Süddeutsche Zeitung - 14.11.2019

(Michael S) #1
EINE PUBLIKATION VON SMART MEDIA

ARBEITSRECHT 03


»W


ir müssen froh und dank-
bar sein, dass wir Arbeit
haben.« Diesen Satz
hörte man vor Jahren noch sehr häufig — von
den unterschiedlichsten Menschen. Mittler-
weile wird ein etwas anderer Satz in vielen
Arztpraxen mit sorgenvollen Mienen vorge-
tragen. »Die Arbeit macht mich kaputt.« Eine
auf Witzchen und »Endlich-Freitag«-Sprü-
che gepolte Social-Media-Industrie spielt
diesem Arbeitsverdruss noch in die Hände.

So liest man überall von der »Work-Life-Ba-
lance«, aber der Wunsch nach dem Gleichge-
wicht, das Arbeit und Freizeit zu einem run-
den Ganzen und eben Glück formt, scheint
ohne Unterstützung von außen unmöglich.
Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit, oftmals
vom Arbeitnehmer selbstverordnet, und ins
Uferlose wachsende Überstunden machen
das ursprünglich auf eine feste Stundenzahl
definierte Arbeitsleben zum Nonstop-Betrieb.

Frühzeitige Klärungen
Erschwerend kommt hinzu, dass sich viele
Angestellte nicht mit dem Arbeitsrecht aus-
kennen oder sich pro forma als Opfer definie-
ren. Sich frühzeitig mit dem Arbeitgeber an
einen Tisch zu setzen, um den Rahmen seiner
Tätigkeit abzustecken, könnte helfen. Da die
meisten Arbeitsverträge aber eher unkonkret
formuliert sind, bekommen viele Tätigkei-
ten, oftmals ungewollt, eine negative Eigen-
dynamik. Die oder der Vorgesetzte fordert
beispielsweise an einem bestimmten Punkt
Eigeninitiative oder zusätzliche Anstrengun-
gen, was vom Arbeitnehmer dann als neuer,
ständiger Druck missverstanden und in Über-
stunden umgemünzt wird.

Vor allem perfektionistische, narzisstische Per-
sönlichkeiten neigen in einem nächsten Schritt
zur Überforderung und entwickeln ein Burn-
out-Syndrom. Dabei ist die Arbeit nur der
Auslöser, nicht der wirkliche Grund. In einem
Interview mit der Ärztezeitung formulierte
der Arzt und Burn-out-Coach Dr. Thomas

Bergner: »Burn-out wird zwar in der Regel am
Berufsleben festgemacht. Das ist eine leich-
te Lösung, die akzeptiert wird, denn es heißt
ja, wer ausgebrannt ist, hat zumindest einmal
gebrannt. Das ist aber Unsinn.« Vielmehr, so
Bergner weiter, gehe es darum, »welche Bedürf-
nisse ich habe und woher sie kommen, dann
beginne ich, das Leben so zu gestalten, dass
diese Bedürfnisse befriedigt werden.«

Rechtliche Beratung
Burn-out-Gefahr zu bannen, hat also viel mit
Kommunikation zu tun. Oftmals kann die
Kommunikation über sich selbst nur dann
gelingen, wenn man mit anderen Menschen
kommuniziert. Es ist ein bisschen wie in der
Schulzeit, wo die größten Lernerfolge beim
offenen Kommunizieren und Miteinander-
Üben und eben nicht beim einsamen Schwei-
gen zu Tage traten. Um sein oftmals für alle
Miseren verantwortlich gemachtes Berufs-
leben in den Griff zu bekommen, sollten

unklare Aspekte der Arbeit so erläutert oder
abschließend geklärt werden, dass sich Arbeit-
nehmer verstanden und zufrieden fühlen.

Für Arbeitsverträge bedeutet das konkret: Die
Modalitäten der eigenen Tätigkeit kennen und
von einem Anwalt für Arbeitsrecht gegenche-
cken lassen. Was wurde als Wochenarbeitszeit
vereinbart? Wie steht es um Sonderzahlungen
und Urlaubsregelungen? Was wurde hinsicht-
lich des Arbeitsortes besprochen? Wie steht es
um den Kündigungsschutz? Oft können spe-
zialisierte Anwälte im Gespräch Mut machen
und damit Arbeitnehmern ein längst überfäl-
liges neues Selbstbewusstsein geben.

Kündigungen hinterfragen
Besonders bei der plötzlichen Aufkündigung
des Arbeitsverhältnisses lohnt sich ein Gang
zum Anwalt. Konkret helfen können Anwälte
aber nur dann, wenn sich Arbeitnehmer unver-
züglich nach einer Kündigung an sie wenden.

Binnen drei Wochen muss Klage beim Arbeits-
gericht erhoben werden, um eine ungerechtfer-
tigte Kündigung rückgängig zu machen oder
zwecks Abfindungen neu zu verhandeln.

Anwälte empfehlen, sich auch frühzeitig mit
dem Betriebsrat in Verbindung zu setzen, um
näheres über die Kündigungsgründe und das
Anhörungsverfahren erläutert zu bekommen.
Die Wahrnehmung der eigenen Rechte erfor-
dert ein proaktives, schnelles Vorgehen. Wer zu
lange zaudert, was er machen soll und warum
das alles passiert ist, kann nicht mehr auf Ent-
schädigungen pochen und verliert auch Arbeits-
losengeld und Krankenversicherungsbeiträge.

Fotos auf Weihnachtsfeiern
Ein besonderes betriebliches Problem kündigt
sich mit den bevorstehenden Weihnachtsfei-
ern an. Dass Arbeitnehmer*innen mittlerweile
auch zu PR-Zwecken ge- oder missbraucht
werden, betrifft zwar nicht nur den Jahres-
ausklang. Doch wenn die betriebliche Tan-
nenbaumparty ansteht, kann es rechtlich sehr
schnell problematisch werden. Mit Fotodoku-
mentationen, die den Betrieb und damit auch
die Geschäftsleitung in ein besonders gutes
Licht setzen sollen, werden oftmals Persön-
lichkeitsrechte umgangen oder gar verletzt.

Im »Expertenforum Arbeitsrecht« wies der
Mainzer Fachanwalt Stephan Breckheimer
im letzten Jahr auf die aktuelle Rechtslage
hin und stellte fest: »Das Aufnehmen und die
Veröffentlichung von Bildnissen des Arbeit-
nehmers unterliegen weiterhin grundsätzlich
dem Einwilligungsvorbehalt.« Arbeitnehmer
müssten am besten schon bei der Einladung
über geplante Fotos unterrichtet werden.
Schwierig wird es, wenn die Bilder auch im
Intra- oder Internet veröffentlicht werden
sollen. Ein »berechtigtes Interesse des Arbeit-
geber« sei hier kaum mehr gegeben. V ielleicht,
darf man folgern, ist eine Weihnachtsfeier also
gerade dann erfolgreich, wenn sie einzig und
allein dem Betriebsklima dient und Fotodo-
kumentationen gar nicht nötig hat.

Wie viel Rechtssicherheit braucht Arbeit? Wenn Arbeitnehmer sich unter Druck gesetzt oder ungerecht behandelt fühlen, wenn Befristungen und Mobbing
in Büros schulterzuckend hingenommen werden, können Rechtsanwälte helfen. Von der Beratung profitieren auch die Arbeitgeber.

TEXT RÜDIGER SCHMIDTSODINGEN

Die »Work-Rights-Balance« finden

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