Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
von michael bauchmüller

Berlin– Robert Swan meldet sich direkt
von der Front. Auf den Wirtschaftsgipfel
kommt er per Videoschalte vom Südzipfel
Südamerikas, in drei Tagen bricht er in die
Antarktis auf: Es ist Teil seiner Beweisauf-
nahme rund um die Erderwärmung. Swan
ist ein Mahner, dem kein Fußweg zu weit
ist, auch nicht zum Südpol; eine Art Doku-
mentar des Klimawandels. Und er ist unzu-
frieden. „Jeder beginnt über Klimawandel
zu sprechen“, sagt er per Video aus Chile.
„Aber ich höre zu wenig über Lösungen.“
Das wird sich Minuten nach der Schalte
ändern, nur 14000 Kilometer Luftlinie ent-
fernt. Und es wird ordentlich zur Sache ge-
hen. Im Verlauf wird Franziska Wessel, 15
Jahre alt und Teil der Fridays-for-Future-
Bewegung, Renault-Chef Jean-Dominique
Senard der Lüge bezichtigen, und Senard,
sichtlich angefasst, wird von seinen 50 000
Leuten erzählen, von der Passion seiner In-
genieure. „Ich kann mir nicht vorstellen,
dass diese Leute jeden Morgen aufstehen
und zur Arbeit gehen in dem Bewusstsein,
dass sie nichts bewegen.“


So wird die Debatte zum Spiegel der La-
ge. Robert Swan wird bald ins schmelzen-
de Eis aufbrechen – und in der Hauptstadt
des größten Industrielandes Europas dis-
kutiert ein Podium über das Mögliche und
das Nötige. „Der Klimawandel kommt
schneller, als ich ihn erwartet hätte“, ge-
steht etwa Rolf-Martin Schmitz, Chef des
Essener RWE-Konzerns, der zugleich größ-
ter Kohlendioxid-Emittent Europas ist.
RWE fördert im Rheinland Braunkohle
und macht Strom daraus. Sein Unterneh-
men stecke mitten im Umbau, hin zu erneu-
erbaren Energien. Dennoch könne er nicht
von jetzt auf gleich aus der Braunkohle aus-
steigen, ohne seinen Leuten zu sagen, was
aus ihnen wird. „Man muss auch sehen, in


welcher Zeit was geht.“ RWE sei zwar noch
der größte CO2-Emittent. Aber die Beto-
nung setzt Schmitz auf das „noch“: „Wir ha-
ben nicht nur verstanden. Wir machen.“
So ähnlich hatte das Renault-Chef Se-
nard zuvor auch gesagt. „Es gibt keinen
Zweifel am Klimawandel.“ Lange seien Un-
ternehmen nicht unbedingt als proaktiv
wahrgenommen worden im Kampf gegen
die Erderwärmung. Spätestens mit der Kli-
makonferenz in Paris habe sich das geän-
dert. „Es liegt in der DNA der Unterneh-
men die richtigen Lösungen und die richti-
gen Technologien zu finden“, warb Senard.
Mehr noch: Europa könne zum Aus-
gangspunkt eines neuen, nachhaltigen Ka-
pitalismus werden, der nicht nur auf Profit
achte, sondern auch auf Umwelt und Sozia-
les. Wenn Unternehmen und auch Finanz-
akteure langfristiger dächten, „können
wir die Welt verändern“. Was wiederum ei-
ne Vision war, die die Elftklässlerin Wessel
ihm nicht abnehmen wollte. „Genau das
hätten Sie mir vor einem Jahr auch sagen
können“, urteilte sie. Trotzdem habe sich
an den Emissionen aus dem Verkehr nichts
geändert. „Ich habe das Gefühl, Sie lügen
mich hier wie gedruckt an.“ So wird die Dis-
kussion auch zum Generationenkonflikt –
zwischen dem 66-jährigen Senard und der
51 Jahre jüngeren Wessel. „Es klingt viel-
leicht hart. Aber wir können so nicht weiter-
machen“, setzt Wessel nach.
Aber wie dann? Daniela Jacob ist da, die
Chefin des Climate Service Center und ei-
ne der Leitautorinnen jenes Sonderbe-
richts des Weltklimarats, der sich unlängst
mit dem 1,5-Grad-Ziel befasste – und der
Chance, dieses schärfere Ziel aus dem Pari-
ser Klimavertrag zu erreichen. Und das sei
machbar. „Es gibt keinen physikalischen
Grund, keinen chemischen, keinen techno-
logischen, keinen finanziellen, keinen kul-
turellen Grund, die Temperatur nicht dort
zu begrenzen“, sagt Jacob. „Es ist der politi-
sche Wille.“ Daran hänge alles.
Und weil das so einfach klingt, pocht Ja-
cob noch einmal auf die Dringlichkeit. „Es
geht nicht mehr darum, macht der eine ge-
nug oder der andere zu wenig“, sagt sie.

„Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen.“
Da komme gerade auf die Unternehmen ei-
ne große Verantwortung zu. „Wir verschie-
ben sonst das Problem in die Zukunft“ – in
die Zukunft von Schülerinnen wie Franzis-
ka Wessel, die, wie sie sagt, freitags lieber
in die Schule ginge als auf die Straße.
Die Hitze wird spürbar, auch auf dem Po-
dium. Es ist der Druck der Schüler und der

Wissenschaft auf der einen Seite, der
Strukturwandel in der Wirtschaft auf der
anderen. Schmitz und Senard sind rasch ei-
nig, dass es Lösungen für die Beschäftig-
ten braucht, Umschulungen, andere Jobs.
Wessel aber sieht auch darin eine Zeitverzö-
gerung. „Wir können uns nicht immer mit
dem Arbeitsplatz-Argument aufhalten“,
sagt sie. Und mittendrin die Wissenschaft-

lerin Jacob, die auch die Dringlichkeit
sieht, zugleich aber sagt: „Wir brauchen
die notwendige Geduld.“
Robert Swan war da schon wieder mit
den Vorbereitungen für seinen Südpol-
Trip befasst. Hätte er die Runde verfolgt,
es hätte ihm wohl gefallen: Vier Leute, die
nicht nur über Klimawandel reden. Son-
dern auch über Lösungen.

Mit funktionierenden
Hubschraubernund U-Booten
kann ich dienen.
An der Mondrakete
arbeiten wir noch.“

Annegret Kramp-Karrenbauer,
CDU-Vorsitzende und
Verteidigungsministerin

Wir sind sehr chaotisch
organisiert, was auch
cool ist, weil wir so
sehr inklusiv sind für alle,
die mitmachen wollen.“

Franziska Wessel,
Fridays for Future

Erfahrung hilft.
Aber manchmal macht
man Sachen so
wie beim letzten Mal,
die man besser
anders gemacht hätte.“

Stephan Schambach,
Newstore

Wenn wir heute
nicht handeln, verschieben
wir das Problem in
die Zukunft.“

Daniela Jacob, Klimaforscherin

SZ-WirtschaftsgipfelGemeinsam stark – für das Klima und die Umwelt


Die Hitze


nimmt zu


Handelnwollen beim Klimaschutz alle.
Heiß umkämpft ist nur die Frage, wann

Der Klimawandel komme


schneller,als er erwartet


hätte, gesteht der RWE-Chef


(^16) WIRTSCHAFT Donnerstag, 14. November 2019, Nr. 263 DEFGH
AUF DEN PUNKT
ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV
Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel 2019
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