Neue Zürcher Zeitung - 30.10.2019

(Michael S) #1

Donnerstag, 31. Oktober 2019 SPORT43


HERAUSGEGRIFFEN


Wie viel ist Clint


Capela wert?


NicolaBerger·Bis auf die Plage von
Anrufen vonVersicherungsvertretern
kann man sich auf diesem Planeten
gegen fast alles versichern lassen. Mar-
lene Dietrich sicherte sich einst gegen
denVerlust ihrer Stimmeab, sie hätte
dafür eine Million Dollar erhalten. Die
verrückteWelt der Assekuranzenkennt
inzwischen sogarPolicen imFalle einer
Entführung durch Aliens. In der NBA
kann man neuerdings seineTickets ver-
sichern lassen – für denFall, dass der
Lieblingsspieler nicht eingesetzt wird.
Das Angebot trifft den Zeitgeist
der NBA, denn spätestens seit Kawhi
Leonard dieTorontoRaptors zumTi-
tel geführt hat, ist es in Mode gekom-
men, Spieler zu schonen. Leonardhatte
201 8/19kein einziges Mal zwei Spiele
innert 24 Stunden bestritten – und war
am Ende frischer als derRest.Das Bei-
spiel wirdSchule machen,Daryl Mo-
rey, der General Manager der Houston
Rockets, sagt unter anderem, dass sein
Team «load management» implemen-
tieren werde.
Für die Liga ist das eine Heraus-
forderung,etwa weil dieTV-Stationen
nicht Hunderte Millionen Dollar bezah-
len, umPartien mitReservisten in der
Hauptrolle zu übertragen. Die NBAhat
in solchenFällen mehrfach Strafen aus-
gesprochen, die San Antonio Spurs bei-
spielsweise mussten schon eine Busse
von 250 000 Dollar bezahlen. Doch das
Problem besteht weiter. Der Liga-Kom-
missionärAdam Silver sagte jüngst, man
müsse darüber diskutieren, die Qualifi-
kationsphase von derzeit 82 Spielen zu
verkürzen.
Die Medienanstalten sind nicht die
Einzigen, die sich über dieVersetzung
von Stars auf dieTr ibüne ärgern – auch
bei den Zuschauern ist der Unmutregel-
mässig gross. Der Besuch einer NBA-
Partie ist oft ein teuresVergnügen, der
Durchschnittspreis liegt bei knapp 100
Dollar. Doch nun gibt es Abhilfe:Vijay
Shravah, ein ehemaliger Ingenieur der
US-Weltraumbehörde Nasa, hat im Sili-
conValley das Startup-Unternehmen
Fansure gegründet.Fansure bietet die
Möglichkeit,eineTicket-Investitionab-
zusichern.Wer beispielsweise 100 Dol-
lar für diePartie zwischen den Houston
Rockets und denWashingtonWizards
vom Mittwoch bezahlt hat und nicht auf
den Schweizer Clint Capela verzichten
will, kann sich für 10 Dollar 80 absichern.
Spielt Capela nicht, wird derTicketpreis
zurückerstattet. Nochkein Angebot hat
Fansure für Liebhaber von Obskuritä-
ten: EineVersicherung gegen die Ab-
senz des SchweizerRockets-Reservisten
Thabo Sefolosha sucht man vergeblich.

Neue Perspektiven und alte Sorgen

Tom Lüthi und Jesko Raffin fahren inder Motorrad-WMrasant in die Zukunft – Dominique Aegerter leidet


FRIEDEMANN KIRN


Im Sommer drehten die Spanier in der
Moto2-Kategorie der Motorrad-WM
auf. AlexMárquez holte fünf Siege in
sechsRennen; auch der jungeAugusto
Hernandez gewann zweimal hinterein-
ander. Der SchweizerTom Lüthi drohte
den Anschlusszu verlieren. Doch bei den
jüngstenRennen ausserhalb Europas
schlug er zurück.Am vorletzten Sonntag
inJapan erkämpfte er mit einer tollen
Aufholjagd Platz zwei.Und am vergan-
genenWochenende inAustralien stiess
er nach einem Blitzstart vonRang elfan
die dritte Stelle vor. Márquez wurde bei
diesen beidenRennen nur Sechster und
Achter, und damit ist derRückstand in
derWertung auf 28 Punkte geschrumpft.
«Márquez steht unter Druck. Es kann
noch alles passieren», sagt Lüthi.Das
WM-Rennen ist wieder offen.
Dass Lüthi derzeit derart auftrumpft,
hängt zumTeil mit einemTapetenwech-
sel zusammen. Lüthi fährt umso befrei-
ter auf, je weiter weg er demRummel
derTeamgäste,Journalisten undFans in
den europäischenFahrerlagern entflie-
hen kann. «Ich mag die Überseerennen.
Dortkönnen wir uns wirklich auf den
Job konzentrieren», sagter.Aber es ist
nicht der einzige Grund, dass es so gut
läuft. LüthisTeam hat endlich wieder
ein Motorrad zurVerfügung, das sehr
gut funktioniert.


FrischerWind imTitelrennen


Beim drittenRennen der Saison inTexas,
in demLüthi undsein bayrischerTeam-
kollege Marcel Schrötter die ersten zwei
Plätze errangen, war die Maschine auf
ihrem besten Level. Anschliessend, beim
erstenEuroparennen inJerez, führte der
AusrüsterDunlop einen neuen, breite-
ren und höheren Hinterreifen ein, der
Lüthi und seinTeam «aus dem Abstim-
mungsfenster geschmissen und viele
Punkte gekostet hat»,wie der Schwei-
zer sagt. Diese Schwächeperiode nutzte
Alex Márquez optimal – bis Lüthi in die-
senWochenreagierte und wieder fri-
schenWind in denTitelkampf brachte.
Doch ob Lüthi nunWeltmeister wird
oder nicht: Als stärksterHerausforderer,
der dieTiteljagd bis zumSaisonfinale
spannend machen soll, hat der 33-Jäh-
rige aus Oberdiessbach in diesemJahr
bereits allerealistischen Erwartungen
übertroffen. Nach einem niederschmet-
terndenJahr in der MotoGP-Königs-
klassekehrte er in die Moto2-Klasse
zurück und fing dort noch einmal ganz
von vorne an – im deutschen Dynavolt-
Intact-Team, mit einer neuenTechni-
kercrew,einem neuen Motorrad und
den für 20 19 neu in der Klasse einge-
führten Dreizylinder-Einheitsmotoren
vonTr iumph. «Es war eine Riesenmoti-


vation für mich, mit dem neuen Umfeld
und der neuenTechnik auch eine neue
Herausforderung zu haben. Ich habe im
Winter mehr mit Motorrädern trainiert
als je zuvor und alles darangesetzt, dass
der Erfolg zurückkommt. MeinFeuer
brennt mehr denn je», sagt Lüthi.
Nun, da man sich imTeam aufein-
ander eingespielt und die nötige Erfah-


rung hat, denken Lüthi und sein Chef-
techniker MichaelThier fieberhaft dar-
über nach, was sie für denTitelkampf
2020 noch verbessernkönnten. «Die
Entwicklung steht nie still.Jetzt, wo wir
uns besserkennen, werden wir weiter
zusammenwachsen. ImnächstenJahr
gibt es wieder ein neues Modell unserer
Kalex-Maschine, das wir abermals neu
abstimmen müssen.Teamintern, von der
personellen Besetzung her, bleibt alles
gleich», sagt Lüthi.
Konsolidieren, auf dem Erreichten
aufbauen und eine stabile, gemeinsame
Zukunft schaffen: So lautet die Devise.
Ein weiteres Abenteuer in der MotoGP-
Königsklasse wird es nicht geben, auch
einTeamwechsel innerhalb der Moto2-
Mittelklasse steht nicht zur Debatte.
Die Mentalität des süddeutsch gepräg-
ten, grundsolide finanziertenRennstalls
passt zuLüthi. Mit dem schwäbischen
TeamchefJürgen Lingg versteht er sich
ebenso gut wie mit demTeamkollegen
Marcel Schrötter. Dynavolt Intact bleibt
die besteWahl für Lüthi, weshalb der
ManagerDaniel Epp das gemeinsame
Fundament mit zusätzlichen, eigenen
Sponsoren festigen will.
Lüthis Karriere ist auf absehbare Zeit
gesichert, derweil freut sichJeskoRaf-
fin über neuePerspektiven. Nach zwei
enttäuschenden Moto2-Jahren 20 16 und
2017 war der Zürcher von derTeam-
vereinigung IRTAaus derWeltmeister-
schaft verbannt worden; offiziell wegen
der magerenResultate. Dass ihm hin-
ter vorgehaltener Hand ein Mangel an
Talent nachgesagt wurde,sollte sich als
Fehlurteil herausstellen.Raffin gewann
die offene spanische Moto2-Meister-
schaft 20 18 überlegen und beeindruckte
Lüthis schwäbischen Moto2-Herstel-
ler Kalex gleichzeitig als kundigerTest-
fahrer. 20 19 unterschrieb er zunächst für
Lüthis Dynavolt-Intact-Team in der neu-
geschaffenen MotoE-Weltmeisterschaft.
Dann fiel der südafrikanischeMoto2-
Pilot Steven Odendaal aus. Ein gebro-
chener Zeh infizierte sich; dieVerlet-
zung zog sich hin. Odendaal verpasste
die drei erstenRennen der Saison und
musste stattdessen dreimal unters Mes-
ser. Raffin sprangbei Odendaals NTS

RWRacingTeam für diese dreiRennen
als Ersatzfahrer ein und beeindruckte
abermals mit seiner Urteilskraft und
den klarenAussagen zur Abstimmung
der Maschine.
Exakt diese analytischen Qualitäten
hatte derRennstallnötig.Ziel des von
dem NiederländerJarnoJanssen geführ-
tenTeams war nicht, um Siege und den
Titel mitzukämpfen, sondern den 20 17
erstmals vorgestellten NTS-Prototypen
in derWeltmeisterschaft zu etablieren.
NTS steht für Namatame Seisakusho,
ein1970 gegründeter, metallverarbeiten-
der Betrieb. DerJapaner MasahiroNa-
matame hatte diesen 2002 von seinem
Vater übernommen und zielstrebig zu
einem international anerkannten High-
tech-Unternehmen ausgebaut.Auf Spit-
zentechnologien wie Metall-3-D-Prints
spezialisiert und im Nuklearkatastro-
phen-Gebiet vonFukushima angesie-
delt, um den Menschen dort neuePer-
spektiven zu geben, fertigt NTS unter
anderemFahrwerksteile für Boeing so-
wie die Nasa – und,alsSteckenpferddes
CEO, eine eigeneRennmaschine.

Raffinund die Beurteilung


«Prototypen spielen eine wichtige
Rolle.Als Spezialisten für Prototypen
aus Metallkönnen wir im Motorsport
unsereFähigkeiten beiForschung und
Entwicklung demonstrieren», sagt Na-
matame.Noch fehlendem NTS-Töff10
km/h anTopspeed imVergleich mit der
Konkurrenz, was mit etwas satterer Leis-
tung durchFeinschliff an derAuspuff-
anlage und besserer Anströmung des
Ansaugtrakts ausgebügelt werden soll.
Zuständig für die Beurteilung bleibt
JeskoRaffin. Die Comeback-Versuche
Odendaals scheiterten, EndeAugust
wurde er vomTeam entlassen und durch
Raffin ersetzt – nicht nur für die verblei-
bendenRennen,sondern auch für die
gesamte Saison 2020. «Raffin ist ange-
nehmimUmgang und macht hilfreiche
Aussagen»,sagtder Schwabe Stefan
Kurfiss, der Cheftechniker desTeams.
Und Raffin wird immer schneller:
Jüngst inAustralien fegte der 23-Jäh-
rige imTr aining aufRang sieben und

imRennen auf Platz 13 – und liess auch
den erfahrenen DominiqueAegerter
klar hinter sich.
Der 29-jährige Aegerter stürzte,
wurde überrundet und kam abgeschla-
gen als 27. ins Ziel. Ein solchesResul-
tat ist ein herberRückschlag in der heis-
sen Phase der Saison, in der die letzten
Verhandlungen geführt und die letzten
freienFahrerplätze gefüllt werden. Nach
der Saison 2018, die derRohrbacher nur
miteiner Crowdfunding-Aktion finan-
zierenkonnte, kamAegerter 2019 zwar
im italienischenForward-Team unter,
das sich dieAuferstehung der imRenn-
sport einst so glorreichen Marke MV
Agusta vorgenommen hatte.WieRaffin
wurdeAegerter zumTestfahrer, der bei
denRennen neueTeile auszuprobieren
und damit die Entwicklung eines neuen
Prototypen voranzutreiben hatte.«Wir
haben uns beiAerodynamik und Ge-
wicht stark verbessert und schon man-
chenTopfahrer hinter uns gelassen»,
sagtAegerter.
Doch anders als NTS hängtForward
finanziell an einem seidenenFaden –
und damit auch das EngagementAeger-
ters, der sich nur mit eigenen Sponsoren
an der Seite des zuletzt stärkerenTeam-
kollegen Stefano Manzi haltenkönnte.
«Wir stecken inVerhandlungen mit MV
Agusta undForward.Das wäre meine
erste Option.Wir brauchen aberPartner,
die uns helfen», sagt Aegerter. «Wenn das
nicht bald klappt, wie wir uns das erhof-
fen, habenwir nur noch Möglichkeiten
im MotoE-Cup oder alsTestfahrer.»
So wie einstRandy Krummenacher
umzusatteln auf dieWeltmeisterschaft
der Superbike- und Supersport-Töffs
auf Serienbasis, istkeine Alternative für
Aegerter, obwohl er beim 8-Stunden-
Rennen von Suzuka mit dem Superbike
schon mehrfachPodestplätze eroberte.
«Es ist nicht einfach. AlleWerksplätze
in der Superbike-WMsindvergeben,
und bei den privatenTeams musst du
Geld mitbringen, bekommst aberkein
Top-Motorrad. Selbst in der Supersport-
Kategorie werden 150000 bis 30 0000
Franken gefordert.Wenn du alsFahrer
so viel Geld mitbringen musst – dann ist
daskein Motorradleben mehr.»

Guten Mutes voraus:Jesko Raffin beim Katar-GP im März. IBRAHEEM AL OMARI/REUTERS

BILDER KEYSTONE, EPA
Jesko Raffin
Rennfahrer
Team NTS

Tom Lüthi
RennfahrerTeam
Dynavolt Intact


Dominique Aegerter
RennfaherTeam MV
KEYSTONE Augusta Idealavoro

Wawrinka


im Achtelfinal


Der Schweizer
besiegt Cilic in Paris-Bercy

(sda)· StanWawrinka (ATP16) zeigte
sich beimATP-10 00 -Turnier inParis-
Bercyguterholt von denRückenproble-
men, die ihn an denSwiss Indoors vor
demViertelfinal gegenRogerFederer
zumForfait gezwungen hatten. Nach
einemFreilos gewann der 34-jährige
Waadtländer in der 2.Runde 7:6 (7:3),
7:6 (7:5) gegen den Kroaten Marin Cilic
(ATP 24). Cilic war fürWawrinka nach
der Enttäuschung inBasel ein idealer
Gegner; der Schweizer hatte die letzten
achtDuelle gegen den US-Open-Cham-
pion von 2 01 4 für sich entschieden.
Wawrinka, der noch eine kleine Chance
auf die Qualifikation für dieATP-Finals
hat, zeigte eine eindrückliche Effizienz.
ImAchtelfinal trifft er am Donners-
tag aufRafael Nadal. Der Spanier, der
am Montag Novak Djokovic wieder als
Nummer 1 derWeltrangliste ablösen
wird, gewann in seinem ersten Spiel seit
dem gewonnenen US Open und einer
amLaver-Cup erlittenen Handgelenks-
verletzung 7:5, 6:4 gegen denFranzosen
Adrian Mannarino (ATP 43).
Free download pdf