weltweitkotierten
Aktienkapitals hält, bei Aktien einen
Anlageerfolg von 3%, bei den festver-
zinslichen Anlagen einen solchen von
3,1%, und bei den nichtkotierten Immo-
bilienanlagen waren es 0,8%.WieTrond
Grande, der stellvertretende Chef des
Fonds, gegenüber Mediensagte, verschob
die Marktentwicklung (mitvergleichba-
rem Anlageerfolg bei Aktien wieFest-
verzinslichen und der bestehenden deut-
lichen Übergewichtung von Aktien) die
Gewichte im zweiten Quartal automa-
tisch leicht auf die Aktienseite.
Die Erwägungen zur Höhe des
Aktienanteils am Portfoliosind laut
Grande nicht durch kurzfristige Markt-
bewegungen bestimmt,sondernGegen-
stand strategischer Diskussionen.Rück-
blickend scheint es, dass derFonds etwa
im Zehnjahresrhythmus Aktien forciert,
denn sowohl1998 als auch 2007 und
jetzt wieder kam es zu Erhöhungen der
Quote. Ein deutscher Anlagespezialist
sagte gegenüber der «FinancialTimes»,
mankönne deshalb das Anlageverhal-
ten desFonds in gewisserWeise als anti-
zyklischen Indikator ansehen.

Euro/Fr.
1,1030-0.16%

Dollar/Fr.
0,9893-0.50%

Gold($/oz.)
1494,900.50%

SMI
10254,95-0.03%

DAX
12910,23-0.23%

DowJones
27186,690.43%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
60,53-1.74%
Free download pdf